27.11.2019 Aufrufe

Zett Magazin Dezember 2019 / Januar 2020

Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN Warum sollte man mit Rechten reden?

Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen
DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN
Warum sollte man mit Rechten reden?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

8

Maria Wokurka

Kein gemeinsamer Nenner

Im Gröpelinger Beirat hat die SPD mit sieben Mitgliedern eine Mehrheit, die CDU folgt mit

vier, Grüne und Linke haben jeweils zwei Vertreter*innen. Nach der letzten Bürgerschaftswahl

bekam auch die AfD einen Platz, genau wie die FDP. Es sind also von rechts bis links alle

Parteien vertreten in diesem Stadtteil-Parlament. Während sich die AfD im Wahlkampf gern

volksnah, offen und verhandlungsbereit gibt, kommen in der Praxis die anderen Parteien

mit ihr nicht auf einen Nenner. Beiratsmitglieder erklären, warum die Zusammenarbeit für sie

so schwierig ist.

Nicht nur glückliche Ereignisse wie die Wiedervereinigung von Ost- und

Westdeutschland prägen den 9. November. In der Reichspogromnacht

eskalierte vor 81 Jahren auch in Bremen die Gewalt: Fünf Menschen wurden

in jener Nacht ermordet, die Synagoge in Brand gesteckt, mehr als 30

jüdische Geschäfte zugrunde gerichtet, der jüdische Friedhof geschändet

und am folgenden Tag über 150 jüdische Männer deportiert.

Der Gröpelinger Beirat rief auch in diesem Jahr zur Mahnwache auf:

Es trafen sich Nachbarschaften an den 30 Gröpelinger Stolpersteinen, um

der Opfer zu gedenken. Bereits am Freitag zuvor erinnern Beiratsvertreter

an die ehemaligen Bewohner des jüdischen Altenheims in Gröpelingen,

die damals von der SA und SS auf die Straße getrieben, misshandelt und

verschleppt wurden. Unter den Rednern sind auch Barbara Wulff, SPD-

Mitglied und Beiratssprecherin in Gröpelingen, sowie Raimund Gaebelein,

Parteimitglied der Linken sowie stellvertretender Beiratssprecher und

Vorsitzender des VVN-Landesverbands. Hier ließe sich die AfD nicht blicken,

sagt Wulff.

Eine Zusammenarbeit im Beirat sei ohnehin schwierig und Themen

für einen gemeinsamen Nenner gäbe es nicht viele: ›Bei rein kommunalpolitischen

Themen, wie Verkehr und baulichen Maßnahmen, gibt es meist

keinen Streit und stattdessen oft einstimmige Entscheidungen.‹ Wulff

bemängelt aber, dass oft vergessen wird, worum es im Beirat geht: ›Wir sind

ein Stadtteil und kämpfen gegen Rassismus. Hier sehe ich mit der AfD keine

Zusammenarbeit. Viele politischen ortsbezogenen Themen werden von der

AfD nicht ernst genommen. Die eigentlichen Themen kommen zu kurz, wenn

beispielsweise im geplanten AfD-Büro im Walle erstmal darüber diskutiert

wird, ob sich die Beteiligten denn nun vollends neutral gegenüber der

AfD verhalten und mit Klagen seitens der AfD gedroht oder diese sogar

ausgeführt werden, weil eine andere Partei kleine Protestschilder auf den

Tischen bei der Beiratssitzung verteilte‹, erklärt sie und fügt hinzu, ein

Aufeinanderzugehen sei wichtig, aber mit der AfD versuche sie es nicht:

›Hier stößt man sofort an Grenzen, die unüberwindbar sind.‹

Foto: Marion Bonk

Gröpelingen

erinnert an die

Reichspogromnacht

vor 81Jahren.

Seit dem Wahlergebnis Ende Mai hat sich die Situation in Gröpelingen

bereits verändert. Ein AfD-Mitglied ist ausgetreten, das andere,

inzwischen parteilos, ist noch im Beirat, jedoch nicht stimmberechtigt.

Einen Nachrückkandidaten gab es, allerdings ist der wohl nicht

mehr für den Beirat in Gröpelingen abkömmlich. Den Eindruck, dass

die Probleme auf Ortsebene nicht ernstgenommen werden, hat

auch Gaebelein: ›Es gibt leider auch im Beirat Gröpelingen bei einigen

Beiratsmitgliedern die Vorstellung, es gehe doch nur um nachbarschaftliche

Belange.‹

Er findet es wichtig, dass ein Zusammenleben stattfinden kann,

jedoch sei Gleichheit nicht verhandelbar: ›Faschistischen Auffassungen

dürfen keine Entfaltungsmöglichkeiten zugestanden werden.

Alle, ausdrücklich alle, die hier leben, sind gleich. Gerade bei der

Bewilligung von Projektmitteln zum Zusammenleben, bei Gedenken an

die Opfer faschistischer Gewalt gilt es, den Anstand deutlich werden

zu lassen und keinerlei Wertigkeiten und Aufspaltungen zuzulassen‹,

betont Gaebelein.

Beiratsmitglied Dr. Lutz Liffers von den Grünen spricht bei einem

gemeinsamen Verständnis und Übereinstimmungen mit der AfD von

›Fehlanzeige‹. Es möge sein, dass AfD-Beiratsmitglieder mitunter

Anträge sowie Initiativen unterstützen und auch, dass manche der

AfD-Beiratsmitglieder nicht alle Meinungen der Parteifunktionäre teilen,

merkt Liffers an. Dennoch trete die Partei unter einem Label auf, das

allem widerspricht, wofür Liffers politisch und persönlich steht: ›Die

AfD konstruiert ein Wir, das auf Ausschluss beruht. Dieses Wir will die

AfD gar nicht definieren, aber wer nicht zu diesem Wir gehört, definiert

die AfD ganz klar: Muslime, Geflüchtete, EuropäerInnen aus Südosteuropa.

Genau das sind aber die familiären Wurzeln der meisten

GröpelingerInnen. Wer im Beirat mit dieser Haltung für ein imaginäres

Wir Lokalpolitik macht, setzt auf Ausgrenzung.‹ Das sei besonders

deshalb ein großes Problem, weil in Gröpelingen fast die Hälfte aller

Bürger im wahlberechtigten Alter aufgrund ihres Status kein Wahlrecht

habe, ergänzt Liffers und betont: ›Als Beiratsmitglied muss und will ich

nicht neutral agieren. Ich bin gewählt worden, von GröpelingerInnen,

die, wie ich, die Vision eines Stadtteils haben, in dem alle zu ihrem

Recht kommen. Kann man das neutral erreichen?‹

Foto: Kultur Vor Ort e. V.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!