Kirche in bewegten Zeiten - Bibli.com

Roter Hahn und grüner Fisch
nicht aufkommen. 43 An eine Auseinandersetzung auf der Sachebene war auf diesem
Hintergrund nicht mehr zu denken.
Der MAK indessen plant sein Programm für das Sommersemester, in dem für den
26. Mai 1977 um 19 Uhr ein „Thomas-Münzer-Fest“ 44 angekündigt ist: Das Haus
der ESG in der Ludwig-Bruns-Straße soll getauft werden. Das Landeskirchenamt
erklärt sofort, dass dieser Namensgebung nicht zugestimmt werden kann;
der Standpunkt der Kirchenleitung wird den ESG-Vertretern am 3. Mai 1977 in
einem Gespräch erläutert. Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass die Absicht besteht,
die Pastoren Dr. Wolfgang Günther, Dieter Meyer sowie den Leiter des Evangelischen
Jugendzentrums in Linden, Pastor Peter Licht, zum 1. August 1977 zu
Studentenpfarrern zu ernennen. Die neuen Studentenpfarrer hoffen, so heißt es in
der Mitteilung des Landeskirchenamtes, mit dieser Konstruktion der Dezentralisierung
die verschiedenen Einzugsbereich [sic] der Hochschulen besser erfassen
und unterschiedlich ausgerichtete Schwerpunkte anbieten zu können. Zugleich
wollen sie versuchen, durch eine engere Verbindung von Studentengemein- [sic]
und Ortsgemeinde beziehungsweise Jugendarbeit ein gegenseitiges Verständnis
zu fördern. 45 An diesem Punkt bricht der MAK das Gespräch ab.
Der Konfl ikt erreicht seinen Höhepunkt, als die „Taufe“ des Hauses Ludwig-
Bruns-Str. 9-11 zum vorgesehenen Termin, dem Vorabend des 452. Todestags
des Thomas Müntzer, nach kirchlichem Ritus vollzogen wird – im Gedenken an
den großen Sohn der Kirche, der sich im Bauernkrieg im 16. Jahrhundert auf die
Seite der Unterdrückten stellte. 46 Die Feier der Namensgebung „Thomas-Münzer-Haus“
mit Gebet, Schriftlesung und Segen wurde von mehreren Pastoren, die
der AKiG (Aktionsgemeinschaft Kirche in der Gesellschaft) 47 angehörten sowie
einem Vertreter des Mitarbeiterkreises vorgenommen – dass die vom Landeskirchenamt
benannten Vakanzvertreter nicht dabei sind, kann nicht überraschen. 48
Herbert Erchinger, Studentenpfarrer in Braunschweig, beginnt seine Ansprache
mit den Worten: Dies ist hier ein bißchen eine schwierige Geschichte. (…) Zuerst
habe ich ein bißchen einen Schreck bekommen, als ich hörte, daß ihr Freunde aus
43 Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 25.3.1977, LkAH E 33a Nr. 404.
44 Die Schreibweise des Namens Thomas Müntzer wechselt in den Dokumenten zwischen „Münzer“
und „Müntzer“. Sie wird hier quellengetreu wiedergegeben. – Für das komplette Semesterprogramm
s. LkAH E 33a Nr. 405.
45 Epd Nr. 74/77 vom 3.5.1977, S. 7, LkAH E 33a Nr. 319.
46 ESG-Flugblatt vom 22. Juni 1977, LkAH E 33a Nr. 321.
47 Beteiligt war Pastor Heinrich Gellermann aus der Bethlehem-Kirchengemeinde Hannover-Linden,
der auch Sprecher der AKiG war. Das Landeskirchenamt verhängte gegen ihn ein Amtszuchtsverfahren
und erteilte später eine Warnung (Verfügung des Landeskirchenamts vom 3. April
1978, LkAH E 33a Nr. 384). Anwesend war auch der frühere Osnabrücker Studentenpfarrer
Pastor Velten Seifert, jetzt Vertreter der Bundes-ESG in Stuttgart. – Zur AKiG siehe auch den
Beitrag von Martin Cordes in diesem Band.
48 Epd Nr. 91/77 vom 27. Mai 1977, LkAH E 33a Nr. 321.
117