Leseprobe Tante Edda in Gefahr
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
1. Seltsame Zeichen<br />
Unsere <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hatte e<strong>in</strong> Geheimnis.<br />
Das fanden wir mitten <strong>in</strong> den Ferien heraus, me<strong>in</strong><br />
Bruder Ludwig und ich. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war gerade erst<br />
von e<strong>in</strong>er Weltreise zurückgekommen.<br />
Eigentlich wollten wir uns nur e<strong>in</strong>en Hammer<br />
ausborgen. Wir brauchten e<strong>in</strong>en für das Nagelbild<br />
über Ludwigs Bett. Mama hatte uns verboten, je<br />
wieder ihren Hammer zu nehmen.<br />
Halb fertig sah das Nagelbild aber blöd aus. Wie<br />
praktisch, dass <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> gleich nebenan wohnt<br />
und nie viele Fragen stellt!<br />
Wir g<strong>in</strong>gen also zum Nachbarhaus, durch den<br />
Vorgarten zur Tür und läuteten.<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> öffnete. Auf dem Kopf trug sie ihren<br />
Hut mit den blauen Federn, mit dem sie aussah<br />
wie e<strong>in</strong> hübscher Pfau.<br />
„Na, ihr zwei Zwetschken“, sagte sie. „Ihr seht ja<br />
genauso aus wie immer! Ke<strong>in</strong> Stück größer geworden!“<br />
„Wir brauchen e<strong>in</strong>en Hammer“, sagte Ludwig.<br />
Und dann: „Hallo, <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>, schön, dass du<br />
wieder da bist!“ Mama sagt nämlich immer, wir<br />
sollen höflich se<strong>in</strong>.<br />
7
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> lächelte. „Am tollsten war es <strong>in</strong><br />
Japan“, sagte sie. „Aber es ist schön, wieder hier zu<br />
se<strong>in</strong>. Kommt re<strong>in</strong>!“ Wir g<strong>in</strong>gen mit ihr <strong>in</strong>s Wohnzimmer<br />
und setzten uns auf die Couch.<br />
Es roch nach <strong>Tante</strong> und Kokosmilch.<br />
„Ich hole den Hammer“, sagte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>.<br />
Ich schaute mir wie immer die Fotos an der Wand<br />
an. Da war <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>, wie sie auf e<strong>in</strong>em Elefanten<br />
ritt, wie sie e<strong>in</strong>en Tiger streichelte und sogar mit<br />
e<strong>in</strong>em Hai tauchte. Auf e<strong>in</strong>em Foto sprang sie<br />
gerade mit e<strong>in</strong>em Fallschirm aus e<strong>in</strong>em Flugzeug!<br />
Unsere <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war wirklich mutig!<br />
Gerade dachte ich, dass ich selbst gern e<strong>in</strong>mal<br />
e<strong>in</strong>en Tiger streicheln würde, da stieß Ludwig mich<br />
an und zeigte zum Sofatisch.<br />
Da lag e<strong>in</strong> Zettel mit lauter seltsamen Zeichen,<br />
die ich noch nie gesehen hatte. Buchstaben waren<br />
das jedenfalls ke<strong>in</strong>e.<br />
„E<strong>in</strong>e Geheimschrift“, flüsterte Ludwig. Er kam<br />
im Herbst schon <strong>in</strong> die vierte Klasse und musste es<br />
deshalb wissen.<br />
Doch bevor wir uns die Geheimschrift genauer<br />
ansehen konnten, waren <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Schritte zu<br />
hören.<br />
„Schnell weg!“, zischte Ludwig, und wir stellten<br />
uns so weit weg vom Sofatisch, wie wir konnten,<br />
und versuchten, nicht zu dem geheimen Zettel zu<br />
schauen. Trotzdem machte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> e<strong>in</strong> komisches<br />
Gesicht, als sie uns <strong>in</strong> der Ecke stehen sah.<br />
„Bitteschön“, sagte sie und gab Ludwig den<br />
Hammer, auf den ich schon ganz vergessen hatte.<br />
Dann schenkte sie uns e<strong>in</strong>e Tafel Nussschokolade,<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich damit wir nicht nach der Geheimschrift<br />
