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Leseprobe Tante Edda in Gefahr

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1. Seltsame Zeichen<br />

Unsere <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hatte e<strong>in</strong> Geheimnis.<br />

Das fanden wir mitten <strong>in</strong> den Ferien heraus, me<strong>in</strong><br />

Bruder Ludwig und ich. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war gerade erst<br />

von e<strong>in</strong>er Weltreise zurückgekommen.<br />

Eigentlich wollten wir uns nur e<strong>in</strong>en Hammer<br />

ausborgen. Wir brauchten e<strong>in</strong>en für das Nagelbild<br />

über Ludwigs Bett. Mama hatte uns verboten, je<br />

wieder ihren Hammer zu nehmen.<br />

Halb fertig sah das Nagelbild aber blöd aus. Wie<br />

praktisch, dass <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> gleich nebenan wohnt<br />

und nie viele Fragen stellt!<br />

Wir g<strong>in</strong>gen also zum Nachbarhaus, durch den<br />

Vorgarten zur Tür und läuteten.<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> öffnete. Auf dem Kopf trug sie ihren<br />

Hut mit den blauen Federn, mit dem sie aussah<br />

wie e<strong>in</strong> hübscher Pfau.<br />

„Na, ihr zwei Zwetschken“, sagte sie. „Ihr seht ja<br />

genauso aus wie immer! Ke<strong>in</strong> Stück größer geworden!“<br />

„Wir brauchen e<strong>in</strong>en Hammer“, sagte Ludwig.<br />

Und dann: „Hallo, <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>, schön, dass du<br />

wieder da bist!“ Mama sagt nämlich immer, wir<br />

sollen höflich se<strong>in</strong>.<br />

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<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> lächelte. „Am tollsten war es <strong>in</strong><br />

Japan“, sagte sie. „Aber es ist schön, wieder hier zu<br />

se<strong>in</strong>. Kommt re<strong>in</strong>!“ Wir g<strong>in</strong>gen mit ihr <strong>in</strong>s Wohnzimmer<br />

und setzten uns auf die Couch.<br />

Es roch nach <strong>Tante</strong> und Kokosmilch.<br />

„Ich hole den Hammer“, sagte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>.<br />

Ich schaute mir wie immer die Fotos an der Wand<br />

an. Da war <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>, wie sie auf e<strong>in</strong>em Elefanten<br />

ritt, wie sie e<strong>in</strong>en Tiger streichelte und sogar mit<br />

e<strong>in</strong>em Hai tauchte. Auf e<strong>in</strong>em Foto sprang sie<br />

gerade mit e<strong>in</strong>em Fallschirm aus e<strong>in</strong>em Flugzeug!<br />

Unsere <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war wirklich mutig!<br />

Gerade dachte ich, dass ich selbst gern e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>en Tiger streicheln würde, da stieß Ludwig mich<br />

an und zeigte zum Sofatisch.<br />

Da lag e<strong>in</strong> Zettel mit lauter seltsamen Zeichen,<br />

die ich noch nie gesehen hatte. Buchstaben waren<br />

das jedenfalls ke<strong>in</strong>e.<br />

„E<strong>in</strong>e Geheimschrift“, flüsterte Ludwig. Er kam<br />

im Herbst schon <strong>in</strong> die vierte Klasse und musste es<br />

deshalb wissen.<br />

Doch bevor wir uns die Geheimschrift genauer<br />

ansehen konnten, waren <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Schritte zu<br />

hören.<br />

„Schnell weg!“, zischte Ludwig, und wir stellten<br />

uns so weit weg vom Sofatisch, wie wir konnten,<br />

und versuchten, nicht zu dem geheimen Zettel zu<br />

schauen. Trotzdem machte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> e<strong>in</strong> komisches<br />

