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Zett Magazin Dezember 2019 / Januar 2020

Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN Warum sollte man mit Rechten reden?

Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen
DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN
Warum sollte man mit Rechten reden?

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MA

6

Welche Konsequenzen hätte das für die Praxis?

Wir Nicht-Rechten stehen nun vor einer Entscheidung:

Wollen wir das Weltbild der Rechten beglaubigen und ihren

Zusammenhalt stärken, indem wir sie genauso unbedingt als

Gegner behandeln wie sie uns? Oder wollen wir nach einer

Form der Auseinandersetzung suchen, die sie irritiert und

spaltet? Der hart, aber sachlich geführte Streit hat nicht, wie

uns immer wieder unterstellt wurde, das naive Ziel, Rechte

mit dem ›zwanglosen Zwang des besseren Arguments‹ zu

überzeugen. Er stellt vielmehr eine Alternative dar, in der

man im Konflikt Bewegungsfreiheit gewinnt. Anders als der

Existenzkampf, der nur das ›entweder du oder ich‹ kennt,

kann ein Streitgespräch viele Wege gehen.

›››

Wir Nicht-Rechten stehen nun vor

einer Entscheidung: Wollen wir das

Weltbild der Rechten beglaubigen und

ihren Zusammenhalt stärken, indem

wir sie genauso unbedingt als Gegner

behandeln wie sie uns?

Es ist nicht immer klar, wen Sie meinen, wenn Sie von Rechten

sprechen. Gewalt scheint ein Ausschlusskriterium für Gesprächsmöglichkeiten

zu sein: ›Bestünde die Rechte mehrheitlich aus […]

gewaltbereite[n] Neonazis, dann hätten wir kein Problem mit ihnen‹,

heißt es in Ihrem Buch. ›Wir hätten einen Job zu erledigen.‹

Sie sehen da unter anderem Verfassungsschutz, Polizei und Antifa

als zuständige Instanzen.

Unser Begriff der Rechten will keine erschöpfende Definition liefern. Er

ist bewusst schlank angelegt, weil er eine bestimmte Funktion hat, nämlich

die Interaktionsmuster zwischen Rechten und Nicht-Rechten zu beschreiben.

Als ›Rechte‹ gelten in unserem Buch Leute, die Macht- und Geltungsansprüche

erheben, weil sie sich in ihrer Identität als Deutsche von außen

und innen bedroht fühlen. Der Begriff hat also zwei Seiten: zum einen, als

minimale inhaltliche Bestimmung, die bedrohte Identität, zum anderen der

daraus abgeleitete Anspruch, Widerstand gegen die Bedrohung zu leisten

und Macht zur Wiederherstellung der Identität zu erlangen. Rechts in

diesem Sinne ist, wer behauptet, in einen Kampf um die kollektive Existenz

zu stehen. Ein Kampf ist aber eine Form von Beziehung, ohne Gegner gibt

es keinen Kampf.

Der letzte Satz klingt etwas trivial ...

Mag sein, aber er hat gravierende Folgen, und die sind nicht trivial.

Denn es bedeutet, dass der Rechte, um zu sein, was er sein will, die

Nicht-Rechten als Gegner braucht. Und zwar in einem ganz existentiellen

Sinn, so dringend wie der Junkie seinen Stoff braucht. Dass die Rechte nicht

in erster Linie für ein Ziel, sondern um der Macht willen kämpft, das

zeigt sich in der Beliebigkeit ihrer angeblichen Ideale. Herr Höcke will

einen nationalen Sozialismus, Herr Meuthen will den radikalen Abbau des

Sozialstaats. Dass das Ideal im einen Fall eine gruselige Kitsch-Version

germanischen Volkslebens ist, im anderen eine kalte, von bürokratischen

Fesseln befreite Volkswirtschaft, wird verschleiert durch das Phantasma

eines ›Systems‹, das beides verhindern will. Der Gegner wird also nicht nur

gebraucht, um die Selbsterzählung des Existenzkampfs zu beglaubigen,

sondern auch, um die Sammlung heterogener, ja widersprüchlicher Anliegen

zusammenzuhalten. Hat man das begriffen, erscheint die Auseinandersetzung

mit der Rechten in einem anderen Licht.

Welche zum Beispiel?

Man kann in der einen Hinsicht scharf widersprechen, aber

danach in einer anderen Gemeinsamkeiten ausmachen. Oder

man kann ein gemeinsames Problem anerkennen und so den

Dissens auf die Lösungsansätze einschränken. Man kann die

behauptete Sachlichkeit des anderen ernst nehmen und ihn

mit offensichtlichen Irrtümern und Widersprüchen konfrontieren.

Man kann fragen, was aus einer bestimmten Annahme

folgt. Nur so kann man herausfinden, wie weit der andere sich

mit dem rechten Existenzkampf identifiziert. In vielen Fällen

ist nichts zu gewinnen, was immer man sagt, das Gespräch

bleibt ein reiner Machtkampf. Bei anderen dagegen stellt man

fest, dass sich in der Wut und im Bedrohungsgefühl etwas

anderes zeigen will: unerfüllte Bedürfnisse, unausgesprochene

Erfahrungen, offene Fragen, ganz normale Ängste. Wenn es

gut läuft, kann ein solches Gespräch meinem Gegenüber die

Erfahrung vermitteln, dass man ihm heftig widerspricht, ohne

dass er sich er sich deswegen bedroht oder herabgewürdigt

fühlen muss. Ich achte ihn als Person, ich toleriere seine

Meinung, aber ich akzeptiere seinen Geltungsanspruch nicht.

Machen wir die Probe aufs Exempel: Weihnachten, die

Schwiegermutter ist zu Besuch, nach dem zweiten Wein

geht es los, es kämen zu viele Flüchtlinge ins Land, die

Deutschen seien bedroht. Die AfD sei zwar in vielem sehr

extrem, gerade im Osten, im Grunde hätten ihre Vertreter

aber recht, zumal man gewisse Sachen heute ja wirklich

nicht mehr sagen dürfe. Der Schwiegersohn schenkt sich

noch einen einen ein und fängt an zu diskutieren. Wenn

Sie sich etwas wünschen dürften: Wie sähe idealer- und

realistischerweise der Verlauf dieses Gesprächs aus?

Der Schwiegersohn würde antizipieren, welcher Frust die

Familie erwartet, wenn er sich jetzt aufregt. Statt also der

Mutter seines Mannes Vorwürfe zu machen, würde er ihr

Fragen stellen. Geht es wirklich um die Zahl der Flüchtlinge?

Oder geht es um die Angst, Migration nicht kontrollieren zu

können? Wer sind die Deutschen? Gehören die Kinder der

›Gastarbeiter‹ nicht dazu? Sind wir nicht längst ein Einwanderungsland?

Was bedeutet Deutschsein, wenn nicht mehr alle

den gleichen kulturellen und historischen Hintergrund haben?

Um nicht anklagend zu wirken, müsste der Schwiegersohn

anerkennen, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten

gibt. Erst dann könnte er auch fragen, woher der

Eindruck entsteht, bestimmte Meinungen nicht mehr äußern

zu dürfen. Hat er vielleicht damit zu tun, dass ihnen oft

nicht kritisch, sondern vorwurfsvoll begegnet wird? In das

kontroverse, aber offene Gespräch würde sich am Ende

die Oma einmischen und auf eine Weise vom Krieg erzählen,

die alle überrascht.

Eine ungekürzte Fassung des Interviews finden Sie online unter

www.schlachthof-bremen.de/werkstaetten/zeitung

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