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RA UM Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen am ... - Sonnendeck

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Jahresendparty im<br />

Schlupfkasack<br />

Wie ich einmal eine funkelnagelneue Epi<strong>der</strong>mis bek<strong>am</strong><br />

Modisch aktueller Knöpfkasack<br />

aus doppelt gewalkter Baumwolle<br />

mit Zierkragen und Einstecktasche<br />

im Brustbereich<br />

Es war <strong>der</strong> Silvesterabend vor circa<br />

fünf Jahren. Wir hatten innerhalb<br />

einer Stunde zu viert sieben Flaschen<br />

Sch<strong>am</strong>pus getrunken und waren<br />

auch sonst nicht gerade nüchtern.<br />

Die Musik war gut, interessierte<br />

uns jedoch zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht, denn von<br />

<strong>der</strong> Straße vor <strong>der</strong> Galerie<br />

wehte, obschon erst viertel<br />

vor elf, entfesseltes<br />

Fe u e r w e r k s g e b ö l l e r<br />

herüber. Meine Ehre als<br />

Oberpyromane stand<br />

auf dem Spiel, also<br />

überzeugte ich die an<strong>der</strong>en<br />

Freunde schon jetzt auf<br />

unser etwa vierhun<strong>der</strong>t Euro<br />

schweres Arsenal an stinkenden<br />

Knall- und Lichtmaschinen<br />

zurückzugreifen. Ich schnappte<br />

mir ein als „Double Trouble“<br />

ausgewiesenes Sortiment an<br />

C- und D-Knallern, zweistrahligen<br />

Shining Buddha Buddha-Raketen<br />

und je fünfminütigen<br />

Urban<br />

Storm Storm-Fegefeuerbatterien.<br />

Auf <strong>der</strong> Straße angekommen,<br />

verschaffte ich mir zunächst<br />

Respekt mit sechs Salven<br />

Double-Ds: Perverser Lärm, dreckige<br />

Echos und überall umherfliegende<br />

klimmende Böllerfetzen vertrieben<br />

einen Gutteil <strong>der</strong> Kontrahenten von<br />

den besten Standorten, einige Nachbarn<br />

griffen wie<strong>der</strong>holt zum Löschsand.<br />

Die mir so zu Teil gewordene<br />

Aufmerks<strong>am</strong>keit rechtfertigte ich in<br />

<strong>der</strong> Folge mit leichterem Material <strong>der</strong><br />

Klasse C und B. Meine Freunde böllerten<br />

und zischten ebenfalls euphorisch<br />

herum, so dass es mir unbemerkt<br />

möglich wurde, in <strong>der</strong> Mitte des<br />

sich nun bildenden Menschenpulks<br />

eine Raketen-Serie zu stellen. Meine<br />

Wahl galt den beson<strong>der</strong>s prunkvollen<br />

Indian Summer- und Mao’s Birthday-<br />

Raketen. Ich besann mich auf einen<br />

alten Trick, <strong>der</strong> hier, in einem eher<br />

bürgerlich geprägten Viertel, sicher<br />

noch ziehen müsste: Die Indian Summers<br />

richtete ich in den Himmel, die<br />

Mao’s Birthday Birthday-Raketen aber richtete<br />

ich horizontal aus. Während also die<br />

Zuschauer in den Himmel starrten<br />

und die zweifellos grandiosen Leuchteffekte<br />

des indischen Diwali-Fests<br />

bestaunten, traktierte ich ihre Beine<br />

mit Raketen, die den N<strong>am</strong>en des<br />

ehemals großen Vorsitzenden <strong>der</strong><br />

Volksrepublik trugen. Die Nachbarn<br />

schrien und ächzten, versuchten mit<br />

hilflosen Ausfallschritten den leuchtenden<br />

und umherrasenden Feuerbällen<br />

auszuweichen. Es war ein wahrer<br />

Veitstanz zu bestaunen: Geschundene<br />

Bürgerseelen im Taumel des alles<br />

verzehrenden Lichts – und das noch<br />

vor Mitternacht. Diese kleine Boshaftigkeit<br />

wurde mir jedoch schon bald<br />

doppelt heimgezahlt. Beim Entfachen<br />

einer Reihe kreisförmig aufgestellter<br />

Fegefeuerbatterien war ich wohl aufgrund<br />

<strong>der</strong> vorher verkosteten Extra<br />

Bruts zu langs<strong>am</strong>. Während ich noch<br />

mit dem Entzünden <strong>der</strong> letzten Höllenmaschine<br />

beschäftigt war, ging<br />

die erste schon los. Ein sehr schön<br />

anzusehen<strong>der</strong> aber furchtbar heißer<br />

Silberschweif fackelte mir die linke<br />

Hand und große Teile des Unterarms<br />

ab. Ich entfernte fachgerecht die<br />

verkohlten Überreste meiner Pierre<br />

Cardin-Jacke und diagnostizierte eine<br />

Verbrennung 2. bis 3. Grades. Sofort<br />

lief ich zum nahegelegenen Furtbachkrankenhaus,<br />

um mich dort in die<br />

Behandlung von Dr. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe zu begeben, ein Weißkittel,<br />