Gesicht, als sie uns <strong>in</strong> der Ecke stehen sah.<br />

„Bitteschön“, sagte sie und gab Ludwig den<br />

Hammer, auf den ich schon ganz vergessen hatte.<br />

Dann schenkte sie uns e<strong>in</strong>e Tafel Nussschokolade,<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich damit wir nicht nach der Geheimschrift<br />

fragten, und machte die Tür h<strong>in</strong>ter uns zu.<br />

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10<br />

2. Auf geheimer Mission<br />

Am Nachmittag läutete <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> bei uns. Das<br />

war gut, denn Ludwig und ich hatten die ganze<br />

Zeit gegrübelt, warum sie e<strong>in</strong>en Zettel mit Geheimschrift<br />

zu Hause hatte.<br />

„E<strong>in</strong>es ist klar“, sagte Ludwig zu mir. „Freiwillig<br />

wird sie es uns nicht sagen. Sonst bräuchte sie ja<br />

ke<strong>in</strong>e Geheimschrift!“<br />

Da hatte er recht. Zum Glück hatte Ludwig schon<br />

e<strong>in</strong>en Plan.<br />

„Wir müssen nett se<strong>in</strong>“, sagte er. „Nett und<br />

unschuldig. Vielleicht kommt sie, um Mama von<br />

der Geheimschrift zu erzählen. Die beiden erzählen<br />

sich doch alles!“<br />

Ich nahm <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> also ihren rot-weiß<br />

getupften Hut ab und Ludwig säuselte: „Du siehst<br />

heute aber schön aus, <strong>Tante</strong>.“<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> lächelte. „Ihr seid heute aber besonders<br />

süß“, sagte sie, und dann sahen wir gleichzeitig,<br />

dass sie heute wirklich sehr hübsch aussah.<br />

An ihren Ohren funkelten zwei silberne Ohrr<strong>in</strong>ge<br />

und sie trug e<strong>in</strong> goldenes Armband.<br />

Ludwig bekam große Augen.<br />

„Komm mit!“, zischte er und packte me<strong>in</strong>e Hand.<br />

Wir rannten die Stufen h<strong>in</strong>auf <strong>in</strong> unser Zimmer und<br />

machten die Tür zu.<br />

„Woher hat sie den Schmuck?“, fragte Ludwig<br />

ganz außer Atem.<br />

„Gekauft“, sagte ich. „Auf ihrer Weltreise.“<br />

„Psst!“, machte Ludwig. „Wir müssen leise überlegen!<br />

Sanne hält Mittagsschlaf.“<br />

Sanne ist unsere kle<strong>in</strong>e Schwester. Sie schläft im<br />

Nebenzimmer, und wenn sie aufwacht, ist der Spaß<br />

vorbei, sagt Ludwig. Sanne kann stundenlang durch<br />

schreien, nur weil der Kakao aus ist oder sie ke<strong>in</strong>e<br />

Schokolade zum Abendessen haben darf. Zur Sicherheit<br />

quetschten wir uns unter Ludwigs Schreibtisch,<br />

damit wir bestimmt nicht belauscht wurden.<br />

„Also“, flüsterte Ludwig. „Von welchem Geld<br />

soll sie den Schmuck gekauft haben? <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

ist doch nicht reich!“<br />

„Vielleicht hat sie im Lotto gewonnen“, flüsterte<br />

ich zurück.<br />

Doch Ludwig schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß<br />

ich es!“, sagte er. „Jemand ist gestorben und hat ihr<br />

e<strong>in</strong>e Million h<strong>in</strong>terlassen!“<br />

„Psst!“, machte ich. „Sonst wacht Sanne auf!<br />

Außerdem hätte Mama uns das erzählt.“<br />

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„Hm“, flüsterte Ludwig. „Stimmt. Vielleicht hat<br />

sie e<strong>in</strong>e Bank ausgeraubt?“<br />

Jetzt musste ich lachen. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> und e<strong>in</strong>e<br />

Bankräuber<strong>in</strong>! „Sie ist doch nicht kim<strong>in</strong>ell“, sagte<br />

ich.<br />

„Das heißt krim<strong>in</strong>ell“, sagte Ludwig. „Und wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

hast du recht. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> ist außerdem<br />

sehr hübsch. Hübsche Frauen müssen ke<strong>in</strong>e Banken<br />

ausrauben, glaube ich.“<br />

Also überlegte ich weiter. „Als König<strong>in</strong>, zum<br />

Beispiel, bekommt man jeden Tag Gold und<br />

Diamanten!“<br />

Leider waren wir uns ziemlich sicher, dass <strong>Tante</strong><br />

<strong>Edda</strong> nicht König<strong>in</strong> geworden war.<br />

„Vielleicht Präsident<strong>in</strong>?“, fragte ich.<br />

Ludwig schüttelte den Kopf. „Präsidenten s<strong>in</strong>d<br />

dauernd im Fernsehen und sagen wichtige D<strong>in</strong>ge.<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war noch nie im Fernsehen. Ich glaube,<br />

