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als Jude verteidigen. Da hilft es nicht, zu sagen, wie assimiliert

man sei.“

In Österreich leben laut Schätzungen der Israelitischen

Kultusgemeinde Wien etwa 15.000 Menschen jüdischen

Glaubens. Die Wiener Leopoldstadt stellt ein wichtiges Zentrum

jüdischen Lebens dar, mit zahlreichen Gebetshäusern verschiedener

Glaubensrichtungen, koscheren Lebensmittelmärkten

und -bäckereien und diversen Kulturvereinen. Die jüdische

Community ist zwar klein, aber sehr heterogen. Doch was sich

in den Interviews mit den Betroffenen in diesem Artikel herauskristallisiert:

Sie sahen sich alle mit ähnlichen Vorurteilen konfrontiert.

Sie alle mussten lernen, wem sie ihren Glauben offen

sagen können, und wo es besser wäre, ihn zu verstecken. Dass

manche sogar ihre Hebräischkenntnisse aus dem Lebenslauf

streichen, ist keine Seltenheit. Teilweise liegt die Angst in den

Familien tief. So warnte Johannes‘ Mutter ihn davor, mit einem

Davidstern um den Hals hinauszugehen.

Johannes lebt offen homosexuell. Für ihn gab es nie einen

Widerspruch zwischen dem Jüdischsein und seiner sexuellen

Orientierung. Beim Dating erlebte er, dass Personen einfach

aufgestanden und gegangen seien, als er ihnen sagte, dass er

Jude ist. „Es gibt auch Leute, die es – offen gesagt – einfach ur

geil finden, dass ich Jude bin. Männer wollten unter anderem

Rollenspiele machen, dass sie die KZ-Aufseher sind, und ich

eben der Häftling. Das fand ich echt krass.“ Auf mehreren

Dates wurde Johannes gefragt, ob seine Eltern eigentlich reich

seien. Meistens versucht er das mit Humor zu nehmen und

versucht darüber aufzuklären, dass es durchaus auch arme

Juden gibt.

Anders als Johannes wuchs Sara * in einer orthodoxen

Familie auf, inmitten der jüdischen Community im zweiten

Als Kind der zweiten Generation von Holocaustüberlebenden

lacht man nicht über Vorschläge von KZ-Rollenspielen.

38 / POLITIKA /

Wiener Gemeindebezirk. Die 36-jährige Israelin kam mit vier

Jahren mit ihren Eltern von Tel Aviv nach Österreich und ging

in der Leopoldstadt in einen jüdischen Kindergarten. Danach

besuchte sie eine öffentliche Volksschule und erschien dort

stets im knielangen Rock und mit bedeckten Ellenbogen und

Schlüsselbeinen, gemäß der jüdischen Kleiderordnung. Ihren

Glauben thematisierte sie in der Schule nie, sie war allgemein

ein schüchternes Kind. Ihre beste Freundin hatte albanische

Wurzeln. „Wir hatten gemeinsam, dass wir beide den römischkatholischen

Religionsunterricht nicht besuchten“, erinnert sie

sich. Die beiden waren unzertrennlich und verbrachten auch

außerhalb der Schule viel Zeit miteinander. Das änderte sich

schlagartig, als die Mädchen sich eines Tages entschlossen,

während des Religionsunterrichts doch einmal in der Klasse zu

bleiben. „Es ging um Abraham und dessen Geschichte kannten

die Freundin und ich ja genauso gut wie die anderen Kinder

auch.“ Als die Religionslehrerin fragte, wie die Kinder ihren

Gott nennen, sagten die meisten Kinder „Gott“, die Freundin

sagte „Allah“ und Sara nannte einen der vielen Namen, der

im Judentum für Gott steht. Es dauerte nicht lange, bis Saras

Freundin in der Schule nicht mehr mit ihr sprach. „Der Vater

meiner Freundin begann, meine Mutter und mich vor dem

Schulgebäude anzuspucken. Er sagte, ich dürfe nicht mehr mit

seiner Tochter befreundet sein“, erzählt Sara. „Meine Mutter

konnte dagegen nichts unternehmen, sie sprach kaum Deutsch

und ließ es über sich ergehen.“ Als Sara in der Schule das

albanische Mädchen fragte, warum sie keinen Kontakt mehr

haben dürfen, war die Antwort: „Weil ihr Juden seid“.

