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#9 Verantwortung

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Verantwortung & Gesellschaft

Influencer_innen anziehend auf die Heranwachsenden wirke

(vgl. E3: 158ff.), sondern dass viele von ihnen darin ein

eigenes Ziel sähen: „Ich glaube wirklich, dass es hier einige

Kinder und Jugendliche gibt, die als Berufswunsch Influencer_in

haben“ (ebd.: 160f.). Eine andere Therapeutin fasst

die anziehenden Eigenschaften folgendermaßen zusammen:

„Die sind so schön, die sind so erfolgreich, denen gelingt alles

sofort, die können sich sehr gut darstellen, die haben viele

Follower“ (E7/E8: 369ff.).

Doch nicht nur ihre Vorbilder beeinflussen die Heranwachsenden

in den sozialen Medien: Sechs der acht befragten

Expertinnen sind der Meinung, dass auf entsprechenden

Plattformen Realität nicht nur abgebildet, sondern vor allem

verzerrt wird. Eine Therapeutin glaubt, dass in den sozialen

Medien eine beschönigende Form der Realität dargestellt

würde (vgl. E7/E8: 163). Speziell für Instagram beschreibt

eine andere Therapeutin einen ähnlichen Eindruck, wobei

sie darauf verweist, dass auch pädagogisches Fachpersonal

von dieser Beschönigung nicht auszunehmen sei: „Auch Profis,

die immer mit Kindern arbeiten, die zeigen sich da so

schick, so gestylt, dass da sehr leicht der Eindruck entstehen

kann: Meine Welt ist Tag und Nacht, 24 Stunden, wahnsinnig

spektakulär, aufregend und toll, aber nicht gezeigt wird, wenn

ein Problem da ist. Und wie ich mich mit diesem Problem

auseinandersetzen muss“ (E1: 130–133). Eine der Therapeutinnen

erklärt: „[Es] werden auch nur tolle Ereignisse

geliked oder gepostet. Als wäre das Leben immer nur toll und

super“ (E7/E8: 198f.).“

Alle sechs Expertinnen, die eine Verzerrung der Realität in

den sozialen Medien wahrnehmen, sehen darin auch eine

Gefährdung der Heranwachsenden. Eine von ihnen glaubt,

durch den täglichen Konsum dieser Verzerrungen würde

die eigene Wahrnehmung ebenfalls verzerrt (vgl. E7/E8:

180–183), was sie als besonders gefährlich für Heranwachsende

einstuft, die bereits mit einer Essstörung zu kämpfen

haben, „weil das eine verzerrte Darstellung ist, die [s]ie da

Tag für Tag in sich aufsaugen und die jeden Tag immer extremer

wird“ (ebd.: 192f.). Eine weitere Therapeutin sieht

vor allem eine Gefährdung selbstunsicherer Jugendlicher:

Diese „verlieren dann [...] den Zugang zur Realität, dass

das Leben keine Seifenoper ist“ (ebd.: 199f.). Beschrieben

wurden außerdem gestörte Selbstwirksamkeitserfahrungen,

beispielsweise in Bezug auf das eigene Äußere: „Man jagt

immer einem Körperbild hinterher, das man nicht erreichen

kann, was nicht mal möglich ist teilweise“ (E6: 164f.).

Wenngleich es sich hierbei um eine stark verkürzte Darstellung

einzelner Untersuchungsergebnisse handelt, so wird

dennoch deutlich, dass die Verantwortung für die gestiegene

Prävalenz von Essstörungen durch soziale Medien nicht

einer einzelnen Person oder Personengruppe zuzuweisen ist.

Vielmehr tragen alle Nutzer_innen sozialer Medien gleichermaßen

Verantwortung, und das (auch) unabhängig von ihrer

Followerzahl. Wie auch die befragten Expertinnen betonen,

ist der Einfluss der Influencer_innen, bedingt durch deren

teils enorme Reichweiten, nicht zu unterschätzen. Doch

das Grundprinzip, nach welchem soziale Medien funktionieren,

„die schönen Dinge des Lebens“ mit dem sozialen

Umfeld zu teilen, fernab zeitlicher und geografischer Grenzen

– diesem Prinzip folgen wir alle. Denn schließlich kann

die Bestätigung, die wir auf diesem Weg erhalten, auch einen

guten Zweck erfüllen: Sie kann unseren Selbstwert stärken.

Wichtig ist jedoch immer das Bewusstsein, dass jede

Nutzung sozialer Medien, wie auch immer diese Nutzung

im Einzelfall aussehen mag, andere Menschen nachhaltig

beeinflussen kann. Wie wir diesen Einfluss dann gestalten

wollen, liegt in unserer Verantwortung.

E1/E2/E3/E7/E8 (2019): Interview mit Kinderund

Jugendpsychotherapeutin. Eigene Erhebung

im Rahmen der Masterarbeit „Zum Einfluss sozialer

Medien auf die Prävalenz von Essstörungen in der

Pubertät“.

Hurrelmann, K. (1998): Einführung in die Sozialisationstheorie.

Über den Zusammenhang von Sozialstruktur

und Persönlichkeit. Weinheim und Basel:

Beltz Verlag.

Mabe, A. G.; Forney, K. J.; Keel, P. K. (2014): Do

you “like” my photo? Facebook use maintains eating

disorder risk. In: International Journal of Eating

Disorders. 47. Jg. 2014/05 (Special Issue: Eating

Disorders in Adolescents). S. 516–523.

Krüger, C. (2019): Zum Einfluss sozialer Medien

auf die Prävalenz von Essstörungen in der Pubertät.

Masterarbeit. Aachen: RWTH.

Rabe, L. (2019): Ranking der Länder mit höchster

durchschnittlicher Nutzungsdauer von Social Networks

weltweit im Jahr 2018 (in Minuten pro Tag).

Online verfügbar unter: https://de.statista.com/

statistik/daten/studie/160137/umfrage/verweildauer-auf-social-networks-pro-tag-nach-laendern/

[Zugriff:

02.11.2019].

Sidani, J. E.; Shensa, A.; Hoffman, B.; Hanmer,

J.; Primack, B. A. (2016): The Association between

Social Media Use and Eating Concerns among U.S.

Young Adults. In: Journal of the Academy of Nutrition

and Dietetics. 116. Jg. 2016/09. S. 1465–1472.

45 philou.

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