FINE Das Weinmagazin - 02/2020
Themenschwerpunkte der 49. Ausgabe sind unter anderem: Der Rothenberg - Trockene Kultrieslinge TASTING Der Geisenheimer Rothenberg Weitere Themen sind: PORTRÄT Hugh Johnson: Der große Erzähler RHEINGAU Rheingauer mit Schweizer Akzent – Urban Kaufmann ZEITGESCHEHEN Der Wein und der Virus: Corona und die Folgen RHEINHESSEN Wo die Seele im Ursprung liegt – Alexander Gysler PFALZ Prickelnde Familiengeschichte – Weingut Winterling AKTUELL Alles oder Nichts – Die Reformation des Weingesetzes WÜRTTEMBERG Eigensinn im Glas – Weingut J. Ellwanger RHEINHESSEN Eine Partitur großer Rieslinge – Friedrich Groebe WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase zu Besuch im Einstein in Berlin DIE PIGOTT KOLUMNE Die Wiederentdeckung des verlorenen Terroir-Schatzes RHEINHESSEN Der Weinberg als Lebensnerv – Weingut Neef-Emmich RHEINGAU Wenig Show, viel Eleganz – Fred Prinz DAS GROSSE DUTZEND Château Haut-Bailly VINOTHEK Der Weinlade in Karlsruhe WORTWECHSEL Warum haben deutsche Winzer so viel Angst vorm Internet? RHEINHESSEN Die Kunst der Reduktion – Weingut Bäder WEIN UND ZEIT Weinbaugeschichte als Krisengeschichte WÜRTTEMBERG Mann der Gegensätze – Christian Hirsch GENIESSEN Traminer? Aber ja!
Themenschwerpunkte der 49. Ausgabe sind unter anderem:
Der Rothenberg - Trockene Kultrieslinge
TASTING Der Geisenheimer Rothenberg
Weitere Themen sind:
PORTRÄT Hugh Johnson: Der große Erzähler
RHEINGAU Rheingauer mit Schweizer Akzent – Urban Kaufmann
ZEITGESCHEHEN Der Wein und der Virus: Corona und die Folgen
RHEINHESSEN Wo die Seele im Ursprung liegt – Alexander Gysler
PFALZ Prickelnde Familiengeschichte – Weingut Winterling
AKTUELL Alles oder Nichts – Die Reformation des Weingesetzes
WÜRTTEMBERG Eigensinn im Glas – Weingut J. Ellwanger
RHEINHESSEN Eine Partitur großer Rieslinge – Friedrich Groebe
WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase zu Besuch im Einstein in Berlin
DIE PIGOTT KOLUMNE Die Wiederentdeckung des verlorenen Terroir-Schatzes
RHEINHESSEN Der Weinberg als Lebensnerv – Weingut Neef-Emmich
RHEINGAU Wenig Show, viel Eleganz – Fred Prinz
DAS GROSSE DUTZEND Château Haut-Bailly
VINOTHEK Der Weinlade in Karlsruhe
WORTWECHSEL Warum haben deutsche Winzer so viel Angst vorm Internet?
RHEINHESSEN Die Kunst der Reduktion – Weingut Bäder
WEIN UND ZEIT Weinbaugeschichte als Krisengeschichte
WÜRTTEMBERG Mann der Gegensätze – Christian Hirsch
GENIESSEN Traminer? Aber ja!
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2| 2<strong>02</strong>0 Deutschland € 15 Österreich € 16,90 Italien € 18,50 Schweiz chf 30,00<br />
4197772 5150<strong>02</strong> <strong>02</strong><br />
DER ROTHENBERG<br />
TROCKENE KULTRIESLINGE<br />
Hugh Johnson Crémants Rheingau Vins Vivants Württemberg<br />
Der große Erzähler <strong>Das</strong> Weingut Winterling Die Pinots des <strong>Das</strong> Weingut Gysler <strong>Das</strong> Weingut Ellwanger<br />
des Weins in der Pfalz Urban Kaufmann in Rheinhessen und der Zweigelt
Was tun, wenn die Einnahmen wegbrechen? Wenn der Familienbetrieb<br />
binnen weniger Wochen vor dem Aus steht? Mit diesen Fragen sehen sich derzeit<br />
viele deutsche Winzer konfrontiert. Zeit zu handeln und zu unterstützen!<br />
<strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> <strong>FINE</strong>* hat aufgrund der aktuellen Corona-Krise die Initiative<br />
für deutsche Winzer ins Leben gerufen. DIE IDEE: Sich solidarisch zeigen,<br />
Wein kaufen, genießen – und die Winzer unterstützen. Eine Auswahl<br />
einzigartiger Weine von einigen der besten Winzer Deutschlands gibt es ab<br />
sofort mit unserer Sonderaktion 5+1 auf: www.wine-selection.de<br />
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WEINGUT SANKT ANTONY<br />
2019 ROSÉ TROCKEN<br />
VDP.GUTSWEIN<br />
Der Inbegriff eines spritzigen,<br />
unkomplizierten Terassenweins:<br />
aus Spätburgunder gekeltert, mit<br />
viel Kirsch- und Erdbeeraromatik<br />
und dezenter Perlage, die den<br />
Wein richtig spritzig macht.<br />
pro Flasche € 7,50 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT ALEXANDER GYSLER<br />
2018 FELDSTÄRKE<br />
GRAUBURGUNDER TROCKEN<br />
Kraft, Frucht, Frische und<br />
Lebendigkeit – die Stärken dieses<br />
Grauburgunders. Ein Wechselspiel<br />
von Steinfrucht, exotischen Noten,<br />
Zitrus und Quitte verbindet sich<br />
mit Extrakt und nussigen Noten.<br />
pro Flasche € 9,50 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT GROEBE<br />
2018 RIESLING TROCKEN<br />
VDP.GUTSWEIN<br />
Eine Selektion aus besonderen<br />
Parzellen, die besonders von der<br />
Sonne profitieren. Ein Wein mit<br />
kräftiger Mineralität und Frische,<br />
der nach Pfirsich, Zitrusfrucht<br />
und Melone duftet.<br />
pro Flasche € 10,50 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT BÄDER<br />
2018 WEISSBURGUNDER<br />
TROCKEN<br />
Ein Weißburgunder mit dezent<br />
würziger Note, die gemeinsam<br />
mit dem Geschmack von<br />
Birne, Apfel und einer leichten<br />
Kräuteraromatik für den saftigen<br />
Gesamteindruck sorgt.<br />
pro Flasche € 8,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT NEEF-EMMICH<br />
2019 WEISSER BURGUNDER<br />
TROCKEN, GUTSWEIN<br />
Tolle Aromatik nach Ananas,<br />
saftiger Willams-Birne und<br />
Mirabelle, am Gaumen mit schöner<br />
Fülle und einer weichen und<br />
anregenden Säure. Ein stoffiger<br />
Nachhall mit einer Prise Exotik.<br />
pro Flasche € 7,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT WINTERLING<br />
2017/2019 WEISSBURGUNDER<br />
TROCKEN<br />
Mineralisch und frisch. Der Weinberg,<br />
aus dem dieser Weißburgunder<br />
entsteht, wächst auf kiesigem und<br />
kalkhaltigem Boden. So wird daraus<br />
ein mineralischer Burgunder mit feiner<br />
Frucht und großem Lagerpotential.<br />
pro Flasche € 6,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT KAUFMANN<br />
2018 RHEINGAU RIESLING<br />
TROCKEN<br />
Ideal für alle, die das Terroir des<br />
Rheingaus in vollen Zügen genießen<br />
möchten: strahlend, elegant und<br />
kraftvoll, saftig in der Säure und<br />
schön trocken – ohne Fett auf<br />
den Hüften.<br />
pro Flasche € 10,50 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGÜTER WEGELER<br />
2018 WEGELER RIESLING<br />
TROCKEN VDP.GUTSWEIN<br />
RHEINGAU<br />
Kühler Duft nach knackigem Kernund<br />
Steinobst und saftiger Zitrone.<br />
Gebündelt und klar. Am Gaumen<br />
mit schlankem Körper und langem<br />
zitrusbetontem Finale. Zupackender<br />
rassiger Typ mit klarer Kante.<br />
pro Flasche € 10,50 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT FRED PRINZ<br />
2019 RIESLING TROCKEN<br />
„EDITION“ VDP.GUTSWEIN<br />
BIO-WEIN<br />
Eine Selektion aus besonderen<br />
Parzellen, die besonders von der<br />
Sonne profitieren. Ein Wein mit<br />
kräftiger Mineralität und Frische,<br />
der nach Pfirsich, Zitrusfrucht<br />
und Melone duftet.<br />
pro Flasche € 10,80 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT PRINZ ZU SALM<br />
2018 RIESLING TROCKEN<br />
Mit einem erfrischenden<br />
Kohlensäure-Anteil, ganz leicht<br />
perlend. Dazu die fruchtigen<br />
Aromen von Zitrus und Aprikose,<br />
am Gaumen mit lebendiger<br />
Säure und guter Präsenz.<br />
pro Flasche € 8,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT ELLWANGER<br />
2018 LEMBERGER<br />
BUNDSANDSTEIN TROCKEN<br />
VDP.GUTSWEIN<br />
Intensive Aromen Waldbeeren,<br />
Zwetschgen und Cassis. Dazu<br />
kommen Anklänge von Wacholder<br />
und Pfeffer. Im Nachhall feingliedrig<br />
mit balancierter Textur<br />
und samtigem Finish.<br />
pro Flasche € 8,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINGUT CHRISTIAN HIRSCH<br />
2018 WILDKLASSE RIESLING<br />
FRUCHTIG & TROCKEN<br />
In der Nase mit satter Frucht und<br />
sehr verspielt, mit einem kleinen<br />
Süße-Touch. Die Säure angenehm,<br />
für unkomplizierten Trinkgenuss.<br />
pro Flasche € 5,90 | 0,75 l<br />
*zzgl. Versandkosten<br />
WEINanderHelfen ist eine Aktion von <strong>FINE</strong> DAS WEINMAGAZIN und WINE SELECTION<br />
Die Weine sind ein Angebot von awl GoodFood GmbH, Johannisburg 1, 35792 Löhnberg | *Preise zzgl. Versandkosten wie unter www.wine-selection.de ausgewiesen.