MUSLIMISCHER ANTISEMITISMUS

VERSUS NAZI-HASS

Es ist unbestreitbar, dass es in der muslimischen Community

sehr wohl ein großes Problem mit Antisemitismus gibt. Nicht

zuletzt durch den Israel-Palästina-Konflikt, der in der muslimischen

Diaspora tiefe Gräben gezogen hat. Erst kürzlich hat ein

syrischer Staatsbürger eine Synagoge in Graz mit propalästinensischen

Parolen beschmiert, ein Fenster eingeschlagen und

soll versucht haben, den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde

mit einem Holzprügel zu attackieren. Gleichzeitig wurden, laut

Standard-Bericht, bei einer Polizeidienststelle in unmittelbarer

Nähe unter anderem grausame antisemitische Inhalte auf den

Smartphones einer Beamtin gefunden, die an einen Kollegen

mit einem Schäferhund namens Adolf verschickt wurden.

Rebecca * hat die Vorfälle in den Medien aufmerksam verfolgt.

Die 35-Jährige kommt aus einer säkularen jüdischen Familie

und möchte lieber anonym bleiben, da sie im öffentlichen

Dienst tätig ist. „Jene Polizeiwache war für den Objektschutz

der Synagoge zuständig. Ich habe die Pressekonferenz von

Innenminister Nehammer gesehen und nach kurzer Zeit wieder

abgeschaltet. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht um den

Kampf gegen Antisemitismus geht. Es wurde hauptsächlich

über den syrischen Täter gesprochen, aber keine konkreten

Vorschläge gemacht, wie denn Antisemitismus in der Polizei

bekämpft werden kann. Es ging viel mehr um ein Täterbild, das

man gerne hätte.“

Als Folge auf den Vorfall in Graz verordnet Integrationsministerin

Susanne Raab Antisemitismus-Kurse gezielt für

© Lukas Huter / APA / picturedesk.com

Flüchtlinge. In der dazugehörigen Presseaussendung war von

importiertem Antisemitismus durch die Flüchtlingswelle 2015

die Rede. Mangelt es in Österreich an Selbstkritik, wenn es um

Antisemitismus geht? „Ich begrüße diese Maßnahmen grundsätzlich,

jedoch wundere ich mich trotzdem, dass solche Kurse

nur auf Muslime abzielen sollen, wenn doch die Mehrheit aller

antisemitischen Straftaten dem rechten Spektrum zuzuordnen

sind“, so Rebecca. Im Antisemitismusbericht für 2019 konnten

von 550 verzeichneten Vorfällen 268 als rechtsextrem motiviert

zugeordnet werden, während 31 Meldungen mit islamischem

Hintergrund dokumentiert wurden. 25 Vorfälle kamen von

politisch linker Seite, die restlichen 226 Fälle waren ideologisch

gar nicht zuordenbar. Rebecca ist überzeugt, dass die muslimische

und die jüdische Community enger zusammenrücken

müssen, um gemeinsam gegen rechten Hass aufzutreten. Über

die letzten Jahre beobachtete sie eine zunehmende Rückkehr

zum Traditionellen in der jüdischen Community, was sie auf die

wachsende Ausgrenzung zurückführt. „Ich kenne offensichtlich

orthodoxe Jüdinnen und Juden, auf die Übergriffe stattgefunden

haben. Bei jenen, die auf den ersten Blick nicht als solche

erkennbar sind, taucht Antisemitismus oft erst dann auf, wenn

der Hintergrund klar ist. Was heute an antisemitischen Parolen,

auch in der Politik, so kursiert, wäre vor zehn oder zwanzig

Jahren noch undenkbar gewesen.“ Die 24-jährige Ex-Stewardess

Christina Kohl, Kandidatin der Liste HC Strache, wurde

nach den antisemitischen Rufen „Rothschild muss weg! Soros

muss weg!“ auf einer Demo scharf kritisiert.

Drei Mal wurden die Porträts der Holocaustüberlebenden

mitten in der Wiener Innenstadt 2019 geschändet.

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