EDUCATION 1.20
Die Kraft der Geschichten
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Unter der Lupe<br />
Fünf Fragen an Sunil Mann<br />
Sunil Mann, geboren 1972 im Berner<br />
Oberland, ist freischaffender Autor.<br />
2010 erschien mit «Fangschuss» (Grafit)<br />
der erste seiner mittlerweile sieben<br />
Kriminalromane rund um den indischstämmigen<br />
Privatdetektiv V. J. Kumar,<br />
der in Zürich ermittelt. Der Preisträger<br />
des Zürcher Krimipreises und des Bad<br />
Iburger Kinderliteraturpreises hat 2016<br />
mit «Immer dieser Gabriel» (Orell Füssli)<br />
eine eigene Kinderbuchserie lanciert.<br />
Letztes Jahr erschien «Totsch» (Da bux),<br />
ein Jugendroman über ein Coming-out.<br />
Foto: zvg<br />
1. Wenn Sie an Ihre Schulzeit denken, was kommt Ihnen als Erstes in<br />
den Sinn? Das sonnendurchflutete Klassenzimmer der Primarschule Hofachern<br />
in Spiez. Seltsamerweise ist das auch der erste Gedanke, wenn ich<br />
versuche, mich an das Gymnasium Interlaken zurückzuerinnern. Dabei<br />
war ich eigentlich nicht ein typischer Fensterplatzschüler; ich ging sehr<br />
gern zur Schule und war in den meisten Fächern auch ganz gut (ausser in<br />
Mathe, Physik und Chemie). 2. Welcher Lehrperson würden Sie rückblickend<br />
eine Sechs geben, und warum? Einigen, ich hatte sehr viel Glück<br />
mit meinen Lehrerinnen und Lehrern. Sicher aber Silvia Berger, die wegen<br />
der Schwangerschaft unserer regulären Lehrerin eigentlich nur Aushilfe in<br />
der vierten Klasse war. Sie nahm uns Kinder ernst, und ich hatte zumindest<br />
das Gefühl, sie hätte mit uns wie mit Erwachsenen geredet. Ausserdem<br />
erzählte sie uns oft von ihren Reisen in exotische Länder, was mich sehr<br />
beeindruckte, und sie sah – das finde ich auch rückblickend – grossartig<br />
aus. Sportlich, dunkle Locken, enge Jeans und diese schwarzen Lederstiefeletten,<br />
die in den Achtzigern gross in Mode waren. Ich glaube, ich<br />
war ein kleines bisschen verliebt in sie. 3. Inwiefern hat Ihnen<br />
die Schule geholfen, ein bekannter Krimi-, Kinder- und<br />
Jugendbuchautor zu werden? Die Schule hat mir<br />
dabei wenig geholfen. Natürlich mochte ich die<br />
Deutschstunden, schrieb gerne Aufsätze und las<br />
neben dem obligatorischen Stoff jedes Buch,<br />
das mir in die Hände geriet. Doch bezüglich<br />
Berufswahl musste ich selbst kreativ werden,<br />
denn künstlerische Berufe wie Schriftsteller<br />
fanden sich in dem grünen Ordner<br />
unserer strengen Berufsberaterin keine.<br />
Auf jeden Fall erwähnte sie solche nie.<br />
Dafür Studien in alle möglichen Richtungen.<br />
Auch sonst waren am Gymnasium<br />
Berufe dieser Art nie ein Thema. Den Weg<br />
zum Autor habe ich mir ohne fremde Hilfe<br />
erarbeitet. Was allerdings sehr geholfen<br />
hat, waren die Ermunterungen und die konstruktive<br />
Kritik all meiner Deutschlehrer. Ohne<br />
sie hätte ich vermutlich das Selbstvertrauen<br />
nicht so rasch entwickelt, das ich brauchte, um<br />
meinen eigenen Weg einzuschlagen. 4. Was ist das<br />
Wichtigste, was Kinder und Jugendliche heute im<br />
Kindergarten oder in der Schule lernen sollten? Toleranz.<br />
Weil es immer Menschen gibt, die nicht ins eigene Weltbild passen.<br />
Möglicherweise aber lernt man dank ihnen Dinge kennen, von denen<br />
man sonst nie erfahren würde. Fremdsprachen, weil man die nie mehr so<br />
leicht lernt wie als Kind. Und wie man die Unterschriften der Eltern fälscht.<br />
Das ist grundsätzlich nützlich. 5. Wären Sie eine gute Lehrperson? Eher<br />
nicht. Ich mache zwar unzählige Kinderlesungen pro Jahr, oft sogar mehrere<br />
pro Tag, und bin stets begeistert davon. Allerdings merke ich jeweils<br />
erst im Nachhinein, wie unglaublich anstrengend es ist, stundenlang präsent<br />
zu sein. Ich glaube nicht, dass ich diese Energie tagtäglich aufbringen<br />
könnte.<br />
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