36 Festung Fogaras (Fogarasch/Făgăraș) und Michelsberg in Siebenbürgen (Cisnădioara), kolorierte Stahlstiche nach Ludwig Rohbock, 1864, Siebenbürgisches Museum, Foto: © Siebenbürgisches Museum Titelblatt des Bandes Ungarn und Siebenbürgen in malerischen Original-Ansichten, mit freundlicher Genehmigung durch das Siebenbürgen-Institut
Ausgabe 7 • <strong>2019</strong> <strong>BLICKWECHSEL</strong> WERKE 37 regio nal grenzenlos ENTDECKERLUST IM STUDIERZIMMER Das bürgerliche Bild der Region Siebenbürgen zwischen Mythos, Ideal und Wirklichkeit Mit der Herausbildung einer breiten bürgerlichen Mittelschicht begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismus im heutigen Sinne. Dieser war einerseits getragen vom Interesse an zeitlich wie räumlich fernen Kulturen. Andererseits entstanden durch die zunehmende Verstädterung ein Bewusstsein für die Natur und eine teils verklärende Sehnsucht nach ihr. Sie fanden im beginnenden Naturtourismus und in den Anfängen des Naturschutzes ihren Widerhall. Diese Phänomene sind auch am Beispiel Siebenbürgens zu beobachten und führten unter anderem zur Gründung des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) im Jahr 1880. Jene, die nicht reisen konnten, stillten ihren Hunger nach »exotischen« Ländern durch den Besuch folkloristischer Inszenierungen bei Weltausstellungen oder sogenannten Völkerschauen sowie durch das Lesen von Reiseberichten und -romanen. Hierdurch wurde auch die als so urwüchsig und fern angesehene Region Siebenbürgen, in diesem Kontext oft unter dem Synonym Transsilvanien, vom Stadtbürgertum Mittel- und Westeuropas entdeckt – als Forschungsfeld, mehr jedoch noch als Projektionsfläche spätromantischer und teils exotistischer Ideen. Das berühmteste und bis heute einflussreichste literarische Beispiel ist der 1897 erschienene Roman Dracula des Iren Bram Stoker (1847–1912), der, wie die meisten seiner Leser, nie selbst in Siebenbürgen war. Eine der Quellen Stokers war der 1888 in Edinburgh erschienene Reisebericht The Land Beyond the Forest. Facts, Figures, and Fancies from Transylvania von Emily Gerard (1849–1905). Die Schriftstellerin hatte dazu zwischen 1883 und 1885 in dem für sie so exotischen Land allerlei Anekdoten und Mythen gesammelt, die das Blut ihres puritanischen Publikums im fernen Großbritannien in Wallung versetzen sollten. Mit der Wahrheit nahm sie es dabei allerdings nicht allzu genau. Siebenbürgen war für sie »eine [Robinson-]Insel bevölkert mit seltsamen und ungewöhnlichen Zeitgenossen, von denen ich [Emily Gerard] mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung Abschied nehme«. Die wirklichen Fakten zur Region entnahm Stoker wahrscheinlich, wie viele andere auch, zu einem Großteil Karl Baedekers damals bereits in 24. Auflage erschienenem Handbuch für Reisende. Österreich-Ungarn. Während Gerards Fiktionen Unterhaltung für die britische Upperclass boten und »der Baedeker« Basisinformationen für die ersten Touristen lieferte, nahm in dieser Zeit noch eine dritte Gattung der Reiseliteratur ihren Aufschwung – der Bildband. Diese Bücher, eine Mischung aus genauer Schilderung und künstlerischem Ausdruck, dienten meist nicht als Reiselektüre, sondern eher dem Augenschmaus und eben jener »Entdeckerlust« im heimischen Wohn- oder Studierzimmer. Ein besonders schönes und umfangreiches Coffee Table Book aus dieser Zeit ist das 1857 bis 1864 vom Darmstädter Verlag G. G. Lange herausgegebene mehrbändige Werk Ungarn und Siebenbürgen in malerischen Original-Ansichten. Zur Vervielfältigung in hoher Auflage wurden dessen 204 Abbildungen, darunter 56 Ansichten aus Siebenbürgen, in der Drucktechnik des Stahlstichs reproduziert. Die Vorlagen hierzu lieferte der in Nürnberg und München tätige Grafiker und Landschaftsmaler Ludwig Rohbock (1824–1893). Seine Motive, die er in Zeichnungen festhielt, fand er vor Ort auf Reisen durch Siebenbürgen. Ergänzt wurde der Bildband durch »historisch-topographische« Texte des aus der Zips stammenden Geografen Johann Hunfalvy (1820–1888). Der ergänzende Text zeigt, dass die Publikation um wissenschaftliche Korrektheit bemüht war. Jedoch findet sich in den Grafiken auch der künstlerische Zeitgeschmack wieder. So umrahmt Rohbock etwa die Ansicht von Michelsberg/Cisnădioara mit einer romantisch zerklüfteten Felsenlandschaft und fügt ein Reh als Staffage ein. Den Blick auf die Festung Fogarasch/Făgăraș begrenzt er durch knorrige Bäume und einen Stallknecht mit Pferden. Trotz dieser künstlerischen Freiheiten hat Ungarn und Siebenbürgen in malerischen Original-Ansichten dem städtischen Bildungsbürgertum jener Zeit ein wirklichkeitsnahes Bild der Region vermittelt. Es bildete damit schon damals einen Gegenpol zum »Mythos Transsilvanien«, der jedoch bis heute nicht totzukriegen ist – genau wie Graf Dracula, sein wichtigster Protagonist. Markus Lörz Dr. Markus Lörz ist Kurator des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim ( S. 56–58).