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Kirche in bewegten Zeiten - Bibli.com

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Karol<strong>in</strong>e Läger-Re<strong>in</strong>bold<br />

1. Vakanz <strong>in</strong> Hannover<br />

Wie kam es zum Konfl ikt zwischen der ESG und den Verantwortlichen <strong>in</strong> der<br />

Landeskirche, und was g<strong>in</strong>g diesem voran? Hermann Bergengruen, seit 1970<br />

Studentenpfarrer <strong>in</strong> Hannover, war nach eigener E<strong>in</strong>schätzung unvorbereitet und<br />

etwas ängstlich <strong>in</strong> diese Aufgabe gekommen. 4 Se<strong>in</strong>e Ernennung schrieb er e<strong>in</strong>em<br />

ganz normalen bürokratischen Vorgang oder Zufall zu: Damals jedenfalls wurde<br />

mir ke<strong>in</strong> Grund für den Vorschlag me<strong>in</strong>es Namens bekannt. 5 Hans-Helmut Flohr,<br />

Personaldezernent im Landeskirchenamt, muss allerd<strong>in</strong>gs gewusst haben, dass<br />

der junge Pastor schon <strong>in</strong> den 60er-Jahren e<strong>in</strong> wenig an der ordentlichen Verkrustung<br />

unserer <strong>Kirche</strong> gekratzt 6 hatte – und wird ihn gerade aus diesem Grund <strong>in</strong><br />

der ESG am rechten Ort gesehen haben.<br />

Die Studentengeme<strong>in</strong>de wird für Bergengruen zum Ort der theologischen wie<br />

politischen Reifung – um nicht zu sagen: Radikalisierung. Die Ausläufer der<br />

Studentenbewegung der 1960er Jahre waren ungebrochen zu spüren, die politische<br />

Landschaft der jungen Bundesrepublik war <strong>in</strong> voller Bewegung. Das<br />

Austauschen von Erfahrung und politischer E<strong>in</strong>schätzung wuchs auf der Basis<br />

gegenseitiger Gefühle. Wir lernten, sie uns zu zeigen. Das war sehr wichtig<br />

für die Praxis des hier und jetzt zu leistenden Widerstands. Die evangelische<br />

Studentengeme<strong>in</strong>de wurde e<strong>in</strong> offener und parteilicher Ort. Wir konnten uns<br />

von Gruppen- oder Überlegenheitszwängen freier halten als andere politische<br />

Hochschulgruppen. In unseren Versammlungen wurden Ghettosituationen von<br />

kommunistischen Gruppen, Schwulen, Lesben, ausländischen Vere<strong>in</strong>en aufgebrochen.<br />

Wir praktizierten das Verhältnis von Individuum und Kollektiv alttestamentlich:<br />

Gottes Heil geht dem Ganzen zu, dem Volk. Der e<strong>in</strong>zelne hat daran Teil<br />

als Glied des Ganzen. Das Ganze lebt aber aus der Freiheit jedes E<strong>in</strong>zelnen, der<br />

sich dem Ganzen ohne Angst und Vorurteile anschließt und spürt, alle werden<br />

nur so weit gehen, wie weit jeder folgt. Alle gehen auf jeden e<strong>in</strong>. 7 Diese geradezu<br />

vorbehaltlose Öffnung der ESG für die politischen und gesellschaftlichen Fragen<br />

der Zeit war für viele Vertreter der „Amtskirche“ nur schwer zu ertragen. Außerparlamentarische<br />

Opposition, Radikalenerlass und Berufsverbote, nicht zuletzt<br />

der Streit um die Atomenergie – das waren die Themen, die <strong>in</strong> den Studentengeme<strong>in</strong>den<br />

diskutiert wurden. Die faktische oder zu vermutende Nähe der ESG zu<br />

kommunistischen, ja staatsfe<strong>in</strong>dlichen Kräften war beunruhigend; sie löste Ärger<br />

und Ängste aus. Die Tatsache, dass man <strong>in</strong> Hannover im Jahre 1973 aufgrund<br />

Beteiligung sichergestellt ist.<br />

4 Hermann BERGENGRUEN: Seyt nuirg keck! Zwischen Studentenrevolte und <strong>Kirche</strong>nregiment,<br />

Stuttgart 1981, S. 7.<br />

5 Bergengruen (wie Anm. 4), S. 6.<br />

6 Bergengruen (wie Anm. 4), S. 6.<br />

7 Bergengruen (wie Anm. 4), S. 31f.<br />

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