LERNEN MIT ZUKUNFT September 2020
Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH
Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
- information - diskussion - innovation - motivation -<br />
Das Österreichische Impuls-Magazin | <strong>September</strong> <strong>2020</strong><br />
Wie könnte die Schule aussehen?<br />
Traum oder Wirklichkeit?<br />
BESUCHEN SIE UNS:<br />
www.facebook.com/lernen.mit.zukunft<br />
Ich gebe meinen Senf dazu<br />
Der Kommunikator - Teil 2<br />
Dann mach doch, was du willst!<br />
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel
inhalt & impressum<br />
inhalt & übersicht<br />
Back to school<br />
Vom Hoffnungs- zum Virenträger<br />
Hilfe! Mein Kind ist hochsensitiv!<br />
Schule als Chance für alle<br />
Ich gebe meinen Senf dazu<br />
Sommerprojekt für Grundschulkinder<br />
Wegweiser<br />
Tipps zum Schulstart im Herbst<br />
Dann mach doch, was du willst<br />
Kreativität<br />
(K)ein Widerspruch in sich?<br />
Familien- und Lernzentrum<br />
Leben wir alle in derselben Welt?<br />
Prof. Abakus<br />
Kindheit früher und heute<br />
AgentInnen der Veränderung<br />
Kinder brauchen den Kindergarten<br />
Wie könnte die Schule auch aussehen<br />
Home-learning an der Uni<br />
Macht unserer Sprache<br />
Eulalia<br />
04<br />
06<br />
07<br />
08<br />
09<br />
10<br />
12<br />
14<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
19<br />
22<br />
24<br />
26<br />
28<br />
30<br />
32<br />
33<br />
34<br />
2 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
editorial & information<br />
impressum<br />
Medieninhaber, Herausgeber<br />
& Verleger <strong>LERNEN</strong> <strong>MIT</strong><br />
<strong>ZUKUNFT</strong>, 1220 Wien,<br />
Mühlwasserpromenade 23/ Haus<br />
13, e-mail: office@LmZukunft.<br />
at, Herausgeber/Grafik: Karl H.<br />
Schrittwieser, Redaktion (Bild/<br />
Text): Birgit Menke,<br />
Titelseite - Foto: © 8926 |<br />
pixabay.com<br />
Blattlinie:<br />
Mit unserer Themenvielfalt laden<br />
wir Erwachsene ein, sich für die<br />
Entwicklung unserer Lebenswelt<br />
und für künftige Generationen<br />
einzusetzen.<br />
Dazu geben wir Informationen,<br />
Gedankenimpulse und<br />
Anregungen.<br />
Die AutorInnen übernehmen<br />
selbst die Verantwortung für den<br />
Inhalt ihrer Artikel.<br />
Ausgangslage:<br />
Nichts ist umsonst<br />
JEDER EINZELNE SOLL SICH SAGEN: FÜR MICH IST DIE WELT GESCHAFFEN,<br />
DARUM BIN ICH VERANTWORTLICH (Babylonischer Talmud)<br />
Sie ist nicht mehr wegzudenken aus unserem Alltag, die<br />
Maskenpflicht. Und die meisten halten sich auch daran<br />
und soweit ich das beobachten kann, auch ziemlich unaufgeregt.<br />
Doch kaum setze ich die Maske auf, meinen<br />
kuschligen 3-lagigen Freund, kitzelt eine Stelle an meiner Nase<br />
oder es juckt im Gesicht. Meine Ohren stehen ab, weil mich<br />
die richtige Größe noch nicht gefunden hat. Und meine Brille<br />
beschlägt immer dann, wenn ich gerade versuche, das Kleingedruckte<br />
zu lesen. Ich mag die Maske nicht, aber ich sehe sie als<br />
das kleinere Übel, wenn ich mir die Nachrichten aus aller Welt<br />
anhöre.<br />
Irgendwann wird aber auch dieses Thema der Vergangenheit<br />
angehören. Und was wird dann bleiben aus dieser Zeit? Wird die<br />
Beliebtheit regionaler Produkte anhalten und damit ein bewusstes<br />
Hinschauen auf die Herkunft und Produktion von Lebensmitteln?<br />
Wird sie bleiben, die Wertschätzung gegenüber den Berufen, die<br />
uns über die erste Welle getragen haben und immer noch tragen?<br />
Und entwickeln wir eine größere Toleranz und Dankbarkeit gegenüber<br />
ausländischen Fachkräften, ohne die unser Pflegesystem<br />
nicht nur in Corona-Zeiten zusammenbrechen würde? Wird es das<br />
von vielen erhoffte Umdenken geben?<br />
Noch sind wir mit den Einschränkungen und Herausforderungen<br />
beschäftigt, die die Pandemie mit sich bringt. Eine schwierige Zeit<br />
für Familien, für die Kinder, unser Alltags- und Berufsleben, für<br />
Kunst und Kultur und für die Wirtschaft. Nicht zu vergessen die<br />
soziale Isolation.<br />
Dennoch haben wir alle eine gemeinsame Verantwortung. Die<br />
Ausbreitung des Virus zu verhindern. Und damit viel Leid der<br />
Betroffenen, denn die Krankheit kann sehr schlimm sein.<br />
Ich wünsche Ihnen einen farbenfrohen Herbst,<br />
bitte bleiben Sie gesund,<br />
Ihr<br />
Karl H. Schrittwieser<br />
Obmann und Herausgeber<br />
<strong>LERNEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>ZUKUNFT</strong><br />
Foto © Francis Ray | pixabay.com<br />
3 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & lernen<br />
Nicht jeden freut’s:<br />
Back to school<br />
UND DAS NACH EINER LÄNGEREN LERNPAUSE ALS DEN<br />
MEISTEN VON UNS LIEB WAR<br />
DI Roswitha Wurm<br />
Dipl. Lerndidaktikerin<br />
Lese- und Rechtschreibtrainerin,<br />
Kinderbuchautorin<br />
Interaktive Lesungen<br />
an Schulen buchbar unter:<br />
www.lesenmitkindern.at<br />
In der letzten Ausgabe gab es eine<br />
Reflektion was wir aus der Zeit der<br />
Corona bedingten Schulschließungen<br />
für das Lernen mitnehmen können. Was<br />
ich als Lern- und Mentaltrainerin allerdings<br />
beobachte ist, dass gerade Kinder<br />
mit anlagebedingten Lernschwierigkeiten<br />
wie Legasthenie, Dyskalkulie oder andere<br />
Lerndifferenzierungen die Zeit fernab vom<br />
Schulgebäude sehr genossen haben. Dasselbe<br />
betrifft SchülerInnen, die Außenseiter in<br />
der Klasse sind, gemobbt werden oder aus<br />
