Nr. 70 - Frühling 2019
Bretagne: Unsere Coups de cœur für die größte bretonische Insel Pays de la Loire: Die Geschichte des größten japanischen Gartens Europas Lothringen : Begegnung von zeitgenössischer Kunst und ländlichem Raum Marseille: Eine fast hundertjährige Liebeserklärung ist noch immer aktuell Rezept: Tourte printanière aux champignons de Paris
Bretagne: Unsere Coups de cœur für die größte bretonische Insel
Pays de la Loire: Die Geschichte des größten japanischen Gartens Europas
Lothringen : Begegnung von zeitgenössischer Kunst und ländlichem Raum
Marseille: Eine fast hundertjährige Liebeserklärung ist noch immer aktuell
Rezept: Tourte printanière aux champignons de Paris
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UNTERWEGS IN FRANKREICH Pays de la Loire<br />
Im Pavillon des plantes gibt es neben einer<br />
Bonsaiausstellung eine Gärtnerei, in der<br />
Liebhaber orientalischer Gärten Bonsais und<br />
eine Vielzahl anderer geeigneter Pflanzen kaufen<br />
können. Die Preise sind absolut moderat und die<br />
Fachverkäufer geben gerne Ratschläge dazu.<br />
umgesetzt werden. Die Tatsache, dass das Schloss auf einem kleinen Hügel<br />
in diesem Tal liegt, war dafür ideal: Durch das Stutzen einiger Bäume konnte<br />
man schöne Landschaftsbilder kreieren. Was die Alleen angeht, so erfuhren<br />
die Gärtner, dass die Zeit der rechten Winkel vorbei war. Bei der Gestaltung<br />
eines japanischen Gartens werden stattdessen Kurven bevorzugt, hinter denen<br />
der Besucher überraschende Entdeckungen machen kann. Im Park wurden<br />
daher einige « Überraschungen » installiert, die sowohl von den Gärtnern als<br />
auch den ersten Besuchern als « Verrücktheiten » eingestuft wurden: Da und<br />
dort platzierte Felsen sollten Berge darstellen; eine vergoldete Skulptur, « das<br />
goldene Horn », verkörperte Nagâ, ein Schlangenwesen, dem in der asiatischen<br />
Welt eine Beschützerrolle zugeschrieben wird; eine Laterne symbolisierte die<br />
menschliche Präsenz, das Licht und das Wissen; es gab zahlreiche Brücken<br />
über Wasserläufe und Wasserfälle, darunter eine rote Brücke, mit einer besonders<br />
symbolträchtigen Bedeutung … Nach und nach wurden immer mehr<br />
Gestaltungselemente ergänzt, von denen eines erstaunlicher als das andere war.<br />
Am ungewöhnlichsten für die damalige Zeit waren eine Pagode, die von den<br />
Besitzern schnell als Salon de thé und Büro genutzt wurde, ein Khmertempel<br />
sowie eine Anlegestelle am See.<br />
Nach dem Tod von Alexandre Marcel im Jahr 1928 kümmerte sich seine<br />
Frau zusammen mit den Gärtnern – die nun die Einzigen waren, die das<br />
Wissen ihres ehemaligen Chefs über den orientalisierenden Stil vermitteln und<br />
umsetzen konnten – um den Unterhalt des Gartens. Nachdem Madeleine Marcel<br />
im Jahr 1945 ihrerseits starb, wurde das Anwesen allerdings verkauft. Zwei<br />
Religionsgemeinschaften in Folge unternahmen zwar alle Anstrengungen, den<br />
Park zu unterhalten, sie waren jedoch vom Ausmaß der Arbeiten überfordert.<br />
Die Natur setzte sich wieder durch, und die einheimischen Pflanzen gewannen<br />
erneut die Oberhand. Es schien, als sei das Ende des Parc Oriental eingeläutet<br />
…<br />
Doch man hatte die Rechnung ohne die Einwohner von Maulévrier gemacht,<br />
in deren kollektivem Gedächtnis der Ort einen starken Eindruck hinterlassen<br />
hatte. Anfang der 80er-Jahre beschloss die Gemeinde, den Park zu<br />
kaufen. 1982 gründeten die Einwohner den Verein Association du Parc Oriental.<br />
Die Mitglieder machten sich auf ehrenamtlicher Basis an die schwierige Aufgabe,<br />
den Parc Oriental wiederzubeleben. Sie fällten Bäume, schnitten Sträucher,<br />
räumten die Alleen frei, setzten die Seeufer wieder instand und listeten<br />
die vorhandenen Baumarten genau auf. Im Zuge der Arbeiten kamen die von<br />
Alexandre Marcel konzipierten Gestaltungselemente wieder zum Vorschein,<br />
und die Anstrengungen der Dorfbewohner, diesem Kulturerbe wieder neues<br />
Leben einzuhauchen, zahlten sich schließlich aus: 1985 wurde der Park wiedereröffnet.<br />
Für die Leitung wurden die ersten Mitarbeiter eingestellt, die jedoch<br />
nach wie vor von zahlreichen freiwilligen Helfern unterstützt wurden.<br />
Und 1987 machte sich die harte und detailgetreue Arbeit bezahlt: Der Parc<br />
Oriental de Maulévrier wurde von japanischen Professoren der Universität von<br />
Tokio offiziell als « Spazier- und Wandelgarten der Edo-Zeit » (17.-19. Jahrhundert)<br />
anerkannt. Daraufhin begann der Verein mit umfangreichen Recherchen<br />
über diese spezifische Periode in der Geschichte japanischer Gärten. 1994 reiste<br />
sogar ein Teil der Gärtner nach Japan, um dort zu lernen, welche Kriterien<br />
für Parks dieser Epoche gelten, welches Ambiente sie ausstrahlten und welche<br />
Schnitttechniken damals praktiziert wurden. Diese neu erworbenen Kenntnisse<br />
zusammen mit den von Alexandre Marcel hinterlassenen Archiven machten<br />
das Team zu regelrechten Spezialisten in diesem Bereich.<br />
Und so entwickelte sich ein Teil der Bevölkerung des kleinen Dorfes Maulévrier<br />
im Loiretal « fast per Zufall », aber durch Entschlossenheit und harte<br />
Arbeit zu international anerkannten Fachleuten für japanische Gärten aus der<br />
spezifischen Periode der Edo-Zeit. Eine schöne Geschichte, die den Besuch des<br />
Parc Oriental de Maulévrier noch berührender und eindrucksvoller macht!<br />
46 · Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2019</strong>