Zett Magazin Dezember 2019 / Januar 2020
Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN Warum sollte man mit Rechten reden?
Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen
DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN
Warum sollte man mit Rechten reden?
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Nicole Moosmüller
Foto: Lixing Zhang
Warum Schweigen
nicht neutral ist
Beginnend mit der Hamburger Fraktion starteten zahlreiche Landesverbände der AfD seit dem
vergangenen Jahr umfassende Kampagnen für ›Neutrale Schulen‹. Auf vielfältiges mediales
Echo stieß in diesem Zusammenhang insbesondere das Einrichten von Online-Meldeportalen,
auf denen sich kritisch äußernde Lehrer*innen an den Pranger gestellt werden und – so der
Wunsch der AfD – in einem weiteren Schritt der Schulbehörde gemeldet werden sollen, damit
›ggfs. disziplinarische oder arbeitsrechtliche Maßnahmen‹ ergriffen werden könnten.
Die Legitimation für ihr Vorgehen leitet die Partei dabei aus dem sogenannten
›Überwältigungsverbot‹ ab, welches bereits 1976 neben der ›Kontroversität‹
sowie der ›Schüler*innenorientierung‹ als zentrales Prinzip
politischer Bildung formuliert wurde. Gemeint ist damit ein Indoktrinationsverbot,
ein Gebot, politisch Kontroverses auch kontrovers darzustellen
sowie Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, ein eigenständiges
Urteil über politische Themen zu gewinnen.
Die Mehrheit der politischen Bildner*innen sieht – laut einem Bericht
des Deutschen Instituts für Menschenrechte – ebendies gerade nicht als
Widerspruch zu einer begründeten politischen Positionierung im Rahmen
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Vielmehr könne eine
transparente und zugleich für andere Ansichten offene Positionierung
Schüler*innen bei der eigenen politischen Meinungsbildung unterstützen.
Ferner sei auch aus dem Kontroversitätsgebot keineswegs eine gleichberechtigte
Anerkennung von antidemokratischen Stimmen, die im
Widerspruch zu zentralen Artikeln des Grundgesetzes stünden, abzuleiten.
So widersprechen etwa auch die GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik
und politische Jugend- und Erwachsenenbildung) und die DVPB
(Deutsche Vereinigung für Politische Bildung) in einer gemeinsamen
Stellungnahme dem Neutralitätsgebot politischer Bildung und fordern
eine klare Positionierung gegen menschenverachtende Aussagen der
AfD, die sich, wie zum Beispiel die Forderung nach dem Einsatz von
Schusswaffen gegen Geflüchtete, eindeutig nicht mehr auf dem Boden
der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen.
Während in zahlreichen Publikationen und Schulungen von Organisationen
wie der Amadeo Antonio Stiftung oder dem Informations- und
Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA e.V.) Argumentationshilfen
und -strategien ›gegen Rechts‹ angeregt werden, bezweifelt
etwa der Soziologe Lasse von Bargen, dass dem harten rechtspopulistischen
Kern ausschließlich argumentativ begegnet werden könne. So
bestehe eine zentrale Strategie der Rechten in einer Rhetorik, die die
›Ängste und Sorgen der Bürger*innen‹ – etwa vor Statusverlust und
Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt – aktiviert. Ein Anknüpfungspunkt
politischer Bildung könnte hier etwa in der Aktivierung sogenannter
Gegenaffekte bestehen: Anstatt den Verfall des bundesdeutschen
›Wir‹ und den Verlust der ›Heimat‹ zu beschwören, gelte es, die
konkreten Gefahren rechtspopulistischer Regierungspraxis ebenso wie die
inneren Widersprüche rechtspopulistischer Argumentationen aufzuzeigen.
Eine weitere Möglichkeit könne darin bestehen, das Augenmerk auf
Möglichkeiten zu setzen, in denen sich die Teilnehmenden wirksam als
kompetente Akteur*innen und mündige Bürger*innen wahrnehmen, um
auf diese Weise das Gefühl politischer Ohnmacht zu lindern.
Zentral für eine verantwortungsbewusste politische Bildung ist jedoch
auch die Einsicht, dass Nationalismus, Antifeminismus, Antisemitismus
sowie Rassismus eben nicht nur von AfD, Pegida, den ›abgeschlagenen
Ostdeutschen‹ und weiteren Akteur*innen aus dem Kreis der üblichen
Verdächtigen befeuert werden. Mithin zeigt etwa auch die alle zwei
Jahre herausgegebene Mitte-Studie, dass sich ebensolche ›feindseligen
Zustände‹ auch im Denken und Handeln der sogenannten liberaldemokratischen
Mitte widerspiegeln.
Das Schnüren diverser Migrationspakete und das Jubilieren über die
Abschiebezahlen am Geburtstag des selbsternannten Heimatministers
sowie die Koalitionsflirts des rechten Flügels der CDU mit der AfD
sind hier zu nennen. Vor diesem Hintergrund plädieren etwa auch die
Rassismusforscher*innen Maria Do Mar Castro Varela und Paul
Mecheril dafür, dass politische Bildung eben nicht nur grundrechtverletzende
Verfehlungen rechter Kader in den Blick nehmen sollte.
Vielmehr sei es von zentraler Bedeutung, auch die gewöhnlichen
gesellschaftlichen Verhältnisse auf ihre Rolle für die Verfestigung
extremer Positionen zu befragen. Die wenigsten der Neuen Rechten
dürften schließlich in den unlängst mit viel medialer Aufmerksamkeit
bedachten ›Nazidörfen‹ aufgewachsen und ausschließlich in
rechten Gaming-Blasen sozialisiert worden sein.
Vor diesem Hintergrund stellt Selbstreflexion im Sinne der
Befragung des eigenen Denkens und Handelns einen wesentlichen
Baustein einer Bildung dar, die sich nicht nur über die Rechten
echauffiert, sondern das mit der Unterzeichnung menschenrechtlicher
Verträge getätigte Versprechen ernst nimmt und Menschenrechtsbildung
als Befähigung zum Wahrnehmen der eigenen
Rechte ebenso wie zum Eintreten für die Rechte anderer
betrachtet.