The Red Bulletin August 2020 (DE)
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<strong>The</strong> red bulletin:<br />
Marc, <strong>2020</strong> ist dein Bruder<br />
Álex dein Team kollege –<br />
als Rookie in der Königsklasse.<br />
Erinnerst du dich, wie du dir einst<br />
den Respekt deiner Konkurrenten<br />
erarbeitet hast?<br />
marc márquez: Glasklar. Als ich<br />
zum ersten Mal als MotoGP-Werksfahrer<br />
in die Box gekommen bin, war<br />
das ein Schock. Das Repsol-Team<br />
war sehr erfolgreich, Honda ist der<br />
größte und erfolgreichste Hersteller<br />
der Welt, und plötzlich gehörte ich<br />
dazu. Ich hatte riesigen Respekt davor,<br />
was mich erwarten würde. Ich<br />
war der erste Rookie, dem es erlaubt<br />
wurde, ohne Lehrjahre bei Satellitenteams<br />
in die Werksmannschaft zu<br />
wechseln. Der Druck …<br />
… muss gigantisch gewesen sein.<br />
Klar, und entsprechend vorsichtig<br />
bin ich auch an die Sache herangegangen.<br />
Keiner kann als Neuling<br />
in die Firma kommen und glauben,<br />
den Boss spielen zu können. Das<br />
funktioniert nirgends.<br />
Wie funktioniert es dann?<br />
Die Kunst ist, die Balance zwischen<br />
der Zurückhaltung eines Einsteigers<br />
und der positiven Einstellung von<br />
jemandem, der für eine Aufgabe ausgewählt<br />
wurde, zu finden. Du darfst<br />
dich auch nicht kleiner machen, als<br />
du bist. Immerhin hatten die Chefs<br />
Vertrauen in dich, sonst hätten sie<br />
jemand anderen genommen. Und<br />
so muss man Schritt für Schritt<br />
das Vertrauen und den Respekt der<br />
Menschen erwerben, mit denen man<br />
täglich zu tun hat. Erst im nächsten<br />
Schritt kann man sich dann um die<br />
Außenwelt kümmern.<br />
Beginnen wir mit der inneren<br />
Schicht. Wie erwirbt man sich<br />
den Respekt der Kollegen?<br />
Indem man sie ernst nimmt und<br />
alle auf einer Ebene sieht, auch den<br />
einfachen Mechaniker. Wenn du<br />
ihnen keinen Respekt entgegenbringst,<br />
sehen sie ihre Arbeit bloß<br />
als Job. Um gut zu sein, darfst du<br />
aber keine Leute im Team haben, die<br />
„bloß einen Job“ erledigen. Das ist<br />
Charaktersache, aber ich sehe mein<br />
Rennfahren als Teamsport. Wir essen<br />
jedes Rennwochenende zusammen<br />
zu Abend – alle, die komplette Gruppe,<br />
von Donnerstag bis Samstag.<br />
Und nach jedem Sieg am Sonntag<br />
gibt es ein Gruppenfoto in der Box<br />
– wieder mit allen. Das zeichnet<br />
unsere Beziehung aus und macht<br />
uns stark: Jeder weiß die Arbeit der<br />
anderen wertzuschätzen.<br />
Wärst du mit der Einstellung in einem<br />
Teamsport nicht besser dran?<br />
Mein Crew Chief Santi Hernández<br />
und ich ticken sehr ähnlich. Immer<br />
wieder sagt einer von uns genau das,<br />
was du jetzt gefragt hast, über den<br />
anderen. Und der antwortet rituell:<br />
Und du solltest der Kapitän sein. Wir<br />
sind beide gut darin, soziale Gefüge<br />
auszubalancieren.<br />
Wie hat er deinen Respekt<br />
ursprünglich erlangt?<br />
Diese Geschichte habe ich noch<br />
nie erzählt. Als es darum ging, für<br />
Moto2 das perfekte Team zu formen,<br />
standen drei Kandidaten für den Job<br />
des Crew Chief zur Auswahl. Einer<br />
„Schlag sie auf<br />
der Strecke,<br />
nicht auf der<br />
Pressekonferenz.“<br />
Weltmeister Márquez (hier mit Valentino<br />
Rossi, li.) lässt lieber Taten sprechen.<br />
von ihnen hat beim Bewerbungsgespräch<br />
kein Wort über Geld verloren.<br />
Ihm ging es nur um die Sache:<br />
Er wollte mit mir arbeiten. Der Rest<br />
war ihm mehr oder weniger egal.<br />
Er hat an dich geglaubt.<br />
Und dadurch eine Vertrauensbasis<br />
gelegt, die bis heute trägt.<br />
Kannst du deinem Bruder Álex<br />
den Weg abkürzen, oder muss er<br />
jeden Schritt allein gehen?<br />
Ich kann ihm erzählen, wie ich es<br />
gemacht habe. Er ist mir charakterlich<br />
sehr ähnlich und hat sich<br />
den Respekt der Welt durch seinen<br />
Moto2-Titel erarbeitet. Seine Santis<br />
muss er aber selbst finden.<br />
Wann ist es Zeit, sich mit den<br />
Großen anzulegen?<br />
Man weiß nicht im Vorhinein, wann<br />
es jemand wissen will, wann es zur<br />
ersten Auseinandersetzung mit den<br />
etablierten Gegnern kommt. Also<br />
sollte man vorbereitet sein. Geistig,<br />
emotional, in unserem Fall auch<br />
körperlich. Wenn es so weit ist, kann<br />
man sich einen Satz vorsagen: „Ich<br />
bin nicht zufällig hier. Ich bin hier,<br />
weil ich mir diesen Platz erarbeitet<br />
habe.“ Das gilt im Sport, aber natürlich<br />
gilt das auch für jeden Job.<br />
Wie funktioniert das unter euch<br />
Racern: Wie geht ihr mit Rookies<br />
um? Aus anderen Sportarten weiß<br />
man, dass Einsteiger gern einmal<br />
abgecheckt werden, um ihre<br />
Schwachstellen herauszufinden.<br />
Du musst dir jeden anschauen,<br />
selbst wenn du im letzten Jahr Weltmeister<br />
warst. In irgendeiner Kurve<br />
an irgendeinem Tag kann jeder etwas,<br />
was kein anderer kann. Es kann<br />
schnell passieren, dass man dieses<br />
Wissen abrufen muss. Fabio Quartararo<br />
zum Beispiel war schlagartig<br />
ernst zu nehmen. Der war nicht mit<br />
Platz 3 happy, weil das für einen<br />
Rookie ein tolles Ergebnis ist. Er hat<br />
von Anfang an gezeigt, dass er siegen<br />
will. Am Ende definieren Ergebnisse,<br />
wie die anderen dich sehen.<br />
GETTY IMAGES<br />
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