unterschiedlichen Gründen immer ein wenig<br />
hinter der Klasse herhinken. Gerade auf sie<br />
sollte in der Back-to-School“-Zeit besonders<br />
geachtet werden. Der Leistungsdruck im<br />
Klassenraum ist in jedem Fall höher als in<br />
der Heimunterrichtszeit und kann Kinderherzen<br />
zerbrechen lassen!<br />
LERNSCHWÄCHE AKZEPTIEREN<br />
Anders als die meisten anderen zu sein,<br />
vor allem wenn es darum geht nicht<br />
so leicht zu lernen wie die anderen,<br />
kann sehr belastend für Betroffene<br />
sein. Besonders wenn man immer<br />
wieder zu hören bekommt: „Du<br />
musst einfach mehr üben. Schreibe<br />
und lies so viel du kannst. Irgendwann<br />
verschwindet dann deine<br />
Lese-Rechtschreibschwäche!“<br />
Aber so einfach ist das nicht.<br />
Das legasthene/dyskalkule Kind<br />
macht seine Fehler nicht absichtlich<br />
oder weil es zu wenig übt, sondern<br />
weil es durch seine differenten Sinneswahrnehmungen<br />
allein mit den herkömmlichen<br />
Lernmethoden das Schreiben, Lesen<br />
und Rechnen nicht erlernen kann.<br />
WIE KÖNNEN ELTERN UND LEHRER DEM<br />
KIND HELFEN?<br />
• Betonen Sie dem Kind gegenüber nicht<br />
ständig, dass es eine „Schwäche“ hat.<br />
Sondern richten Sie das Augenmerk vielmehr<br />
auf Dinge, die es zweifellos gut kann oder auf<br />
seine sozialen Stärken, um das Selbstvertrauen<br />
des Kindes zu stärken<br />
• Auch wenn es manchmal schwerfällt:<br />
geben Sie dem betroffenen Kind Zeit und verhalten<br />
Sie sich geduldig und verständnisvoll.<br />
• Legasthene und dyskalkule Kinder weisen<br />
eine ihnen typische Sprunghaftigkeit in der<br />
Aufmerksamkeit im Umgang mit Buchstaben<br />
und Zahlen auf. Helfen Sie dem Kind seine<br />
Gedanken zu ordnen und das Denken und<br />
Handeln in Einklang zu bringen.<br />
• Lob ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg.<br />
Bitte vergleichen Sie betroffene Kinder nicht<br />
mit anderen!<br />
• Der Arbeitsplatz des Kindes sollte übersichtlich,<br />
nicht überladen und angenehm gestaltet<br />
sein.<br />
• Erstellen Sie gemeinsam mit dem Kind<br />
einen Lern- und Übungsplan.<br />
• Es sollte betroffenen Kindern ermöglicht<br />
werden für die schulische Beurteilung mündliche<br />
oder alternative Leistungen erbringen zu<br />
können.<br />
Foto: © mohamed Hassan | pixabay.com<br />
4 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & lernen<br />
Am Wichtigsten ist, dass alle Beteiligten: das Kind, Eltern und Lehrer<br />
an einem Strang ziehen, das Gespräch miteinander suchen und<br />
gemeinsam an der Lerndifferenzierung des Kindes arbeiten. Das<br />
Gleiche gilt, wenn andere Gründe dafür sprechen, dass ein Kind sich<br />
in der Klasse nicht wohl fühlt.<br />
So freut’s dann wohl doch alle, dass unsere Schulen (hoffentlich)<br />
wieder für längere Zeit die Türen offen haben!<br />
Brilli hat sogar eine eigene Instagramseite<br />
und freut sich über<br />
Besucher und Follower:<br />
https://www.instagram.com/<br />
brilli_daskueken/<br />
Bald veröffentlichen wir auch<br />
Brillis ersten Lernsong unter<br />
dem Motto:<br />
Bewege dich schlau!<br />
Buchtipp: Roswitha Wurm, Brilli- das Küken, SCM Brockhaus<br />
Brilli ist anders als die anderen Küken am Hühnerhof. Das Lernen<br />
fällt ihm schwer. Deshalb lachen ihn die anderen aus. Als er untröstlich<br />
ist, trifft er auf Watti, den Igel mit dem watteweichsten Herz<br />
der Welt. Watti übt mit Brilli gemeinsam. Und plötzlich klappt es<br />
immer besser … „denn mit einem Freund an der Seite ist nichts zu<br />
schwer.“<br />
Foto: © Annalise Batista | pixabay.com<br />
5 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & lernwelt<br />
Die geheimnisvolle Mutation:<br />
Vom Hoffnungs- zum Virenträger<br />
WAS <strong>LERNEN</strong> WIR DARAUS? KINDER UND JUGENDLICHE HABEN IN<br />
WAHRHEIT KEINE LOBBY<br />
Gerald Ehegartner<br />
Lehrer, Autor, Naturpädagoge<br />
und Visionssucheleiter<br />
„Akademie für Potentialentfaltung“,<br />
„Lernwelt“<br />
www.geraldehegartner.com<br />
Es entbehrt nicht einer gewissen<br />
Ironie, dass das Ökumenische<br />
Heiligenlexikon die<br />
Heilige Corona als Schutzpatronin<br />
vor Seuchengefahr ausweist.<br />
Weitere Aufgaben: Schutzpatronin<br />
des Geldes, der Fleischer und<br />
Schatzsucher. Gerade die ersten<br />
beiden Aufgaben machen die Heilige<br />
Corona, die im jugendlichen Alter<br />
eines gewaltsamen Todes starb,<br />
zur unbezahlbaren Krisenexpertin<br />
in Zeiten der Pandemie und Wirtschaftskrise.<br />
St. Corona am Wechsel und am<br />
Schöpfl wurden verständlicherweise<br />
zum Pilgerhit. Ob sich unter<br />
die Pilgerschar auch Fleischer und<br />
Schatzsucher mischen, kann nicht<br />
bestätigt werden. Einen Heiligen,<br />
den ich derzeit zusätzlich anrufen<br />
würde, wäre Don Bosco. Für ihn<br />
waren Kinder und Jugendliche stets<br />
Hoffnungsträger der Zukunft.<br />
Auch für die meisten von uns galt bis<br />
vor kurzem diese Prämisse.<br />
Seit dem Lockdown hatte sich aber<br />
Gravierendes verändert:<br />
Die einstigen Hoffnungsträger<br />
waren offensichtlich zu Virenträgern<br />
mutiert.<br />
Lern-, Spiel- und Begegnungsorte<br />
wurden geschlossen, obwohl<br />
Kinder am neuartigen Virus<br />
kaum erkranken, sondern<br />
sich meist lediglich infizieren.<br />
Nur jeder 90. Cluster kommt<br />
von der Schule, die zukünftig<br />
Gefahr läuft, wie Computer<br />
rauf- und runtergefahren zu werden.<br />
