FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2020
FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2020 - Eine Sonderbeilage des Tre Torri Verlags
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Im Alter von einundfünfzig Jahren heiratete er<br />
in zweiter Ehe Elisabeth Bouchet. Daraus gingen<br />
drei Söhne hervor, von denen Jacques, Jahrgang<br />
1922, und dessen ein Jahr jüngerer Bruder<br />
Christian später gemeinsam seine Nachfolge<br />
antraten. Beide heirateten im Jahr 1945: Jacques,<br />
das Kommunikationstalent, im August und der<br />
Weinmacher Christian wenige Tage später im<br />
September.<br />
Die Nachkriegsjahre gestalteten sich<br />
wirtschaftlich äußerst schwierig, es waren<br />
kaum Mittel verfügbar, um die wenigen<br />
Mitarbeiter zu bezahlen. Das Gros der Produktion<br />
wurde im Fass verkauft, erst in den Fünfzigerjahren<br />
begann man auf Château Angélus mit der<br />
Flaschenabfüllung. Da es keine geeigneten Räumlichkeiten<br />
für die Lagerung gab, bauten Jacques<br />
und Christian de Boüard notgedrungen mit ihren<br />
Töchter hervor, Helène und Annie-Claude. Im Jahr<br />
1987 heiratete Helène den Kaufmann Jean-Bernard<br />
Grenié, der zuvor Finanzmakler in Paris und danach<br />
Bürochef im Weinhandelshaus Janoueix in Saint-<br />
Emilion war, wo die beiden sich kennenlernten.<br />
Christian de Boüard, der einen guten Eindruck<br />
von seinem künftigen Schwiegersohn hatte, bat ihn,<br />
gleich nach der Hochzeit in die Firma einzutreten,<br />
um die Interessen seines Familienzweigs wahrzunehmen.<br />
Dies sollte sich als zukunftsweisende Entscheidung<br />
herausstellen. Hubert de Boüard stellte<br />
seine Teams für die Weinbergs- und Kellerarbeit<br />
neu auf, und Jean-Bernard Grenié kümmerte sich<br />
fortan um den administrativen Teil der täglichen<br />
Arbeit. Die beiden ergänzten einander aufs Beste.<br />
Im Jahr 1989 änderten sie den früheren Namen des<br />
Weinguts L’Angélus, indem sie das L entfernten.<br />
Das führte unter anderem dazu, dass das Gut in der<br />
Liste der Grands Crus Classés nicht mehr im Mittel-<br />
Gut gerüstet: Mit Glockenklang<br />
werden Gäste aus<br />
aller Herren Länder auf<br />
Château Angélus begrüßt.<br />
Einhundertsechzig verschiedene<br />
Nationalhymnen<br />
kann das Carillon abspielen.<br />
Die Trauben an den rund<br />
vierzig Jahre alten Rebstöcken<br />
für den Grand Vin<br />
versprechen reiche Ernte.<br />
ANGELUS-LÄUTEN<br />
AUF CHÂTEAU ANGÉLUS GIBT STÉPHANIE DE<br />
BOÜARD-RIVOAL DEN TAKT VOR<br />
Von ARMIN DIEL<br />
Fotos MARCO GR<strong>UND</strong>T<br />
Es ist Anfang September in Saint-Emilion. Bei strahlendem Sonnenschein stehe ich vor der prachtvollen<br />
Fassade von Château Angélus und bewundere das markante Glockenspiel auf dem Dach,<br />
mit dem ausländische Gäste hier begrüßt werden: Im System gespeichert sind einhundertsechzig<br />
verschiedene Nationalhymnen. Die beiden großen Glocken heißen Emilion und Angélus, sie sind<br />
umgeben von achtzehn kleineren. Aus Anlass des zweihundertdreißigjährigen Jubiläums von<br />