es gibt nur e<strong>in</strong>e Erklärung.“ Er beugte sich ganz<br />

nah zu mir und flüsterte: „Sie hat e<strong>in</strong>en Geheimberuf!“<br />

„Das glaube ich nicht“, sagte ich. „<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hat<br />

doch schon e<strong>in</strong>en Beruf!“<br />

„Ach ja?“, fragte Ludwig und kniff die Augen<br />

zusammen. „Und welchen?“<br />

Jetzt mussten wir beide nachdenken. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

hatte schon tausend verschiedene D<strong>in</strong>ge gemacht.<br />

Sie ist Mamas jüngere Schwester und schon um die<br />

ganze Welt gereist. Aber was arbeitete sie bloß?<br />

„Fotograf<strong>in</strong>“, sagte ich. „Deshalb hängen überall<br />

Fotos.“<br />

„Auf den Fotos ist aber <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> drauf“, sagte<br />

Ludwig. „Also hat sie jemand anderer gemacht, ist<br />

doch klar.“<br />

„Vielleicht Köch<strong>in</strong>“, schlug ich vor. „<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

kann sehr gut kochen.“<br />

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Ludwig verzog das Gesicht. „Hat sie nicht e<strong>in</strong>mal<br />

bei e<strong>in</strong>er Zeitung gearbeitet?“<br />

„Wir müssen Mama fragen“, sagte ich. „Die weiß das.“<br />

Wir g<strong>in</strong>gen wieder h<strong>in</strong>unter, aber Mama und<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> saßen im Wohnzimmer und hatten die<br />

Wohnzimmertür zugemacht. Wir hörten die beiden<br />

kichern und lachen. An der Garderobe h<strong>in</strong>g <strong>Tante</strong><br />

<strong>Edda</strong>s rot-weiß getupfter Hut.<br />

Ludwig fuhr mit den F<strong>in</strong>gern darüber. „Was<br />

denkst du, Luise“, sagte er, „Warum trägt sie immer<br />

so komische Hüte?“<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Hüte waren wirklich sehr auffällig.<br />

Sie waren groß und bunt, mit Federn und Schnüren<br />

und Tüchern. E<strong>in</strong>er war voll mit Knöpfen und<br />

e<strong>in</strong> anderer hatte Augen, den hatte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

von e<strong>in</strong>er Reise mitgebracht. Ludwig und ich<br />

fanden ihn ziemlich unheimlich. Ich hatte mich<br />

selbst schon oft gefragt, warum jemand mit ganz<br />

normalen Haaren so seltsame Hüte trug.<br />

„Ke<strong>in</strong>e Ahnung“, sagte ich. „Und was machen<br />

wir jetzt? Wie f<strong>in</strong>den wir heraus, woher <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

das viele Geld hat?“<br />

„Wir fragen sie“, sagte Ludwig. „Das ist die e<strong>in</strong>zige<br />

Möglichkeit! Aber erst, wenn wir mit ihr alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d.<br />

Geheime D<strong>in</strong>ge sollten geheim bleiben!“<br />

14<br />

3. Der Geheimberuf<br />

Wir benahmen uns also den ganzen Nachmittag<br />

wie ganz normale K<strong>in</strong>der. Was <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> konnte,<br />

konnten wir schon lange!<br />

Die Erwachsenen redeten stundenlang im Wohnzimmer,<br />

bis Sanne aus ihrem Mittagsschlaf<br />

aufwachte. Dann trank <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> endlich ihren<br />

Eiskaffee aus, nahm ihren Hut und g<strong>in</strong>g. Wir liefen<br />

gleich h<strong>in</strong>terher, aber da rief jemand: „Luise!<br />

Ludwig! Jetzt lasst <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> doch mal e<strong>in</strong> bisschen<br />

<strong>in</strong> Frieden! Sie ist gestern erst angekommen.“<br />

Das war natürlich Mama. Immer muss sie unsere<br />

Pläne durchkreuzen!<br />

„Warum? Muss <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> arbeiten?“, fragte<br />

