2019/45 - Ein Land
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PORTRAIT – <strong>Ein</strong> <strong>Land</strong><br />
13<br />
Im Herbst 1989 versuchte die<br />
Stasi, die Spuren ihres Machtmissbrauchs<br />
zu verwischen.<br />
Bürger*innen stürmten die Zentralen<br />
und stoppten das Schreddern<br />
der Aktenberge. Im Dezember<br />
1991 legte das Stasi-Unterlagen-Gesetz<br />
fest, dass jeder<br />
<strong>Ein</strong>blick in Dokumente erhalten<br />
darf, die ihn betreffen.<br />
" Die<br />
Angstgefühle<br />
sind<br />
heute noch<br />
da.“<br />
„Da muss was sein“<br />
Mitte der 1990er Jahre wollten<br />
er und sein Vater Klarheit. Beide<br />
stellten Anträge auf <strong>Ein</strong>blick<br />
in ihre Akten. Sein Vater fand<br />
heraus, dass die Nachbarsfamilie<br />
sie jahrelang ausspioniert<br />
hatte. Er selbst musste länger<br />
auf Antworten warten. Im Zwei-<br />
Jahres-Takt schickte er Anfragen<br />
an den Bundesbeauftragten für<br />
die Stasi-Unterlagen (BStU).<br />
Immer wieder meldete die Behörde,<br />
dass zu Friedhelm Martens<br />
nichts vorliege. „Doch ich<br />
wusste, da muss was sein.“<br />
Schließlich wurde doch noch<br />
etwas zu ihm gefunden. „2006<br />
muss es gewesen sein. Da wurde<br />
ich dann endlich eingeladen.“<br />
Der Sachbearbeiter führte ihn in<br />
einen Lesesaal. Fotografieren<br />
oder Abschreiben war verboten.<br />
Was Martens damals in den Akten<br />
las, bestätigte eine schlimme<br />
Vermutung.<br />
Vor ihm lag ein Schreiben des<br />
Ost-Berliner Bildungsministeriums:<br />
Es wies seinen damaligen<br />
Direktor an, dass Martens die<br />
Schule nicht besser abschließen<br />
dürfe als mit der Note 2. „Sie haben<br />
mich somit daran gehindert,<br />
Abitur zu machen und zu studieren.“<br />
<strong>Ein</strong>e Schulsekretärin<br />
habe das später bestätigt, erzählt<br />
der 58-Jährige. Diese Anordnung<br />
hat bis heute Auswirkungen<br />
auf sein Leben. Eigentlich<br />
wollte er Lehrer werden.<br />
Durch ein kirchliches Angebot<br />
konnte er zumindest Theologie<br />
studieren. „Damals sind viele<br />
Träume zerplatzt. Manchen<br />
trauere ich bis heute nach.“<br />
<strong>Ein</strong> Verdacht treibt ihn um<br />
Nicht nur die Karriere, auch sein<br />
Körper hat gelitten. Martens<br />
glaubt, als junger Radsportler<br />
gedopt worden zu sein. Im Leistungssport<br />
suchte er mit 13 die<br />
Anerkennung, die ihm als Außenseiter<br />
in der sozialistischen<br />
Gesellschaft verwehrt blieb.<br />
Seine langjährigen Nierenprobleme<br />
geben ihm und Ärzt*innen<br />
heute Grund zur Annahme,<br />
dass er Opfer des Staatsdoping-Systems<br />
der DDR wurde.<br />
Er selbst weiß nur, dass er damals<br />
beim Training bunte Pillen<br />
bekommen hat. Ihm wurde gesagt,<br />
damit würde er besser