BIBER 09_20 Final
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als Jude verteidigen. Da hilft es nicht, zu sagen, wie assimiliert
man sei.“
In Österreich leben laut Schätzungen der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien etwa 15.000 Menschen jüdischen
Glaubens. Die Wiener Leopoldstadt stellt ein wichtiges Zentrum
jüdischen Lebens dar, mit zahlreichen Gebetshäusern verschiedener
Glaubensrichtungen, koscheren Lebensmittelmärkten
und -bäckereien und diversen Kulturvereinen. Die jüdische
Community ist zwar klein, aber sehr heterogen. Doch was sich
in den Interviews mit den Betroffenen in diesem Artikel herauskristallisiert:
Sie sahen sich alle mit ähnlichen Vorurteilen konfrontiert.
Sie alle mussten lernen, wem sie ihren Glauben offen
sagen können, und wo es besser wäre, ihn zu verstecken. Dass
manche sogar ihre Hebräischkenntnisse aus dem Lebenslauf
streichen, ist keine Seltenheit. Teilweise liegt die Angst in den
Familien tief. So warnte Johannes‘ Mutter ihn davor, mit einem
Davidstern um den Hals hinauszugehen.
Johannes lebt offen homosexuell. Für ihn gab es nie einen
Widerspruch zwischen dem Jüdischsein und seiner sexuellen
Orientierung. Beim Dating erlebte er, dass Personen einfach
aufgestanden und gegangen seien, als er ihnen sagte, dass er
Jude ist. „Es gibt auch Leute, die es – offen gesagt – einfach ur
geil finden, dass ich Jude bin. Männer wollten unter anderem
Rollenspiele machen, dass sie die KZ-Aufseher sind, und ich
eben der Häftling. Das fand ich echt krass.“ Auf mehreren
Dates wurde Johannes gefragt, ob seine Eltern eigentlich reich
seien. Meistens versucht er das mit Humor zu nehmen und
versucht darüber aufzuklären, dass es durchaus auch arme
Juden gibt.
Anders als Johannes wuchs Sara * in einer orthodoxen
Familie auf, inmitten der jüdischen Community im zweiten
Als Kind der zweiten Generation von Holocaustüberlebenden
lacht man nicht über Vorschläge von KZ-Rollenspielen.
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Wiener Gemeindebezirk. Die 36-jährige Israelin kam mit vier
Jahren mit ihren Eltern von Tel Aviv nach Österreich und ging
in der Leopoldstadt in einen jüdischen Kindergarten. Danach
besuchte sie eine öffentliche Volksschule und erschien dort
stets im knielangen Rock und mit bedeckten Ellenbogen und
Schlüsselbeinen, gemäß der jüdischen Kleiderordnung. Ihren
Glauben thematisierte sie in der Schule nie, sie war allgemein
ein schüchternes Kind. Ihre beste Freundin hatte albanische
Wurzeln. „Wir hatten gemeinsam, dass wir beide den römischkatholischen
Religionsunterricht nicht besuchten“, erinnert sie
sich. Die beiden waren unzertrennlich und verbrachten auch
außerhalb der Schule viel Zeit miteinander. Das änderte sich
schlagartig, als die Mädchen sich eines Tages entschlossen,
während des Religionsunterrichts doch einmal in der Klasse zu
bleiben. „Es ging um Abraham und dessen Geschichte kannten
die Freundin und ich ja genauso gut wie die anderen Kinder
auch.“ Als die Religionslehrerin fragte, wie die Kinder ihren
Gott nennen, sagten die meisten Kinder „Gott“, die Freundin
sagte „Allah“ und Sara nannte einen der vielen Namen, der
im Judentum für Gott steht. Es dauerte nicht lange, bis Saras
Freundin in der Schule nicht mehr mit ihr sprach. „Der Vater
meiner Freundin begann, meine Mutter und mich vor dem
Schulgebäude anzuspucken. Er sagte, ich dürfe nicht mehr mit
seiner Tochter befreundet sein“, erzählt Sara. „Meine Mutter
konnte dagegen nichts unternehmen, sie sprach kaum Deutsch
und ließ es über sich ergehen.“ Als Sara in der Schule das
albanische Mädchen fragte, warum sie keinen Kontakt mehr
haben dürfen, war die Antwort: „Weil ihr Juden seid“.