<strong>FINE</strong><br />
DAS WEINMAGAZIN 2|2<strong>02</strong>0<br />
ALEXANDER GYSLER 40<br />
WEINGUT WINTERLING 50<br />
K.F. GROEBE 72<br />
HUGH JOHNSON 14<br />
DER GEISENHEIMER ROTHENBERG 24<br />
WEIN & SPEISEN<br />
IM EINSTEIN, BERLIN 80<br />
WEINGUT NEEF-EMMICH 92<br />
FRED PRINZ 100<br />
WEINGUT KAUFMANN 28<br />
DAS GROSSE DUTZEND 110 WEINGUT BÄDER 122 HIRSCH.WINE 134 WEINGUT ELLWANGER 64<br />
7 <strong>FINE</strong> EDITORIAL ________________Ralf Frenzel<br />
10 <strong>FINE</strong> NACHRUF _________________Thomas Schröder<br />
14 <strong>FINE</strong> PORTRÄT __________________Hugh Johnson: Der große Erzähler<br />
24 <strong>FINE</strong> TASTING ___________________Der Geisenheimer Rothenberg<br />
28 <strong>FINE</strong> RHEINGAU ________________Rheingauer mit Schweizer Akzent – Urban Kaufmann<br />
32 <strong>FINE</strong> ZEITGESCHEHEN _________Der Wein und der Virus: Corona und die Folgen<br />
40 <strong>FINE</strong> RHEINHESSEN ____________Wo die Seele im Ursprung liegt – Alexander Gysler<br />
50 <strong>FINE</strong> PFALZ _____________________Prickelnde Familien geschichte – Weingut Winterling<br />
58 <strong>FINE</strong> AKTUELL __________________Alles oder Nichts – Die Reformation des Weingesetzes<br />
64 <strong>FINE</strong> WÜRTTEMBERG ___________Eigensinn im Glas – Weingut J. Ellwanger<br />
72 <strong>FINE</strong> RHEINHESSEN ____________Eine Partitur großer Rieslinge – Friedrich Groebe<br />
80 <strong>FINE</strong> WEIN UND SPEISEN _______Jürgen Dollase zu Besuch im Einstein in Berlin<br />
88 <strong>FINE</strong> DIE PIGOTT KOLUMNE ____Die Wieder entdeckung des verlorenen Terroir-Schatzes<br />
92 <strong>FINE</strong> RHEINHESSEN ____________Der Weinberg als Lebensnerv – Weingut Neef-Emmich<br />
100 <strong>FINE</strong> RHEINGAU ________________Wenig Show, viel Eleganz – Fred Prinz<br />
110 <strong>FINE</strong> DAS GROSSE DUTZEND __Château Haut-Bailly<br />
114 <strong>FINE</strong> VINOTHEK _________________Der Weinlade in Karlsruhe<br />
118 <strong>FINE</strong> WORTWECHSEL ___________Warum haben deutsche Winzer so viel Angst vorm Internet?<br />
122 <strong>FINE</strong> RHEINHESSEN ____________Die Kunst der Reduktion – Weingut Bäder<br />
130 <strong>FINE</strong> WEIN UND ZEIT ___________Weinbaugeschichte als Krisengeschichte<br />
134 <strong>FINE</strong> WÜRTTEMBERG ___________Mann der Gegensätze – Christian Hirsch<br />
142 <strong>FINE</strong> GENIESSEN _______________Traminer? Aber ja!<br />
146 <strong>FINE</strong> ABGANG __________________Ralf Frenzel<br />
4 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 INHALT<br />
INHALT <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 5
LIEBE LESERINNEN,<br />
LIEBE LESER,<br />
es sind wahrhaft ungewöhnliche<br />
Zeiten, in denen wir<br />
gerade leben. Zeiten, die vieles,<br />
was bisher gewohnt und<br />
selbstverständlich war, in<br />
einem neuen Licht erscheinen<br />
lassen und infrage stellen.<br />
Unsere Welt, im Kleinen wie<br />
im Großen, ist aus dem Takt<br />
geraten, und man kann erahnen,<br />
dass sich unser Leben<br />
einschneidend und dauerhaft<br />
verändern wird. Eine Veränderung muss nicht per se eine<br />
Wende zum Schlechteren bedeuten, aber wie mit jedem einschneidenden<br />
Wandel geht auch mit dem aktuellen eine große<br />
Unsicherheit einher, mit der wir uns auseinandersetzen und<br />
umzugehen lernen müssen.<br />
Als Anfang März relativ schnell klar war, dass die ursprünglich<br />
angedachten Themen der <strong>FINE</strong> aufgrund von Reise- und<br />
Kontaktbeschränkungen nicht umzusetzen sein würden, standen<br />
wir vor der Frage, ob die geplante Ausgabe überhaupt machbar<br />
wäre. Rasch jedoch entschieden wir, dass es wichtig ist, ein<br />
Zeichen zu setzen und wie geplant das neue <strong>Weinmagazin</strong> anzugehen.<br />
In zahlreichen Gesprächen schilderten uns deutsche<br />
Winzer ihre Situation. Durch den plötzlichen Ausfall von Gastronomie<br />
und Handel brachen für sie binnen kurzer Zeit viele und<br />
wichtige Umsätze weg, für manche mit existenziellen Folgen.<br />
<strong>Das</strong> machte uns klar, dass wir aktiv helfen möchten, dass neben<br />
der ideellen eine ganz konkrete Unterstützung notwendig ist.<br />
Innerhalb kürzester Zeit haben wir – gemeinsam mit einem<br />
Handelspartner – mit zwölf Winzern aus unserem Netzwerk<br />
ein innovatives Weinangebot zusammengestellt, das unter dem<br />
Motto #weinanderhelfen auf breiter Ebene beworben wird<br />
und im Abverkauf für dringend benötigten Umsatz bei den<br />
Weingütern sorgt.<br />
Begleitend dazu haben wir unsere Autoren ausgesandt,<br />
um die Weingüter dieser Aktion zu besuchen und für diese<br />
Ausgabe zu porträtieren. So entstand eine <strong>FINE</strong>, die ein wenig<br />
anders ist als üblich und (fast) ausschließlich von deutschen<br />
Weinen und Winzern berichtet. Noch bevor es unmöglich<br />
wurde, Weinproben zu organisieren, durften wir beispielsweise<br />
die ersten zehn Jahrgänge des Geisenheimer Rothenbergs<br />
vom Weingut Wegeler im Rheingau verkosten und uns<br />
von deren außergewöhnlichen Charakteristik beeindrucken<br />
lassen. Ein wenig aus dem »deutschen« Rahmen in dieser<br />
Ausgabe fällt unsere Rubrik <strong>Das</strong> Große Dutzend vom Weingut<br />
Haut Bailly im Bordeaux, das wir Ihnen jedoch unbedingt<br />
präsentieren möchten.<br />
Unser Autor Daniel Deckers berichtet passend zur aktuellen<br />
Situation von den großen Krisen des Weinbaus, die ganz unterschiedliche<br />
Ursachen hatten: Von eingeschleppten Krankheiten<br />
über Kriege und vom Wetter beeinflusste Notzeiten bis hin zu<br />
hausgemachten Skandalen hat der Weinbau weltweit in der<br />
Vergangenheit zahlreiche massive Einschnitte er- und überlebt.<br />
Wie sich die aktuelle Lage auf die Arbeit der Winzer und ihre<br />
wirtschaftliche Situation auswirkt, dem ist Stefan Pegatzky nachgegangen.<br />
Außerdem haben wir zehn Winzer zu ihrer aktuellen<br />
Situation befragt: wie es ihnen damit geht, was ihnen Sorgen<br />
macht, welche positiven Seiten sie für sich mitnehmen. Die<br />
Statements dazu haben wir im Heft verteilt. Daneben beschäftigt<br />
die deutschen Winzer aber noch ein anderes großes Thema:<br />
die Novelle des deutschen Weingesetzes. Ein Entwurf, in dem<br />
viel Zündstoff steckt und der für reichlich Redebedarf der Verbände<br />
und Verantwortlichen sorgt. Was sich für die Weinliebhaber<br />
ändern wird und wo der Weinbranche Zerwürfnisse<br />
drohen, hat Uwe Kauss nachgefragt.<br />
Für uns persönlich liegt über dieser Ausgabe ein sehr großer<br />
Schatten. Noch Anfang des Jahres besuchte ich unseren Chefredakteur<br />
Thomas Schröder zuhause in Berlin. Nach langen<br />
Wochen in Krankenbett und Reha schien er voller Zuversicht<br />
und besprach mit mir mit großer Energie seine Zukunft bei<br />
