Nr. 70 - Frühling 2019
Bretagne: Unsere Coups de cœur für die größte bretonische Insel Pays de la Loire: Die Geschichte des größten japanischen Gartens Europas Lothringen : Begegnung von zeitgenössischer Kunst und ländlichem Raum Marseille: Eine fast hundertjährige Liebeserklärung ist noch immer aktuell Rezept: Tourte printanière aux champignons de Paris
Bretagne: Unsere Coups de cœur für die größte bretonische Insel
Pays de la Loire: Die Geschichte des größten japanischen Gartens Europas
Lothringen : Begegnung von zeitgenössischer Kunst und ländlichem Raum
Marseille: Eine fast hundertjährige Liebeserklärung ist noch immer aktuell
Rezept: Tourte printanière aux champignons de Paris
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UNTERWEGS IN FRANKREICH Pays de la Loire<br />
Zu den zahlreichen Einrichtungen des Parks<br />
zählen die 1986 rekonstruierte Anlegestelle<br />
aus Holz (S. 42 oben), das « rote Tor » (S. 42<br />
unten; solche Torii werden im Allgemeinen am<br />
Eingang zu heiligen Orten errichtet, Rot ist in<br />
Japan eine heilige Farbe), die Pagode, die den<br />
Besitzern als Salon de thé diente (S. 43), der<br />
Khmertempel (oben) und die « rote Brücke »<br />
(unten), die zugleich das Emblem des Parks ist.<br />
Die reichen Pariser Familien wandten sich dafür an Architekten und Gartengestalter,<br />
die sich auf diesen Bereich spezialisiert hatten und deren Namen<br />
in den entsprechenden Kreisen die Runde machten. Die Besessenheit dieser<br />
Fachleute für den Orient war in der Regel auf Reisen entstanden, in deren<br />
Verlauf sie diese Region kennengelernt und sich quasi in sie verliebt hatten.<br />
Nach ihrer Rückkehr wollten sie die neue Leidenschaft mit anderen teilen,<br />
was sich in vielen Fällen zudem als sehr lukrativ erwies. Eine herausragende<br />
Figur unter ihnen war Alexandre Marcel (1860-1928). Obwohl dieser Architekt<br />
erst relativ spät selbst nach Asien reiste (nämlich 1913, um in Tokio die<br />
Pläne für die französische Botschaft zu erstellen), war er schon viel früher<br />
der Faszination für den Orient – ganz besonders für Japan – erlegen. Durch<br />
die Realisierung einiger bemerkenswerter Projekte hatte er sich zu einem der<br />
beliebtesten Architekten seiner Zeit für diesen Stil entwickelt. In den gehobenen<br />
Kreisen der französischen Bourgeoisie betrachtete man ihn damals als<br />
einen der besten Japankenner. Ihm verdanken wir beispielsweise die Dekoration<br />
eines Festsaals im 7. Pariser Arrondissement mit japanischen Motiven,<br />
ein Auftrag des Direktors des Kaufhauses Bon Marché. Das Gebäude namens<br />
La Pagode ist heute als Monument historique klassifiziert und beherbergt ein<br />
kleines Kino, in dem Independentfilme gezeigt werden. Während der Pariser<br />
Weltausstellung im Jahr 1900 sorgte Alexandre Marcel durch grandiose Bauten<br />
– wie dem Pavillon Kambodschas, einem monumentalen Hindutempel<br />
mit einer mit Löwen bestückten Treppe sowie einem japanischen Turm – für<br />
Aufsehen.<br />
Ende des 19. Jahrhunderts heiratete Alexandre Marcel Madeleine Bergère,<br />
deren Vater im Loiretal, in Maulévrier, ein schönes Schloss besaß, das im Jahr<br />
1679 erbaut worden war. Es lag auf der Hand, dass Madeleines Eltern für die<br />
Renovierung und Umgestaltung von Schloss und Park ihren Schwiegersohn<br />
um Hilfe baten. Eine Bitte, der dieser selbstverständlich mit Freude nachkam,<br />
umso mehr, als dass er darin die Gelegenheit sah, einen lang gehegten Traum<br />
umzusetzen: einen japanisch inspirierten Garten. Platz war ausreichend vorhanden,<br />
denn der Schlosspark erstreckte sich über eine Fläche von 29 Hektar<br />
und besaß sogar einen ausgedehnten See. Unverzüglich ließ sich der Architekt<br />
und Gartengestalter daher in Maulévrier nieder und begann damit, die ersten<br />
Pläne zu zeichnen. Er stellte ein zehnköpfiges Gärtnerteam ein und erläuterte<br />
seine Absicht, die bis dato mit lokalen Pflanzenarten bestückte Umgebung in<br />
einen japanischen Park zu verwandeln. Die Gärtner waren zunächst sehr skeptisch<br />
und zogen es vor, ihre Arbeit auf die anfallenden Arbeiten für den Unterhalt<br />
von Gemüse- und Obstgärten sowie die Gewächshäuser des Schlosses zu<br />
konzentrieren. Als sie jedoch sahen, wie Alexandre Marcel nach und nach die<br />
ersten « exotischen » Pflanzen in Empfang nahm und damit die ersten Alleen<br />
gestaltete, wurden sie neugierig. Dies war nicht verwunderlich, denn sie entdeckten<br />
dabei eine ganz neue Vorgehensweise. In der japanischen Tradition besteht<br />
die Gartenkunst nicht ausschließlich darin, Pflanzen zusammenzustellen<br />
und anzuordnen, wie es damals in Frankreich üblich war. Ein japanischer Garten<br />
ist mehr als ein strukturierter Garten à la française, er ist vor allem Ausdruck<br />
der japanischen Philosophie und Lebensart. Die Gärtner im Loiretal lernten<br />
also mit Erstaunen, dass man in Japan ganze Landschaften im Miniaturformat<br />
kreiert, die sich auf die drei grundlegenden Elemente Wasser, Pflanzen und<br />
Steine stützen.<br />
Folglich begannen sie unter der Anleitung von Alexandre Marcel « japanisch<br />
zu denken », wenn sie den Park des Schlosses betrachteten. Im japanischen<br />
Garten ist es fundamental, dass der Blick in die Ferne schweifen kann. Dies<br />
trägt dazu bei, eine Tiefenwirkung zu erzeugen, die über die Grenzen des Gartens<br />
hinausgeht. Die Japaner nennen dies Shakkei (in etwa « geliehene Landschaft<br />
»), was bedeutet, dass die Umgebung in das Gartenbild einbezogen wird.<br />
Dieser ganz neue Ansatz musste also im Garten des Château de Maulévrier<br />
44 · Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2019</strong>