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Ausgabe 188

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. <strong>188</strong> / 05. 09. 2019<br />

Wissenschaft & Technik<br />

Langsame Elektronen<br />

gegen den Krebs<br />

83<br />

Bei der Ionentherapie nutzt man komplizierte atomphysikalische Effekte,<br />

um Krebszellen zu zerstören. An der TU Wien identifizierte man nun einen<br />

Mechanismus, der das deutlich erleichtert.<br />

In der Krebstherapie verwendet man heute<br />

oft Ionenstrahlen: Elektrisch geladene Ato -<br />

me werden auf den Tumor geschossen, um<br />

Krebszellen zu zerstören. Dabei sind es al ler -<br />

dings gar nicht die Ionen selbst, die den entscheidenden<br />

Schaden anrichten. Wenn Ionen<br />

durch festes Material dringen, können sie<br />

einen Teil ihrer Energie auf viele einzelne<br />

Elektronen verteilen, die sich dann mit recht<br />

niedriger Geschwindigkeit weiterbewegen –<br />

und genau diese Elektronen zerstören dann<br />

die DNA der Krebszellen.<br />

Dieser Mechanismus ist vielschichtig und<br />

noch nicht vollständig verstanden. An der<br />

TU Wien konnte nun gezeigt werden, daß<br />

ein bisher in diesem Zusammenhang wenig<br />

beachteter Effekt eine wesentliche Rolle<br />

spielt: Durch den sogenannten interatomaren<br />

Coulomb-Zerfall kann ein Ion zusätzliche<br />

Energie an umliegende Atome abgeben. Da -<br />

durch wird sehr lokal eine erstaunlich große<br />

Anzahl von Elektronen frei – und zwar ge -<br />

nau mit der passenden Energie, um die DNA<br />

der Krebszellen optimal zu schädigen. Um<br />

die besondere Wirksamkeit der Ionentherapie<br />

zu verstehen und weiter zu verbessern,<br />

muß dieser Mechanismus unbedingt mitberücksichtigt<br />

werden. Das Ergebnis wurde nun<br />

im Fachjournal „Journal of Physical Chemistry<br />

Letters“ publiziert.<br />

Ein schnelles Teilchen –<br />

oder viele langsame<br />

Wenn ein geladenes Teilchen mit hoher<br />

Geschwindigkeit durch ein Material dringt –<br />

zum Beispiel durch menschliches Gewebe –<br />

dann richtet es entlang seines Pfades ein grosses<br />

atomphysikalisches Durcheinander an:<br />

„Eine ganze Kaskade von Effekten kann da -<br />

durch ausgelöst werden“, sagt Janine<br />

Schwestka, Erstautorin der aktuellen Publikation,<br />

die derzeit im Team von Prof. Friedrich<br />

Aumayr und Richard Wilhelm an ihrer<br />

Dissertation arbeitet. Wenn sich das Ion zwischen<br />

anderen Atomen hindurchbewegt,<br />

können diese und weitere Teilchen ionisiert<br />

werden, schnelle Elektronen fliegen herum,<br />

die dann wieder mit anderen Teilchen zu -<br />

Foto: TU Wien<br />

Janine Schwestka<br />

sammenstoßen. Letztendlich kann ein schnel -<br />

les, geladenes Ion einen Teilchenschauer aus<br />

hunderten Elektronen mit jeweils viel niedrigerer<br />

Energie auslösen.<br />

Aus dem Alltag sind wir gewohnt, daß<br />

schnelle Objekte dramatischere Auswirkungen<br />

haben als langsame: Ein mit voller Wucht<br />

getretener Fußball richtet im Porzellanladen<br />

größeren Schaden an als ein sanft gerollter.<br />

Auf atomarer Ebene trifft das aber nicht zu:<br />

„Die Wahrscheinlichkeit, daß ein langsames<br />

Elektron einen DNA-Strang zerstört, ist viel<br />

größer. Ein sehr schnelles Elektron hingegen<br />

fliegt meistens einfach am DNA-Molekül<br />

vorbei, ganz ohne Spuren zu hinterlassen“,<br />

erklärt Janine Schwestka.<br />

Von einer Elektronenschale<br />

zur anderen<br />

Das Team der TU Wien nahm nun einen<br />

ganz besonderen Effekt genauer unter die<br />

Lupe – den interatomaren Coulomb Zerfall.<br />

„Die Elektronen des Ions können unterschiedliche<br />

Zustände annehmen. Je nachdem,<br />

wie viel Energie sie haben, befinden sie sich<br />

in einer der inneren Schalen, nahe am Atomkern<br />

oder in einer äußeren Schale“, sagt Ja -<br />

nine Schwestka. Nicht alle möglichen Elek -<br />

tronen-Plätze sind besetzt. Wenn eine Elek -<br />

»Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at<br />

tronenschale im mittleren Energiebereich<br />

frei ist, dann kann ein Elektron aus einer<br />

Schale mit hoher Energie dorthin überwechseln.<br />

Dabei wird Energie frei – und die kann<br />

nun über den interatomaren Coulomb-Zerfall<br />

an das Material abgegeben werden: „Das<br />

Ion überträgt diese Energie auf mehrere<br />

Atome in der direkten Umgebung gleichzeitig.<br />

Aus all diesen Atomen wird jeweils ein<br />

Elektron herausgelöst, aber weil die Energie<br />

auf mehrere Atome aufgeteilt wird, handelt<br />

es sich dabei um lauter recht langsame<br />

Elektronen“, erklärt Schwestka.<br />

Xenon und Graphen<br />

Mit Hilfe eines ausgeklügelten Versuchs -<br />

aufbaus konnte man nun zeigen, wie wirkmächtig<br />

dieser Prozess ist: Mehrfach geladene<br />

Xenon-Ionen wurden auf eine Graphen-<br />

Schicht geschossen. Elektronen aus den<br />

äußeren Xenon-Schalen wechseln auf eine<br />

Position in einer anderen Schale mit kleinerer<br />

Energie, dafür werden aus zahlreichen<br />

Kohlenstoff-Atomen der Graphen-Schicht<br />

Elektronen herausgelöst, die dann von einem<br />

Detektor aufgefangen werden, um ihre Energie<br />

messen zu können. „Tatsächlich konnten<br />

wir auf diese Weise zeigen, daß der interatomare<br />

Coulomb-Zerfall einen sehr wichtigen<br />

Beitrag zur Entstehung zahlreicher freier<br />

Elektronen im Material leistet“, sagt Prof.<br />

Friedrich Aumayr.<br />

Um die Wechselwirkung von Ionenstrahlen<br />

mit festen Materialien oder organischem<br />

Gewebe richtig zu beschreiben, muß dieser<br />

Effekt unbedingt berücksichtigt werden.<br />

Wichtig ist das einerseits für die Optimierung<br />

von Ionenstrahltherapien zur Bekämpfung<br />

von Krebs, aber auch für andere wichtige<br />

Bereiche – etwa für die Gesundheit der<br />

Besatzung von Raumstationen, wo man stän -<br />

digem Teilchenbombardement der kosmischen<br />

Strahlung ausgesetzt ist. n<br />

Originalpublikation: J. Schwestka et al., Charge-<br />

Exchange-Driven Low-Energy Electron Splash<br />

Induced by Heavy Ion Impact on Condensed Matter,<br />

J. Phys. Chem. Lett.201910XXX4805-4811<br />

https://doi.org/10.1021/acs.jpclett.9b01774

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