Ludwig unschuldig.<br />

„Sie hat noch nicht e<strong>in</strong>mal ihre Koffer ausgepackt“,<br />

sagte Mama.<br />

„Was arbeitet <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> denn?“, fragte ich.<br />

Mama g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Küche und schaltete den<br />

Geschirrspüler e<strong>in</strong>. „Sie hat schon so viel ausprobiert“,<br />

sagte sie. „Kellner<strong>in</strong>, Köch<strong>in</strong>, Reporter<strong>in</strong><br />

für e<strong>in</strong>e japanische Sushi-Zeitschrift … Und sie<br />

entwirft natürlich Hüte.“<br />

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„Sie entwirft diese Hüte selbst?“, fragte Ludwig<br />

ungläubig. „Diese Hüte?“<br />

„Aber ja!“, sagte Mama. „Sie hat immer Hüte<br />

gezeichnet, schon als wir kle<strong>in</strong> waren. Viel Geld<br />

verdient sie damit allerd<strong>in</strong>gs nicht. Aber wo ist<br />

eigentlich Sanne?“<br />

Sanne hatte gerade die Vase im Wohnzimmer<br />

entdeckt und begoss damit das Sofa. Mama stieß<br />

e<strong>in</strong>en Schrei aus.<br />

„Bume!“, sagte Sanne fröhlich. „Bume t<strong>in</strong>ken!“<br />

Ludwig und ich rannten <strong>in</strong> den Garten, bevor<br />

Mama e<strong>in</strong>e Aufgabe für uns e<strong>in</strong>fiel. Das Wasser<br />

aufwischen, zum Beispiel.<br />

Anstatt <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> nach ihrem geheimen Beruf<br />

zu fragen, mussten wir also im Garten spielen. Das<br />

Gute daran war, dass wir <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> dabei wenigstens<br />

beobachten konnten. So dachten wir jedenfalls.<br />

Unser Garten grenzt direkt an <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />

Garten. Allerd<strong>in</strong>gs wächst dazwischen e<strong>in</strong>e hohe<br />

hellgrüne Hecke, durch die man nicht schauen<br />

kann. Wenn wir <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> beobachten wollten,<br />

mussten wir uns etwas e<strong>in</strong>fallen lassen.<br />

„Wir machen e<strong>in</strong>e Räuberleiter“, sagte Ludwig.<br />

„Dann kann zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>er von uns etwas sehen!“<br />

Ich durfte h<strong>in</strong>auf, weil Ludwig zu schwer für<br />

mich ist.<br />

„Was siehst du?“, fragte Ludwig von unten. Ich<br />

versuchte, nicht umzufallen und gleichzeitig über<br />

die Hecke <strong>in</strong> <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Haus zu schauen. Das<br />

war nicht leicht.<br />

Auf e<strong>in</strong>mal tauchte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s rot-weißer Hut<br />

im Wohnzimmer auf. „Sie geht auf und ab“, sagte<br />

ich nach unten. „Im Wohnzimmer. Und sie hat<br />

etwas <strong>in</strong> der Hand. E<strong>in</strong>en Stift.“<br />

„Schreibt sie etwas auf?“, fragte Ludwig.<br />

„Geheimschrift?“<br />

„Ne<strong>in</strong>“, sagte ich. „Aber sie redet. Mit dem Stift.“<br />

Die Räuberleiter wackelte e<strong>in</strong> bisschen. Ludwig<br />

ächzte. „Sie redet mit dem Stift? Ist sie verrückt<br />

geworden? Luise, wackle doch nicht so viel!“<br />

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Dann kippte Ludwig unter mir um und ich fiel<br />

genau auf ihn drauf. Zum Glück tat ich mir nicht<br />

weh, aber me<strong>in</strong> Ellbogen traf Ludwig <strong>in</strong>s Gesicht.<br />

Se<strong>in</strong>e Nase begann wie verrückt zu bluten, deshalb<br />

mussten wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen und es Mama sagen.<br />

„Spielt jetzt bitte etwas Vorsichtigeres!“, sagte<br />

Mama, nachdem sie Ludwigs Nase verstopft hatte.<br />

Obwohl sie gar nicht wusste, was wir gespielt hatten!<br />

Als wir zurück <strong>in</strong> den Garten kamen, war <strong>Tante</strong><br />