Nun aber müssen sich die ehemaligen Hoffnungsträger<br />
solidarisch mit der Risikogruppe<br />
zeigen.<br />
Sie tragen bereits unsere Schulden- und Umweltlast,<br />
jetzt auch die Gesundheitslast.<br />
Abgesagte Abschlussfeiern, Ausflüge, Praktika,<br />
Schullandwochen, Au-pair-Aufenthalte, Auslandsstudien,<br />
Feste. Berührung, Nähe, Bewegung,<br />
Musik, Gesang, Tanz und Feiern machen<br />
uns zu Menschen, gelten mittlerweile aber als<br />
die sieben Todsünden.<br />
„Der Virus ist unter uns“, framte der Gesundheitsminister,<br />
nachdem Macron den Krieg gegen<br />
den neuen Feind schon ausgerufen hatte.<br />
Nur, wo sind die Würdenträger, die rufen: „Die<br />
heilige Corona ist unter uns!“ oder „Das Reich<br />
Gottes ist mitten unter uns!“?<br />
Braucht es nicht gerade auch die Kirche, die wieder<br />
Mut macht, die versteht, dass das fieseste<br />
Virus die Angst selbst ist und mit einem biblischen<br />
„Fürchtet euch nicht!“ Kraft gibt, ohne die<br />
realen Gefahren zu verharmlosen? Wo sind die<br />
Vertreter der verschiedensten Religionen? Sind<br />
die Würdenträger auf merkwürdige Weise auch<br />
zu Virenträgern mutiert? Manchmal bedarf es<br />
tröstlicher und nicht nur „drostlicher“ Worte.<br />
Schweden ließ die meisten Bildungseinrichtungen<br />
geöffnet, schützt die Risikogruppe und<br />
verpflichtet zu keinem Maskentanz.<br />
Das Gesundheitswesen ist bis heute nicht überfordert,<br />
die Mortalitätsrate ist niedriger als z. B.<br />
in Belgien und GB ( 0,056 %; die mittelalterliche<br />
Pest schätzt man auf bis zu 40 %)), die Wirtschaft<br />
und der soziale Zusammenhalt brechen<br />
weit weniger ein.<br />
Ich mache mir Sorgen um die nächste Generation<br />
und hoffe, dass so manch Würdenträger die<br />
Würde der Kinder und Jugendlichen erkennt und<br />
den Wandel vom derzeitigen Virus- zurück zum<br />
Hoffnungsträger einläuten möchte.<br />
Foto: © Cora Müller | fotolia.com
information & entwicklung<br />
Mit feinen Sensoren:<br />
Hilfe! Mein Kind ist hochsensitiv!<br />
WIE KANN ICH BESTMÖGLICH DA<strong>MIT</strong> UMGEHEN?<br />
Vorneweg: Hochsensitivität/Hochsensibilität<br />
ist keine Störung oder<br />
Krankheit, die wegtherapiert<br />
werden kann oder soll, vielmehr<br />
handelt es sich um eine vererbte Persönlichkeitseigenschaft,<br />
die zu einer<br />
wertvollen Ressource und Begabung<br />
werden kann.<br />
WAS BEDEUTET HOCHSENSITIVITÄT/<br />
HOCHSENSIBILITÄT BEI KINDERN?<br />
Aufgrund einer besonderen neuronalen<br />
Veranlagung ist ihre Wahrnehmung<br />
differenzierter und intensiver als bei anderen<br />
Kindern. Sie nehmen mehr subtile<br />
Informationen auf, denken viel nach und<br />
spüren auch auf der Gefühlsebene alles<br />
viel intensiver. Ihre Reizoffenheit und<br />
Sensibilität macht sie allerdings auch<br />
verletzlicher und schneller reizüberflutet.<br />
Hochsensitive Babys/Kinder brauchen<br />
meist besondere Nähe und Aufmerksamkeit<br />
(anfangs oft ausschließlich durch<br />
die Mutter), um zu lernen, mit ihrer<br />
speziellen Wahrnehmungsweise selbstbewusst<br />
umzugehen. Für Eltern und<br />
PädagogInnen stellt ein hochsensitives<br />
Kind oft eine große Herausforderung dar.<br />
MERKMALE IM ALLTAG, WORAN SIE<br />
EIN HOCHSENSITIVES KIND<br />
ERKENNEN KÖNNEN<br />
Die meisten sind eher introvertiert (ca.<br />
30 % jedoch sind extravertiert).<br />
Unvorhergesehene Änderungen bereiten<br />
ihnen Unbehagen.<br />
Sie denken sehr viel nach, sind außergewöhnlich<br />
empathisch und stellen schon<br />
in jungen Lebensjahren tiefgründige<br />
Fragen.<br />
Sie sind sehr sinnlich und reagieren oft<br />
empfindlich auf taktile Reize, laute Geräusche<br />
oder bestimmte Gerüche.<br />
Viele hochsensitive Kinder sind perfektionistisch<br />
veranlagt, Ungerechtigkeiten sind<br />
für sie sehr schwer auszuhalten.<br />
TIPPS FÜR DEN UMGANG <strong>MIT</strong> EINEM<br />
HOCHSENSITIVEN KIND<br />
• Lassen Sie es sein wie es ist! (Ihr Kind<br />
ist ok!)<br />
• Üben Sie sich in Geduld! (Vieles<br />
dauert mit einem hochsensitiven Kind<br />
länger.)<br />
• Achten Sie auf Struktur (räumlich,<br />
zeitlich, organisatorisch)!<br />
• Finden Sie eine Balance zwischen<br />
„Schützen“ und „Stupsen“! (Hochsensitive<br />
Kinder brauchen Verständnis<br />
für ihre Zurückhaltung sowie Ermutigung<br />
zu neuen Erfahrungen gleichermaßen.)<br />
Kurz zusammengefasst:<br />
Ihr hochsensitives<br />
Kind ist nicht krank,<br />
sondern lediglich<br />
„anders“ in seiner<br />
Wahrnehmung und<br />
Verarbeitung von<br />
Reizen. Es ist unsere<br />
Aufgabe als Eltern und<br />
PädagogInnen, jedem<br />
hochsensitiven Kind zu<br />
zeigen, wie es seine Hochsensitivität<br />
nicht als Hindernis,<br />
sondern als Geschenk und<br />
besondere Begabung begreifen<br />
lernen kann.<br />
Elisabeth Heller<br />
Psychotherapeutin,<br />
Dipl. Sozialpädagogin und<br />
Mutter von drei Kindern<br />
www.elisabeth-heller.at<br />
tipps<br />
Aron, E., Das hochsensible<br />
Kind: Wie Sie auf die<br />
besonderen Schwächen<br />
und Bedürfnisse Ihres Kindes<br />
eingehen, mvg Verlag,<br />
2008<br />
Für Kinder (und ihre WegbegleiterInnen):<br />
Hanke-Basfeld, M., Philipp<br />
zähmt den Grübelgeier,<br />
Festland Verlag e.U., 2015<br />
Foto: © mohamed Hassan | pixabay.com
information & innovation<br />
Analyse und Vorschläge:<br />
Schule als Chance für alle<br />
WARUM ES IM LEBEN VORBILDER BRAUCHT<br />
Dipl.-Ing. Alexander Ristic<br />
Journalist<br />
