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BIBER 09_20 Final

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In der Porträtreihe „Meine Zukunft

in Österreich“ holt SOS Mitmensch

junge Frauen wie Sara und Sabiha vor

den Vorhang. Alle neun Porträts sind

auf der Website von SOS Mitmensch

nachzulesen: www.sosmitmensch.at

„Ein Mädchen zu sein

ist schwierig, ganz

egal wo man ist“

Sabiha weiß genau mit welchen Schwierigkeiten

Schüler innen, die nach Österreich kommen, konfrontiert

sind. Vor vier Jahren floh die heute 20-Jährige mit ihrer

Familie aus Pakistan nach Österreich. Heute besucht sie

die HTL Donaustadt in Wien.

„Love yourself!“

Nur mit Musik schaffte es Sara nach ihrer Flucht

aus Syrien selbstbewusst und lebensfroh zu bleiben.

Heute lebt die 17-Jährige in Ruprechtshofen im Bezirk

Melk, besucht das Musikgymnasium in Scheibbs und

spricht im Mostviertler Dialekt über ihr Ankommen in

Österreich und bei sich selbst.

Eine Geschichte, die mir

immer in Erinnerung bleiben

wird, ist die meines

zerrissenen Religionsbuches in

der Neuen Mittelschule Eferding

Nord in Oberösterreich: Jeden

Donnerstagnachmittag ging ich

in den Islamunterricht, mein Buch

lag immer in meinem Bankfach in

der Klasse. Eines Tages, als ich

wieder zum Religionsunterricht

gehen und mein Buch aus dem

Fach nehmen wollte, sah ich,

dass es komplett zerstört war.

Irgendwer musste es in der Pause

einfach genommen und zerrissen

haben! Ich war so traurig und

habe den ganzen Tag geweint.

Die Direktorin hat mich getröstet,

aber bis heute weiß ich nicht, wer

das gemacht hat.

Danach habe ich mir ein

neues Buch besorgt und habe mit

dem Unterricht weiter gemacht.

Ich musste ja weitermachen.

Einige Schülerinnen und Schüler

mobben und nennen das dann

Spaß. Ich fürchte, das ist in jeder

Schule so, aber es ist einfach

nicht lustig. Das war 2017, als

ich noch nicht lange in Österreich

war.

ANFANG MIT OBER-

ÖSTERREICHISCHEM

DIALEKT

Anfangs lebte ich mit meiner

Familie für zwei Jahre im Eferdinger

Asylquartier in Oberösterreich.

Wir wohnten gemeinsam

mit drei anderen Familien in

einem großen Raum, der in vier

Zimmer aufgeteilt war. Es war

oft sehr laut und ich konnte mich

nicht gut konzentrieren.

Die Schule war in Eferding

aber die größte Herausforderung.

Zu Beginn bin ich in der Klasse

gesessen und habe immer zugehört,

aber wirklich nichts verstanden.

Ich bin eigentlich eine sehr

fleißige Schülerin, aber anfangs

hatte ich einfach null Ahnung,

wovon die Lehrer sprachen. Das

lag auch am oberösterreichischen

Dialekt. Selbst die sehr nette

Deutschlehrerin hat immer im

Dialekt gesprochen. Heute hilft

mir das, weil ich dadurch jetzt

alles verstehe.

DURCHHALTEN

LOHNT SICH

Mittlerweile lebe ich mit meiner

Familie in einer Wohnung im

10.Wiener Bezirk. Ich besuche

die HTL-Donaustadt im Zweig

„Software Engineering“. Hier

habe ich keine Probleme mehr,

weder mit Deutsch noch mit meiner

Klasse. Die Hassfächer von

vielen anderen sind jetzt meine

Lieblingsfächer: Informatik und

Programmieren.

In zwei Jahren werde ich

maturieren und danach auf die

Universität gehen, denn ich

möchte unbedingt Ingenieurin

werden. Dass ich ein Mädchen

bin, hindert mich nicht daran. Ich

glaube, ein Mädchen zu sein, ist

sowieso oft schwierig — ganz

egal was man macht oder wo auf

der Welt man ist. Aber ich habe

gelernt: Es lohnt sich Vieles, auch

wenn es anfangs schwierig ist.“

Fotos von Karin Wasner

Das erste Wort, das ich

auf Deutsch kannte, war

das Wort Ausländerin.

Ich konnte die Sprache nicht,

habe aber immer und immer

wieder dieses Wort gehört. In der

ersten Schule haben meine Klassenkollegen

andauernd so zu mir

gesagt und ich wusste, es meint

irgendetwas Gemeines.

Einmal habe ich dann meinen

Vater gefragt, der schon länger in

Österreich war und deshalb besser

Deutsch konnte, was dieses

Wort eigentlich heißt. Er hat es

mir erklärt. Ich fühlte mich dann

wirklich schlecht und allein. Das

war vor etwa dreieinhalb Jahren,

da bin ich gerade mit meiner

Familie von Syrien nach Niederösterreich

gekommen.

K-POP ALS RETTUNG

In derselben Zeit habe ich

angefangen K-Pop zu hören.

Das ist koreanische Popmusik

mit Rap- und Elektro-Elementen

und ich kann gar nicht sagen,

wie wichtig diese Musik für mich

war. K-Pop hat mich durch die

schwierige Zeit des Ankommens

in Österreich begleitet und mir

sehr geholfen mich hier zurechtzufinden.

Ich liebe die Messages,

die die Musik transportiert. In den

Texten heißt es: „Love yourself!“

Das hat mir extrem viel Kraft

und Energie gegeben. Ich habe

mir damals gedacht: Ok, dann

habe ich eben keine Freunde und

Freundinnen mehr, ich brauche

sie nicht. Ich brauch gerade nur

mich selbst und die Musik. Auch

das Gefühl, dass ich mich selbst

mag und ich an mich selbst

glaube, habe ich durch die Songs

bekommen. Das war voll schön

für mich, denn die Musik konnte

mir niemand wegnehmen.

Mein Vater ist Musiklehrer

auch deshalb war Musik wohl

immer schon wichtig für mein

Leben. Ich wurde so krass zum

K-Pop Fan, dass ich sogar begonnen

habe, koreanisch zu lernen.

In der Schule lernte ich Deutsch

und nachmittags zu Hause brachte

ich mir selbst via Youtube koreanisch

bei. Das war auch etwas

verrückt, aber heute spreche ich

Arabisch, Deutsch, Englisch und

Koreanisch und bin ziemlich stolz

auf mich.

TANZEN IN KOREA

Ich gehe jetzt in das Musikgymnasium

in Scheibbs, wo ich

Klavier und Gitarre sogar als

Hauptfach habe. Es in dieses

Gymnasium zu schaffen, war

ein erster kleiner Traum, den ich

erreicht habe. Auf einmal bin ich

mit der ganzen Klasse befreundet.

Viele finden jetzt sogar mein

Kopftuch cool.

Später einmal will ich K-Pop

Coversongs produzieren, um

auch anderen Menschen mit

meiner Musik Hoffnung und Kraft

zu geben. Und mein allergrößter

Traum wäre es natürlich irgendwann

nach Korea zu reisen und

dort auf so vielen K-Pop Konzerten

wie möglich zu tanzen.“

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