Dance for You Magazine Issue 76 (2017)
Seit mehr als 15 Jahren auf dem Markt, hat sich DANCE FOR YOU MAGAZINE bei einer breiten Leserschaft etabliert. Von der Schule zum Theater – den ganzen Tanz sehen! Mit bewegenden Erfahrungsberichten, Informationen und Trends, exklusiven Interviews und Portraits, informieren internationale Korrespondenten über die neuesten Entwicklungen im künstlerischen Tanzbereich und dem Ballroom Dance.
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DANCEforYOU magazine
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Mit Beginn der Saison 2015/2016 wurde sie Ballettdirektorin am
Theater Plauen-Zwickau.
Sie übernahm diese Position in einer durch Einsparungs- und Veränderungsdebatten
schwierigen Zeit. Es ist ihr dennoch gelungen die
Tanzsparte zu stabilisieren, nicht zuletzt durch vielbeachtete Arbeiten
wie „Goldfisch-Variationen“ oder „Der Feuervogel“.
Ihre neueste Arbeit mit dem Ballett der Theater Plauen-Zwickau, das
Tanzstück „Happy Birthday“, uraufgeführt im Münchner Einstein Kultur,
ist jetzt im Malsaal des Zwickauer Theaters zu sehen, demnächst
auch in Plauen.
„Happy Birthday“ mit der Musik von Katharina S. Müller und mit Texten
von Bertolt Brecht, Jorge Luis Borges und Heiner Müller ist ein
sehr persönliches Tanzstück zu den Themen Leben und Sterben, zu
dem, was sie verbindet und trennt. Indem es um den Tod geht, geht
es um das Leben und umgekehrt.
Das Tanzstück ist Totentanz und Requiem und ebenso grundiert durch
den leisen Humor in den Erinnerungen an die Absurditäten des Lebens.
Die schwarz gekleideten Tänzerinnen und Tänzer schminken sich im
Angesicht des Publikums ihre Gesichter, sie werden Clowns, das Lachen
und das Weinen ist ihnen ins Gesicht geschrieben, geht über in
die Körperlichkeit ihrer tänzerischen Bewegungen.
Dass im Himmel getanzt wird, wusste schon der Heilige Augustinus.
Hier tanzen die Clowns sogar einen Walzer. Sie nehmen eine verstorbene
Frau in ihrer Mitte auf, von ihrer Einsamkeit können sie sie aber
nicht befreien. Unter der leidet auch ihr Mann, der im Leben zurück
geblieben ist, vor allem weil es ihm nicht möglich war Abschied zu
nehmen. Wenn diese Himmelsclowns dies für die Frau und den Mann
möglich machen, geht für beide das Leben weiter, hier wie dort. Wenn
man so will, zwei Geburtstage: „Happy Birthday“.
Maki Taketa tanzt diese Rolle der Frau mit sensiblem Ausdrucksvermögen,
neun Tänzerinnen und Tänzer sind die Clowns und der Schauspieler
Michael Günther ist der Mann. Günther spricht auch die Texte,
so sehr eindrucksvoll Brechts Gedicht, „Als ich im weißen Krankenzimmer
der Charité“ mit dem Grundgestus der Überwindung von Todesfurcht,
oder Heiner Müllers „Todesanzeige“ über den Selbstmord
seiner Frau am 1. Juni 1966. Müllers Text ist nicht unumstritten, aber
darum geht es hier nicht, es geht um einen authentischen und daher
streitbaren Versuch auch mit den Schuldgefühlen am Tod eines Menschen
umzugehen. Der Schauspieler, umgeben von den Tänzern als
stumm begleitende Clowns, jenen Meistern der Kunst, unter Tränen
zu lachen, gibt diesem Text feinsinnig grundierte, rhythmisch choreografische
Strukturen der Sprache und fügt sich so bestens in den Tanz.
Die Musikerin Katharina S. Müller verwendet bei den zugespielten Passagen
auch ein Harmonium mit jenen unverwechselbaren Klangassoziationen
des Abschieds. Wenn sie selbst sich ins Geschehen fügt, dann
als Geigenspielerin, als führte sie, wie man es von alten Darstellungen
kennt, jenen Reigen wie ein Spielmann an, der aus dem Leben in den
Tod und auch wieder zurück führt. So gehören hier jene Momente für
die es an Worten mangelt doch dem Tanz und der Musik.
Dass am Ende, wenn der Mann endlich Abschied nehmen kann von
seiner toten Frau, die Clowns dieser zum Geburtstag gratulieren, ist
einer von den eindrücklichen und vor allem nachdenklichen Momenten
dieses Tanztheaters von Annett Göhre, in dem es letztlich darum
geht, das Leben anzunehmen, zu dem der Tod gehört. So erschließt
sich nach gut 70 Minuten der von Vladimir Nobokov im Programmheft
zitierte Satz: „Das Leben ist eine Überraschung. Warum sollte der
Tod nicht eine noch größere sein?“
Boris GRUHL