Frau Melisa Erkurt hat unser aktuelles<br />
Bildungssystem analysiert<br />
und hält uns den Spiegel vor. Sie<br />
spricht aus eigener Erfahrung. Die<br />
29-jährige ist als „muslimisches Flüchtlingskind“<br />
mit ihrer Mutter aus Sarajewo<br />
nach Österreich gekommen. Sie hat es in<br />
Österreich „geschafft“. Sie hat erfolgreich<br />
Germanistik studiert und arbeitet<br />
als Lehrerin und<br />
Journalistin.<br />
Melisa Erkurt macht<br />
eine detaillierte<br />
Bestandsaufnahme<br />
aus ihrer eignen<br />
Unterrichtserfahrung<br />
und aus ihrem<br />
persönlichen Lebensweg.<br />
Sie dachte<br />
lange, dass Bildung<br />
der Schlüssel zur<br />
gelungenen Integration<br />
sei. Auch die<br />
bestausgebildeten<br />
Migranten stoßen in Österreich noch<br />
immer an eine „gläserne“ Decke. Es ist<br />
ein Märchen ihnen zu erzählen, dass sie<br />
mit Bildung alles erreichen können.<br />
Die Jugend muss ganz woanders<br />
abgeholt werden,<br />
als<br />
sie momentan abgeholt wird. Es kommen<br />
Kinder in unser Bildungssystem, die Zuhause<br />
noch nie ein Buch in Händen gehalten haben,<br />
denen niemals jemand etwas vorgelesen<br />
und mit denen daheim noch nie jemand<br />
gebastelt hat.<br />
Es ist möglich Kinder aus bildungsfernen<br />
Schichten für das Lesen zu begeistern,<br />
wenn man sich die Zeit nimmt, sich mit den<br />
individuellen Interessen<br />
zu beschäftigen, ihnen<br />
die „richtigen“ Bücher<br />
empfiehlt und erfolgreiche<br />
Vorbilder als<br />
Mutmacher nennt.<br />
Melisa Erkurt leiht plakativ<br />
and plastisch ihre<br />
Stimme den Verlierern<br />
unseres Bildungssystems.<br />
Sie zeigt in<br />
ihrem Buch mit vielen<br />
praktischen Beispielen<br />
und plausiblen Argumenten<br />
einen möglichen<br />
positiven Weg auf. Das Buch ist schnell<br />
gelesen. Es ist sehr kurzweilig geschrieben<br />
und man möchte es nicht weglegen.<br />
Sie gibt am Ende des Buches auch fünf konkrete<br />
Verbesserungsmöglichkeiten, um unser<br />
Bildungssystem erfolgreich zu gestalten. Wir<br />
müssen neue Wege gehen. Das hat uns auch<br />
die Covid19 Pandemie gezeigt. Das Buch<br />
sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich<br />
für die Themen Bildung und Integration<br />
interessieren und mitdiskutieren<br />
wollen.<br />
Foto: © Shmel2 | fotolia.com
information & kommunikation<br />
Der Kommunikator - Teil 2:<br />
Ich gebe meinen Senf dazu<br />
DIE KOLUMNE FÜR ALLE, DIE ETWAS ZU SAGEN HABEN<br />
Wir alle kommunizieren.<br />
Immer. Das hat schon Karl<br />
Watzlawick gesagt und damit<br />
die Kommunikationswissenschaft<br />
mitgeprägt. Doch stimmt das<br />
überhaupt? Und wenn wir schon dabei<br />
sind: Was ist Kommunikation eigentlich?<br />
GEHEIMNIS KOMMUNIKATION<br />
Der Begriff Kommunikation stammt<br />
vom lateinischen communicatio ab‚ was<br />
soviel wie Mitteilung bedeutet. Er beschreibt<br />
den Austausch oder die Übertragung<br />
von Informationen, die auf verschiedene<br />
Arten und auf verschiedenen<br />
Wegen stattfinden kann. Bei diesem<br />
Austausch können nicht nur kleinere und<br />
größere Distanzen von einem Individuum<br />
zu einem anderen überwunden werden,<br />
es geht auch immer um ein gegenseitiges<br />
Geben und Nehmen von Erfahrungen,<br />
Wissen, Erkenntnis oder Gefühlen.<br />
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das<br />
aber noch lange nicht alles. In dem Buch<br />
Menschliche Kommunikation – Formen,<br />
Störungen, Paradoxien wird die These<br />
aufgestellt, wir seien fast unfähig über<br />
Kommunikation zu kommunizieren.<br />
Watzlawick und viele andere haben es<br />
dennoch nicht unversucht lassen. Zum<br />
Glück.<br />
DER MENSCH, DAS SOZIALE WESEN<br />
Neben der ursprünglichen Bedeutung<br />
wird Kommunikation auch als soziale<br />
Handlung verstanden. Auch technische<br />
Aspekte sind nach und nach in den<br />
Kommunikationsbegriff mit eingeflossen.<br />
Heutzutage kommunizieren nicht mehr<br />
nur Menschen mit Menschen, sondern<br />
mithilfe von Maschinen – mit Menschen<br />
und mit Maschinen. Nichts selten kommunizieren<br />
sogar schon Maschinen mit<br />
Foto: © Sean Johannesen | pixabay.com<br />
Maschinen, die künstliche Intelligenz macht es<br />
möglich. In diesen Fällen werden nicht länger<br />
Lebewesen, sondern stattdessen organisierte<br />
Einheiten oder Systeme als Kommunikatoren –<br />
sowohl Sender als auch Empfänger – angesehen.<br />
Zu diesen „Systemen“ gehören aber auch<br />
die Disziplinen Journalismus, Publizistik oder<br />
Marketing.<br />
FÜR UNS ALLTÄGLICH<br />
Im Alltag verläuft Kommunikation scheinbar<br />
selbstverständlich. Wir hinterfragen die eigene<br />
Art zu kommunizieren nicht. Erst wenn es nicht<br />
so funktioniert, wie wir uns das vorstellen,<br />
wird Kommunikation zum Objekt unserer Aufmerksamkeit.<br />
Die Kommunikationswissenschaft stellt die Frage, unter<br />
welchen Bedingungen Kommunikation abläuft; wie sie<br />
funktioniert oder eben nicht. Wie Watzlawick erkannt hat,<br />
können wir tatsächlich nicht nicht kommunizieren. Wir<br />
geben Signale, egal ob wir sprechen oder gerade nichts<br />
sagen wollen. In der Verhaltenstheorie wird Kommunikation<br />
als Prozess gegenseitigen Aufeinandereinwirkens<br />
angesehen. Sobald wir jemandem Aufmerksamkeit<br />
schenken, wirkt der- oder diejenige auf uns ein.<br />
Selbst Ausnahmefälle wie Komapatienten oder<br />
Autisten geben Signale, wenn auch meist nicht<br />
bewusst.<br />
