RZ_KleeblattHannover_Januar2017
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
KUNSTSEITE<br />
Eine Artothek bringt Kunst unters Volk. Wie eine<br />
Galerie. Die ganz großen Galerien protzen gern<br />
mit piekfeinen Adressen. Kudamm, Seitenstraße<br />
- oder KÖ in Düsseldorf. Artotheken sind bescheidener.<br />
Zum Beispiel: Vosstraße 11a, Hinterhof in der List. In<br />
vornehmen Galerien werden neben die Bilder gern ganz<br />
kleine Preisschilder an die Wand geheftet, auf denen die<br />
Nullen sich zu Dreier- Vierer- oder Fünfergruppen versammeln.<br />
In der hannoverschen Artothek gibt es eine<br />
große Auswahl, aber kein einziges Preisschild. Alle Bilder<br />
sind für 25 Euro zu haben. Dafür muss man die Werke aber<br />
auch nach drei Monaten wieder zurückbringen. Eine Artothek<br />
verleiht ihre Bilder nur. Man darf in der Vossstraße<br />
sonnabends zwischen 11 und 13 Uhr anklopfen. Dann<br />
öffnet Anke Pauli die schwere Stahltür, es sei denn, ein<br />
anderes Mitglied des gemeinnützigen Vereins „Artothek“<br />
hat gerade Dienst in dem kleinen Verkaufsraum, der mit<br />
zumeist bunten Bildern vollgestellt ist. Es sind knapp 80,<br />
unter denen man seine Auswahl treffen kann. Anke Pauli<br />
ist Geschäftsführerin des Vereins. Man könnte auch sagen:<br />
der Motor oder vielleicht sogar das Herz. Es muss einem<br />
schon eine Herzenssache sein, wenn man neben einer Familie<br />
mit zwei Kindern und einem Arbeitsplatz bei aha,<br />
dem Zweckverband Abfallwirtschaft, noch einen Verein<br />
am Laufen hält.<br />
12 KLEEBLATT 01 / 2017<br />
Aber das musste ja so kommen. Die Frau hat Kunstgeschichte<br />
in Bonn studiert und später, während eines Praktikums<br />
beim Deutschlandfunk, die Kunstsammlung des<br />
Senders eine Zeit lang betreut. „Ein großes Glück“, wie<br />
sie heute sagt. Der Deutschlandfunk hat, wie zum Beispiel<br />
auch der Westdeutsche Rundfunk, eine respektable Kunstsammlung,<br />
die aber im Funkhaus ein Kellerdasein fristete.<br />
Als man sich in Köln dann entschloss, die Kunst auch mal<br />
der Öffentlichkeit zu präsentieren, war mit Anke Pauli die<br />
richtige Fachfrau zur Stelle. Kunst aus der Versenkung zu<br />
holen und der Öffentlichkeit präsentieren - diese Arbeit<br />
hat ihr gefallen. Als sie Jahre später wieder nach Hannover<br />
kam, sie stammt aus Burgdorf, hat sie sich bald wieder<br />
ein ähnliches Kunstprojekt gesucht. Da fügte es sich gut,<br />
dass Hannover noch keine Artothek hatte. Die Marketingfachfrau<br />
hat damit eine Marktlücke entdeckt. Kunst zu<br />
verleihen, das ist zwar eine alte Idee, angeblich vor gut 200<br />
Jahren zum ersten Mal erprobt. Danach gab es auch immer<br />
mal wieder Versuche, diesen Gedanken neu zu beleben.<br />
Aber erst 1952 gründete der Kunstkritiker Franz Roh tatsächlich<br />
eine Bilderleihstelle in Berlin. Andere folgten seinem<br />
Beispiel. Und weil der Gedanke, ein Bild auszuleihen,<br />
irgendwie ja auch mit dem Bücherverleih verwandt ist,<br />
wurden die später folgenden Artotheken oft öffentlichen<br />
Bibliotheken angegliedert. Die Hannoveraner machen da<br />
allerdings eine Ausnahme. „Wir sind ein gemeinnütziger<br />
Verein, sozusagen eine Stand-alone-Lösung. Wir sind frei,<br />
wir können machen, was wir wollen«, sagt Anke Pauli.<br />
Eine Freiheit, die aber auch ihren Preis hat. Diese Artothek<br />
muss das Geld für ihre Arbeit selbst heranschaffen.<br />
Gearbeitet wird ehrenamtlich, Honorare gibt es nicht. Die<br />
ersten Schritte sind gemacht. Knapp hundert Personen stehen<br />
in der Kundenkartei und mehrere Unternehmen haben<br />
einen Vertrag geschlossen. Sie werden regelmäßig mit<br />
wechselnden Kunstwerken ausgestattet.<br />
Und auch die Kunst ist anders als von anderen Artotheken<br />
angeboten. „Outsider Art“ ist einer der Begriffe, die dafür<br />
geprägt wurden, oder wie Anke Pauli sagt: „Werke von<br />
Menschen, die abseits des etablierten Kunstbetriebs schaffen.“<br />
Das Angebot der Artothek wird gespeist aus dem<br />
Bilderfundus der AuE Kreativschule, ein Verein, der sich<br />
um Menschen mit psychischer Beeinträchtigung kümmert.<br />
Die Künstler, die im Klinikum Wahrendorff leben,<br />
trafen sich viele Jahre zum Malen im Sprengel Museum.<br />
In der langen Zeit sind Hunderte von Bildern entstanden,<br />
unter 80 ausgewählten Arbeiten können die Kunden der<br />
Artothek aussuchen. Kunst für kleines Geld anbieten, das<br />
will die Artothek Hannover. Anke Pauli hat dabei Leute<br />
im Sinn, die Abwechslung lieben, experimentieren wollen,<br />
sich auch mal ein Bild an die Wand hängen, über das<br />
man mit dem nächsten Besuch diskutieren kann. Und die<br />
Artothek soll Plattform sein zum Austausch über Malerei<br />
zwischen Künstlern und Kunstinteressierten.<br />
Da wäre noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Der Verein<br />
könnte sich auch um regionale Künstler kümmern, ihre<br />
Bilder ins Verleihprogramm nehmen. Erste Kontakte sind<br />
geknüpft. Das Echo ist gespalten. Mancher Kunstschaffende<br />
fürchtet, sein Bild nach zwei Jahren zurückzubekommen,<br />
vielleicht sogar ein bisschen ramponiert - und<br />
verkauft ist es dann immer noch nicht. Andere sehen eine<br />
Artothek durchaus als Chance, die eigene Kunst bekannt<br />
zu machen. Eine größere Artothek brauchte aber auch<br />
mehr Platz, müsste raus aus dem Hinterhofquartier, das<br />
zwar mit Chorprobenraum und Tangoschule im Stockwerk<br />
darüber eine durchaus inspirierende Nachbarschaft<br />
hat, aber nicht gerade die Laufkundschaft vor der Tür. Aber<br />
vielleicht tut sich ja da bald etwas. Anke Pauli hat es jedenfalls<br />
schon mal in den Terminkalender des Kulturdezernenten<br />
geschafft. Ein erster Schritt.