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Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 01|19

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Thema | 9<br />

Lebens – zurück zu den Quellen – gaben<br />

ihm Orientierung. Frömmelei lehnte er<br />

ab.<br />

Erasmische Gesinnung<br />

Albrecht Dürer und Hans Holbein <strong>der</strong><br />

Jüngere haben Erasmus gemalt. Erasmus‘<br />

Gesicht ist bekannter als das, was er gedacht<br />

und geschrieben hat. Doch Europa<br />

braucht „erasmische“, dialogfähige Politikerinnen<br />

und Politiker. Und eine erasmisch<br />

gesinnte Demokratie.<br />

Sein Leben, schrieb Erasmus, sei „ein fortwähren<strong>der</strong><br />

Kampf“, und zwar ein Kampf<br />

gegen die Extremismen <strong>der</strong> Spaltungen,<br />

gegen das Entwe<strong>der</strong>/O<strong>der</strong> – sowohl auf<br />

Seiten <strong>der</strong> Religion wie auf Seiten <strong>der</strong> Politik.<br />

Ihm galt nicht Aufklärung statt Religion,<br />

son<strong>der</strong>n Religion und Aufklärung.<br />

Was für viele ein Ärgernis war: Erasmus<br />

war ein „Mann <strong>der</strong> nachdenklichen Mitte“<br />

– mit einer großen Sehnsucht nach Verständigung.<br />

Im Jahr 1934 schrieb Stefan Zweig – kurz<br />

bevor er emigrierte – über „Triumph und<br />

Tragik des Erasmus von Rotterdam“, diese<br />

exzellente Monografie des „ersten<br />

bewussten Europäers“. Darin fragt sich<br />

Zweig, warum die humanen Ideale einer<br />

geistigen Verständigung so wenig wirksam<br />

werden, wo doch die Menschen den<br />

Wi<strong>der</strong>sinn aller Feindseligkeit längst begriffen<br />

haben müssten. Und er gibt sich<br />

selber im Geist des Erasmus die Antwort:<br />

„Immer wird ... im Politischen die Parole<br />

am leichtesten Anhang finden, die statt<br />

eines Ideals eine Gegnerschaft proklamiert,<br />

einen bequem fassbaren, handlichen<br />

Gegensatz, <strong>der</strong> sich gegen eine<br />

an<strong>der</strong>e Klasse, eine an<strong>der</strong>e Rasse, eine<br />

an<strong>der</strong>e Religion wendet, denn am leichtesten<br />

kann <strong>der</strong> Fanatismus seine Flamme<br />

am Hass entzünden.“<br />

Bürger Europas<br />

„Alles was ich sage, sei Gespräch. Nichts<br />

sei ein Ratschlag o<strong>der</strong> eine Lehre“ schrieb<br />

Erasmus. Sein Leben lang lernte, schrieb<br />

und lehrte er in den geistigen Zentren<br />

Europas, Europa war seine Welt. Paris,<br />

Rom, London, Basel. Mit seinen Büchern<br />

bewohnte er keinen festen Ort, son<strong>der</strong>n<br />

einen Kontinent. Erasmus blieb katholisch<br />

und wurde dennoch hochgeschätzt und<br />

mit allen Ehren im evangelisch-reformierten<br />

Münster zu Basel begraben.<br />

„Lob <strong>der</strong> Torheit“ – vor 500 Jahren traf<br />

Erasmus mit diesem Werk den Nerv des<br />

an Missständen reichen christlichen Europa<br />

und erntete dementsprechend Empörung.<br />

Mit ein wenig Fantasie ist dieses<br />

satirische Meisterwerk leicht in unsere<br />

Gegenwart zu transponieren, um im<br />

Spiegel <strong>der</strong> Narrheit ein Abbild <strong>der</strong> politischen,<br />

gesellschaftlichen und kirchlichen<br />

Wirklichkeit zu erkennen. Man sollte es<br />

wie<strong>der</strong> lesen.<br />

Prof. Hubert Gaisbauer war Leiter <strong>der</strong><br />

Religionsabteilung im ORF/Radio, ist jetzt<br />

freier Publizist und lebt in Krems an <strong>der</strong><br />

Donau. Vor kurzem ist sein Buch „Schonungslos<br />

zärtlich – Menschen, Bil<strong>der</strong>,<br />

Gedanken” im Verlag Tyrolia erschienen.<br />

Dieser Text wurde in mehreren Teilen<br />

zwischen 31.12.2018 und 5.1.2019 auf Ö1<br />

in <strong>der</strong> Sen<strong>der</strong>eihe „Gedanken für den Tag“<br />

erstmals veröffentlicht.

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