Mag. Markus Neumeyer<br />
Theater-,Film- und<br />
Medienpädagoge<br />
dipl. Lern/Freizeit &<br />
Vitalcoach<br />
EINFACH GESAGT<br />
Die zwischenmenschliche Kommunikation<br />
ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Der<br />
Kitt menschlichen Zusammenlebens. Wir<br />
sprechen, agieren, deuten und geben unseren<br />
Mitmenschen damit Zeichen. Es ist ein gemeinsames<br />
Grundverständnis von Nöten, damit beide<br />
Seiten diese Zeichen auch gleich deuten und adäquat<br />
darauf reagieren können. Geben wir uns einen Ruck und<br />
versuchen wir doch unsere Zeichen genauer zu betrachten. War es missverständlich?<br />
War es doppeldeutig oder für das Gegenüber gar kränkend?<br />
Mit vermehrter Achtsamkeit würden viele Kommunikationsprobleme gar<br />
nicht auftauchen. Das gilt besonders für unsere Wortwahl in der E-Mail-<br />
Kommunikation. Denken Sie darüber nach, bevor sie wieder durchgehend<br />
in Großbuchstaben schreiben oder an jeden Satz drei Rufzeichen anhängen.<br />
Na, stimmt doch!!! Oder???<br />
9 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & nachhaltigkeit<br />
Entdecke den Wald:<br />
Sommerprojekt für Grundschulkinder<br />
AMEISEN GEHÖREN ZU DEN STÄRKSTEN LEBEWESEN<br />
Ursula Schoeneich<br />
Direktorin der German<br />
School Campus in Newport<br />
Beach, CA USA<br />
www.germanschoolcampus.<br />
com<br />
Was tun, wenn in Zeiten der<br />
Pandemie der Sommer naht<br />
und die Schulen weiterhin<br />
geschlossen bleiben? Wir<br />
mussten umdenken, denn es war seit<br />
März nicht erlaubt mit den Schülern auf<br />
dem Campus zu arbeiten. Wir beschlossen,<br />
das Projekt „Entdecke den Wald,“<br />
im online Klassenraum über 4 Wochen<br />
durchzuführen.<br />
DER WALD UND SEINE BEWOHNER<br />
Am ersten Tag des Sommercamps stellten<br />
sich die Kinder auf Deutsch vor und<br />
lernten die anderen Kinder in der Gruppe<br />
kennen. Als wir beschlossen, das Sommercamp<br />
als Immersion Deutsch durchzuführen,<br />
sprachen wir über alltägliche<br />
Dinge, so dass die Kinder Vertrauen zu<br />
ihrem Lehrer gewannen.<br />
Zuerst wurden die Waldtiere mit Hilfe<br />
von Karteikarten vorgestellt, und es<br />
machte den Kindern wirklich Spaß, da<br />
sie einige der Tiere schon kannten oder<br />
mit ihnen vertraut waren. Wir sprachen<br />
über das Aussehen und den Lebensraum<br />
der jeweiligen Tiere:<br />
"Das Eichhörnchen, das Reh, das<br />
Wildschwein, der Dachs, der Fuchs, die<br />
Ameise, der Vogel". Die SchülerInnen<br />
konnten bereits einige der Vogel- oder<br />
Tierstimmen erkennen oder imitieren.<br />
Unter Anleitung erstellten die Schülerinnen<br />
und Schüler ein kleines Waldtierheft,<br />
das für alle Klassen verwendet<br />
werden soll.<br />
Zur Umsetzung des metrischen Systems<br />
wurden Lerntechniken und -strategien<br />
entwickelt. Zur Messung der Größe des<br />
Tieres wurden verschiedene Hilfsmittel<br />
wie z.B. ein Maßband verwendet. Wir<br />
verwendeten Arbeitsblätter mit Strukturierungs<br />
Material zur Förderung der<br />
motorischen Fähigkeiten, wie z.B. Bilder<br />
von Waldtieren ausschneiden und Aufkleben<br />
auf Papier, mit dem deutschen<br />
Wort daneben. Es wurde diskutiert, ob<br />
das Waldtier unten oder oben, links oder<br />
rechts, kriechend, hüpfend oder fliegend<br />
ist.<br />
Zu diesem Zweck wurde den Schülerinnen<br />
und Schülern eine kleine Vokabelliste<br />
zur Verfügung gestellt, um<br />
die wichtigsten Wörter der jeweiligen<br />
Woche zu lernen. Es war erstaunlich, wie<br />
sie später zwischen Säugetieren, Vögeln<br />
und Insekten unterscheiden konnten und<br />
etwas über die Nahrungskette lernten.<br />
Es war ein einwöchiges Hausaufgaben-<br />
Handwerksprojekt, um ein Tier wie das<br />
Eichhörnchen fertigzustellen.<br />
Die Kinder sind hinaus in die Natur<br />
gegangen und haben nach Blättern und<br />
Tannenzapfen gesucht und diese in den<br />
Unterricht mitgebracht, denn am Ende<br />
des Kurses haben die Schülerinnen und<br />
Schüler ihren Wald vorgestellt, und was<br />
sie über die Tiere, Bäume und Früchte<br />
des Waldes gelernt haben. Dies war eine<br />
wertvolle Aktivität und förderte sowohl<br />
die Kreativität als auch die Feinmotorik<br />
und die Konzentrationsfähigkeit.<br />
In der weiteren Woche haben<br />
wir uns speziell auf die Ameise konzentriert,<br />
von ihrer Entstehung und ihrem<br />
Nutzen. Die Kinder lernten selbstständig<br />
und eigenverantwortlich zu arbeiten,<br />
10 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & nachhaltigkeit<br />
indem sie versuchten, die Arbeitsblätter,<br />
die wir ihnen zur Verfügung stellten,<br />
auszuarbeiten. Dazu mussten sie<br />
schneiden, kleben und einfache Wörter<br />
schreiben.<br />
Als Freiarbeit arbeiteten die Schüler an<br />
ihrem Waldprojekt, dazu sammelten<br />
sie in der Natur z.B. im eigenen Garten,<br />
Parks, auf Wanderwegen, Dinge wie<br />
Blätter, Hölzer, etc. die wir für unseren<br />
gebastelten Wald benötigten. Jeder<br />
Schüler stellte immer seine gefundenen<br />
Sammelstücke vor.<br />
DAS WALD-LAPBOOK<br />
Zur Wiederholung in Woche 3 hatten<br />
die SchülerInnen ein Wald-Lapbook<br />
erstellt. Mit dieser Form der Präsentation<br />
konnten die Kinder Unterrichtsthemen<br />
bearbeiten, festigen und kreativ umsetzen.<br />
Wir unterschieden zwischen Nadel- und<br />
Laubbäumen, von der Wurzelschicht<br />
bis zur Baumschicht lernten die SchülerInnen<br />
die Vorzüge des Waldes kennen.<br />
