THEMA4Vor zwei Jahren hat derSchriftsteller Per Leomit seinen beiden Ko-Autoren Daniel-PascalZorn und MaximilianSteinbeis das Buch›mit Rechten reden.Ein Leitfaden‹ veröffentlicht.Der Band wirdseitdem kontroversdiskutiert – bedeutetdas Reden mit Rechtenim öffentlichen Raumnicht automatisch eineNormalisierung rechterPositionen? und wasmacht man, wenn dieSchwiegermutter beimFamilienessen aufFlüchtlinge schimpft?Wir haben nachfragt.Foto: Lixing ZhangWennmitnichtrechterechtenreden
Ich möchte mit der Rezeption Ihres Buches beginnen, dahat es ellenlange Debatten im Netz gegeben, an denenSie und Ihre co-Autoren sich ausgiebig beteiligt haben.Ein häufig erhobener Vorwurf: Sie würden das Reden mitRechten als Notwendigkeit verstehen. Ist das so?Nein. Dass aus unserer Sicht niemand mit Rechten redenmuss, steht sogar ausdrücklich in dem Buch. Was wäre dasauch für eine Forderung, es gibt ja viele gute Gründe, es nichtzu tun. Uns ging es eher um die Verneinung der negativenDoktrin, mit ›Nazis‹ dürfe es keinen Diskurs geben. Wer dasverneint, fordert aber noch nicht das Gegenteil, er erweiterterstmal nur den Bereich des Möglichen.Die ›Erweiterung des Bereichs des Möglichen‹ wurde dortnicht als geglückte Erweiterung verstanden, sondern alsTüröffnung: Wer mit Rechten öffentlich spricht, trägt zurNormalisierung rechten Gedankenguts bei. Auch wenn Siedas anders sehen werden – sehen Sie die Gefahr?Natürlich sehe ich diese Gefahr. Die immer wieder monierte›Normalisierung‹ betrifft zunächst die Ideologie: Deutungsmuster,Schlüsselbegriffe und Narrative, mit denen rechteMetapolitik versucht, den Diskurs zu kapern. Das muss mannicht zulassen, zugleich aber lässt sich eine Partei, die bis zueinem Viertel der Wähler – und damit auch der Gebührenzahler– repräsentiert, nicht einfach aus dem öffentlichen Diskursausschließen. Es wird also darauf ankommen, in den unvermeidlichenFällen möglichst gut vorbereitet mit Rechten zureden. Welche Fälle das sind und worin eine gute Gesprächsführungbesteht, wäre zu diskutieren. Wichtig ist aber, dassdiese Diskussion überhaupt geführt wird, zum Beispiel in denRedaktionen der Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.Sie empfehlen Gelassenheit in Diskussionen mit Rechten,sich nicht provozieren lassen, keinen moralischen Tonanschlagen – weil das genau das ist, was der Gegnererwartet und will. Das funktioniert in vielen Fällen,zumindest in Diskussionen im Netz. Auf der Straße ist esdann wieder etwas anderes. Sehen Sie Beispiele für einenstrategisch effektiven umgang mit der Rechten?Es freut mich, dass Sie das so sehen, weil es zeigt, dassunser Buch etwas bewirkt hat. Aber ich glaube nicht, dass mandie Debatte von vornherein auf Fragen der Strategie hättereduzieren sollen. Zumindest aus meiner Sicht steht mehr aufdem Spiel als nur der möglichst effektive Kampf gegen einenpolitischen Gegner, nämlich der Zustand unserer Demokratieinsgesamt, und den sehe ich nicht nur von Rechts gefährdet.Aber die Beschränkung auf strategische Fragen, die für michzunehmend wichtig geworden sind, kann zur Versachlichung imStreit über den Umgang mit AfD und Neuer Rechter führen.Wer sich dem sogenannten Kampf gegen Rechts verschriebenhat, der muss sich fragen lassen, ob die eingesetzten Mitteldem behaupteten Zweck angemessen sind. Konkret: Reicht esaus, immer wieder nur die eigene ›Haltung‹ zu zeigen? Ist dasmehr als preaching to the converted? Oder vielleicht sogarmanchmal kontraproduktiv, weil sich dieser Expressionismuserwarten und damit vom Gegner instrumentalisieren lässt?Ich habe keine Patentlösungen für diesen Kampf, aber es wäreschon viel gewonnen, wenn solche strategischen Fragenhäufiger ergebnisoffen diskutiert würden.Fotoquelle: Per LeoPer Leo, geb. 1972, ist Autordes Romans ›Flut und Boden‹,der von der Familie seinesGroßvaters Friedrich Leo,einem früheren SS-Sturmbannführer, handelt.2017 erschien der gemeinsam mit Daniel-Pascal Zorn undMaximilian Steinbeis verfasste ›Leitfaden‹ ›mit RechtenReden‹ im Klett-cotta Verlag.Sie empfehlen, nicht auf Polarisierung zu setzen. Aber istes nicht besser, wenn die Grenzen zwischen Rechts undNicht-Rechts klar, bewusst und reflektiert – also auch:gut begründet – gezogen sind? und dann sieht man, wieviele Leute man versammelt bekommt. Wenn man sichzum Beispiel die #unteilbar-, die Seebrücken- oderdie Fridays-for-Future-Demos anschaut und das mit zumBeispiel Pegida vergleicht, sind die Mehrheitsverhältnisseja eindeutig. Warum also keine Polarisierung?Reflexion und gute Begründung vertragen sich nicht mitPolarisierung. Man kann nicht beides haben: einerseitsDifferenzierung, andererseits den Antagonismus. Denn Siehaben ja recht, diese Verhältnisse sind nicht symmetrisch.Das zeigt sich quantitativ in den Wählerstimmen, es zeigtsich aber auch qualitativ in der Vielfalt auf Seiten der Nicht-Rechten. Fragen, die nur noch in der alternativen Form vonEntweder-oder, Pro-oder-contra, wir oder sie, Täter oderOpfer und so weiter erscheinen, nützen denen, die aus einerPosition der Schwäche angreifen. Aus einer realen 20:80-Situation wird so ein ›A oder B‹. Allein die Form der Auseinandersetzungzwingt dazu, sich zu entscheiden, und soverkleinert sich die Wahl von ›tausend Gründe, nicht rechtszu sein‹ zu: für oder gegen die Rechten. Das ist eine hochgefährlicheLage, denn nun reicht ein anti-linker Affekt, ichweiß, wovon ich rede, und …Reflexion und gute Begründungvertragen sich nicht mit Polarisierung.Man kann nicht beideshaben: einerseits Differenzierung,andererseits den Antagonismus.Denn Sie haben ja recht,diese Verhältnisse sind nichtsymmetrisch.… und dann passiert was?Sie befinden sich plötzlich unter Rechten. Und es machtda gar keinen Unterschied, ob man dabei ›in ihre Armegetrieben‹ wurde oder aus Trotz lieber zu ihnen hält, als sichvon der anderen Seite zur Zustimmung nötigen zu lassen. Ichverteidige ich die Asymmetrie eines Diskurses, in dem keinZwang zu Bekenntnis, Entscheidung und Selbstfestlegungbesteht.5›››