fragten, und machte die Tür h<strong>in</strong>ter uns zu.<br />
8
10<br />
2. Auf geheimer Mission<br />
Am Nachmittag läutete <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> bei uns. Das<br />
war gut, denn Ludwig und ich hatten die ganze<br />
Zeit gegrübelt, warum sie e<strong>in</strong>en Zettel mit Geheimschrift<br />
zu Hause hatte.<br />
„E<strong>in</strong>es ist klar“, sagte Ludwig zu mir. „Freiwillig<br />
wird sie es uns nicht sagen. Sonst bräuchte sie ja<br />
ke<strong>in</strong>e Geheimschrift!“<br />
Da hatte er recht. Zum Glück hatte Ludwig schon<br />
e<strong>in</strong>en Plan.<br />
„Wir müssen nett se<strong>in</strong>“, sagte er. „Nett und<br />
unschuldig. Vielleicht kommt sie, um Mama von<br />
der Geheimschrift zu erzählen. Die beiden erzählen<br />
sich doch alles!“<br />
Ich nahm <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> also ihren rot-weiß<br />
getupften Hut ab und Ludwig säuselte: „Du siehst<br />
heute aber schön aus, <strong>Tante</strong>.“<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> lächelte. „Ihr seid heute aber besonders<br />
süß“, sagte sie, und dann sahen wir gleichzeitig,<br />
dass sie heute wirklich sehr hübsch aussah.<br />
An ihren Ohren funkelten zwei silberne Ohrr<strong>in</strong>ge<br />
und sie trug e<strong>in</strong> goldenes Armband.<br />
Ludwig bekam große Augen.<br />
„Komm mit!“, zischte er und packte me<strong>in</strong>e Hand.<br />
Wir rannten die Stufen h<strong>in</strong>auf <strong>in</strong> unser Zimmer und<br />
machten die Tür zu.<br />
„Woher hat sie den Schmuck?“, fragte Ludwig<br />
ganz außer Atem.<br />
„Gekauft“, sagte ich. „Auf ihrer Weltreise.“<br />
„Psst!“, machte Ludwig. „Wir müssen leise überlegen!<br />
Sanne hält Mittagsschlaf.“<br />
Sanne ist unsere kle<strong>in</strong>e Schwester. Sie schläft im<br />
Nebenzimmer, und wenn sie aufwacht, ist der Spaß<br />
vorbei, sagt Ludwig. Sanne kann stundenlang durch<br />
schreien, nur weil der Kakao aus ist oder sie ke<strong>in</strong>e<br />
Schokolade zum Abendessen haben darf. Zur Sicherheit<br />
quetschten wir uns unter Ludwigs Schreibtisch,<br />
damit wir bestimmt nicht belauscht wurden.<br />
„Also“, flüsterte Ludwig. „Von welchem Geld<br />
soll sie den Schmuck gekauft haben? <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
ist doch nicht reich!“<br />
„Vielleicht hat sie im Lotto gewonnen“, flüsterte<br />
ich zurück.<br />
Doch Ludwig schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß<br />
ich es!“, sagte er. „Jemand ist gestorben und hat ihr<br />
e<strong>in</strong>e Million h<strong>in</strong>terlassen!“<br />
„Psst!“, machte ich. „Sonst wacht Sanne auf!<br />
Außerdem hätte Mama uns das erzählt.“<br />
11
„Hm“, flüsterte Ludwig. „Stimmt. Vielleicht hat<br />
sie e<strong>in</strong>e Bank ausgeraubt?“<br />
Jetzt musste ich lachen. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> und e<strong>in</strong>e<br />
Bankräuber<strong>in</strong>! „Sie ist doch nicht kim<strong>in</strong>ell“, sagte<br />
ich.<br />
„Das heißt krim<strong>in</strong>ell“, sagte Ludwig. „Und wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
hast du recht. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> ist außerdem<br />
sehr hübsch. Hübsche Frauen müssen ke<strong>in</strong>e Banken<br />
ausrauben, glaube ich.“<br />
Also überlegte ich weiter. „Als König<strong>in</strong>, zum<br />
Beispiel, bekommt man jeden Tag Gold und<br />
Diamanten!“<br />
Leider waren wir uns ziemlich sicher, dass <strong>Tante</strong><br />
<strong>Edda</strong> nicht König<strong>in</strong> geworden war.<br />
„Vielleicht Präsident<strong>in</strong>?“, fragte ich.<br />
Ludwig schüttelte den Kopf. „Präsidenten s<strong>in</strong>d<br />