Château Angélus wurden sie nach den Plänen der Familie de Boüard de Laforest bei Paccard in<br />
Sevrier gefertigt, einer der letzten privaten Glockengießereien des Landes, die sich in den Savoyer<br />
Alpen unweit vom Lac d’Annecy befindet.<br />
Wer Hubert de Boüard de Laforest kennt,<br />
der für den phänomenalen Aufstieg<br />
von Château Angélus maßgeblich<br />
verantwortlich ist, mag kaum an Zufall glauben,<br />
dass die Renovierung des Guts 2012 mitsamt dem<br />
Carillon abgeschlossen war; just in dem Jahr also,<br />
als Château Angélus, gemeinsam mit Château Pavie,<br />
als Premier Grand Cru Classé A in den Adelsstand<br />
von Saint-Emilion erhoben wurde. Mehr als fünfzig<br />
Jahre hatten sich die Herren von Château Ausone<br />
und Château Cheval-Blanc allein im Glanz dieser<br />
exklusiven Kategorie gesonnt, und gewiss haben<br />
sie es immer noch nicht recht verwunden, heute<br />
nur mehr Teil eines Spitzen-Quartetts zu sein.<br />
Glocken spielten in Saint-Emilion und insbesondere<br />
auf Château Angélus schon immer<br />
eine große Rolle. Genau genommen waren es die<br />
Glocken von drei Kirchtürmen, der Hauptkirche<br />
von Saint-Emilion, der Kirche von St. Martin de<br />
Mazerat und der Kapelle von Mazerat, die früh um<br />
sieben, um zwölf und um neunzehn Uhr läuteten,<br />
um die Weinbergsarbeiter zur Arbeit, zum Mittagessen<br />
und in den Feierabend zu rufen. Und natürlich<br />
zum Gebet.<br />
An einer Wand der großen Empfangshalle<br />
von Château Angélus befindet sich die acht<br />
Generationen umfassende Ahnengalerie der<br />
Familie, darunter auch drei Portraits von Frauen:<br />
Zum einen das von Cathérine-Sophie, der Tochter<br />
von Jean de Boüard, einst Offzier der königlichen<br />
Garde, die sich mit ihrem Mann im Jahr 1782 in<br />
einem Gut namens Mazerat niederließ. Das in den<br />
sanften Hügeln südlich von Saint-Emilion gelegene<br />
Anwesen gilt als Keimzelle von Château Angélus,<br />
das seit dem Jahr 1920 eine Glocke als Markenzeichen<br />
auf seinen Etiketten trägt. Zum anderen<br />
das Portrait von Jeanne-Eugénie Chatenet, der<br />
Witwe von Charles Souffrain de Lavergne, von<br />
der Familie kurz »Tante Eugénie« genannt. Im<br />
19. Jahrhundert hatte sie eine wichtige Rolle in der<br />
Lokalpolitik von Saint-Emilion gespielt.<br />
Schließlich das Foto einer modernen jungen<br />
Frau mit einnehmendem Lächeln und wehendem<br />
Haar: Stéphanie de Boüard-Rivoal, die junge<br />
Chefin von Château Angélus. Die hochgewachsene,<br />
im Bordelaiser Wunderjahrgang 1982 geborene<br />
Frau ist die zweitälteste Tochter von Hubert de<br />
Boüard. Seit 2008 ist sie mit dem Weinhändler<br />
Marc Rivoal verheiratet, im kommenden Frühjahr<br />
erwarten die beiden ihr drittes Kind. Vom Vater<br />
wurde sie vor allem deshalb als Nachfolgerin auserkoren,<br />
weil Stéphanie von seinen vier Kindern<br />
das größte Potential habe, um das Familiengut in<br />
die Zukunft zu führen; sie sei zäh, durchsetzungsstark,<br />
gut organisiert und äußerst ambitioniert in<br />
Sachen Angélus!<br />
Die ältere Schwester Coralie leitet das dreißig<br />