<strong>der</strong> unter Pyromanen als Koryphäe<br />

gilt. Im Vorzimmer des Böllerdoktors<br />

schnitt mich die sehr liebreizende<br />

Philippa Rösler aus meinen Klei<strong>der</strong>n<br />

und verpasste mir i.v. ein stark wirks<strong>am</strong>es<br />

Schmerzmittel. Solchermaßen<br />

gestärkt, betrat ich bester Laune die<br />

Ordination des großen Hoppe. Dieser<br />

beglückwünschte mich zunächst zur<br />

Wahl meiner nun allerdings von <strong>der</strong><br />

kühnen Philippa komplett ruinierten<br />

Abendgar<strong>der</strong>obe aus reiner Schurwolle.<br />

Hoppe: „Hätten Sie Polyester<br />

angehabt, müssten wir jetzt bis zur<br />

Subcutis (Unterhaut, dritte und <strong>am</strong><br />

tiefsten liegende Hautschicht) abtragen.<br />

Beim Zündeln immer Wolle,<br />

Loden o<strong>der</strong> Naturfilz tragen!“ Ich:<br />

„Ehrensache Doc!“ Hoppe: „Wir<br />

haben hier eine Verbrennung des<br />

Grades 2b, wollen Sie Kunsthaut o<strong>der</strong><br />

Flickschusterei?“ Ich: „Kunsthaut<br />

klingt besser.“ Hoppe: „Kreditkarte<br />

dabei?“ Ich: „Wurde eingezogen! Sie<br />

wissen ja, Jahresende und so!“ Hoppe:<br />

„Haben sie im nächsten Vierteljahr an<br />

insges<strong>am</strong>t sechs Wochenenden Zeit,<br />

um mich auf meinen Vortragsreisen<br />

als Musterpatient zu begleiten?“<br />

Ich: „Kommt Philippa auch mit?“<br />

Hoppe: „Ja, Frau Rösler betreut die<br />

Hautoutfits Bergstation Kitzbühel,<br />

Brun de la lune und Waikiki <strong>der</strong> aktuellen<br />

Frühjahr/Sommer-Kollektion<br />

meiner Human-Redesign-Firma Haut<br />

Couture.“ Ich: „Gebongt!“ Hoppe:<br />

„Ich muss sie darauf aufmerks<strong>am</strong><br />

machen, dass Sie für Ihren Einsatz<br />

als Anschauungsobjekt keine Aufwandsentschädigung<br />

erhalten! Als<br />

Gegenleistung verpasse ich Ihnen nun<br />

kostenlos eine Kunsthaut.“ Hoppe<br />

entfernte mittels eines antiseptischen<br />

Ultraschallbads die Hautreste an<br />

Hand und Unterarm, trug eine mit<br />

geklonten neuronalen Rezeptoren<br />

durchsetzte Kontaktschicht auf und<br />

versiegelte mit transgener Kunsthaut<br />

aus <strong>der</strong> Biotech-Schmiede Procutis<br />

in Neckargemünd. Neckargemünd<br />

zählt zu den beklagenswerten badenwürttembergischen<br />

Dörfern, die seit<br />

Jahrzehnten darauf warten, einmal in<br />

<strong>der</strong> SWR-Fernsehsendung „Fahr mal<br />

hin“ Erwähnung zu finden. Den im<br />

Stakkatoton vorgetragenen Anweisungen<br />

Hoppes Folge leistend, steckte<br />

ich zum Abschluss <strong>der</strong> Behandlung<br />

meine Extremität abwechselnd in<br />

eine Art Mikrowellenherd und in eine<br />

Stimulator-Vorrichtung, die peinlich<br />

an ein zu groß geratenes Sexspielzeug<br />

für Männer erinnert, aber lediglich<br />

<strong>der</strong> Aktivierung neu implantierter<br />

Hautnerven dient. Hoppe: „Fertig! Sie<br />