der <strong>FINE</strong>. Sein Wunsch war, ab der 50. Ausgabe als Mitherausgeber<br />
weiter zur Verfügung zu stehen und gleichzeitig seine Verantwortung<br />
als Chefredakteur in neue Hände zu legen. Leider<br />
bewahrheitete sich die Textzeile John Lennons: »Leben ist<br />
das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne<br />
zu machen.« Nur kurze Zeit nach diesem letzten Zusammentreffen<br />
verstarb Thomas Schröder. Ein Verlust, der mich auch<br />
persönlich sehr erschüttert.<br />
Thomas Schröders Wunsch war, die Chefredaktion an<br />
Kristine Bäder zu übergeben. Als Redakteurin begleitet sie die<br />
<strong>FINE</strong> bereits seit sieben Jahren. So war es aus der vertrauensvollen<br />
Zusammenarbeit für ihn nur folgerichtig, ihr die Verantwortung<br />
für die Fortführung und Weiterentwicklung der<br />
<strong>FINE</strong> zu übertragen. Diesem Wunsch schließe ich mich gerne an<br />
und freue mich, dass Kristine Bäder ab der kommenden Ausgabe<br />
als Chefredakteurin für die <strong>FINE</strong> verantwortlich zeichnen wird.<br />
Es ist eine ungewöhnliche <strong>FINE</strong>-Ausgabe, die Sie in den<br />
Händen halten. Vielleicht finden Sie einen ruhigen Moment,<br />
um eine gute Flasche Wein zu öffnen und den Geschichten in<br />
diesem Heft mit einem Glas in der Hand ein paar ruhige Lesestunden<br />
jenseits dieser fordernden Zeiten zu widmen.<br />
Ihr Ralf Frenzel<br />
Herausgeber und Verleger<br />
EDITORIAL<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 7
<strong>FINE</strong>AUTOREN<br />
DANIEL DECKERS Die Lage des deutschen Weins ist sein Thema – wenn er nicht gerade als Politik-Redakteur der<br />
Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Gott und die Welt, über Lateinamerika oder Rauschgift zur Feder greift. An der<br />
Hochschule Geisenheim lehrt er Geschichte des Weinbaus und -handels. In seinem Buch »Wein. Geschichte und Genuss«<br />
beleuchtet er durch mehr als dreitausend Jahre die Rolle dieses unschätzbaren Kulturguts als Spiegel der Zeitläufte.<br />
JÜRGEN DOLLASE Kunst, Musik und Philosophie hat er in Düsseldorf und Köln studiert. Er war Rockmusiker und<br />
Maler. Heute ist er der bei weitem einflussreichste Kritiker der kulinarischen Landschaft in Deutschland und Europa. Vielbeachtet<br />
sind seine Bücher über die Kunst des Speisens; zuletzt erschien der Band »Geschmacksschule« in der Reihe SZ<br />
Gourmet Edition (bei Tre Torri). Sein visionäres Kochbuch »Pur, präzise, sinnlich« widmet sich der Zukunft des Essens.<br />
URSULA HEINZELMANN Die Gastronomin und gelernte Sommelière schreibt unter anderem für die Frankfurter<br />
Allgemeine Sonntagszeitung, für Efflee und Slow Food sowie Bücher zum Thema Essen und Trinken. <strong>Das</strong> aktuelle Buch,<br />
»China – Die Küche des Herrn Wu«, (bei Tre Torri) gibt tiefe Einblicke in die vielfältige Kochkunst der Chinesen.<br />
SIGI HISS Auch nach einigen zehntausend Weinen ist das Verkosten immer noch seine große Leidenschaft – sei es in<br />
internationalen Jurys, im Auftrag renommierter Weinpublikationen oder für Weingüter. Bei der Bewertung der Weine<br />
sind ihm Unabhängigkeit und Neutralität unabdingbarer Grundsatz. Seine Publikationen erscheinen in den wichtigen<br />
Fachmedien. Für alles außer Spirituosen ist er zu begeistern, seine besondere Liebe gilt allem, was gereift ist.<br />
UWE KAUSS In Weinkellern kennt er sich aus: Der Autor und Journalist schreibt seit zwanzig Jahren über Wein, etwa<br />
für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, das <strong>Weinmagazin</strong> Enos, wein.pur und Genuss-Magazin in Wien und<br />
das Internetportal wein-plus.eu. Daneben hat er sechzehn Sach- und Kindersachbücher, einen Roman und zwei Theaterstücke<br />
publiziert.<br />
STEFAN PEGATZKY Der promovierte Germanist kam 1999 nach Berlin und erlebte hautnah mit, wie sich die<br />
Metropole von der Bier- zur Weinstadt wandelte. Seit einigen Jahren schreibt er regelmäßig über Wein und Genuss. In<br />
der Tre-Torri-Reihe »Beef!« erschien der Band »Raw. Meisterstücke für Männer«, in der »Gourmet Edition – Kochlegenden«<br />
die Bücher zu Hans Haas, Harald Wohlfahrt und Marc Haeberlin.<br />
STUART PIGOTT In der gehobenen Weinwelt ist er ein Begriff. Seit der 1960 in London geborene studierte Kunsthistoriker<br />
und Maler im Wein, im deutschen Wein zumal, sein Lebensthema fand, hat er sich mit unkonventioneller<br />
Betrachtungsweise in die Ränge der weltweit geachteten Autoren und Kritiker geschrieben. Sein Buch »Planet Riesling«<br />
erschien bei Tre Torri.<br />
RAINER SCHÄFER wuchs in Oberschwaben auf und lebt seit zwanzig Jahren in Hamburg, wo er über die Dinge<br />
schreibt, die er am meisten liebt: Wein, gutes Essen und Fußball, stets neugierig auf schillernde Persönlichkeiten, überraschende<br />
Erlebnisse und unbekannte Genüsse.<br />
MICHAEL SCHMIDT Der »deutsche Engländer«, wie ihn die britische Weinszene nennt, schreibt für die Purple<br />
Pages der Weinpäpstin Jancis Robinson über deutschen Wein. Bei Sotheby’s Wine Encyclopedia und dem World Atlas of<br />
Wine von Hugh Johnson und Jancis Robinson ist er als Berater für das Kapitel Deutschland zuständig.<br />
CHRISTIAN VOLBRACHT Der Journalist, Autor und Antiquar schreibt über Wein und Gastronomie, seit er für die<br />
Deutsche Presse-Agentur in Paris gearbeitet hat. Seine besondere Leidenschaft gehört neben Wein und gutem Kochen<br />
den Pilzen und Trüffeln. Er ist Sammler und Inhaber des Buchantiquariats MykoLibri, als Buchautor ergründete er das<br />
Thema »Trüffeln – Mythos und Wirklichkeit« (bei Tre Torri).<br />
MARTIN WURZER-BERGER Der studierte Künstler und katholische Theologe arbeitet in Münster als Maler und<br />
importiert Weine, vor allem französische. Er ist Chefredakteur und Herausgeber der Avantgarde-Zeitschrift »Journal<br />
Culinaire. Kultur und Wissenschaft des Essens« und Vorsitzender der Deutschen Akademie für Kulinaristik.<br />
DIRK WÜRTZ Der Winzer war über Jahre Kellermeister in den Rheingauer Weingütern Robert Weil und Balthasar<br />
Ress. Seit 2018 ist er in einer Beteiligungsgesellschaft zuständig für die Wein-Sparte; zudem wurde er zum Betriebsleiter<br />
des Weinguts St. Antony in Nierstein ernannt. In seinem Blog schreibt er seit zehn Jahren über alles rund um den Wein.<br />
Mit Uwe Kauss streitet er in unserer Kolumne »Wortwechsel« über aktuelle Themen der Weinszene.<br />
Titel-Foto: Rothenberg, GUIDO BITTNER<br />
8 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 IMPRESSUM<br />
Editorial-Foto: JOHANNES GRAU<br />
VERLEGER UND HERAUSGEBER<br />
Ralf Frenzel<br />
ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />
CHEFREDAKTEURIN<br />
Kristine Bäder<br />
kristine.baeder@fine-magazines.de<br />
REDAKTION<br />
Alena Schröder<br />
ART DIRECTION<br />
Guido Bittner<br />
MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Daniel Deckers, Jürgen Dollase, Ursula<br />
Heinzelmann, Sigi Hiss, Uwe Kauss,<br />
Reinhart Lang, Stefan Pegatzky, Stuart<br />
Pigott, Rainer Schäfer, Michael Schmidt,<br />
Martin Wurzer-Berger, Dirk Würtz<br />
FOTOGRAFEN<br />
Guido Bittner, Rui Camilo, Johannes<br />
Grau, Alex Habermehl, Christof Herdt,<br />
Arne Landwehr, Marc Volk<br />
VERLAG<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
Sonnenberger Straße 43<br />
65191 Wiesbaden<br />
www.tretorri.de<br />
Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />
ANZEIGEN<br />
Judith Völkel<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
+49 611-57 990<br />
anzeigen@fine-magazines.de<br />
DRUCK<br />
X-PRESS Grafik & Druck GmbH, Berlin<br />
<strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> erscheint<br />
vierteljährlich zum Einzelheft-Preis<br />
von € 15,– (D), € 16,90 (A),<br />
CHF 30,– (CH), € 18,50 (I)<br />
VERTRIEB<br />
DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH<br />
www.dpv.de<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Der<br />
Verlag haftet nicht für unverlangt eingereichte<br />
Manuskripte, Dateien, Datenträger und Bilder.<br />
Alle in diesem Magazin veröffentlichten Artikel<br />
sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Unsere Meisterwerke verlangen nach einem Meister.<br />
Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />
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zu entfalten.<br />
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professionelle Leistung. Seit 1683.<br />
Meisterwerke mit Dampf: gaggenau.com<br />
Impressum.indd Alle Seiten 27.05.20 13:29
HUGH JOHNSON<br />
DER GROSSE<br />
ERZÄHLER<br />
NIEMAND SCHREIBT SEIT JAHRZEHNTEN SO KENNTNISREICH<br />
UND BEGEISTERND ÜBER DIE WELT DER WEINE WIE DER<br />
81-JÄHRIGE BRITE. SEINE PRIVATE WEINSAMMLUNG IST AUCH<br />
DIE CHRONIK SEINER BEEINDRUCKENDEN KARRIERE: FÜR<br />
JEDEN PERSÖNLICHEN UND BERUFLICHEN MEILENSTEIN<br />
LAGERN IN JOHNSONS KELLER DIE GRÖSSTEN WEINE DES<br />
ENTSPRECHENDEN JAHRGANGS.<br />
Text MICHAEL SCHMIDT<br />
Fotos ALEX HABERMEHL<br />
Wer ist der beste Winzer der Welt? Es gibt nur zwei Arten von Menschen, die so eine<br />
Frage überhaupt stellen würden: die, die von Wein nicht die geringste Ahnung haben<br />
und glauben, dass man eine solche Frage so beantworten könnte wie die nach dem weltbesten<br />
Fußballspieler, in dem Irrglauben, dass am Ende alles auf zwei oder drei Namen<br />
hinausläuft. Oder die, die nur deshalb fragen, weil sie unbedingt die berühmtesten und<br />
teuersten Weine im Keller haben müssen, um damit im Kreise ihrer Gesinnungsgenossen<br />
zu beeindrucken und Neid zu erwecken.<br />
Dagegen lässt sich die Frage, wer am besten<br />
über Wein schreibt, ziemlich eindeutig<br />
beantworten. Wer hier mit Robert Parker<br />
kommt, liegt falsch. Dieser mag zu seiner aktiven<br />
Zeit zwar der einflussreichste aller Kritiker gewesen<br />
sein, dessen Urteil in der Welt der gehobenen Weine<br />
das größte Gewicht hatte. Wenn es aber darum geht,<br />
wer am einfühlsamsten das Interesse an der wundervollen<br />
Welt des Weins erwecken konnte und immer<br />
noch kann, auf unterhaltsamste Weise und meist mit<br />
einem schelmischen Augenzwinkern, gibt es nur<br />
einen Meister. Nicht viele Fachliteraten beherrschen<br />
die Kunst, den Leser so zu fesseln, dass er ein Buch<br />
oder einen Artikel bis zum letzten Wort nicht zur<br />
Seite legen kann. Dem Briten Hugh Johnson gelingt<br />
das beim Schreiben über Wein schon seit fast 60<br />
Jahren scheinbar mühelos.<br />
Ohne Zweifel hilft ihm dabei eine Eigenschaft,<br />
mit der er ein tief verwurzeltes Klischee über den<br />
typischen Engländer nicht besser bedienen könnte.<br />
Aber er besitzt ihn wirklich, diesen bewundernswerten<br />
britischen Humor, der nicht auf derbem<br />
Witz, sondern feiner Ironie beruht, von der er auch<br />
sich selbst nicht ausnimmt.<br />
Tatsache ist, dass Johnson die beiden weltweit<br />
meist verkauften Bücher der Weltweinliteratur<br />
geschaffen hat, an deren Produktion er auch heute,<br />
mit 81 Jahren, immer noch regen Anteil nimmt,<br />
obwohl der wachsende Erfolg es notwendig gemacht<br />
hat, die Arbeit auf viele Schultern zu verteilen. Vom<br />
»Kleinen Johnson« (Hugh Johnson’s Pocket Wine<br />
Book), einem seit 1977 jährlich erscheinenden<br />
14 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 PORTRÄT<br />
PORTRÄT <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 15
DER GEISENHEIMER ROTHENBERG<br />
WIEDERGEBURT EINES KULTWEINS<br />
Von KRISTINE BÄDER<br />
Fotos JOHANNES GRAU und GUIDO BITTNER<br />
Es war eine kleine Sensation in der Weinszene, als der Tre Torri Verlag im März 2011 seine<br />
Entdeckung präsentierte: <strong>FINE</strong>-Autor Daniel Deckers hatte im Magazin der Hessischen<br />
Landesbibliothek in Wiesbaden die älteste Lagenkarte der Welt entdeckt. Die »Weinbau-<br />
Karte des Nassauischen Rheingaus« datiert aus dem Jahr 1867 und unterteilt die besten<br />
Lagen des Rheingaus in zwei Klassen. Der Hintergrund liegt auf der Hand: Je besser die<br />
Qualität der Weine, die aus den jeweiligen Weinbergen kamen, desto höher die erzielten<br />
Erträge und deren entsprechende Besteuerung.<br />
Die Karte hielt einige Überraschungen bereit.<br />
Eine der größten dürfte die Zuordnung der<br />
Steillagen des Geisenheimer Rothenbergs in<br />
die höchste Klasse der Lagen sein. Damit bewegte<br />
er sich schon vor mehr als 150 Jahren auf Augenhöhe<br />
mit Lagen wie Schloss Johannisberg, Steinberg,<br />
Marcobrunn und Gräfenberg. »Vielleicht hatten<br />
wir dieses Potenzial erahnt«, schreiben die Weingüter<br />
Wegeler auf ihrer Internetseite. Schon in den<br />
1980er Jahren hatte das Weingut gut fünf der heute<br />
etwa sechs als VDP.Große Lage klassifizierten Hektar<br />
im Kernstück des Rothenbergs gepachtet. Damals<br />
nutzte man die Trauben vor allem als Grundlage<br />
des berühmten »Geheimrat J« und schöpfte auch<br />
die große Stärke der Lage aus, Rieslingtrauben mit<br />
extrem hohen Mostgewichten für die edelsüßen<br />
Spezialitäten des Weinguts hervorzubringen.<br />
»Bis zum zweiten Weltkrieg war der Rothenberg<br />
eine berühmte Lage. Dann geriet er in Vergessenheit«,<br />
so Tom Drieseberg. Der Weingutsdirektor musste<br />
dennoch zwei Jahre mit dem Besitzer verhandeln, um<br />
ihm die Fläche endlich abkaufen zu können. Ende<br />
2010 war es dann soweit und der Großteil der Steillage<br />
ging in den Besitz der Weingüter Wegeler über.<br />
Nur vier Monate später erlangte die Lage mit der Veröffentlichung<br />
der alten Lagenkarte neuen Ruhm. »Vor<br />
dem Fund der Karte hatte niemand den Rothenberg<br />
auf dem Schirm, danach aber hätten wir die Fläche<br />
