BLICKWECHSEL 2019
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ausgabe 7 mit dem Schwerpunktthema »Grenzenlos regional. Landschaft und Identität im östlichen Europa«
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ausgabe 7 mit dem Schwerpunktthema »Grenzenlos regional. Landschaft und Identität im östlichen Europa«
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BEI PASSKONTROLLE AUSSETZEN!<br />
Ein deutsch-polnisches Brettspiel zur Geschichte der schlesischen Eisenbahn<br />
In Schlesien fuhr die erste Eisenbahn 1842 von Breslau/<br />
Wrocław nach Brieg/Brzeg. Nach Eröffnung der ersten<br />
Strecke der »Oberschlesischen Eisenbahn« entstand bis ins<br />
20. Jahrhundert ein engmaschiges Streckennetz durch alle<br />
Regionen Schlesiens, von der Oberlausitz und der Grafschaft<br />
Glatz bis ins Oberschlesische Industrierevier und das<br />
Troppauer Land. Zugleich querten mehrere internationale<br />
Hauptstrecken die Region, von Berlin nach Krakau oder von<br />
Wien nach Warschau.<br />
Die bewegte Geschichte der Eisenbahn in Schlesien vermittelt<br />
spielerisch das neue Gesellschaftsspiel Schlesische<br />
Bahnreise/Podróż koleją po Śląsku. Anlässlich der Sonderausstellung<br />
Schlesische Bahnwelten gaben das Oberschlesische<br />
Landesmuseum in Ratingen und das Kulturreferat<br />
für Oberschlesien dieses zweisprachige Brettspiel für alle<br />
Altersstufen heraus. Von den großen schlesischen Hauptbahnhöfen<br />
können bis zu sechs Spieler ihre Lokomotiven<br />
auf eine Rundreise durch Nieder- und Oberschlesien schicken.<br />
Ereigniskarten mit besonderen Geschehnissen aus<br />
der Eisenbahngeschichte verzögern oder beschleunigen<br />
die Fahrt. Der Bau wichtiger<br />
Brücken, wie 1848<br />
die Oderbrücke bei<br />
Oderberg/Bohumín,<br />
brachte neue Bahnverbindungen<br />
– der Spieler<br />
darf drei Felder vorrücken.<br />
Die Einführung von<br />
Pass- und Visakontrollen nach der Teilung Oberschlesiens<br />
1922 verlängerte wiederum die Reisezeit innerhalb Schlesiens<br />
– und zwingt zum Aussetzen einer Runde. Wie den konkurrierenden<br />
Gesellschaften in der Frühphase der Eisenbahn<br />
ergeht es auch den Spielern: Wer zuerst mit allen Zügen die<br />
Strecke bewältigt, hat gewonnen!<br />
Vasco Kretschmann<br />
Dr. Vasco Kretschmann ist Kulturreferent für Oberschlesien am Oberschlesischen<br />
Landesmuseum in Ratingen.<br />
Schlesische Bahnreise/Podróż koleją po Śląsku kann für 16,80 € zzgl.<br />
Porto über das Oberschlesische Landesmuseum bestellt werden.<br />
regio nal<br />
grenzenlos<br />
REGIONAL, NICHT PROVINZIELL<br />
Olga Tokarczuk und ihr Festival »Literaturberge« in Niederschlesien<br />
Die Schriftstellerin Olga Tokarczuk lebt in der Metropole<br />
Breslau/Wrocław und in einem Dorf in den Sudeten zwischen<br />
Eulengebirge und Glatzer Bergland. Seit fünf Jahren<br />
organisiert sie gemeinsam mit lokalen Kulturinstitutionen<br />
und Vereinen aus Neurode/Nowa Ruda ein Literaturfestival<br />
in den Bergen und mit »Bergen von Literatur«.<br />
2015 fing alles klein an: Olga Tokarczuk lud zu Lesungen<br />
auf ihre eigene Veranda in Krainsdorf/Krajanow ein. Sie<br />
wollte die lokale Öffentlichkeit teilhaben lassen an Besuchen<br />
von befreundeten Schriftstellern in ihrem Haus. Daraus hat<br />
sich in wenigen Jahren ein großes Festival entwickelt – mit<br />
über zwanzig Autorengesprächen an zehn Tagen im Juli. Auf<br />
dem Programm stehen nicht nur Lesungen, sondern auch<br />
Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche, Stadtrundgänge,<br />
Ausflüge in die Berge, ökologische Bildungsangebote,<br />
Kunstausstellungen, Filmvorführungen und Konzerte.<br />
Tokarczuk erläutert die Idee: »Wir wollen den Wert dieser<br />
Region zeigen, den anderen Polen in Erinnerung rufen, wie<br />
viele kreative Geister mit Niederschlesien verbunden sind.<br />
Wir bauen eine Art Gemeinschaft, eine lokale Solidarität.«<br />
In der Peripherie an der polnisch-tschechischen Grenze<br />
begegnen sich Literaturfans aus den Großstädten mit Einheimischen.<br />
Das Festival Góry Literatury (»Literaturberge«)<br />
Matěj Hořava liest 2018 aus seinem Debüt. Rechts von ihm<br />
seine Übersetzerin Anna Radwan-Żbikowska und die Moderatorin<br />
Anna Wanik, Foto: © Barbara Adamska<br />
mit seiner international bekannten Gastgeberin trägt sicher<br />
dazu bei, die Region innerhalb Polens aufzuwerten. Vor<br />
allem aber beweist es, dass die Nachfrage nach Kultur in<br />
strukturschwachen Regionen ebenso groß ist wie in den<br />
großen Städten.<br />
Annemarie Franke<br />
Annemarie Franke war bis August 2018 Kulturreferentin für Schlesien und<br />
ist jetzt Projektmitarbeiterin des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte<br />
der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) beim Europäischen Netzwerk<br />
Erinnerung und Solidarität in Warschau.<br />
: www.facebook.com/festiwalgoryliteratury