<strong>Edda</strong> natürlich nicht mehr <strong>in</strong> ihrem Wohnzimmer.<br />

Wir setzten uns <strong>in</strong>s Gras. Ludwig sah sehr<br />

zufrieden aus. „Ich weiß jetzt, was <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />

geheimer Beruf ist!“, sagte er. Er sah mich an, als<br />

müsste ich es auch längst wissen.<br />

Dann beugte er sich zu me<strong>in</strong>em Ohr und flüsterte:<br />

„E<strong>in</strong>e Geheimagent<strong>in</strong>!“<br />

„Was?“, fragte ich. „Wieso denn?“<br />

„Na, wegen dem Stift!“, rief Ludwig. „Jeder<br />

weiß, dass echte Geheimagenten solche Stifte<br />

haben! Außerdem merken sie es sofort, wenn<br />

sie beobachtet werden. Sie sehen sich das e<strong>in</strong>e<br />

Weile an und dann verschw<strong>in</strong>den sie plötzlich und<br />

niemand weiß, woh<strong>in</strong>. Deshalb hat sie auch dieses<br />

grässliche Auto!“<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Auto war rot und rostig und e<strong>in</strong><br />

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Seitenspiegel fehlte. Trotzdem wurde <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

nie von der Polizei aufgehalten, obwohl Mama<br />

sagte, Polizisten gäbe es wirklich genug <strong>in</strong> unserem<br />

Dorf. Und als Mama e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Seitenspiegel<br />

abgebrochen war, musste sie gleich hundert Euro<br />

Strafe zahlen! <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> aber, und das hatten wir<br />

jetzt durchschaut, musste vor der Polizei ke<strong>in</strong>e<br />

Angst haben. Sie zeigte wohl nur ihren Geheimagent<strong>in</strong>nenausweis<br />

her, und dann mussten die Polizisten<br />

hoch und heilig schwören, niemandem etwas<br />

zu verraten.<br />

„Außerdem“, sagte ich zu Ludwig, „sieht <strong>Tante</strong><br />

<strong>Edda</strong> mit dem Auto richtig alt aus. Wie e<strong>in</strong>e alte<br />

langweilige <strong>Tante</strong>. Obwohl sie noch so jung ist.“<br />

Ludwig schnipste mit den F<strong>in</strong>gern. „Klar“,<br />

sagte er. „Als langweilige <strong>Tante</strong> kann man ke<strong>in</strong><br />

tolles Auto haben. Sonst würden alle misstrauisch<br />

werden. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hat wirklich alles bedacht!“<br />

Da fiel mir noch etwas e<strong>in</strong>. „Und der Schmuck?“<br />

„E<strong>in</strong>e Belohnung, weil sie e<strong>in</strong>en schwierigen Fall<br />

gelöst hat!“<br />

„Und die Hüte?“<br />

„Ablenkung“, sagte Ludwig. „Pure Ablenkung!“<br />

Und damit war es klar: <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war e<strong>in</strong>e<br />

Geheimagent<strong>in</strong>!<br />

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20<br />

4. Bei <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> <strong>in</strong> der Nacht<br />

Ludwig wollte mit mir <strong>in</strong> der Nacht <strong>in</strong> <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />

Haus e<strong>in</strong>brechen und den Stift holen, damit wir ihn<br />

uns ansehen konnten. Ich fand die Idee e<strong>in</strong> bisschen<br />

gefährlich. Wir wussten ja nicht, ob <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Waffe hatte und wie sie mit E<strong>in</strong>brechern umg<strong>in</strong>g!<br />

„Ke<strong>in</strong>e Angst, ich beschütze dich“, sagte Ludwig<br />

großspurig. Ich sagte lieber nichts davon, dass er<br />

noch nicht mal <strong>in</strong> die vierte Klasse g<strong>in</strong>g.<br />

Am Abend sagten wir Mama und Sanne Gute Nacht,<br />

und dann taten wir e<strong>in</strong>e halbe Ewigkeit lang so, als<br />

würden wir schlafen. In Wirklichkeit saßen wir hellwach<br />

und mucksmäuschenstill <strong>in</strong> unseren Betten.<br />

Nebenan schlief Sanne und durfte auf ke<strong>in</strong>en<br />

Fall aufwachen, denn sonst würde sie Mama auch<br />

aufwecken.<br />

„Pst“, machte Ludwig irgendwann. „Denkst du,<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> schläft schon?“<br />

