10_2019 HEINZ MAGAZIN Wuppertal, Solingen, Remscheid
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©Gabor Kotschy /A24<br />
R<br />
ituale und Traditionen zur Sommersonnenwende wollen<br />
der Anthropologiestudent Christian und seine Freunde in<br />
der schwedischen Kommune Hårga beobachten. Auch mit dabei:<br />
Christians traumatisierte Freundin Dani. Diese dysfunktionale, ja gar<br />
masochistische Beziehung ist es, die Regisseur und Drehbuchschreiber<br />
Ari Aster in„Midsommar“ zum Mittelpunkt macht. Wer also klassischen<br />
Horror erwartet, wird enttäuscht. Air Aster ist nicht interessiert<br />
anSchockern oder Ekelszenen, auch wenn „Midsommar“ einige<br />
grausig explizite Bilder parat hält. Der Fokus liegt auf der metaphorischen<br />
Qualität, mit der Aster über krankende Beziehungen<br />
und Trennungen spricht. In„Midsommar“ porträtiert erdazu die<br />
entfremdete Romanze zwischen<br />
Dani und Christian, die<br />
zu Anfang sehr greifbar, echt<br />
und ehrlich inszeniert wird<br />
und dann immer mehr inmetaphorische<br />
Ebenen erhoben<br />
wird. Was Aster über das Zwischenmenschliche<br />
zu sagen<br />
hat, ist das wahre Grauen diesesFilmes.<br />
Dazu gesellen sich durch die schwedische Dorfgemeinschaft Explorationen<br />
vonGruppendynamik und wieTraditionen Verhaltenlegitimisieren.<br />
Nicht selten stellt der Film ein kulturanthropologisches Interesse<br />
am Geschehen vor die eigentliche Handlung, nicht nur im<br />
Blickauf die kultischeDorfgemeinschaft,sondernauchinSzenen, in<br />
denen die gerne mal plumben Amis unbeholfen mit ihnen fremden<br />
Kulturen agieren wollen.<br />
Im unausweichlichen Vergleich zu Ari Asters Erstwerk „Hereditary“,<br />
dass vor allem durch ununterbrochene Anspannung und dichtes<br />
Storytelling brillierte, setzt sich „Midsommar“ mit sinistrem Humor<br />
ab. Perfide gesetzte Spitzen entlocken Zuschauern immer wieder<br />
ein ungläubiges Auflachen –eine Kompensationshandlung in Situationen,<br />
die so verstörend sind, dass man ihre Absurdität weglachen<br />
will. Esist diese Lust amLeiden, die einem abwechselnd Schweiß<br />
und Tränen abverlangt. Indiesem Sinne hat Aster sein Publikum<br />
stets im Griff. Nicht ganz sofest geschnürt scheint dafür aber das<br />
Paket mit Motiven und Themen. Die zentrale Untersuchung einer<br />
zerfallenden Beziehung gerät immer mal wieder aus dem Fokus<br />
und wird nicht immer stringent verfolgt. Ist der Inhalt auch kompliziert<br />
verschlüsselt, kommt bei der Optik von „Midsommar“ kein Fragezeichen<br />
auf. Esist ein wunderschön geschossener Film, der es<br />
wagt, all seine Gräuel imhellen Tageslicht abzuspulen und ihre Ästhetik<br />
zu präsentieren. Mit aufwändig gebauten Sets eines ganzen<br />
Dorfes samt folklorischer Interieurs und Kostüme überzeugt zudem<br />
jede Kulisse. Ebenfalls ohne Frage großartig ist Hauptdarstellerin<br />
Florence Pugh, die gerade auf direktem Weg Richtung Hollywoodolymp<br />
steuert.<br />
„Midsommar“ ist pittoresker, trippiger Folklore-Horror, der sich Genrekonventionen<br />
verweigert und Zuschauer auf eine nicht einfache<br />
und absichtlich verwirrende Sinnsuche schickt. Es ist schön sperriges<br />
und wunderbar<br />
seltsames Kino von<br />
einem der interessantesten<br />
Filmemacher<br />
unsererZeit.<br />
LukasVering<br />
❚ MIDSOMMAR USA,HUN <strong>2019</strong><br />
R: AriAster; D: Florence Pugh,Jack<br />
Reynor,WillPoulter; Start: 26.9.<br />
©Csaba Aknay /A24<br />
<strong>10</strong>.<strong>2019</strong>| <strong>HEINZ</strong> |53