mit Sicherheit nicht mehr kaufen können.«<br />
Der Hausberg der Geisenheimer ist mit etwas<br />
mehr als 152 Metern nicht gerade hoch. Seine erste<br />
Erwähnung fand er schon im Jahr 1145 durch einen<br />
Adeligen namens Ruthard de Rothenberch. Taunusquarzit<br />
und roter Tonschiefer prägen den Boden<br />
und färben ihn in der charakteristischen rötlichen<br />
Farbe. Ob von dieser Färbung auch der Name des<br />
Rothenbergs abgeleitet wurde, ist nicht ganz eindeutig,<br />
möglich wäre auch die Herkunft vom Wort<br />
»roden« im Sinne von »urbar machen«. Schon seit<br />
dem späten 19. Jahrhundert wird in einer Kaolingrube<br />
der so genannte Porzellanton im Tagebau<br />
gewonnen. Interessanterweise gilt die weiße Tonerde<br />
im Weinbau inzwischen als probates Mittel gegen<br />
die Kirschessigfliege. »Der obere Teil des Rothen-<br />
bergs ist nicht besonders steil und auch qualitativ<br />
nicht so gut. Unsere Reben stehen in dem steileren<br />
Teil. Dort wachsen sehr mineralische Rieslinge, die<br />
eine knackige Säure haben. Und die Bedingungen<br />
für wunderbare Trockenbeerenauslesen sind dort<br />
perfekt«, erklärt Tom Drieseberg die Unterschiede<br />
im Rothenberg.<br />
Mit dem Jahr 2000 haben die Weingüter<br />
Wegeler »eine Offensive im Bereich edelsüßer<br />
Weine« gestartet, so Drieseberg.<br />
Eine Offensive, die schnell mit Superlativen aufwarten<br />
konnte: Unglaubliche 340 Grad Oechsle<br />
wurden im Jahr 2011 bei einer Trockenbeerenauslese<br />
gemessen und auch in den Jahren 2003, 2005<br />
und 2007 knackte der gemessene Zuckergehalt die<br />
300 Grad-Grenze. Die hochkonzentrierten, edelsüßen<br />
Rieslinge aus dem Rothenberg sorgten auch<br />
international für Furore: Im Jahr 2003 präsentierte<br />
das Weingut einen edelsüßen Rothenberg am Time<br />
Square vor 1500 begeisterten Besuchern der New<br />
York Wine Experience.<br />
Taunusquarzit und roter Tonschiefer geben dem<br />
Boden Farbe und der Lage vermutlich ihren Namen.<br />
Den ersten trockenen Riesling aus dieser Lage<br />
füllten Tom Drieseberg und seine Frau Anja Wegeler-<br />
Drieseberg mit dem Jahrgang 2009 auf die Flasche.<br />
Der Ertrag der in den 70er Jahren gepflanzten Weinberge<br />
wurde stark reduziert, die Trauben während<br />
der Ernte streng selektioniert. Beides bildete die<br />
Grundlage für einen Wein, der mit »Fülle und<br />
Wucht« den Gegenentwurf zum mineralisch<br />
geprägten »Geheimrat J« sein sollte. Die Resonanz<br />
der Weinliebhaber ließ wenig Raum für Zweifel an<br />
der Größe des Weins: Der Jahrgang war innerhalb<br />
weniger Monate ausverkauft.<br />
Mit dem Jahrgang 2018 kam nun der zehnte<br />
Jahrgang des trockenen Rothenberg-Rieslings auf<br />
den Markt. Man sagt den Weinen vom Rothenberg<br />
nicht nur die Fähigkeit zu langer Reife nach,<br />
sondern sogar einen gewissen Zeitbedarf, um sich<br />
zu entfalten. Nach einer ersten Dekade war also<br />
Zeit für eine Bestandsaufnahme aller Jahrgänge<br />
trockenen Rieslings aus der wiederauferstandenen<br />
Rheingauer Kultlage. Die Probe spiegelte eine<br />
typische Charakteristik der Weine in allen Jahrgängen<br />
wider. Die mineralische Eleganz, die man<br />
auch dem »Geheimrat J« nachsagt, findet sich<br />
ebenso in den Lagenweine aus dem Rothenberg,<br />
gepaart mit einer geradlinigen Struktur. Nur in<br />
warmen Jahrgängen kommen auch reife Fruchtaromen<br />
zur Geltung. Zugleich wird die mineralische<br />
Art von einer voluminösen Fülle begleitet. Eine<br />
meist präsente, aber selbst in jungen Jahren nie harte<br />
Säure verhindert, dass die Weine in ihrer ganzen<br />
kraftvollen Art zu reinen Muskelpaketen werden,<br />
sondern sich immer eine geschmeidige Eleganz<br />
bewahren.<br />
24 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 TASTING<br />
TASTING <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 25
WIE KOMMEN SIE DURCH DIE KRISE?<br />
ZWISCHENRUF<br />
»Wir sind hier ein sehr beliebtes Reiseziel für Genussmenschen,<br />
Radfahrer, Wanderer, das findet gerade alles<br />
nicht statt. Die wenigsten Weinfreunde fahren in ein Weingut,<br />
wenn sie dort dann keinen Wein verkosten dürfen. Da<br />
fehlt einfach das Erlebnis. Es ist auch nach acht Wochen<br />
ein ungewohntes Gefühl, unsere leere Vinothek zu sehen.<br />
Der Umsatz dort ist um 95 Prozent niedriger als letztes<br />
Jahr. Wir haben schnell reagiert und innerhalb von zwei<br />
Wochen einen Onlineshop an den Start gebracht. Die<br />
Bestellungen, die wir darüber bekommen, zeigen, dass es<br />
richtig war, hier schnell zu handeln.<br />
Natürlich ist auch der Umsatz in der Gastronomie auf<br />
null gesunken. <strong>Das</strong> ist schon beängstigend. Dafür ist der<br />
Absatz an die Privatkunden gestiegen. Wir verkaufen nach<br />
wie vor 50 Prozent unserer Weine direkt an den Endverbraucher,<br />
das hat uns schon durch einige Krisen getragen.<br />
Ich persönlich gehe gestärkt aus dieser Situation. Ich habe<br />
das Gefühl, ich habe viele neue Aufgaben gemeistert und<br />
fühle mich gut, das geschafft zu haben.«<br />
Sandra Sauer, Weingut Horst Sauer, Franken<br />
Foto: Christof Herdt<br />
22 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 23
DER WEIN UND DER VIRUS:<br />
CORONA<br />
UND DIE<br />
FOLGEN<br />
Ob beim Pflanzen, bei der Pflege der Weinberge oder<br />
bei der Lese, wie hier im Assmannshäuser Höllenberg:<br />
Ohne Mitarbeiter aus dem Ausland geht es kaum. Viel<br />
hängt davon ab, ob und unter welchen Bedingungen sie<br />
während der Coronakrise einreisen und arbeiten können.<br />
Für Deutschland bedeutet die Pandemie den dramatischsten Einschnitt seit dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Doch selbst wenn die Zukunft noch ungewiss ist, schalten<br />
Teile von Politik und Gesellschaft bereits vom Krisenmodus zur Krisenroutine.<br />
Und während in einigen Ländern die Pandemie gerade erst angekommen ist,<br />
versuchen sich hierzulande bereits Erste an einem Resümee. Blickt man auf<br />
die deutsche Weinbranche, so scheint diese mit einem blauen Auge davongekommen<br />
zu sein. Die Langzeitfolgen hingegen werden erheblich sein. Ein<br />
Zwischenbericht.<br />
Von STEFAN PEGATZKY<br />
36 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 ZEITGESCHEHEN<br />
Es war der Blick in den Abgrund. In der ersten Fernsehansprache ihrer Amtszeit hatte<br />
Angela Merkel am Abend des 18. März 2<strong>02</strong>0, einem Mittwoch, die Corona-Pandemie<br />
als »größte Herausforderung für die deutsche Gesellschaft seit 1945« bezeichnet. Am<br />
Freitagabend wurden die schockierenden Bilder des Briten Stuart Ramsay und seines<br />
Teams ausgestrahlt, die als einzige Journalisten das Karnkenhaus im norditalienischen<br />
Bergamo betreten durften: überfüllte Gänge, Bett an Bett mit dem Tod ringende Patienten<br />
