22.12.2012 Aufrufe

September 2007 - Gossauer Info

September 2007 - Gossauer Info

September 2007 - Gossauer Info

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Tiergeschichten<br />

An der Unteren Zäune,<br />

mitten in der Zürcher<br />

Altstadt, steht das Haus<br />

«Zur Meerjungfrau», in dem ich<br />

aufwuchs. Die elterliche Helmhaus-Apotheke,<br />

in der ich<br />

meine Lehre absolvierte, befand<br />

sich an der Schifflände, gegenüber<br />

dem damaligen Café Select<br />

und dem Haus Zum Raben.<br />

Unser Beo-Vogel<br />

Viele Jahre leistete meiner Familie<br />

ein Beo-Vogel Gesellschaft.<br />

Sein Rufname war Beo.<br />

Er gehörte einfach dazu. Er war<br />

sehr zahm und genoss viele<br />

Freiheiten. Da meine Mutter<br />

nachmittags in die Apotheke arbeiten<br />

kam, nahm sie ihren<br />

Liebling in einem Körbchen jeden<br />

Tag mit. Manchmal wunderten<br />

sich die Passanten in der<br />

Kirchgasse, wenn der Beo ein<br />

Lied pfiff, denn er genoss das<br />

Herumgetragenwerden sichtlich.<br />

In der Apotheke erfreute er, in<br />

einer grosszügigen Volière sitzend,<br />

unsere Kunden. Beim<br />

Läuten der Glocke begrüsste er<br />

sie mit einem Lied: Er konnte<br />

perfekt die Melodie vom «Annelisi»<br />

pfeifen. Wenig später<br />

fragte er: «Häsch zahlt?» Und<br />

beim erneuten Läuten der Glocke<br />

sagte er «tschau, tschau».<br />

Meine Eltern waren sehr gastfreundlich,<br />

und wir hatten viele<br />

Familienfreunde. Ein Freund<br />

namens Rolf, ein Bildhauer,<br />

wurde wegen seiner tiefen<br />

Stimme vom Beo speziell geliebt<br />

und angehimmelt. Der Vogel<br />

konnte die ganze Besuchs-<br />

<strong>Gossauer</strong> <strong>Info</strong> 90/SEPT. <strong>2007</strong><br />

zeit vor ihm sitzen und ihm zujubeln.<br />

Ein anderer Freund namens<br />

Werner, ein Physiker,<br />

hatte vom vielen Denken Migräne<br />

und machte, wenn er auf<br />

Besuch kam, meist erst einen<br />

Kopfstand. Zur grossen Freude<br />

von Beo, der ihn flugs als Baum<br />

benutzte und sich auf seinen<br />

nach oben gerichteten Füssen<br />

niederliess. Ein anderer Freund<br />

hatte rabenschwarzes Haar, was<br />

unser Beo nicht leiden mochte<br />

und was ihn veranlasste, Angriffssturzflüge<br />

zu veranstalten.<br />

Bevor unser Besuch die Wohnung<br />

betrat, rüsteten wir ihn<br />

deshalb mit einem breitkrempigen<br />

Regenhut aus, der sein<br />

Haar verdeckte, und die Gefahr,<br />

dass er für einen Raben gehalten<br />

wurde, war gebannt. Ausserdem<br />

klaute unser Beo wie<br />

eine diebische Elster, und alle<br />

glänzenden Gegenstände, wie<br />

THEMA<br />

Vera Pauli erinnert sich an lustige Tiergeschichten, die sich während ihrer<br />

Kindheit in Zürich zugetragen haben. Heute wohnt sie mit ihrem Mann<br />

im Grüt.<br />

Beos sind sehr intelligente Vögel, die schnell lernen.<br />

Schmuck oder Münzen, mussten<br />

vor ihm in Sicherheit gebracht<br />

werden.<br />

Ein Herz für Tiere<br />

Meine Mutter hatte ein Herz für<br />

Menschen und Tiere. Auf dem<br />

Nachhauseweg fand sie auf dem<br />

Dach der Grossmünster-Kapelle<br />

eine Jungdole, die mehrere<br />

Tage hilflos dort hockte. Sie<br />

nahm sie kurzerhand mit und<br />

zog sie von Hand auf. Der Vogel<br />

entwickelte sich prächtig und<br />

tyrannisierte nach kurzer Zeit<br />

unseren armen Beo gehörig.<br />

Ein weiterer Familienfreund<br />

namens Roberto, Engadiner<br />

und Kupferschmied-Künstler,<br />

adoptierte die Dole und ging<br />

mit dem Vogel auf der Schulter<br />

an der Schipfe spazieren. Zum<br />

Schrecken seiner Nachbarin<br />

kam die Dole durchs Fenster geflogen<br />

und nahm in ihrer Salat-<br />

5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!