Die Jahreszeiten, und „wer überwintert<br />
oder, gibt es Tiere, die das ganze Jahr<br />
über aktiv sind?!“<br />
Die Photosynthese als wichtiger Bestandteil, das Verhalten im Wald und die<br />
Regeln, das Fressen und gefressen werden und die Nahrungskette mussten<br />
erkärt werden. Die Kinder waren sehr motiviert und engagiert bei ihrer Arbeit.<br />
Sie ordneten die gewonnenen Informationen in einem aufklappbaren Umschlag,<br />
der zahlreiche geklebte oder verstiftete Innenteile wie "Leporello"-<br />
Elemente, Fächer oder Drehscheiben enthielt und so eine klare und verdichtete<br />
Darstellung des gewählten Themas schaffte.<br />
Die jungen Studierenden arbeiteten nicht nur theoretisch, sondern auch manuell<br />
- viele Sinne waren beteiligt. Die Kinder lernten selbständig zu recherchieren<br />
und zu gestalten.<br />
VOM PILZ CHECK BIS ZUM WEG DES HOLZES<br />
Neben der vielfältigen Flora und Fauna des Waldes, bereiteten wir die Schüler<br />
auch auf mögliche Gefahren vor, wie z.B. giftige Pilze! Anhand eines Steckbriefes<br />
lernen die Kinder die einzelnen Begriffe eines Pilzes kennen. Wo sitzt<br />
der Hut? Was ist ein Myzel?<br />
In der weiteren Woche besprachen wir den Weg des Holzes. Was sind die Arbeitsgeräte<br />
eines Forstarbeiters? Schülern wurden die Begriffe Sägewerk und<br />
Motorsäge erklärt. Wie entsteht ein Möbelstück aus Holz? Jedes Kind nannte<br />
mindestens drei Dinge die vorwiegend aus Holz erzeugt werden. Dazu arbeiteten<br />
wir mit einem Arbeitsblatt, wo die Schüler die jeweiligen Arbeitsschritte<br />
„vom Bäumchen zum Holzbrett“ in die richtige Reihenfolge brachten.<br />
Unser Projekt „ Erforsche den Wald,“ forderte die Schüler heraus. Die Erfahrungen,<br />
die sie dabei machten sind wertvoll und die Lernfortschritte gewaltig.<br />
Man konnte sehen wie sie zu Entdeckern und Analysten ihrer eigenen Arbeit<br />
wurden.<br />
Fotos © German School Campus<br />
11 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & bewusstsein<br />
Im Labyrinth des Lebens:<br />
Wegweiser<br />
GERADE JENE STEINE, DIE DICH INS STOLPERN BRINGEN, SIND DEINE<br />
WEGWEISER (Martin Gerhard Reisenberg)<br />
Roswitha Maderthaner<br />
Kindergartenleiterin<br />
Montessoriepädagogin<br />
Akademische Trainerin<br />
Dipl.Biografiearbeiterin<br />
zur Zeit Studium der<br />
Elementarpädagogik<br />
Neulich am Pilgerweg im Mühlviertel.<br />
Am Morgen des zweiten<br />
Tages erreiche ich ein Labyrinth.<br />
Mitten am Weg taucht es auf,<br />
mit kleinen Steinen gelegt und Lavendel<br />
umrandet. In der Mitte steht ein Baum<br />
und am Eingang ist ein Schild befestigt,<br />
mit dem Hinweis, dass es sich um das<br />
Labyrinth von Chartres handelt und<br />
von der örtlichen Landjugend angelegt<br />
wurde. Ich bin begeistert. Man muss<br />
wissen, dass es sich bei einem Labyrinth<br />
nicht um einen Irrgarten handelt. Beim<br />
Irrgarten muss man den Weg suchen<br />
und hinausfinden, dabei wird man in<br />
die Irre geführt. Das Labyrinth hingegen<br />
hat nur einen Weg, der immer zur Mitte<br />
führt. Es ist ein uraltes Menschheitssymbol,<br />
das für das Leben selbst und<br />
den Lebensweg steht. Macht man<br />
sich auf und begeht es, so kann<br />
man viel über sein Leben erfahren<br />
und sich selbst entdecken.<br />
Da steh ich also, voll Vorfreude und<br />
dem Gedanken, ob mein Rucksack beim<br />
Durchschreiten mitkommen soll. Es ist<br />
mein zweiter Pilgertag und der Rucksack<br />
drückt schon schwer auf meinen<br />
Schultern. Außerdem überlege ich, ob<br />
ich diese zusätzlichen Meter wirklich<br />
gehen will, liegt doch noch ein ordentlicher<br />
Tagesmarsch vor mir. Meine<br />
Begeisterung fegt aber alle aufkommenden<br />
Zweifel hinweg. Ich stelle den<br />
Rucksack ab, und mache beherzt die<br />
ersten Schritte in das Labyrinth hinein.<br />
Kein Wegweiser zeigt mir, wohin ich<br />
muss, anders als am Pilgerweg, wo ich<br />
mich immer mit Hilfe solcher Wegweiser<br />
orientiere. Nein, das Labyrinth gibt den<br />
Weg vor, vorausgesetzt man begeht es.<br />
Es gibt nur diesen einen Weg, und der<br />
führt ganz bestimmt in die Mitte. Es tut<br />
gut sich in solcher Sicherheit zu wissen.<br />
Ständig plagt mich nämlich beim Pilgern<br />
die Sorge, ob ich am richtigen Weg,<br />
und hoffentlich nicht falsch abgebogen<br />
bin, oder ein Schild übersehen habe.<br />
Dann überkommen mich Zweifel. Hier<br />
im Labyrinth ist es einfach. Ich vertraue<br />
dem Weg, der vor mir liegt. Ich muss<br />
auch nicht den ganzen Weg kennen,<br />
sondern immer nur wissen, wohin ich<br />
den nächsten Schritt setze. Im Leben,<br />
wie im Labyrinth kann man schnell den<br />
Überblick verlieren. Wie gut ist es zu<br />
wissen, dass es genügt, einfach den<br />
nächsten Schritt zu kennen. Leo Tolstoi<br />
(1828 – 1910) formulierte es folgendermaßen:<br />
„Denke immer daran,<br />
dass es nur eine wichtige Zeit gibt:<br />
Heute. Hier. Jetzt.“ Die Gegenwart<br />
als Ausgangsbasis.<br />
Fotos © 8926 und Gerd Altmann | pixabay.com
information & bewusstsein<br />
Auch die Biografiearbeit setzt immer in der<br />
Gegenwart an. Aktuelle Fragestellungen und<br />
Anlässe sind dabei der Ausgangspunkt für die<br />
Rückschau oder Vorschau auf sein Leben. Die<br />
Gegenwart kann Orientierung geben, wenn<br />
man nur den nächsten, möglichen Schritt<br />
überlegt, nicht den Verlauf des gesamten<br />
Weges. Unerwartet tauchen beim Begehen<br />
vom Labyrinth Wendungen auf, und ich<br />