dauernd im Fernsehen und sagen wichtige D<strong>in</strong>ge.<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war noch nie im Fernsehen. Ich glaube,<br />
es gibt nur e<strong>in</strong>e Erklärung.“ Er beugte sich ganz<br />
nah zu mir und flüsterte: „Sie hat e<strong>in</strong>en Geheimberuf!“<br />
„Das glaube ich nicht“, sagte ich. „<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hat<br />
doch schon e<strong>in</strong>en Beruf!“<br />
„Ach ja?“, fragte Ludwig und kniff die Augen<br />
zusammen. „Und welchen?“<br />
Jetzt mussten wir beide nachdenken. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
hatte schon tausend verschiedene D<strong>in</strong>ge gemacht.<br />
Sie ist Mamas jüngere Schwester und schon um die<br />
ganze Welt gereist. Aber was arbeitete sie bloß?<br />
„Fotograf<strong>in</strong>“, sagte ich. „Deshalb hängen überall<br />
Fotos.“<br />
„Auf den Fotos ist aber <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> drauf“, sagte<br />
Ludwig. „Also hat sie jemand anderer gemacht, ist<br />
doch klar.“<br />
„Vielleicht Köch<strong>in</strong>“, schlug ich vor. „<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
kann sehr gut kochen.“<br />
12
Ludwig verzog das Gesicht. „Hat sie nicht e<strong>in</strong>mal<br />
bei e<strong>in</strong>er Zeitung gearbeitet?“<br />
„Wir müssen Mama fragen“, sagte ich. „Die weiß das.“<br />
Wir g<strong>in</strong>gen wieder h<strong>in</strong>unter, aber Mama und<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> saßen im Wohnzimmer und hatten die<br />
Wohnzimmertür zugemacht. Wir hörten die beiden<br />
kichern und lachen. An der Garderobe h<strong>in</strong>g <strong>Tante</strong><br />
<strong>Edda</strong>s rot-weiß getupfter Hut.<br />
Ludwig fuhr mit den F<strong>in</strong>gern darüber. „Was<br />
denkst du, Luise“, sagte er, „Warum trägt sie immer<br />
so komische Hüte?“<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Hüte waren wirklich sehr auffällig.<br />
Sie waren groß und bunt, mit Federn und Schnüren<br />
und Tüchern. E<strong>in</strong>er war voll mit Knöpfen und<br />
e<strong>in</strong> anderer hatte Augen, den hatte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
von e<strong>in</strong>er Reise mitgebracht. Ludwig und ich<br />
fanden ihn ziemlich unheimlich. Ich hatte mich<br />
selbst schon oft gefragt, warum jemand mit ganz<br />
normalen Haaren so seltsame Hüte trug.<br />
„Ke<strong>in</strong>e Ahnung“, sagte ich. „Und was machen<br />
wir jetzt? Wie f<strong>in</strong>den wir heraus, woher <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
das viele Geld hat?“<br />
„Wir fragen sie“, sagte Ludwig. „Das ist die e<strong>in</strong>zige<br />
Möglichkeit! Aber erst, wenn wir mit ihr alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d.<br />
Geheime D<strong>in</strong>ge sollten geheim bleiben!“<br />
14<br />
3. Der Geheimberuf<br />
Wir benahmen uns also den ganzen Nachmittag<br />
wie ganz normale K<strong>in</strong>der. Was <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> konnte,<br />
konnten wir schon lange!<br />
Die Erwachsenen redeten stundenlang im Wohnzimmer,<br />
bis Sanne aus ihrem Mittagsschlaf<br />
aufwachte. Dann trank <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> endlich ihren<br />
Eiskaffee aus, nahm ihren Hut und g<strong>in</strong>g. Wir liefen<br />
gleich h<strong>in</strong>terher, aber da rief jemand: „Luise!<br />
Ludwig! Jetzt lasst <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> doch mal e<strong>in</strong> bisschen<br />
<strong>in</strong> Frieden! Sie ist gestern erst angekommen.“<br />
Das war natürlich Mama. Immer muss sie unsere<br />
Pläne durchkreuzen!<br />
„Warum? Muss <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> arbeiten?“, fragte<br />
