Leseprobe: Vor Taschendieben wird gewarnt
Leseprobe zu Renate Welsh: Vor Taschendieben wird gewarnt
Leseprobe zu Renate Welsh: Vor Taschendieben wird gewarnt
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Die Frau drehte sich nicht um. Erst als er neben<br />
ihr stand, wandte sie sich ihm zu.<br />
„Das ist Ihnen runtergefallen!“, wiederholte er.<br />
Die Frau grabschte nach der Brieftasche. „Du<br />
lieber Himmel! Und gerade heute, wo ich so viel Geld<br />
abgehoben habe, weil ich doch den Tischler bezahlen<br />
muss und die Fahrkarten abholen … Was bist du für<br />
ein braver Bub! Meine Nachbarin behauptet immer, es<br />
gibt keine guten Kinder mehr heutzutage, aber ich hab<br />
immer mit ihr gestritten, und siehst du, wer hat Recht<br />
gehabt? Ich hab Recht gehabt! Deine Mama kann stolz<br />
auf dich sein!“<br />
Das, dachte Percy, stimmt nun leider überhaupt<br />
nicht.<br />
Die alte Frau zog eine Fünfpfundnote aus ihrer<br />
Börse. „Das ist für dich! Und vielen, vielen Dank.“<br />
Der Pudel zerrte wild an der Leine.<br />
„Darling! Jetzt <strong>wird</strong> deine Mami aber bald wirklich<br />
böse auf dich! Wenn du so weitermachst, gibt’s<br />
heute keinen schönen Knochen“, drohte sie.<br />
Der Pudel kläffte.<br />
Percy steckte den Geldschein in die innerste Jackentasche<br />
und lief zum Bäcker. Es roch köstlich nach<br />
warmem Brot. Mit fünf Croissants und zwei Semmeln<br />
in einer Tüte schlenderte er zurück.<br />
<strong>Vor</strong> dem Haustor fiel ihm ein, dass es vielleicht<br />
keine gute Idee war, das Gebäck in einer Tüte zu bringen.<br />
Er verstaute alles einzeln in seinen Taschen, blies<br />
die Tüte auf und ließ sie zerplatzen. Der Knall war<br />
schön laut.<br />
Seine Mutter staunte, als er Stück um Stück aus<br />
seinen Taschen holte. Sie umarmte ihn und gab ihm<br />
einen Kuss.<br />
„Siehst du“, sagte sie, „man kann alles, wenn man<br />
nur will. Vielleicht <strong>wird</strong> doch noch was aus dir, und<br />
dann können mich deine Tanten …“ Sie hielt inne. <strong>Vor</strong><br />
ihrem Sohn schimpfte sie nur in Notfällen, und dies war<br />
keiner. Natürlich konnte man mit ein paar Croissants<br />
ihre Schwestern nicht beeindrucken, aber es war immerhin<br />
ein Anfang.<br />
Nach dem Frühstück ging sie mit Percy ins Kaufhaus<br />
und übte mit ihm, sich unauffällig zwischen den<br />
Ladentischen durchzuschlängeln und im Zickzack<br />
davonzulaufen. Er musste mögliche Verstecke erkennen<br />
und sich merken, wo die Notausgänge waren.<br />
Auf dem Heimweg prüfte sie , ob er sich auch<br />
alles gemerkt hatte. Sie war nicht unzufrieden. Zur<br />
Belohnung bekam er ein Eis, das sie ausnahmsweise<br />
bezahlte. Eis lässt sich schlecht klauen. Sie beschloss,<br />
dass sie beide einen freien Nachmittag verdient hatten.<br />
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