Hektar große Weingut La Fleur de Boüard in<br />
Lalande-de-Pomerol, das der Vater vor zwanzig<br />
Jahren gekauft hat; zunächst hatte sie es gemeinsam<br />
mit ihrem Bruder Matthieu geführt, der sich<br />
mittlerweile zurückgezogen hat. Der jüngste<br />
Bruder Quentin, der einen Master in Marketing<br />
gemacht hat, ist noch dabei, seinen Weg zu finden.<br />
Nach einem Ökonomie-Studium in<br />
Bordeaux und Paris ging Stéphanie de<br />
Boüard 2007 für fünf Jahre nach London,<br />
um für Privatbanken wie UBS und Pictet zu<br />
arbeiten. Dort organisierte sie Weinproben und<br />
Diners mit den Weinen von Château Angélus, in<br />
dessen Aufsichtsrat sie im Jahr 2009 berufen wurde.<br />
»Ich bin in den Weinbergen groß geworden«,<br />
erklärt sie ihre emotionale Verbindung zum Weingut.<br />
Bevor sie 2012 nach Saint-Emilion zurückkehrte,<br />
um sich drei Jahre an der Seite ihres Vaters<br />
in die Führung des Unternehmens einzuarbeiten,<br />
hatte sie ein Diplom beim Wine & Spirit Education<br />
Trust (WSET) erworben.<br />
Ihr Urgroßvater Maurice de Boüard war<br />
einst alleiniger Besitzer von Château Angélus.<br />
eigenen Händen und der tätigen Mithilfe eines<br />
lokalen Steinlieferanten eine Halle. Ihrem Bruder<br />
Alain, der eine Versicherungsagentur in Alès in<br />
der Nähe von Nîmes betrieb, kauften sie später<br />
dessen Weinguts-Anteile ab.<br />
Kaum hatte sich die wirtschaftliche Situation<br />
etwas verbessert, wurde die Region von der<br />
größten Frostkatastrophe des Jahrhunderts heimgesucht.<br />
Als in der Nacht zum 21. Februar 1956<br />
das Thermometer auf minus zwanzig Grad Celsius<br />
fiel, wurden praktisch alle Rebstöcke von Château<br />
Angélus zerstört. All diese Weinberge mussten in<br />
den Folgejahren neu bepflanzt werden.<br />
Das Jahr 1956 sollte für Jacques de Boüard aber<br />
nicht nur deshalb in Erinnerung bleiben, denn am<br />
1. September konnte er sich über die Geburt seines<br />
Sohnes Hubert freuen. Und zwei Jahre später gab<br />
es weiteren Anlass zur Freude: Château Angélus<br />
wurde in der neu geschaffenen Klassifikation von<br />
Saint-Emilion in die Kategorie der sechzig Grands<br />
Crus Classés eingestuft. Weil die Arbeiten an der<br />
Klassifizierung schon im Jahr 1952 begannen und<br />
drei Jahre später abgeschlossen waren, kamen die<br />
Auswirkungen des historischen Frostjahrs nicht<br />
mehr zum Tragen. Diesen Erfolg feierte Maurice de<br />
Laforest mit seinen Söhnen. Er starb am 1. Juli 1959,<br />
wenige Tage vor seinem achtzigsten Geburtstag.<br />
Dass der regelmäßige Konsum guten Weins sich<br />
offenbar positiv auf die Lebensdauer auswirken<br />
kann, bewies sein Sohn Jacques, der es bis 2018<br />
sogar auf sechsundneunzig Jahre gebracht hatte.<br />
Sein Bruder Christian, inzwischen ebenfalls<br />
sechsundneunzig Jahre alt, lebt noch immer auf<br />
Château Daugay, einem knapp zehn Hektar großen<br />
Familienbesitz in der Nähe von Château Angélus.<br />
Aus dessen Ehe mit Josette Le Glatin gingen zwei<br />
feld figurierte, sondern am Anfang des Alphabets.<br />