Ludwig unschuldig.<br />
„Sie hat noch nicht e<strong>in</strong>mal ihre Koffer ausgepackt“,<br />
sagte Mama.<br />
„Was arbeitet <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> denn?“, fragte ich.<br />
Mama g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Küche und schaltete den<br />
Geschirrspüler e<strong>in</strong>. „Sie hat schon so viel ausprobiert“,<br />
sagte sie. „Kellner<strong>in</strong>, Köch<strong>in</strong>, Reporter<strong>in</strong><br />
für e<strong>in</strong>e japanische Sushi-Zeitschrift … Und sie<br />
entwirft natürlich Hüte.“<br />
15
„Sie entwirft diese Hüte selbst?“, fragte Ludwig<br />
ungläubig. „Diese Hüte?“<br />
„Aber ja!“, sagte Mama. „Sie hat immer Hüte<br />
gezeichnet, schon als wir kle<strong>in</strong> waren. Viel Geld<br />
verdient sie damit allerd<strong>in</strong>gs nicht. Aber wo ist<br />
eigentlich Sanne?“<br />
Sanne hatte gerade die Vase im Wohnzimmer<br />
entdeckt und begoss damit das Sofa. Mama stieß<br />
e<strong>in</strong>en Schrei aus.<br />
„Bume!“, sagte Sanne fröhlich. „Bume t<strong>in</strong>ken!“<br />
Ludwig und ich rannten <strong>in</strong> den Garten, bevor<br />
Mama e<strong>in</strong>e Aufgabe für uns e<strong>in</strong>fiel. Das Wasser<br />
aufwischen, zum Beispiel.<br />
Anstatt <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> nach ihrem geheimen Beruf<br />
zu fragen, mussten wir also im Garten spielen. Das<br />
Gute daran war, dass wir <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> dabei wenigstens<br />
beobachten konnten. So dachten wir jedenfalls.<br />
Unser Garten grenzt direkt an <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />
Garten. Allerd<strong>in</strong>gs wächst dazwischen e<strong>in</strong>e hohe<br />
hellgrüne Hecke, durch die man nicht schauen<br />
kann. Wenn wir <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> beobachten wollten,<br />
mussten wir uns etwas e<strong>in</strong>fallen lassen.<br />
„Wir machen e<strong>in</strong>e Räuberleiter“, sagte Ludwig.<br />
„Dann kann zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>er von uns etwas sehen!“<br />
Ich durfte h<strong>in</strong>auf, weil Ludwig zu schwer für<br />
mich ist.<br />
„Was siehst du?“, fragte Ludwig von unten. Ich<br />
versuchte, nicht umzufallen und gleichzeitig über<br />
die Hecke <strong>in</strong> <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Haus zu schauen. Das<br />
war nicht leicht.<br />
Auf e<strong>in</strong>mal tauchte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s rot-weißer Hut<br />
im Wohnzimmer auf. „Sie geht auf und ab“, sagte<br />
ich nach unten. „Im Wohnzimmer. Und sie hat<br />
etwas <strong>in</strong> der Hand. E<strong>in</strong>en Stift.“<br />
„Schreibt sie etwas auf?“, fragte Ludwig.<br />
„Geheimschrift?“<br />
„Ne<strong>in</strong>“, sagte ich. „Aber sie redet. Mit dem Stift.“<br />
Die Räuberleiter wackelte e<strong>in</strong> bisschen. Ludwig<br />
ächzte. „Sie redet mit dem Stift? Ist sie verrückt<br />
geworden? Luise, wackle doch nicht so viel!“<br />
16
Dann kippte Ludwig unter mir um und ich fiel<br />
genau auf ihn drauf. Zum Glück tat ich mir nicht<br />
weh, aber me<strong>in</strong> Ellbogen traf Ludwig <strong>in</strong>s Gesicht.<br />
Se<strong>in</strong>e Nase begann wie verrückt zu bluten, deshalb<br />
mussten wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen und es Mama sagen.<br />
„Spielt jetzt bitte etwas Vorsichtigeres!“, sagte<br />
Mama, nachdem sie Ludwigs Nase verstopft hatte.<br />
Obwohl sie gar nicht wusste, was wir gespielt hatten!<br />
Als wir zurück <strong>in</strong> den Garten kamen, war <strong>Tante</strong><br />
<strong>Edda</strong> natürlich nicht mehr <strong>in</strong> ihrem Wohnzimmer.<br />
