RA UM Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen am ... - Sonnendeck
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Michelangelo: Der heilige Bartholomäus, Detail des Jüngsten Gerichts,1534 – 41, Fresko, Rom, Sixtinische Kapelle<br />
literatur:<br />
· Werner hofmann:<br />
marsyas und apoll,<br />
münchen 1973<br />
· ernst G. Jung (hg.): kleine<br />
kulturgeschichte <strong>der</strong> haut,<br />
darmstadt 2007<br />
· ovid: met<strong>am</strong>orphosen<br />
(versch. ausgaben)<br />
· ursula renner/<br />
manfred Schnei<strong>der</strong> (hg.):<br />
häutung. lesarten des<br />
marsyas-mythos,<br />
münchen 2006<br />
· ulrike zeuch (hg.): verborgen<br />
im buch, verborgen im körper.<br />
haut zwischen 1500 und 1800<br />
(ausst.-kat.), Wolfenbüttel 2003<br />
8 – POOL<br />
Louvre als Opfer von Gewalt in <strong>der</strong><br />
Haltung des Gekreuzigten? Doch<br />
Marsyas ist nicht nur Opfer. Hrdlicka<br />
selbst sah in ihm einen „‚Mann<br />
des Volkes’, <strong>der</strong> die Obrigkeit, in<br />
<strong>der</strong> Sage also die Gottheit, nicht<br />
akzeptiert, son<strong>der</strong>n herausfor<strong>der</strong>t“.<br />
Mit hoch empor gestrecktem Arm,<br />
als auf begehren<strong>der</strong> Alternativer,<br />
steht Hrdlickas bronzener Marsyas I<br />
(1955/57 – 62) seit 2008 zwischen<br />
Altem Schloss und Karlsplatz auf<br />
dem Stuttgarter Stauffenbergplatz.<br />
Entgegen dem traditionellen Dualismus<br />
von apollinischem (kultiviertem,<br />
maßvollem) und dionysischem<br />
(wildem, orgiastischem)<br />
Prinzip, ist es aber auch um Apoll<br />
komplizierter bestellt: Zeigt er nicht<br />
durch seine grausige Tat, dass auch<br />
er einen dionysischen Anteil besitzt?<br />
Begeht er mit dem blutigen Spektakel<br />
nicht eine ästhetische Grenzverletzung?<br />
Die Haut des Marsyas wird im<br />
Akt des Schindens zu Apolls zweiter<br />
Haut. Derart interpretiert Stéphane<br />
Dumas Jusepe de Riberas Version<br />
von Apoll und Marsyas (1637), auf<br />
<strong>der</strong> die Mantelfarbe des Olympiers<br />
ganz auffällig <strong>der</strong> zinnoberroten<br />
Hautinnenseite des Satyrn ähnele.<br />
Der Dualismus erweist sich hier als<br />
eine Ambiguität, die Werner Hofmann<br />
als „produktiven Konflikt“<br />
in den Versen Charles Baudelaires<br />
(1821 – 1867) wie<strong>der</strong>erkannte: „Je<br />
suis la plaie et le couteau/ Et la victime<br />
et le bourreau.“ („Ich bin die Wunde<br />
und das Messer/ Und das Opfer und<br />
<strong>der</strong> Henker.“)<br />
Der Mythos von Marsyas und Apoll<br />
steht paradigmatisch für den Künstler,<br />
<strong>der</strong> beide Persönlichkeitszüge<br />
in sich vereint. In diesem Sinne<br />
kann man auch die Schnittbil<strong>der</strong><br />
Lucio Fontanas (1899 – 1968) verstehen.<br />
Seine Tagli sind Zeichen <strong>der</strong><br />
Kreation und <strong>der</strong> Destruktion: Als<br />
persönliche Schöpfung und zugleich<br />
als Selbstentäußerung bedeutet<br />
das Aufschlitzen <strong>der</strong> Leinwand<br />
eine imaginäre Selbstverletzung.<br />
Der Künstler ist in gewisser Weise<br />
auch ein écorché. Apoll und Marsyas<br />
– Täter und Opfer, Agens und<br />
Patiens, Schin<strong>der</strong> und Geschundener<br />
fallen in eins, die Subjekt-<br />
Objekt-Grenzen sind aufgehoben.<br />
Sebastian Borkhardt<br />
Illustration: Julia Keppeler