können sich jetzt wie<strong>der</strong> anziehen!“<br />

Ich: „Aber, ich habe keine Klei<strong>der</strong>, die<br />

arglose Philippa hat sie gänzlich zerschnitten!“<br />

Hoppe: „Frau Rösler wird<br />

ihnen einen Schlupfkasack geben.<br />

Blau o<strong>der</strong> Grün?“ Als Schlupfkasack<br />

(vulgo: OP-Kittel) bezeichnet man<br />

ein bei sehr hohen Temperaturen<br />

waschbares Halbarm-Textil, das<br />

hauptsächlich in medizinischen Berufen<br />

Anwendung findet. Ich: „Blau!“.<br />

Während Frau Rösler einen passenden<br />

Schlupfkasack suchte, betrachtete<br />

ich meine redesignte Haut. Linke<br />

Hand und Unterarm waren sehr<br />

schön anzusehen, wirkten keinesfalls<br />

restauriert, son<strong>der</strong>n ebenmäßig und<br />

auf eine unaufdringliche Art neu. Als<br />

ich beide Hände nebeneinan<strong>der</strong> legte,<br />

schien die rechte vor Neid ein wenig<br />

zu erblassen. Beim Überziehen des<br />

Kasacks erwies sich die Motorik <strong>der</strong><br />

„neuen“ Hand als zweckmäßig und<br />

auch die Rückkehr <strong>der</strong> Sensorik kündigte<br />

sich - rekordverdächtige fünf<br />

Minuten nach Ende <strong>der</strong> <strong>am</strong>bulanten<br />

OP - mit einem charmanten Kribbeln<br />

an. Begierig rieb ich das feine, doppelt<br />

gewalkte Tuch des OP-Kasacks zwischen<br />

meinen Fingern und ergötze<br />

mich an den präzisen Rückmeldungen<br />

meiner <strong>Merkel</strong>schen Tastscheiben.<br />

Mit den Worten „Gute Arbeit, Doc!“<br />

verließ ich die Ambulanz. „Halten Sie<br />

sich die Wochenenden frei. Ich melde<br />

mich!“ rief mir Hoppe hinterher.<br />

Auf dem Rückweg zur Silvesterparty<br />

zerriss ich seine Visitenkarte und<br />

stopfte die Fetzen in die Babyklappe<br />

des Statistischen Landes<strong>am</strong>tes. Mit<br />

großem Hallo wurde ich bei <strong>der</strong> mittlerweile<br />

deutlich angeschwollenen<br />

Party begrüßt. Man gratulierte mir<br />

zu meinem blauen Schlupfkasack,<br />

den viele <strong>der</strong> nun etwa 40 Gäste für<br />

ein beson<strong>der</strong>s innovatives Mode-<br />

Statement hielten. Ich trat zu meinen<br />

Freunden, schloss sie in die Arme<br />

und zeigte ihnen meine neue Haut.<br />

Wir diskutierten die verblüffenden<br />

Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Medizin und<br />

stießen wie<strong>der</strong>holt auf Doc Hoppe an.<br />

Es folgte ausgelassenes Tanzen und<br />

naiver Irrsinn. Als <strong>der</strong> Morgen dämmerte,<br />

verließ ich das noch immer<br />

agile Fest mit dem Hinweis, ich müsse<br />

noch meinen Reifendruck prüfen.<br />

Hansjörg Fröhlich<br />

Wer komplizierte Eingriffe vornimmt,<br />

sollte auch angemessen<br />

gekleidet sein: Rösler und Hoppe<br />

im lindgrünen Schlupf kasack<br />

10 – POOL POOL – 11

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