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HISTORISCHES<br />
21 21<br />
„Der Tod im Reisfeld“, so wird<br />
später Peter Scholl-Latour<br />
sein Buch über Indochina<br />
nennen. Jeder Marsch wird zu<br />
einem Abenteuer.<br />
Immer einsatzbereit sollen die<br />
Maschinengewehre sein, aber<br />
aus welcher Richtung kommt der<br />
nächste Angriff?<br />
Es ist noch einmal gut<br />
gegangen! Pause bis zum<br />
nächsten Einsatz!<br />
Auch wenn alles ganz friedlich<br />
wirkt, ist die Truppe bei jedem<br />
Marsch konzentriert und auf<br />
Angriffe gefasst.<br />
Tierliebe im Busch lässt für<br />
Augenblicke den Krieg vergessen.<br />
Wo man länger verweilen will,<br />
braucht man Unterstände; die<br />
erfahrenen Weltkriegskämpfer<br />
aufbauen.<br />
Die Verwundung bringt für<br />
Willi eine Einsatzpause. Am<br />
11. April 1953 schreibt er aus<br />
Madagaskar, am 1. Mai folgt ein<br />
Brief aus Agadir. Nach seiner<br />
Genesung ist Willi bald wieder im Einsatz in Indochina. Bis in den Februar<br />
1954 schreibt er, schickt Briefmarken und Ansichtskarten. Trotz der harten<br />
Realität des Krieges gibt es einen scheinbar normalen Briefkontakt. Dann,<br />
ohne jede vorherige Ankündigung, treffen in der ersten Hälfte des März<br />
Briefe mit hunderten Fotos in Schüren ein. Es ist die Fotosammlung, der<br />
wir die Bilder für diesen Artikel entnehmen. Offensichtlich hat sich die<br />
Lage so verschärft, dass es Willi bewusst wird, dass die Foto-Dokumente<br />
seines Lebens jederzeit verlorengehen können. Unter dem Datum des 16.<br />
März 1954 schreibt Willi aus Plei Ku:<br />
„Lieber Karl,<br />
Du warst bestimmt sehr erstaunt, als Du die ganzen Briefe mit Bildern<br />
von mir bekamst. Sei bitte nicht deswegen böse, aber Du bist der einzige,<br />
zu dem ich Vertrauen habe, und ich bin sicher, daß Du mir die Bilder<br />
gut aufbewahren tust...Habe wieder einige Marken, die ich dir beilege. Im<br />
Augenblick ist es schlecht, denn wir sind fast immer draußen. Geld haben<br />
wir wie Heu und können nichts kaufen, aber zu trinken [haben wir,] die<br />
Flaschen rollen...“<br />
Wie einsam muss man sein, wenn die einzige aufzubewahrende Habe an<br />
einen Briefmarkentauschpartner – den man nur durch den Briefverkehr<br />
kennt – gesandt werden muss, damit man sie für das weitere Leben<br />
rettet. Willi hat noch seine Mutter in Deutschland, aber entweder sind<br />
deren Lebensumstände nicht so, dass er darauf hoffen kann, dass seine<br />
Fotos dort aufbewahrt werden, oder die Atmosphäre zwischen Mutter und<br />
Sohn ist so gespannt, dass er nicht damit rechnen kann, dass sie etwas<br />
für ihn tut. Ist das so, weil er in die Fremdenlegion gegangen ist, oder<br />
ist er in die Fremdenlegion gegangen, weil die Verhältnisse zu Hause so<br />
unerträglich waren? Wir kennen die Antwort nicht.<br />
Dennoch – angesichts des immer grausamer werdenden Krieges –<br />
bekommt Willi Sehnsucht nach der Heimat. In einem Brief aus Plei<br />
Ku vom 23. März 1954 bittet Willi, der Hoffnung auf einen Urlaub hat,<br />
den Briefmarkenfreund um eine amtliche Bescheinigung, dass er auf<br />
Heimaturlaub bei ihm Unterkunft finden würde. Karl spürt die Sehnsucht<br />
des Legionärs, sendet die Bescheinigung, aber in Vietnam braucht man<br />
nun den vollen Einsatz eines jeden Legionärs.<br />
Schon lange war der Krieg in Vietnam mit äußerster Grausamkeit geführt<br />
worden. Die Vietminh, die nicht selten Schuhe aus alten Autoreifen<br />
trugen und auch schweres Gerät mit Fahrrädern transportierten, folterten<br />
Gefangene zu Tode. Französische Truppen brannten ganze Dörfer nieder<br />
und setzten Napalm-Bomben ein. Der vietnamesische Oberbefehlshaber,<br />
Vo Nguyen Giap, schaffte es, die materielle Unterlegenheit seiner Truppe<br />
durch Motivation auszugleichen. Abenteuerlich mutet die Geschichte der<br />
französischen Niederlage an: Obwohl bereits Verhandlungen geplant<br />
waren, wollten beide Kriegsparteien sich in eine militärisch möglichst<br />
günstige Position bringen, um der Gegenseite die Bedingungen diktieren<br />
zu können. – Die im Nordwesten Indochinas in einer Talsenke gelegene<br />
Ortschaft Dien Bien Phu, 130 Kilometer von der nächsten französischen<br />
Basis entfernt, war durch französische Fallschirmspringer im November<br />
1953 in einem Handstreich eingenommen worden. Dort wurde eine<br />
Igelstellung im feindlichen Hinterland eingerichtet. 12 000 Mann,<br />
Fremdenlegionäre und Kolonialtruppen, wurden eingeflogen und der<br />
Ort zur Festung ausgebaut. Oberbefehlshaber war Oberst Christian de<br />
la Croix de Castries, der aus der Festung ein vietnamesisches Verdun<br />
machen wollte. Die Franzosen hofften, dass sie die Vietminh zu einem<br />
Angriff verleiten könnten, bei dem sie einen sicheren Sieg davonzutragen<br />
glaubten. – Am 13. März 1954 hatten die Vietminh 300 Granatwerfer und<br />
erbeutete amerikanische Geschütze auf den Anhöhen um Dien Bien Phu<br />
in Stellung gebracht. Dem Führer der Befreiungsbewegung sich widmend,<br />
riefen die mehr als 40.000 Angreifer: „Ho Tschi Minh lebt 1000 Jahre“ und<br />
stürzten sich in die Stacheldrahtverhaue, bis ihre Kameraden über ihre<br />
Leichen hinweg zu den französischen Einheiten vordringen konnten. Der<br />
Beschuss des Flugplatzes verhinderte die Landung größerer Maschinen.<br />
Am 31. März begannen die Vietminh mit dem Sturm auf die Festung. In<br />
der Nacht zum 7. Mai hatten sie ihr Ziel erreicht. Über 6.000 Tote und<br />
2.000 Verwundete hatte die französische Seite zu beklagen und 8.000<br />
für Frankreich Kämpfende, unter ihnen der Oberbefehlshaber, traten<br />
einen langen Weg in die Gefangenschaft an, der für viele von ihnen zum<br />
Todesmarsch wurde. Aber auch 20.000 tote und verwundete Vietnamesen<br />
hatte deren blutiger Sieg gekostet.<br />
Nur noch zwei Briefe erreichen Karl, dann sind es die Rundfunknachrichten,<br />
die ihn um den Briefmarkenfreund fürchten lassen. Es vergeht eine<br />
geraume Zeit, dann trifft ein Brief der Legion ein, der besagt, dass Willi<br />
bei Dien Bien Phu gefallen ist. Dem Brief ist die Beförderung zum Corporal<br />
beigefügt.