meistere sie mühelos, da ich immer nur einen<br />
Fuß vor den anderen setze. Ich bleibe stehen<br />
und stutze, ich denke hier geht es weiter,<br />
aber nein der Weg im Labyrinth wechselt<br />
nach einer Kurve die Richtung. Wie oft schon<br />
dachte ich, zu wissen, wo es in meinem<br />
Leben langgeht, um mich kurz darauf mit<br />
unvorhersehbaren Wendungen konfrontiert<br />
zu sehen. Vertraue! Das Labyrinth kennt den<br />
Weg, und das Leben scheinbar auch.<br />
Ich finde mein Tempo, gehe sehr bewusst,<br />
so wie den ganzen letzten Tag auch, und<br />
plötzlich stehe ich in der Mitte. Vor mir ein<br />
Baum. Bin ich schon angekommen, bin ich<br />
schon am Ziel? Wohin jetzt? Der Weg ist zu<br />
Ende, aber ist das auch das Ziel? War es das?<br />
Ich drehe mich um, und da ist er wieder. Der<br />
Weg hinaus. Der Weg hinaus ist der Weg<br />
hinein. Schritt für Schritt. In der Symbolik des<br />
Labyrinthes stellt sein Zentrum die Lebensmitte<br />
des Menschen dar. Ab hier geht es wieder<br />
zurück. Zügiger durchschreite ich nun das<br />
Labyrinth, und erlebe es aus einer anderen<br />
Perspektive. Ich erreiche den Ausgang, der<br />
zuvor mein Eingang war, schultere meinen<br />
Rucksack und schreite voran. Schließlich habe<br />
ich ein Tagesziel, das ich mit Hilfe der vielen<br />
Wegweiser erreichen will.<br />
Foto © Roswitha Maderthaner<br />
13 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & gesellschaft<br />
Rat auf Draht:<br />
Tipps zum Schulstart im Herbst<br />
DER ERSTE VERSUCH EINER RÜCKKEHR IN DIE „NORMALITÄT“ NACH DEM<br />
CORONA-SEMESTER<br />
Birgit Satke<br />
Leiterin von Rat auf Draht<br />
www.rataufdraht.at<br />
www.sos-kinderdorf.at<br />
INFO<br />
Rat auf Draht wünscht allen<br />
Für alle Schülerinnen und<br />
Schülern die in Schwierigkeiten<br />
kommen: Notrufnummer<br />
147 rund um die<br />
Uhr aus ganz Österreich<br />
erreichbar.<br />
Der Anruf kostet nichts und<br />
ist anonym.<br />
14 | SEPTEMBER <strong>2020</strong><br />
Die Sommerferien gehen dem<br />
Ende zu und der Schulstart im<br />
Corona-Herbst steht bevor. Der<br />
Bildungsminister verspricht<br />
„Normalbetrieb“, doch „normal“ fühlt<br />
sich der Schulbeginn für viele Kinder<br />
und Jugendliche in diesem Jahr nicht<br />
an. „Der diesjährige Schulbeginn ist mit<br />
besonders vielen Unsicherheiten verbunden.<br />
Nach dem turbulenten Corona-<br />
Semester und neun Wochen Ferien gilt<br />
es nun, den familiären Alltag neu zu<br />
organisieren und zu einer neuen Stabilität<br />
zu finden. Eine gute Vorbereitung<br />
hilft, damit der Wiedereinstieg ins neue<br />
Schuljahr reibungslos klappt.<br />
ÄNGSTE NEHMEN<br />
Die Verunsicherung bei Schülerinnen<br />
und Schülern im Corona-Herbst ist groß:<br />
Welche neuen Regeln gelten in der<br />
Schule? Was, wenn es zu neuerlichen<br />
Schulschließungen kommt? Reden Sie<br />
mit Ihrem Kind und versuchen Sie so<br />
weit wie möglich für Klarheit zu sorgen.<br />
Verfolgen Sie gemeinsam die Nachrichten<br />
und besprechen Sie die offiziellen<br />
Regelungen und Hygienemaßnahmen an<br />
der Schule. Machen Sie Ihrem Kind klar,<br />
dass offizielle Stellen für die Sicherheit in<br />
der Schule zuständig sind.<br />
POSITIVES EINSTIMMEN<br />
Stimmen Sie Ihr Kind positiv auf die<br />
Schule ein, indem Sie den Fokus auf die<br />
schönen Aspekte legen – zum Beispiel,<br />
Freunde und Freundinnen wiederzusehen<br />
und Interessantes zu lernen.<br />
Die letzten Ferientage sollten dazu<br />
genutzt werden, nochmal einen Blick in<br />
die Hefte des vergangenen Schuljahres<br />
zu werfen. Gerade nach dem teils cha-<br />
otischen letzten Semester machen sich Kinder<br />
Sorgen, nicht mehr mithalten zu können.<br />
Wer sich die wichtigsten Schwerpunkte in<br />
Erinnerung ruft, hat einen besseren Start und<br />
verhindert, gleich am Anfang den Anschluss zu<br />
verlieren oder sich überfordert zu fühlen.<br />
TAGESRHYTHMUS FINDEN<br />
Passen Sie den Tagesablauf Ihrer Familie<br />
langsam wieder an das Schulleben an. Achten<br />
Sie darauf, wie viel Schlaf Ihr Kind braucht,<br />
um in der Früh ausgeschlafen zu sein, und<br />
richten Sie die Bettgehenszeit danach aus. Für<br />
den Morgen sollte ausreichend Zeit eingeplant<br />
werden. Optimal ist ein gemeinsames<br />
Frühstück, bei dem der neue Tag besprochen<br />
werden kann.<br />
LEISTUNGSDRUCK VERMEIDEN<br />
Üben Sie keinen Erfolgsdruck auf Ihr Kind aus<br />
und loben Sie positive Leistungen. Eine längere<br />
Eingewöhnungsphase ist unter den gegebenen<br />
Umständen normal. Sollten Sie Schwierigkeiten<br />
bemerken, reden Sie mit Ihrem Kind darüber<br />
und bieten Sie Hilfe an. Auch ein Gespräch mit<br />
der Lehrerin oder dem Lehrer kann helfen, die<br />
schulischen Probleme des Kindes besser zu<br />
verstehen. Auf jeden Fall sollte Ihr Kind wissen,<br />
dass Sie als Elternteil hinter ihm stehen, unabhängig<br />
von Schulnoten.<br />
ZEIT FÜR ERHOLUNG<br />
Manche Kinder erledigen ihre Hausübung<br />
sofort wenn sie nach Hause kommen, andere<br />
brauchen erst eine Pause. Wichtig ist, dass<br />
genügend Zeit für Erholung bleibt. Kinder brauchen<br />
Zeit um die Geschehnisse in der Schule zu<br />
verarbeiten und sich zu regenerieren. Achten<br />
Sie darauf, ob Ihr Kind direkt nach der Schule<br />
die nötige Energie und Konzentration für die<br />
Hausübung hat. Wenn es zu unruhig ist, klappt<br />
es nach ein bisschen Spielen und Abschalten<br />
vielleicht besser.
