<strong>The</strong> red bulletin: Marc, <strong>2020</strong> ist dein Bruder Álex dein Team kollege – als Rookie in der Königsklasse. Erinnerst du dich, wie du dir einst den Respekt deiner Konkurrenten erarbeitet hast? marc márquez: Glasklar. Als ich zum ersten Mal als MotoGP-Werksfahrer in die Box gekommen bin, war das ein Schock. Das Repsol-Team war sehr erfolgreich, Honda ist der größte und erfolgreichste Hersteller der Welt, und plötzlich gehörte ich dazu. Ich hatte riesigen Respekt davor, was mich erwarten würde. Ich war der erste Rookie, dem es erlaubt wurde, ohne Lehrjahre bei Satellitenteams in die Werksmannschaft zu wechseln. Der Druck … … muss gigantisch gewesen sein. Klar, und entsprechend vorsichtig bin ich auch an die Sache herangegangen. Keiner kann als Neuling in die Firma kommen und glauben, den Boss spielen zu können. Das funktioniert nirgends. Wie funktioniert es dann? Die Kunst ist, die Balance zwischen der Zurückhaltung eines Einsteigers und der positiven Einstellung von jemandem, der für eine Aufgabe ausgewählt wurde, zu finden. Du darfst dich auch nicht kleiner machen, als du bist. Immerhin hatten die Chefs Vertrauen in dich, sonst hätten sie jemand anderen genommen. Und so muss man Schritt für Schritt das Vertrauen und den Respekt der Menschen erwerben, mit denen man täglich zu tun hat. Erst im nächsten Schritt kann man sich dann um die Außenwelt kümmern. Beginnen wir mit der inneren Schicht. Wie erwirbt man sich den Respekt der Kollegen? Indem man sie ernst nimmt und alle auf einer Ebene sieht, auch den einfachen Mechaniker. Wenn du ihnen keinen Respekt entgegenbringst, sehen sie ihre Arbeit bloß als Job. Um gut zu sein, darfst du aber keine Leute im Team haben, die „bloß einen Job“ erledigen. Das ist Charaktersache, aber ich sehe mein Rennfahren als Teamsport. Wir essen jedes Rennwochenende zusammen zu Abend – alle, die komplette Gruppe, von Donnerstag bis Samstag. Und nach jedem Sieg am Sonntag gibt es ein Gruppenfoto in der Box – wieder mit allen. Das zeichnet unsere Beziehung aus und macht uns stark: Jeder weiß die Arbeit der anderen wertzuschätzen. Wärst du mit der Einstellung in einem Teamsport nicht besser dran? Mein Crew Chief Santi Hernández und ich ticken sehr ähnlich. Immer wieder sagt einer von uns genau das, was du jetzt gefragt hast, über den anderen. Und der antwortet rituell: Und du solltest der Kapitän sein. Wir sind beide gut darin, soziale Gefüge auszubalancieren. Wie hat er deinen Respekt ursprünglich erlangt? Diese Geschichte habe ich noch nie erzählt. Als es darum ging, für Moto2 das perfekte Team zu formen, standen drei Kandidaten für den Job des Crew Chief zur Auswahl. Einer „Schlag sie auf der Strecke, nicht auf der Pressekonferenz.“ Weltmeister Márquez (hier mit Valentino Rossi, li.) lässt lieber Taten sprechen. von ihnen hat beim Bewerbungsgespräch kein Wort über Geld verloren. Ihm ging es nur um die Sache: Er wollte mit mir arbeiten. Der Rest war ihm mehr oder weniger egal. Er hat an dich geglaubt. Und dadurch eine Vertrauensbasis gelegt, die bis heute trägt. Kannst du deinem Bruder Álex den Weg abkürzen, oder muss er jeden Schritt allein gehen? Ich kann ihm erzählen, wie ich es gemacht habe. Er ist mir charakterlich sehr ähnlich und hat sich den Respekt der Welt durch seinen Moto2-Titel erarbeitet. Seine Santis muss er aber selbst finden. Wann ist es Zeit, sich mit den Großen anzulegen? Man weiß nicht im Vorhinein, wann es jemand wissen will, wann es zur ersten Auseinandersetzung mit den etablierten Gegnern kommt. Also sollte man vorbereitet sein. Geistig, emotional, in unserem Fall auch körperlich. Wenn es so weit ist, kann man sich einen Satz vorsagen: „Ich bin nicht zufällig hier. Ich bin hier, weil ich mir diesen Platz erarbeitet habe.“ Das gilt im Sport, aber natürlich gilt das auch für jeden Job. Wie funktioniert das unter euch Racern: Wie geht ihr mit Rookies um? Aus anderen Sportarten weiß man, dass Einsteiger gern einmal abgecheckt werden, um ihre Schwachstellen herauszufinden. Du musst dir jeden anschauen, selbst wenn du im letzten Jahr Weltmeister warst. In irgendeiner Kurve an irgendeinem Tag kann jeder etwas, was kein anderer kann. Es kann schnell passieren, dass man dieses Wissen abrufen muss. Fabio Quartararo zum Beispiel war schlagartig ernst zu nehmen. Der war nicht mit Platz 3 happy, weil das für einen Rookie ein tolles Ergebnis ist. Er hat von Anfang an gezeigt, dass er siegen will. Am Ende definieren Ergebnisse, wie die anderen dich sehen. GETTY IMAGES 74 THE RED BULLETIN
MENTALE STÄRKE „Zuerst musst du dir den Respekt deines engsten Umfelds verdienen“, sagt Marc Márquez. „Aus der intakten Gemeinschaft entsteht die Stärke, dir die Achtung selbst der härtesten Gegner zu erarbeiten.“ THE RED BULLETIN 75