unter Beatmungsgeräten, Ärzte am Rande des Zusammenbruchs. Deutschland reagierte<br />
mit einer beispiellosen Welle von Hamsterkäufen, über die im Nachhinein viel gespottet<br />
wurde. Tatsächlich waren sie der Ausdruck blanker Angst. Niemand, der diese Tage erlebt<br />
hat, wird sie je vergessen.<br />
Deutschland ist, zumindest bis zum jetzigen<br />
Zeitpunkt, vom Schlimmsten verschont<br />
geblieben. Der Schaden jedoch, den das<br />
Virus bisher auch hierzulande angerichtet hat, ist<br />
gewaltig: erhebliche persönliche Einschränkungen,<br />
die Vernichtung enormer Vermögenswerte sowie der<br />
schlimmste Einbruch der Wirtschaftsleistung seit<br />
dem zweiten Weltkrieg. Wie alle anderen Sektoren<br />
versucht auch die Weinbranche, einen Überblick<br />
über die Auswirkungen der Corona- Epidemie<br />
zu gewinnen – auch wenn angesichts der noch<br />
fragilen Lage nur vorläufige Antworten möglich<br />
sind. Dennoch zeichnen sich bereits heute neben<br />
kurz- und mittelfristigen Folgen auch langfristige<br />
Veränderungen ab.<br />
Phase eins war gekennzeichnet durch die bereits<br />
zitierten Hamsterkäufe. Eine Analyse der Umsatzdaten<br />
im Einzelhandel zeigt, dass in Deutschland auch<br />
der Weinverkauf florierte: Um 9,5 Prozent war im<br />
März 2<strong>02</strong>0 in Deutschland gemäß des vom Deutschen<br />
Weininstitut (DWI) beauftragten Haushaltspanels<br />
des Marktforschungsinstituts Nielsen sowohl die<br />
Menge wie der Umsatz von Wein im Vergleich zum<br />
selben Zeitpunkt des Vorjahres gestiegen. Ähnliche<br />
Zahlen kamen von zahlreichen Verbrauchermärkten<br />
der westlichen Welt, besonders eindrucksvoll aus den<br />
USA, wo nach einem Bericht von Wine Business der<br />
Weinumsatz in der dritten Märzwoche um 66 Prozent<br />
gestiegen war.<br />
Aus diesen Zahlen ergaben sich unmittelbar<br />
zwei weitere Fragen: Wurde der zusätzlich gekaufte<br />
Wein auch getrunken? Und folgt nach dem Plus<br />
wieder ein Minus? Tatsächlich zeigte sich, dass der<br />
Trend zum Einbunkern keine einfache Panikreaktion<br />
war, sondern einem rationalen Muster folgte. Analog<br />
zur Industrie, die nach dem Zusammenbruch<br />
der globalen Lieferketten neue Puffer-Konzepte<br />
zur Lagerung umsetzte, wuchs die Bereitschaft<br />
zur privaten Vorratshaltung. Entsprechend stieg<br />
der Verkauf von Kühl-Gefrier-Kombinationen seit<br />
März deutlich an, bei deutlich größerer Kapazität<br />
der Geräte. Analog dürfte auch die durchschnittliche<br />
Wein-Bevorratung der Haushalte deutlich<br />
angestiegen sein – was Winzern und Weinhandel<br />
kurzfristig Liquidität sicherte. Gleichzeitig stieg aber<br />
auch, nicht unerwartet, der Weinkonsum deutlich<br />
an: Krisen waren noch nie Zeiten der Abstinenz.<br />
Auch wenn für Deutschland zum Redaktionsschluss<br />
ZEITGESCHEHEN <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 37
DIE DOLLASE KOLUMNE<br />
Jürgen Dollase<br />
bei Siegfried Danler,<br />
Martin Pelz und<br />
Björn Wendlandt im<br />
»Einstein Unter den Linden«<br />
in Berlin<br />
Fotos GUIDO BITTNER<br />
WEIN &<br />
80 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 WEIN UND SPEISEN<br />
SPEISEN<br />
WEIN UND SPEISEN<br />
WEIN UND SPEISEN <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 81
DIE STUART PIGOTT KOLUMNE<br />
DIE WIEDER-<br />
ENTDECKUNG DES<br />
VERLORENEN<br />
TERROIR-SCHATZES<br />
In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 2004 machte ich eine Entdeckung, deren<br />
Bedeutung ich erst viel später begriff. Ich war auf der »Wein in den Mai«-Party der<br />
rheinhessischen Jungwinzergruppe »Message in a Bottle« auf dem hübschen Schloss<br />
Sörgenloch, beziehungsweise in der Dorfhalle direkt daneben, einer Beton- Monstrosität<br />
aus den 1970er Jahren, wo eine fröhlich wogende Menge die Weine der Jungwinzer<br />
zu lauter Disco-Musik verkostete. Es gab viele gute Weine, aber der letzte Wein in der<br />
Reihe verblüffe mich: 2003 Leckerberg Riesling trocken »S« stand auf dem Etikett.<br />
Wirklich? Ich lachte über diesen mir unbekannten Namen, weil er mich an die kitschige<br />
Weinwerbung der 1970er Jahre erinnerte. Dann probierte ich ihn und stellte sofort fest,<br />
dass der Name nicht nur besonders passend, sondern der Wein darüber hinaus auch<br />
tief und edel war.<br />
Der Wein ist ziemlich genial! Wer hat ihn gemacht, fragte ich die<br />
Menschen um mich herum, worauf sich mir ein junger Mann<br />
Anfang zwanzig mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht<br />
vorstellte: »Stefan Winter«. »Und wo kommen Sie und Ihr Leckerberg<br />
her?«, fragte ich immer noch staunend. »Aus Dittelsheim-Hessloch«,<br />
antwortete er, als sei das eine Selbstverständlichkeit. »Woher?!«, entfuhr<br />
es mir, weil ich auch den Namen dieser Weinbaugemeinde nicht kannte.<br />
Doch wenige Tage später stand ich im Leckerberg und bewunderte<br />
die Riesling-Reben, die Ende der 1950er Jahre von Stefan Winters<br />
Großvater gepflanzt worden waren. Sie gehörten nicht zu den damals<br />
handelsüblichen Klonen, sondern waren eine eigene Rebselektion des<br />
Opas. Er war offensichtlich ein Freidenker, wie Stefan es auch ist. Er<br />
erzählte mir, wie nur wenige Wochen zuvor Hendrik Canis, damals<br />
Sommelier des Restaurants Vau in Berlin-Mitte, 600 Flaschen des<br />
Weins bestellt, und sich diese Nachricht wie ein Strohfeuer unter den<br />
jungen deutschen Sommeliers verbreitet hatte. Peng! Über Nacht vom<br />
Unbekannten zum Insider-Tipp werden – so etwas gab es im 20. Jahrhundert<br />
in der deutschen Weinszene einfach nicht!<br />
Stefan Winters Leckerberg war aber keine Eintagsfliege. 2013<br />
wurde das Weingut Winter vom VDP aufgenommen und erzeugt seitdem<br />
jedes Jahr drei der besten Riesling GGs Rheinhessens: Geiersberg,<br />
Kloppberg und Leckerberg. Und seine Geschichte ist kein Einzelfall,<br />
wie das Beispiel Daniel Wagner vom Weingut<br />
Wagner-Stempel in Siefersheim beweist. Auch<br />
meine erste Begegnung mit ihm führte zu einem<br />
»Wo?!«-Moment für mich. Inzwischen sind seine<br />
Riesling GGs aus den Lagen Höllberg und Heerkretz<br />
längst neue deutsche Klassiker, die nicht nur reichlich<br />
getrunken, sondern auch hoch geschätzt und<br />
gerne gesammelt werden.<br />
Diese Kombination von Winzern und Weinen<br />
ist besonders spannend, weil beide so unterschiedlich<br />
sind. Ein Heerkretz GG vom<br />
Weingut Wagner-Stempel ist ein nahezu konträres<br />
Geschmackserlebnis zu einem Leckerberg GG vom<br />
Weingut Winter, obwohl es sich in beiden Fällen um<br />
trockene Rieslinge mit 13% Alkoholgehalt handelt<br />
und die anderen analytischen Werte der Weine ebenfalls<br />
ziemlich ähnlich aussehen. Trotz seines Drives<br />
ist Stefan Winters Leckerberg GG ein eleganter<br />
und geschmeidiger Wein mit griffger Textur und<br />
