Dance for You Magazine Issue 76 (2017)
Seit mehr als 15 Jahren auf dem Markt, hat sich DANCE FOR YOU MAGAZINE bei einer breiten Leserschaft etabliert. Von der Schule zum Theater – den ganzen Tanz sehen! Mit bewegenden Erfahrungsberichten, Informationen und Trends, exklusiven Interviews und Portraits, informieren internationale Korrespondenten über die neuesten Entwicklungen im künstlerischen Tanzbereich und dem Ballroom Dance.
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44 DANCEforYOU magazine
Christian Spuck inszeniert Verdis
„Messa da Requiem“ als Koproduktion
von Oper und Ballett Zürich
Der Tag des Zorns ist noch nicht angebrochen. Aber wenn im
Opernhaus Zürich der Chor das „Dies irae“ anstimmt, kann
man sich davon zumindest eine Vorstellung machen. Giuseppe
Verdi hat seine „Messa da Requiem“ 1873/74 in Andenken an den
italienischen Nationaldichter Alessandro Manzoni komponiert und
gerade diesen Worten der lateinischen Liturgie eine solche Wucht
verliehen, als wollte er ihnen selbst im Jenseits noch Widerhall verleihen:
ein Eindruck, der sich in der Inszenierung von Christian Spuck
insofern noch verstärkt, als sich der Regisseur von Christian Schmidt
ein bunkerartiges Gebäude entwerfen ließ, das kein Schlupfloch hat
und den Klang gebündelt auf das Publikum fokussiert.
Eine Totenmesse im Theater? Unmittelbar nach der Uraufführung hat
kein Geringerer als Hans von Bülow das „Requiem“ zwar als „Oper im
Kirchengewand“ deklassiert, sich seine Fehleinschätzung aber später
durchaus eingestanden. Tatsächlich hat das „Requiem“ – wie eigentlich
jeder Ritus – etwas Theatralisches, ohne dass sich sein Text
deshalb gleich zu einer „Handlung“ formen muss. Spuck setzt darum
auf Abstraktion, um von vornherein jedes Missverständnis auszuräumen,
und stellt an den Anfang ein Tableau, das so auch einem William
Forsythe hätte einfallen können: Während Yen Han reglos an der
Rampe verharrt, zeichnen sich im Hintergrund nach und nach andere
Tänzer ab, von einer mobilen Leuchte schattenhaft vergrößert. Mehr
geschieht nicht. Noch kniet sich der riesige Chor auf beiden Bühnenseiten
in die Dunkelheit, um im nachfolgenden „Dies irae“ vergeblich
nach William Moore zu greifen, der sich wie gebrandmarkt in der
Asche seines eigenen Schicksals windet.
Vielmehr hat Spuck die vier Sängerpersönlichkeiten so in das Bühnengeschehen
integriert, dass sie, wenn gewünscht, aus dessen Mitte
herauswachsen können. Nur so gibt es Berührungspunkte zwischen
Tanz und Stimme. Nur so kann die „Messa da Requiem“ ein Ganzes
sein, das sich aus menschlichen Erfahrungen speist.
Christian Spuck ist nicht auf äußerliche Effekte aus, sondern erzielt
seine Wirkungen allein aus der unverhüllten Emotion. Wie von selbst
entwickelt sich seine choreografische Inszenierung auf der Grundlage
von Verdis Musik. Aus der Tiefe des Raumes taucht Katja Wünsche auf
und lässt uns tanzend teilhaben an ihrem Schmerz, während Sopran,
Mezzo und Tenor das „Quid sum miser“ singen. Beim „Ingemisco“ kleidet
Emma Ryott Frauen wie Männer in aufgebauschte Tüllroben, als
gäbe es gleich einen Ball. Doch nicht zuletzt macht gerade das Kostüm
ihre Verletzlichkeit sichtbar, wenn sich aus dem Schwarz der entblößte
Rücken umso nackter abzuheben scheint. So vieldeutig sind
alle Tableaux und zugleich von einer Intensität, der man sich kaum
entziehen kann. Gebannt folgt das Publikum einer Totenmesse, die
allenfalls im „Agnus Dei“ etwas Tröstliches hat, wenn sich Yen Han und
Felipe Portugal in der unendlichen Schlaufe ihrer Arme verbinden
und in der Einsamkeit des Sterbens etwas Einendes entdecken. Am
Ende des „Requiem“ senkt sich die Decke auf die Bühne, ohne damit
den Tod zu besiegeln. Das Leben geht weiter. Auf dem Rücken des
Sargdeckels kauert noch als Embryo ein Mensch.
Hartmut REGITZ
Immer wieder gelingen Spuck bedrückende Szenen, in welchen
Gesang und Bewegung auf eine Weise verschmelzen, als hätte Verdi
das Dreidimensionale seiner Musik auch hier von vornherein mitkomponiert.
In Zürich firmiert das spartenübergreifende Ereignis als
Koproduktion von Oper und Ballett, so wie das Christian Spuck 2009
mit „Orphée et Eurydice“ schon einmal versucht hat – hier allerdings
eine Nummer größer als seinerzeit in Stuttgart. So ist an der „Messa
da Requiem“ nicht allein das gesamte Ballettensemble beteiligt,
sondern auch ein mehr als hundert Kopf starker Chor. Mit Krassimira
Stoyanova, Veronica Simeoni, Francesco Meli und Georg Zeppenfeld
wurde das Solistenquartett so hochkarätig wie nur möglich besetzt,
und das beteiligt sich nicht etwa „konzertant“ an der Aufführung,
die Generalmusikdirektor Fabio Luisi durchweg inspiriert dirigiert.
Fotos: Manuel Renard, Katja Wünsche, Matthew Knight (oben)
und Ensemble, Ballett Zürich in ´Messa da Requiem´Ch. Christian Spuck. Foto Gregory Batardon
www.danceforyou-magazine.com