Wir setzten uns <strong>in</strong>s Gras. Ludwig sah sehr<br />
zufrieden aus. „Ich weiß jetzt, was <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />
geheimer Beruf ist!“, sagte er. Er sah mich an, als<br />
müsste ich es auch längst wissen.<br />
Dann beugte er sich zu me<strong>in</strong>em Ohr und flüsterte:<br />
„E<strong>in</strong>e Geheimagent<strong>in</strong>!“<br />
„Was?“, fragte ich. „Wieso denn?“<br />
„Na, wegen dem Stift!“, rief Ludwig. „Jeder<br />
weiß, dass echte Geheimagenten solche Stifte<br />
haben! Außerdem merken sie es sofort, wenn<br />
sie beobachtet werden. Sie sehen sich das e<strong>in</strong>e<br />
Weile an und dann verschw<strong>in</strong>den sie plötzlich und<br />
niemand weiß, woh<strong>in</strong>. Deshalb hat sie auch dieses<br />
grässliche Auto!“<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Auto war rot und rostig und e<strong>in</strong><br />
18<br />
Seitenspiegel fehlte. Trotzdem wurde <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
nie von der Polizei aufgehalten, obwohl Mama<br />
sagte, Polizisten gäbe es wirklich genug <strong>in</strong> unserem<br />
Dorf. Und als Mama e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Seitenspiegel<br />
abgebrochen war, musste sie gleich hundert Euro<br />
Strafe zahlen! <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> aber, und das hatten wir<br />
jetzt durchschaut, musste vor der Polizei ke<strong>in</strong>e<br />
Angst haben. Sie zeigte wohl nur ihren Geheimagent<strong>in</strong>nenausweis<br />
her, und dann mussten die Polizisten<br />
hoch und heilig schwören, niemandem etwas<br />
zu verraten.<br />
„Außerdem“, sagte ich zu Ludwig, „sieht <strong>Tante</strong><br />
<strong>Edda</strong> mit dem Auto richtig alt aus. Wie e<strong>in</strong>e alte<br />
langweilige <strong>Tante</strong>. Obwohl sie noch so jung ist.“<br />
Ludwig schnipste mit den F<strong>in</strong>gern. „Klar“,<br />
sagte er. „Als langweilige <strong>Tante</strong> kann man ke<strong>in</strong><br />
tolles Auto haben. Sonst würden alle misstrauisch<br />
werden. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> hat wirklich alles bedacht!“<br />
Da fiel mir noch etwas e<strong>in</strong>. „Und der Schmuck?“<br />
„E<strong>in</strong>e Belohnung, weil sie e<strong>in</strong>en schwierigen Fall<br />
gelöst hat!“<br />
„Und die Hüte?“<br />
„Ablenkung“, sagte Ludwig. „Pure Ablenkung!“<br />
Und damit war es klar: <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war e<strong>in</strong>e<br />
Geheimagent<strong>in</strong>!<br />
19
20<br />
4. Bei <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> <strong>in</strong> der Nacht<br />
Ludwig wollte mit mir <strong>in</strong> der Nacht <strong>in</strong> <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />
Haus e<strong>in</strong>brechen und den Stift holen, damit wir ihn<br />
uns ansehen konnten. Ich fand die Idee e<strong>in</strong> bisschen<br />
gefährlich. Wir wussten ja nicht, ob <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Waffe hatte und wie sie mit E<strong>in</strong>brechern umg<strong>in</strong>g!<br />
„Ke<strong>in</strong>e Angst, ich beschütze dich“, sagte Ludwig<br />
großspurig. Ich sagte lieber nichts davon, dass er<br />
noch nicht mal <strong>in</strong> die vierte Klasse g<strong>in</strong>g.<br />
Am Abend sagten wir Mama und Sanne Gute Nacht,<br />
und dann taten wir e<strong>in</strong>e halbe Ewigkeit lang so, als<br />
würden wir schlafen. In Wirklichkeit saßen wir hellwach<br />
und mucksmäuschenstill <strong>in</strong> unseren Betten.<br />
Nebenan schlief Sanne und durfte auf ke<strong>in</strong>en<br />
Fall aufwachen, denn sonst würde sie Mama auch<br />
aufwecken.<br />
„Pst“, machte Ludwig irgendwann. „Denkst du,<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> schläft schon?“<br />