sanfter Mineralik. Dagegen wirkt Daniel Wagners<br />
Heerkretz GG karg und fordernd, mit pointierter<br />
Säure und kerniger Mineralik, die das Geschmacksfinale<br />
stark prägen. Im Duft herrschen Noten von<br />
Rauch bis Grapefruit und Maracuja vor, während<br />
der Leckerberg eher durch Pfirsich und Mirabellen-<br />
Noten besticht. Diese Unterschiede sind keineswegs<br />
die Folge von Launen der Winemaker, geschweige<br />
denn Zufälle. Der Heerkretz wird von Rhyolith<br />
bestimmt, ein rötliches porphyritisches Gestein (von<br />
den Wagners meistens einfach »Porphyr« genannt),<br />
während der Boden im Leckerberg aus verwittertem<br />
Kalkstein besteht.<br />
Der Durchbruch für diese neuen Klassiker des<br />
deutschen Rieslings basiert also nicht darauf, einem<br />
bestimmten angesagten Geschmackstypus zu entsprechen.<br />
Eher verdanken sie ihren Erfolg der Tatsache,<br />
dass es sich um ganz eigene und überraschende<br />
Weine handelt. Der Markt nahm sie als unterschiedliche<br />
Innovationen wahr. Diese Beispiele verdeutlichen<br />
auch, wie der deutsche Wein sich seit der Jahrhundertwende<br />
so positiv entwickeln konnte: weil<br />
sich die Qualität durch viele begabte junge Winzer<br />
dramatisch gebessert hat, aber auch, weil zugleich<br />
sehr viele verkannte und vergessene Spitzenlagen<br />
entdeckt und wiederentdeckt wurden. <strong>Das</strong> Gesamtbild<br />
des deutschen Weins ist daher sehr viel breiter<br />
und bunter als vor zwanzig Jahren und diese Vielfalt<br />
wächst immer weiter.<br />
Natürlich gibt es ein Zufallselement bei den<br />
Terroir-Innovationen von Stefan Winter und Daniel<br />
Wagner, schließlich sind sie in diesen Ortschaften<br />
aufgewachsen und haben Reben in diesen Lagen<br />
geerbt, die seit Langem im Familienbesitz sind. <strong>Das</strong><br />
ist etwas anderes als etwa bei Eva Fricke, geboren<br />
in Oldenburg und bei Bremen aufgewachsen, wo es<br />
keine in Vergessenheit geratene oder noch unentdeckte<br />
Riesling-Spitzenlagen gibt. Für sie war der<br />
Weg nach Lorch und Lorchhausen im äußersten<br />
Nordwesten des Rheingaus wirklich weit; schließlich<br />
hat sie sich für die dortigen Weinbergslagen<br />
entschieden (und damit auch gegen andere Lagen).<br />
Eine komplett andere Situation als bei den rheinhessischen<br />
Jungwinzern.<br />
Nach dem Weinbau-Studium auf der Geisenheimer<br />
Wein-Uni war sie ein Jahr beim Weingut J. B.<br />
Becker in Walluf im Rheingau, wechselte dann aber<br />
für eine längere Zeit zum damals stark aufstrebenden<br />
Rheingauer Weingut Leitz in Rüdesheim. Dort lernte<br />
sie die Besonderheiten der Steillagen des Rüdesheimer<br />
Bergs mit ihren steinigen Böden aus Taunusquarzit<br />
und Phyllitschiefer kennen und beschäftigte<br />
sich intensiv mit den Anforderungen der Riesling-<br />
Reben an diesem extremen Standort. Nur in nassen<br />
Jahren bleibt Trockenstress für die Reben dort ganz<br />
aus, aber wenn alles gut läuft, sind sie durchaus auf die<br />
Härteprüfung eines heißen und trockenen Sommers<br />
vorbereitet. Pflegt man sie gut, bringen sie Weine mit<br />
viel Rasse und einer ausgeprägten Mineralik hervor.<br />
Im Keller verleiht ihnen eine sehr langsame Gärung<br />
und lange Lagerzeit auf der gesamten Hefe im Fass<br />
etwas Schmelz, so dass sie weniger karg und säuredominant<br />
wirken. <strong>Das</strong> und noch viel mehr lernte<br />
Eva Fricke beim Weingut Leitz.<br />
In den Steillagen von Lorch und Lorchhausen,<br />
die ebenfalls am rechten Rheinufer liegen, herrschen<br />
ähnliche Bedingungen, hier sind Weine mit den<br />
gleichen Grundzügen möglich. Trotzdem gab es<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts keine trockenen Rieslinge<br />
aus diesen Lagen, die es annähernd mit den<br />
Spitzenweinen aus dem Rüdesheimer Berg aufnehmen<br />
konnten. Aus diesem Grund hatten sie<br />
nicht einmal einen schlechten Ruf, sondern waren<br />
fast vollkommen unbekannt. <strong>Das</strong> war die Ausgangsposition,<br />
als Eva Fricke 2006 ganze 0,24 Hektar in<br />
der Lage Lorcher Krone pachtete, einen Keller in<br />
Kiedrich mietete und im Alter von 30 Jahren ihren<br />
Diese Beispiele verdeutlichen auch, wie der deutsche<br />
Wein sich seit der Jahrhundertwende so positiv entwickeln<br />
konnte: Weil sich die Qualität durch viele<br />
begabte junge Winzer dramatisch gebessert hat, aber<br />
auch, weil zugleich sehr viele verkannte und vergessene<br />
Spitzenlagen entdeckt und wiederentdeckt wurden.<br />
ersten Wein abfüllte, auf dessen Etikett »Weingut<br />
Eva Fricke« stand. <strong>Das</strong> ganze Unterfangen wirkte<br />
sehr gewagt.<br />
Bereits 2007 erzeugte sie einen bahnbrechenden<br />
Wein aus dieser Lage, mit<br />
geballter mineralischer Kraft und zugleich<br />
so strahlend und geradlinig wie ein Laserstrahl am<br />
nächtlichen Himmel. Der Aufbau des Weinguts lief<br />
gut, und im September 2011 konnte sie beim Weingut<br />
Leitz kündigen und sich ganz und gar dem eigenen<br />
Betrieb widmen. Gemeinsam mit anderen Weinmachern<br />
in Lorch, allen voran der Japanerin Tomoko<br />
Kuriyama (2007 bis 2011 Kellermeisterin beim Weingut<br />
Altenkirch, seitdem mit dem eigenen Betrieb<br />
Chanterêves im Burgund), hat sie das Ansehen ihrer<br />
Gemeinde in der Weinszene massiv gesteigert.<br />
<strong>Das</strong>s der Aufbau eines eigenen Weinguts aus dem<br />
Nichts kein Kinderspiel ist, sollte jedem intelligenten<br />
Menschen klar sein, aber die Verschlossenheit einiger<br />
Rheingauer Winzer und die Gleichgültigkeit mancher<br />
Regionalpolitiker sorgten für zusätzliche Hürden.<br />
88 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 DIE PIGOTT KOLUMNE<br />
DIE PIGOTT KOLUMNE <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 89
WENIG<br />
SHOW,<br />
VIEL<br />
ELEGANZ<br />
»JETZT ODER NIE« DACHTE FRED PRINZ, ALS ER – NACH<br />
VIELEN JAHREN IM KLOSTER EBERBACH – IM JAHR 2004<br />
EIN WEINGUT IN HALLGARTEN ÜBERNAHM. UNTER<br />
SEINER FÜHRUNG UND MIT HILFE DER FAMILIE BEKOMMT<br />
DORT JEDER WEIN NUN GENAU DAS, WAS ER BRAUCHT,<br />
UM SEINEN CHARAKTER BESTMÖGLICH ZU ENTFALTEN.<br />
In Hallgarten ist der Wein allgegenwärtig. So ziemlich jeder hier<br />
hat mit Wein zu tun, fast jede Familie besitzt ein paar Quadratmeter<br />
Weinberge, deren Trauben früher an die Genossenschaft<br />
verkauft wurden. »Meine Großeltern hatten auch ein paar Rebstöcke,<br />
das hat mir immer Spaß gemacht«, erzählt Fred Prinz.<br />
<strong>Das</strong>s der Wein einmal in diesem Maße sein Leben bestimmen<br />
würde, hat er allerdings nicht geplant.<br />
Ein Besuch im Weingut Prinz irritiert die meisten Besucher zunächst. Statt<br />
eines typischen Winzerhofs mit Scheune, Hof, Keller findet man sich<br />
vor einem großen, aber unspektakulären Zwei-Parteien-Haus mitten im<br />