„Ich glaube schon“, sagte ich. „Ihr Haus ist dunkel.“<br />

„Gut“, flüsterte Ludwig. „Ich glaube, wir können!“<br />

In diesem Moment wurde draußen e<strong>in</strong>e Tür<br />

geöffnet. Wir stürzten zum Fenster. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

stand an ihrer Haustür und sperrte von außen zu.<br />

Sie trug Stöckelschuhe, e<strong>in</strong> silbernes Kleid und<br />

e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>zige Handtasche.<br />

„Sie trägt ke<strong>in</strong>en Hut“, wisperte Ludwig aufgeregt.<br />

„Das passt zu unserer Idee! Als Agent<strong>in</strong> muss sie unauffällig<br />

se<strong>in</strong>, da kann man ke<strong>in</strong>en Hut mit Augen tragen!“<br />

Mit kle<strong>in</strong>en, schnellen Schritten g<strong>in</strong>g <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

durch den Vorgarten und zu ihrem rostigen Auto.<br />

Bevor sie e<strong>in</strong>stieg, schaute sie sich um, ob sie<br />

verfolgt wurde. Dann stieg sie e<strong>in</strong> und fuhr davon.<br />

Das war unsere Gelegenheit!<br />

Wir schlichen aus dem Zimmer, die dunkle<br />

Treppe h<strong>in</strong>unter und aus dem Haus. Draußen war<br />

es zu kalt für me<strong>in</strong>en Pyjama, aber ich jammerte<br />

nicht. Ludwig sollte nicht denken, dass ich für<br />

E<strong>in</strong>brüche zu kle<strong>in</strong> war.<br />

„Sie hat sicher e<strong>in</strong>en Auftrag“, sagte Ludwig.<br />

„Irgendwo tauscht sie jetzt ihr altes Auto gegen e<strong>in</strong><br />

Agentenauto aus.“<br />

„Schlau“, sagte ich. „Sollen wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen und<br />

den Stift holen?“<br />

Ludwig nickte, aber als wir vor der Tür standen,<br />

fiel uns e<strong>in</strong>, dass <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> zugesperrt hatte. „So<br />

e<strong>in</strong> Mist!“, sagte Ludwig.<br />

„Vielleicht durchs Fenster?“, fragte ich.<br />

„Es ist Sommer, da s<strong>in</strong>d viele Fenster offen.“<br />

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Doch Ludwig deutete nach oben. Über der Tür<br />

bl<strong>in</strong>kte e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es rotes Licht. „E<strong>in</strong>e Alarmanlage“,<br />

sagte Ludwig und erklärte mir, dass jeder gute<br />

Geheimagent e<strong>in</strong>e Alarmanlage <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus<br />

hat. Und <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war bestimmt e<strong>in</strong>e der besten!<br />

„So e<strong>in</strong> Mist“, sagte ich auch und gähnte. „Jetzt<br />

s<strong>in</strong>d wir ganz umsonst aufgeblieben.“<br />

„Wir hätten uns <strong>in</strong> ihrem Auto verstecken<br />

sollen!“, sagte Ludwig, aber weil wir das nicht<br />

getan hatten, mussten wir warten, bis <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />

zurückkam. Wir setzten uns auf die Stufen vor<br />

<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Haustür und ich lehnte den Kopf<br />

gegen Ludwigs Schulter. Irgendwann g<strong>in</strong>gen alle<br />

Straßenlaternen gleichzeitig aus. Jetzt war es ganz<br />

dunkel <strong>in</strong> unserer Straße und <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war noch<br />

immer nicht zurück.<br />

„Denkst du, ihr ist was passiert?“, fragte ich<br />

schließlich.<br />

Ludwig schüttelte den Kopf.<br />

„Echte Geheimagententreffen dauern die ganze<br />

Nacht“, sagte er. Vor Müdigkeit hatte er schon ganz<br />

kle<strong>in</strong>e Augen. „Oder sogar mehrere Nächte.“ Und<br />

weil wir nicht wussten, wie viele Nächte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />

Treffen dauern würde, und es langsam wirklich kalt<br />

wurde, g<strong>in</strong>gen wir eben doch nach Hause schlafen.<br />

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