MUSLIMISCHER ANTISEMITISMUS
VERSUS NAZI-HASS
Es ist unbestreitbar, dass es in der muslimischen Community
sehr wohl ein großes Problem mit Antisemitismus gibt. Nicht
zuletzt durch den Israel-Palästina-Konflikt, der in der muslimischen
Diaspora tiefe Gräben gezogen hat. Erst kürzlich hat ein
syrischer Staatsbürger eine Synagoge in Graz mit propalästinensischen
Parolen beschmiert, ein Fenster eingeschlagen und
soll versucht haben, den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde
mit einem Holzprügel zu attackieren. Gleichzeitig wurden, laut
Standard-Bericht, bei einer Polizeidienststelle in unmittelbarer
Nähe unter anderem grausame antisemitische Inhalte auf den
Smartphones einer Beamtin gefunden, die an einen Kollegen
mit einem Schäferhund namens Adolf verschickt wurden.
Rebecca * hat die Vorfälle in den Medien aufmerksam verfolgt.
Die 35-Jährige kommt aus einer säkularen jüdischen Familie
und möchte lieber anonym bleiben, da sie im öffentlichen
Dienst tätig ist. „Jene Polizeiwache war für den Objektschutz
der Synagoge zuständig. Ich habe die Pressekonferenz von
Innenminister Nehammer gesehen und nach kurzer Zeit wieder
abgeschaltet. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht um den
Kampf gegen Antisemitismus geht. Es wurde hauptsächlich
über den syrischen Täter gesprochen, aber keine konkreten
Vorschläge gemacht, wie denn Antisemitismus in der Polizei
bekämpft werden kann. Es ging viel mehr um ein Täterbild, das
man gerne hätte.“
Als Folge auf den Vorfall in Graz verordnet Integrationsministerin
Susanne Raab Antisemitismus-Kurse gezielt für
© Lukas Huter / APA / picturedesk.com
Flüchtlinge. In der dazugehörigen Presseaussendung war von
importiertem Antisemitismus durch die Flüchtlingswelle 2015
die Rede. Mangelt es in Österreich an Selbstkritik, wenn es um
Antisemitismus geht? „Ich begrüße diese Maßnahmen grundsätzlich,
jedoch wundere ich mich trotzdem, dass solche Kurse
nur auf Muslime abzielen sollen, wenn doch die Mehrheit aller
antisemitischen Straftaten dem rechten Spektrum zuzuordnen
sind“, so Rebecca. Im Antisemitismusbericht für 2019 konnten
von 550 verzeichneten Vorfällen 268 als rechtsextrem motiviert
zugeordnet werden, während 31 Meldungen mit islamischem
Hintergrund dokumentiert wurden. 25 Vorfälle kamen von
politisch linker Seite, die restlichen 226 Fälle waren ideologisch
gar nicht zuordenbar. Rebecca ist überzeugt, dass die muslimische
und die jüdische Community enger zusammenrücken
müssen, um gemeinsam gegen rechten Hass aufzutreten. Über
die letzten Jahre beobachtete sie eine zunehmende Rückkehr
zum Traditionellen in der jüdischen Community, was sie auf die
wachsende Ausgrenzung zurückführt. „Ich kenne offensichtlich
orthodoxe Jüdinnen und Juden, auf die Übergriffe stattgefunden
haben. Bei jenen, die auf den ersten Blick nicht als solche
erkennbar sind, taucht Antisemitismus oft erst dann auf, wenn
der Hintergrund klar ist. Was heute an antisemitischen Parolen,
auch in der Politik, so kursiert, wäre vor zehn oder zwanzig
Jahren noch undenkbar gewesen.“ Die 24-jährige Ex-Stewardess
Christina Kohl, Kandidatin der Liste HC Strache, wurde
nach den antisemitischen Rufen „Rothschild muss weg! Soros
muss weg!“ auf einer Demo scharf kritisiert.
Drei Mal wurden die Porträts der Holocaustüberlebenden
mitten in der Wiener Innenstadt 2019 geschändet.
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