Wohngebiet von Hallgarten wieder. Nach Weingut sieht hier nichts aus und<br />
erst nach einigen Stufen auf dem Weg zur Haustür gibt das metallene Schild<br />
mit dem VDP Adler einen ersten Hinweis darauf, dass man hier richtig ist. Den<br />
überraschten, fragenden Blick seiner Besucher kennt Fred Prinz schon. »<strong>Das</strong><br />
hier hat sich einfach so ergeben«, sagt er lachend zur Begrüßung. Oben wohnt<br />
die Familie, im Keller neben dem Raum mit der Waschmaschine empfängt<br />
Fred Prinz Kunden und Besucher in einem kleinen, schlichten Verkostungszimmer;<br />
mehr Weingut ist hier nicht. »Unser Keller und unsere Lager sind an<br />
verschiedene Standorte verteilt, da gibt es auch nicht viel zu sehen«, erzählt<br />
Von KRISTINE BÄDER<br />
Fotos ARNE LANDWEHR<br />
100 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 RHEINGAU<br />
RHEINGAU <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 101
WIE KOMMEN SIE DURCH DIE KRISE?<br />
ZWISCHENRUF<br />
»Wir genießen momentan die gemeinsame Zeit mit<br />
unseren Söhnen im Weinberg. Beide sollten jetzt<br />
eigentlich studieren, der eine in München, der andere<br />
in Geisenheim – aber beide helfen momentan lieber<br />
mit Begeisterung im Weingut. Felix hat zudem<br />
seinen ersten eigenen Weinberg mit etwa 16 500<br />
Reben pro Hektar gepflanzt, der jetzt viel Pflege<br />
benötigt. Uns wird also nicht langweilig.<br />
Außerdem haben wir im Garten so viel Obst und<br />
Gemüse angepflanzt, dass wir uns beinahe selbst<br />
versorgen können, und uns dazu noch den Traum<br />
von eigenen Hühnern erfüllt. Ich liebe es, morgens<br />
früh in den Stall zu gehen und Frühstückseier für<br />
Familie und Freunde zu holen. Schöner kann für uns<br />
ein Tag nicht beginnen.<br />
Die Erntemenge in 2019 war deutlich kleiner als<br />
in 2018, besonders beim Riesling. Die Qualität ist<br />
allerdings exzellent – insofern war der Jahrgang auch<br />
wieder rasch vergriffen.<br />
Wir freuen uns, dass die Restaurants jetzt nach und<br />
nach wieder öffnen – diese Branche musste sehr<br />
leiden in den vergangenen Wochen und Monaten.<br />
Wir hoffen sehr, dass dort nun alles wieder rasch und<br />
gut anläuft!«<br />
Klaus-Peter Keller, Weingut Keller, Rheinhessen<br />
Foto: Christof Herdt<br />
120 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 121
DIE<br />
KUNST<br />
DER<br />
REDUKTION<br />
<strong>Das</strong> Weingut Bäder im rheinhessischen Wendelsheim<br />
zeigt, wie man die Balance hält – zwischen neuen Herausforderungen<br />
und der Vertiefung des Erreichten.<br />
Von URSULA HEINZELMANN Fotos CHRISTOF HERDT<br />
»Manchmal denke ich, es wäre schön, alles zurückzufahren, zwei, vielleicht zweieinhalb<br />
Hektar ganz allein zu machen, direkt verkaufen, fertig«, sagt Katja Bäder. Sie vermisst<br />
die Arbeit im Weinberg, denn die gut zehn Hektar, die das Weingut tatsächlich<br />
umfasst, bringen viele Stunden im Büro mit sich, Zahlen und Papierkrieg statt Rebendirektbetreuung.<br />
Doch das Schrumpfen ist leichter gesagt als getan bei Angeboten wie<br />
für den »Dschungel«: »Eine total verwilderte Parzelle, quasi direkt hinter dem Haus<br />
und an unsere Flächen angrenzend – die mussten wir einfach nehmen«, sagt Jens<br />
Bäder. Auch er ist hin- und hergerissen zwischen der Lust auf Neues und dem Bedürfnis<br />
nach Vertiefung.<br />
Doch ist das keinesfalls ein Konflikt, sondern eher ein ständiges Überprüfen: Ist das wirklich, was<br />
wir machen wollen? Es hat sich als guter Leitfaden erwiesen, denn im entscheidenden Moment<br />
war das Winzerpaar noch immer flexibel genug, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im<br />
trauten Wendelsheim im äußersten Südwesten des Gebiets, der sogenannten Rheinhessischen Schweiz,<br />
weist seit dem Jahr 2009 ein silberfarbener Schriftzug mit explizitem Pfeil durch ein wettergegerbtes<br />
Tor, in einen behutsam neu gestalteten Hof mit alten Holzgebäuden, Kopfsteinpflaster, Katze und Hund.<br />
Durch die hohe Scheune mit Keller und Probierraum geht es in den Garten. Hinten eine Steinmauer,<br />
122 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 RHEINHESSEN<br />
RHEINHESSEN<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>0 123
<strong>FINE</strong>ABGANG<br />
Grosse Weine von Mosel und Rheingau<br />
ABSCHIED<br />
Freund, Wegbegleiter und fast ein wenig Familie – Thomas Schröder war viel<br />
mehr für mich als allein der Chefredakteur von <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong>.<br />
Meine erste Begegnung mit ihm hatte ich als noch junger Sommelier in der<br />
Ente vom Lehel in Wiesbaden. Schnell entwickelte sich ein Gespräch, ein Diskurs<br />
auf Augenhöhe und anschließend ein dauerhafter Austausch mit ihm über<br />
Wein und alles, was damit zu tun hatte. Mir, dem »Jungen aus dem Hunsrück«,<br />
widmete er als Chefredakteur des F.A.Z.-Magazins einen siebenseitigen Artikel,<br />
was mich damals überraschte und sprachlos machte. Mehr kann man in so jungen<br />
Jahren kaum erreichen!<br />
Als ich viele Jahre später im Tre Torri Verlag ein <strong>Weinmagazin</strong> aus der Taufe<br />
hob, war mir von Beginn an klar, dass ich Thomas Schröder als Chefredakteur<br />
dafür gewinnen musste – und er ließ sich zu meiner großen Freude darauf ein.<br />
Von der ersten Ausgabe an hat er die <strong>FINE</strong> zu dem gemacht, was sie heute ist:<br />
die anspruchsvollste Weinzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Als Weinliebhaber<br />
und -kenner, vor allem aber als journalistisches Schwergewicht hat er<br />
über die vielen Jahre meine manchmal verrückten Ideen mit einem Lachen und<br />
schmunzelnder Kritik begleitet. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.<br />
Jetzt muss es ohne ihn weitergehen. Er und seine Professionalität, sein Humor,<br />
seine Freude am Genuss von gutem Essen, begleitet von einem schönen Tropfen,<br />
vor allem aber seine Freundschaft werden mir dabei sehr fehlen.<br />
Ralf Frenzel<br />
Herausgeber und Verleger<br />
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www.wegeler.com
Unsere Weine sind<br />
so individuell wie<br />
wir – und gemacht<br />
fürs Miteinander.<br />
Weine aus Rheinhessen:<br />
Qualität, die man schmeckt.<br />
Die 13 deutschen Weinregionen sind<br />
geschützte Ursprungsbezeichnungen.<br />
Rheinhessen ist eines der 13 deutschen Anbaugebiete, das die EU als<br />
geschützte Ursprungsbezeichnung anerkannt hat. Es ist die größte<br />
deutsche Weinregion und erstreckt sich linksrheinisch am Rheinbogen<br />
von Worms über Mainz nach Bingen. Im trockenen Klima wachsen zu<br />
70% weiße Rebsorten – vor allem Riesling, die Burgundersorten sowie<br />
der Silvaner. Mehr Informationen zur geschützten Ursprungsbezeichnung<br />
Rheinhessen: www.rheinhessen.de/gu