FOCUSMONEY_40:2020_Vorschau
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MONEYINSIDE<br />
Foto: D. Gust/FOCUS-MONEY<br />
Alles Öko – oder was?<br />
Wir schreiben das Jahr 2021. Die Szene: ein Gespräch<br />
mit Ihrem Bankberater. „Guten Tag, Herr Maier, Sie<br />
möchten also gern 10 000 Euro anlegen?“„Ja“, antworten<br />
Sie, „und das möglichst renditebringend!“ „Nichts gegen<br />
Rendite“, antwortet darauf Ihr Bankberater, „aber möchten<br />
Sie nicht auch etwas für die Umwelt, die soziale Gerechtigkeit<br />
und die Nachhaltigkeit tun?“„Selbstverständlich“,<br />
werden Sie antworten, Sie möchten ja nicht als<br />
schlechter Mensch dastehen – und schwups hat die EU<br />
ihr Ziel erreicht.<br />
Aber von vorn: Die Europäische Union hat 2019 beschlossen,<br />
dass nachhaltiges Investieren zentraler Bestandteil<br />
jeder Anlageberatung werden muss. In der Verordnung<br />
dazu steht: „Da sich die Union in zunehmendem<br />
Maße mit den katastrophalen und unabsehbaren Folgen<br />
des Klimawandels konfrontiert sieht, müssen dringend<br />
Maßnahmen ergriffen werden, um Kapital zu mobilisieren.“<br />
Ab März 2021 muss daher jeder Anlageberater seinen<br />
Kunden – egal, ob er dazu eine Präferenz hat oder<br />
nicht – fragen, ob er nicht lieber nachhaltige Aspekte bei<br />
seiner Geldanlage berücksichtigen möchte. Zu Neudeutsch<br />
nennt man das „Nudging“ – also „die absichtsvolle<br />
Verhaltenslenkung von Individuen bei gleichzeitiger<br />
Aufrechterhaltung ihrer Wahlfreiheit“.<br />
Nun muss „Nudging“ ja nicht unbedingt etwas Schlechtes<br />
sein – wir alle wollen schließlich, dass unsere Umwelt<br />
sauberer wird, unsere Gesellschaft gerechter und unser<br />
Leben besser. Das Problem ist nur: Was „nachhaltig“ ist,<br />
weiß weder Ihre Bank noch die EU.<br />
Ein Beispiel: Sogenannte Rating-Agenturen – die Gattung,<br />
die Schrottanleihen vor der Finanzkrise mit Bestnoten<br />
versehen hat – urteilen inzwischen in Sachen Nachhaltigkeit.<br />
Bis zu 1000 einzelne Kriterien werden bei<br />
einem einzelnen Unternehmen abgefragt – die müssen<br />
die Agenturen dann aggregieren und zu einer Gesamtnote<br />
zusammenfassen.<br />
Drei Kriterien sind dabei ausschlaggebend: Ist das Unternehmen<br />
gut für die Umwelt? Hält es sich an Sozialstandards?<br />
Und weist es eine gute Unternehmensführung auf?<br />
Sie sehen schon: Das Adjektiv „gut“ ist zweimal verwendet.<br />
Und was gut oder böse ist, darüber stritten sich<br />
schon vor 2000 Jahren die Philosophen. Kein Wunder also,<br />
dass auch die Rating-Agenturen zu keinem eindeutigen<br />
Ergebnis kommen.<br />
So weist der Nachhaltigkeitsindex MSCI-World-SRI mit<br />
Microsoft, Procter & Gamble, Home Depot, Nvida, Roche,<br />
Disney, Tesla, Pepsico, SAP und Salesforce die zehn größten<br />
Positionen im Index aus. Konkurrent Stoxx-Global-<br />
ESG-Leaders führt hingegen Signify, Polymetal International,<br />
Orsted, Vestas Wind, Centrica, Nippon Prologis<br />
Frank Pöpsel,<br />
Chefredakteur<br />
Reit, Agnico-Eagle Mines, Koninklijke DSM, Endesa und<br />
Iberdrola als wichtigste Werte auf. Erste Auffälligkeit: Keine<br />
einzige der Top-10-Aktien ist bei beiden Indizes identisch,<br />
obwohl beide die gleiche Grundgesamtheit analysiert<br />
haben. Zweite Auffälligkeit: Ob Nvida als Grafikkartenhersteller<br />
für Computerspiele nachhaltig ist, darüber<br />
kann man sich vielleicht noch streiten. Aber dass<br />
Polymetal International als eine der führenden Gold- und<br />
Silberbergbaugruppen in Russland und in Kasachstan und<br />
Konkurrent Agnico-Eagle Mines aus Kanada ein Vorbild<br />
in Sachen Nachhaltigkeit sein sollen, darüber kann man<br />
nur noch lachen – wenn’s denn nicht so traurig wäre.<br />
Wie solche Indizes dann zustande kommen? Indem man<br />
addiert, was nicht zu addieren ist. Wie viel CO 2-Einsparung<br />
entspricht der Kennzahl Frauenanteil im Vorstand?<br />
Wie viel zählt veganes Essen in der Kantine im Vergleich<br />
zu einem erhöhten Papierverbrauch? Die Liste ließe sich<br />
noch beliebig fortsetzen und jeder gewichtet sie offensichtlich<br />
anders.<br />
Wird die Welt dadurch besser? Fest steht auf jeden Fall:<br />
Ein riesiger bürokratischer Apparat wird aufgebaut. Jedes<br />
Unternehmen muss einen mehrere hundert Seiten<br />
starken Nachhaltigkeitsreport veröffentlichen: Es fallen<br />
Kosten für Anwälte, Unternehmensberater und die Aufsicht<br />
an. Als hätten wir zu wenig Bürokratie, wird ein neuer<br />
Wasserkopf geschaffen.<br />
In der Folge richten sich börsennotierte Unternehmen<br />
zunehmend an Nachhaltigkeitskriterien aus. Aber hilft<br />
das? Nestlé hat Imageprobleme mit der Wassersparte?<br />
Dann wird sie verkauft. Glencore-Aktionäre begehren wegen<br />
vermehrter Kohleförderung auf? Die Minen werden<br />
abgestoßen.<br />
Das Problem nur: Wenn Nestlé die Wasserrechte verkauft,<br />
kauft sie ein anderer und pumpt das Grundwasser<br />
ab. Wenn Glencore die Kohleminen veräußert, freut sich<br />
ein Private-Equity-Fonds über ein billiges Schnäppchen.<br />
Denn solange Tafelwasser gekauft und Kohle in Entwicklungsländern<br />
benötigt wird, gibt es einen Markt für diese<br />
Güter – egal, ob ihn ein börsennotiertes Unternehmen<br />
oder ein „Heuschrecken-Fonds“ bedient.<br />
Mein Freund Andreas Beck, Mathematiker und Portfolio-Analytiker,<br />
der das Thema auch auf unserem You-<br />
Tube-Kanal Mission Money analysiert, bringt die Problematik<br />
mit einem Satz auf den Punkt: „Facebook ist in<br />
keinem Nachhaltigkeitsindex vertreten, aber solange<br />
selbst Greta Thunberg ihren Instagram-Account pflegt,<br />
wird die Welt nicht besser.“<br />
FOCUS-MONEY <strong>40</strong>/<strong>2020</strong><br />
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