Den ersten großen gemeinsamen Erfolg<br />
feierten die beiden, als Château Angélus 1996 in<br />
die Kategorie Saint-Emilion Premier Grand Cru<br />
Classé B aufgestuft wurde. Die Freude darüber<br />
wurde allerdings etwas getrübt durch zunehmende<br />
Kritik an Hubert de Boüard, dem nachgesagt<br />
wurde, seine Tätigkeit in verschiedenen regionalen<br />
Weinbauverbänden habe den Erfolg von Angélus<br />
befördert. Nach dem erneuen Aufstieg zum Classé<br />
A im Jahr 2012 kam es gar zum juristischen Eklat,<br />
einem Winzerstreit, der bis zum heutigen Tag<br />
nicht beigelegt ist.<br />
Außerhalb des Weinguts hatte Hubert<br />
de Boüard schon im Jahr 2001 mit dem<br />
Aufbau einer eigenen önologischen<br />
Beratungsfirma begonnen, ganz im Stil des<br />
berühmten Bordelaiser Kollegen Michel Rolland.<br />
Erster Kunde war die Familie Decoster, die<br />
kurz zuvor Château Clos des Jacobins in Saint-<br />
Emilion gekauft hatte. Allein im Bordelais sind<br />
es inzwischen mehr als achtzig Betriebe, zwanzig<br />
davon sogar auf dem linken Ufer der Gironde, die<br />
sich seinen Empfehlungen anvertrauen. Daraus<br />
ist ein weltumspannendes Netzwerk entstanden,<br />
in dem Hubert de Boüard gemeinsam mit vier<br />
Partnern weit über hundert Weingüter berät, in<br />
der Schweiz ebenso wie im Libanon und in Südafrika.<br />
Die Mitgesellschafter bei Château Angélus<br />
nahmen seine Nebentätigkeit weitgehend klaglos<br />
hin, Tochter Stéphanie ist sogar davon überzeugt,<br />
dass das Weingut von der gewachsenen Expertise<br />
ihres Vaters eher profitierte.<br />
Vor wenigen Jahren hat sich der umtriebige<br />
Hubert de Boüard ein weiteres Betätigungsfeld<br />
geschaffen. Unter seinem Namen, ergänzt durch<br />
sein Geburtsjahr, Depuis 1956, verkauft er neuerdings<br />
in nennenswerter Menge preiswertere Rebsortenweine,<br />
von Chardonnay über Merlot und<br />
Cabernet Sauvignon bis Pinot Noir und Syrah,<br />
abgefüllt ausgerechnet in atypischen Burgunderflaschen.<br />
Ob er sich damit bei seiner Tochter beliebt<br />
macht, die ihm seine Weingut-Anteile inzwischen<br />
abgekauft hat, ist nicht überliefert. Um auf legitime<br />
Weise als Aufsichtsratsvorsitzender von Château<br />
Angélus fungieren zu können, hält Hubert de<br />
Boüard heute ohnehin nur noch minimale Anteile,<br />
hat aber nach wie vor ein Auge auf die Vinifikation<br />
der Weine. Nach der Scheidung von seiner ersten<br />
Frau Corinne im Jahr 2009 lebt er heute in zweiter<br />
Ehe in Bordeaux.<br />
Inzwischen hat er eine Kostprobe vom<br />
Durchsetzungs vermögen seiner Tochter erhalten.<br />
Einige Jahre war es für Hubert de Boüard selbstverständlich,<br />
die von ihm beratenen Weingüter<br />
einzuladen, ihre Jungweine während der Primeurwoche<br />
in den prachtvollen Räumlichkeiten von<br />
Château Angélus vorzustellen. Als die junge Chefin<br />
das Gefühl überkam, dies lenke die Aufmerksamkeit<br />
der Besucher zu sehr von den eigenen<br />
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<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />
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