08.11.2019 Aufrufe

2019/45 - Ein Land

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

10<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Land</strong> – BERICHT<br />

Das Gleis 1 am Finsterwalder<br />

Bahnhof.<br />

FOTO: STEPHAN MEYER<br />

Zurück nach Hause<br />

Unterstützung Viele Deutsche verlassen ihre Heimatorte. Um die<br />

Rückkehrenden kümmern sich Initiativen. Von Stephan Meyer<br />

Nur eine Handvoll<br />

Menschen stehen<br />

am Gleis 1 des Finsterwalder<br />

Bahnhofs.<br />

Es ist 16 Uhr. In<br />

knapp 20 Minuten trifft der Zug<br />

aus Leipzig ein. Stephanie Auras-Lehmann<br />

wartet auf ihren<br />

Besuch: Karin Gottfried aus<br />

dem nord rhein-west fä lischen<br />

Hochsauerlandkreis. Was die<br />

Frauen verbindet: Sie beide leiten<br />

Rückkehrerinitiativen, die<br />

miteinander im Erfahrungsaustausch<br />

stehen.<br />

Sowohl Finsterwalde als auch<br />

der Hochsauerlandkreis sind<br />

ländlich geprägt und kämpfen<br />

mit sinkenden Bevölkerungszahlen.<br />

Junge Menschen kehren<br />

ihrer Heimat den Rücken, für<br />

Ausbildung, Studium, Job.<br />

Auras-Lehmann macht zu Beginn<br />

der 2000er Jahre eine Ausbildung<br />

zur Reiseverkehrskauffrau<br />

in Finsterwalde. Danach<br />

zieht es sie fort, sie geht für ein<br />

Studium nach Hessen. „Als Reiseverkehrskauffrau<br />

wollte ich<br />

einfach mal die Welt sehen“,<br />

sagt sie. Nach dem Studium arbeitet<br />

sie in Berlin, Leipzig und<br />

in New York. Gerne wäre sie in<br />

den USA geblieben. Doch die<br />

Liebe lockt sie zurück nach Hause.<br />

Marco, ihr heutiger Ehemann,<br />

überzeugt sie 2009, mit<br />

ihm nach Finsterwalde zu ziehen.<br />

Bevölkerungsentwicklung<br />

Keinen Anschluss gefunden<br />

Laut Zahlen des Statistischen<br />

Bundesamtes zogen von 1989 bis<br />

1990 rund 750 000 Menschen<br />

aus dem Osten weg. Vor allem<br />

junge, qualifizierte Männer und<br />

Frauen zwischen 18 und 30 Jahren.<br />

Dadurch ging auch die Geburtenrate<br />

zurück. 1994 erreichten<br />

sie mit 0,77 einen historischen<br />

Tiefstand.<br />

Finsterwalde hatte 1989 noch<br />

23 892 <strong>Ein</strong>wohner*innen. Heute<br />

sind es 16 220. Fast alle ostdeutschen<br />

<strong>Land</strong>kreise haben seit 1991<br />

massiv <strong>Ein</strong>wohner*innen verloren.<br />

Damit einhergeht der Verlust<br />

von Steuereinnahmen. In<br />

manchen Orten mussten Schulen,<br />

Krankenhäuser, Sport- und<br />

Freizeitanlagen schließen.<br />

Die 37-jährige Stephanie Auras-Lehmann<br />

ist in Finsterwal-<br />

de als PR- und Social-Media-Managerin<br />

tätig, nebenbei<br />

betreut sie die Rückkehrerinitiative<br />

„Comeback Elbe-Elster“.<br />

Die Rückkehrenden, die sie begleitet,<br />

sind meist zwischen 30<br />

und 40 Jahre alt und kommen<br />

häufig aus Bayern. „Oft höre ich<br />

von ihnen, sie hätten dort keinen<br />

Anschluss, keine Freunde<br />

gefunden“, sagt sie. Das sei für<br />

viele der Hauptgrund zurückzukehren.<br />

Auch eine Familiengründung<br />

oder ein Hausbau<br />

sind Anlässe für einen Umzug<br />

in die alte Heimat.<br />

Anfangs erhielt die Initiative<br />

nur selten Anfragen. Inzwischen<br />

sind es um die zehn pro Monat.<br />

„Comeback Elbe-Elster“<br />

hilft bei der Vermittlung von<br />

Jobs und Wohnungen. Finanziell<br />

unterstützt wird sie von der<br />

Robert-Bosch-Stiftung.<br />

Dem Statistischen Bundesamt<br />

zufolge wird die Bevölkerungszahl<br />

in den ostdeutschen<br />

Flächenländern weiter abnehmen;<br />

bis zum Jahr 2030 voraussichtlich<br />

um 14 Prozent. Doch in<br />

den vergangenen Jahren sind die<br />

Abwanderungen deutlich zurückgegangen.<br />

<strong>Ein</strong>ige Regionen in Ostdeutschland<br />

konnten sogar wieder<br />

Zuwachs verzeichnen. Mittlerweile<br />

gehen mehr Menschen<br />

aus dem Westen in den Osten<br />

als umgekehrt. Junge Leute hätten<br />

in Finsterwalde inzwischen<br />

mehr Perspektiven und weniger<br />

Gründe wegzuziehen, sagt Auras-Lehmann.<br />

Doch es sind vor<br />

allem die Groß- und Universitätsstädte,<br />

die attraktiver geworden<br />

sind.<br />

Auch im Westen ein Problem<br />

Inzwischen ist der Zug aus Leipzig<br />

in Finsterwalde eingetroffen.<br />

Karin Gottfried kommt mit einem<br />

kleinen Trolley aus dem<br />

Bahnhofsgebäude. Auch sie ist<br />

eine Rückkehrerin, die eine<br />

Rückkehrerinitiative betreut.<br />

Während der Osten seit Jahren<br />

mit einem Bevölkerungsrückgang<br />

zu kämpfen hat, ist<br />

dieser im ländlichen Raum<br />

Westdeutschlands noch ein junges<br />

Phänomen. 1990 wohnten im<br />

Hochsauerlandkreis 268 627<br />

Menschen. Heute sind es 260 475<br />

– bei einer Fläche von 1960 Qua-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!