„Ich glaube schon“, sagte ich. „Ihr Haus ist dunkel.“<br />
„Gut“, flüsterte Ludwig. „Ich glaube, wir können!“<br />
In diesem Moment wurde draußen e<strong>in</strong>e Tür<br />
geöffnet. Wir stürzten zum Fenster. <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
stand an ihrer Haustür und sperrte von außen zu.<br />
Sie trug Stöckelschuhe, e<strong>in</strong> silbernes Kleid und<br />
e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>zige Handtasche.<br />
„Sie trägt ke<strong>in</strong>en Hut“, wisperte Ludwig aufgeregt.<br />
„Das passt zu unserer Idee! Als Agent<strong>in</strong> muss sie unauffällig<br />
se<strong>in</strong>, da kann man ke<strong>in</strong>en Hut mit Augen tragen!“<br />
Mit kle<strong>in</strong>en, schnellen Schritten g<strong>in</strong>g <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
durch den Vorgarten und zu ihrem rostigen Auto.<br />
Bevor sie e<strong>in</strong>stieg, schaute sie sich um, ob sie<br />
verfolgt wurde. Dann stieg sie e<strong>in</strong> und fuhr davon.<br />
Das war unsere Gelegenheit!<br />
Wir schlichen aus dem Zimmer, die dunkle<br />
Treppe h<strong>in</strong>unter und aus dem Haus. Draußen war<br />
es zu kalt für me<strong>in</strong>en Pyjama, aber ich jammerte<br />
nicht. Ludwig sollte nicht denken, dass ich für<br />
E<strong>in</strong>brüche zu kle<strong>in</strong> war.<br />
„Sie hat sicher e<strong>in</strong>en Auftrag“, sagte Ludwig.<br />
„Irgendwo tauscht sie jetzt ihr altes Auto gegen e<strong>in</strong><br />
Agentenauto aus.“<br />
„Schlau“, sagte ich. „Sollen wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen und<br />
den Stift holen?“<br />
Ludwig nickte, aber als wir vor der Tür standen,<br />
fiel uns e<strong>in</strong>, dass <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> zugesperrt hatte. „So<br />
e<strong>in</strong> Mist!“, sagte Ludwig.<br />
„Vielleicht durchs Fenster?“, fragte ich.<br />
„Es ist Sommer, da s<strong>in</strong>d viele Fenster offen.“<br />
21
Doch Ludwig deutete nach oben. Über der Tür<br />
bl<strong>in</strong>kte e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es rotes Licht. „E<strong>in</strong>e Alarmanlage“,<br />
sagte Ludwig und erklärte mir, dass jeder gute<br />
Geheimagent e<strong>in</strong>e Alarmanlage <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Haus<br />
hat. Und <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war bestimmt e<strong>in</strong>e der besten!<br />
„So e<strong>in</strong> Mist“, sagte ich auch und gähnte. „Jetzt<br />
s<strong>in</strong>d wir ganz umsonst aufgeblieben.“<br />
„Wir hätten uns <strong>in</strong> ihrem Auto verstecken<br />
sollen!“, sagte Ludwig, aber weil wir das nicht<br />
getan hatten, mussten wir warten, bis <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong><br />
zurückkam. Wir setzten uns auf die Stufen vor<br />
<strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s Haustür und ich lehnte den Kopf<br />
gegen Ludwigs Schulter. Irgendwann g<strong>in</strong>gen alle<br />
Straßenlaternen gleichzeitig aus. Jetzt war es ganz<br />
dunkel <strong>in</strong> unserer Straße und <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong> war noch<br />
immer nicht zurück.<br />
„Denkst du, ihr ist was passiert?“, fragte ich<br />
schließlich.<br />
Ludwig schüttelte den Kopf.<br />
„Echte Geheimagententreffen dauern die ganze<br />
Nacht“, sagte er. Vor Müdigkeit hatte er schon ganz<br />
kle<strong>in</strong>e Augen. „Oder sogar mehrere Nächte.“ Und<br />
weil wir nicht wussten, wie viele Nächte <strong>Tante</strong> <strong>Edda</strong>s<br />
Treffen dauern würde, und es langsam wirklich kalt<br />
wurde, g<strong>in</strong>gen wir eben doch nach Hause schlafen.<br />
22