Sie wissen selbst am besten, womit<br />
Sie Ihr Wissen ergänzen wollen!<br />
Ausbildung für Jung und Alt<br />
• Sie lernen am Ort Ihrer Wahl.<br />
• Sie lernen mit Ihrer eigenen Geschwindigkeit<br />
• Sie wählen Ihre eigenen Lernzeiten<br />
FERNLEHRGANG mit interaktiven Elementen<br />
IMPROVE-Bildung mit Zukunft<br />
www.improve.or.at
information & erziehung<br />
Mag. a Maria Neuberger-<br />
Schmidt<br />
Autorin und Gründerin<br />
Verein Elternwerkstatt<br />
www.elternwerkstatt.at<br />
Foto: Ingrid Perger<br />
Elternwerkstatt<br />
Foto: © Clker-Free-Vector-Images | pixabay.com<br />
16 | SEPTEMBER <strong>2020</strong><br />
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel:<br />
Dann mach‘ doch, was du willst!<br />
MANCHE JUGENDLICHE SIND MENSCHEN, DIE IHRE PUBERTIERENDEN ELTERN<br />
NUR <strong>MIT</strong> STRENGER ERZIEHUNG INS WAHRE LEBEN ENTLASSEN KÖNNEN<br />
(Christa Schyboll)<br />
Wenn die Unvernunft der<br />
Jugendlichen mit einer guten<br />
Portion Provokation und<br />
Sturheit einhergeht und sie<br />
auf keinen guten Rat mehr hören wollen,<br />
wissen Eltern oft nur noch eins darauf zu<br />
antworten: „Dann mach‘ doch, was du<br />
willst!“ Scheinbar entlässt dieser Satz in<br />
die Freiheit. In Wirklichkeit enthält er ein<br />
Ultimatum, setzt unter Druck. Jahrelange,<br />
bemühte Erziehungsarbeit endet<br />
mit einem „Götz-Zitat“ – Das war’s!<br />
Die Türen fallen zu, man hat einander<br />
nichts mehr zu sagen. Ihre Mühe bleibt<br />
unbedankt oder der Dank wird auf den<br />
Pflichtanteil reduziert.<br />
„Dann mach‘ doch, was du willst!“ Bei<br />
diesem Satz kann folgendes zwischen<br />
den Zeilen durchschwingen: Enttäuschung<br />
(Sie meinen es gut, doch man<br />
hört nicht auf<br />
Sie),<br />
gekränkte Eitelkeit<br />
(Man stellt<br />
Ihre Kompetenz<br />
in Frage), Wut<br />
(„Das tut sie/er<br />
nur, um mich zu<br />
ärgern!“), Verzweiflung<br />
(„Ich weiß mir<br />
nicht mehr anders zu<br />
helfen!“), Erpressung<br />
(„Entweder du richtest<br />
dich nach meinen<br />
Vorstellungen oder<br />
du wirst sehen, wie<br />
du zurecht kommst!“).<br />
Durch den Widerstand<br />
Ihres Kindes fühlen Sie<br />
sich persönlich abgelehnt<br />
und reagieren – verzeihen<br />
Sie! – genauso<br />
pubertär wie dieses.<br />
KLARHEIT OHNE GESICHTSVERLUST<br />
Stattdessen könnte es in etwa so lauten: „Ich<br />
sehe, dass du momentan nicht bereit bist, auf<br />
mich zu hören!“ (Sie sagen, welchen Eindruck<br />
Ihr Kind momentan auf Sie macht.) Dann<br />
senden Sie eine Ich-Botschaft ohne Machtwort,<br />
Vorwurf: „Mir ist es wichtig, dass du weißt,<br />
wie ich darüber denke... Vor allem möchte<br />
ich, dass du weißt, was du mir bedeutest und<br />
dass ich mir wünsche, dass du den richtigen<br />
Weg für dich findest.“ Wenn Sie solchermaßen<br />
loslassen, dann bleiben Sie Ihrem Kind Stütze<br />
und Orientierungshilfe und geben ihm vor allem<br />
die emotionale Sicherheit. Ins rechte Lot wird<br />
Ihr Sohn/Ihre Tochter dann aus eigener Kraft<br />
finden.<br />
Wir können unsere Kinder nicht vor allem<br />
bewahren und manchmal müssen sie anscheinend<br />
auch schlechte Erfahrungen machen, aber<br />
wir können und sollen die Türen offen halten.<br />
Wenn sie<br />
wieder-<br />
dann klein und angeschlagen<br />
kommen, ist es wichtig,<br />
dass Sie ihm die Wiedereingliederung<br />
ohne<br />
Gesichtsverlust ermöglichen.<br />
Kein belehrendes,<br />
süffisantes „Ich hab’s ja<br />
gleich gewusst!“, sondern<br />
ehrlich: „Ich freue mich,<br />
dass du wieder da bist“,<br />
„..dass du das einsiehst!“<br />
Eine ehrliche Aussprache<br />
muss in Ruhe erfolgen.<br />
Jugendliche wissen diese<br />
Haltung zu schätzen, wenn<br />
sie es auch nicht immer gleich<br />
zugeben. Aber so kann er/sie<br />
aus Fehlern lernen und Ihre<br />
Beziehung wird immer mehr<br />
zu einer tragfähigen Basis für<br />
die Zukunft.
information & freiheit<br />
Kostbarste Ressource:<br />
Kreativität<br />
WAHRE KREATIVITÄT ENTSTEHT IMMER AUS EINEM MANGEL<br />
(Wolfgang Joop, Designer)<br />
Corona hat bei vielen Vieles<br />
verändert; bei manchen ALLES.<br />
Ich gehöre zu den Manchen.<br />
35 Jahre war ich nicht mehr so<br />
lange in meinem Heimatort gewesen<br />
wie jetzt. Über ein halbes Jahr. Denn<br />
mein Job hat sich aufgelöst: Seminare,<br />
Vorträge, Lesungen – alles vorbei. Keine<br />
Nachfrage mehr. Keine Möglichkeit der<br />
Umsetzung. Die Erinnerung bleibt: Wie<br />
schön waren doch Keynotes vor<br />
300 Menschen. Wie genial war<br />
das Erfolgskriterium: Bis zum<br />
letzten Platz gefüllter Saal … Es<br />
war einmal – und es war einmal<br />
schön.<br />
Und jetzt kommt das nächste<br />
Kapitel: Geboren aus dem Mangel.<br />
Aus einem Engpass. Kreativität<br />
will sich verströmen, will<br />
Neues gebären, will umsetzen.<br />
Nein, bitte keine Analysen, bis<br />
von der Idee nichts mehr übrig<br />
bleibt. Wir könnten doch – gerade unter<br />
Corona-Bedingungen – ein „Kulturfest“<br />
gestalten. Unsere Talente aufleben<br />
lassen. Miteinander.<br />
fen, das ist die Magie, die Kraft der<br />
Kreativität. Goethe brachte es auf den<br />
Punkt: „Auch aus Steinen, die Dir in den<br />
Weg gelegt werden, kannst Du etwas<br />
Schönes bauen.“<br />
Wer hat uns die Kreativität genommen?<br />
Zweifellos achten viele Menschen mehr<br />
auf Gebote/Verbote/Verordnungen als<br />
auf die FREIHEIT, Ideen in die Welt zu<br />
setzen. Jeff Bezos, den<br />
Amazon zum reichsten<br />
„Als Kind ist jeder<br />
ein Künstler.<br />
Die Schwierigkeit<br />
liegt darin,<br />
als Erwachsener<br />
einer zu bleiben.“<br />
Mann der Welt werden<br />
ließ, meinte: „Das Leben<br />
ist zu kurz, um mit Leuten<br />
rumzuhängen, die nicht<br />
erfinderisch sind.“<br />
Kinder spielen, experimentieren,<br />
bauen Wolkentürme.<br />
Niemand kann sie<br />
bremsen. Als Erwachsene<br />
wurden sie, wurden wir<br />
kleinmütig. Idee? Wer<br />
weiß, was da alles schief<br />
gehen kann. Wer zahlt mir das? Und ob<br />
wir dafür überhaupt eine Genehmigung<br />
erhalten? Wofür der Aufwand?<br />
Pablo Picasso.<br />
Dr. Manfred Greisinger<br />
Autor, Trainer<br />
Buch-Projekt-Begleiter<br />
Vortragender<br />
Selfness-Coach<br />
ICH-Marke-Pionier<br />
25 Bücher bisher –<br />
aktuell: „Heimkehr –<br />
Liebesgeschichte Leben“<br />
www.stoareich.at<br />
Foto: © Gernot Blieberger<br />
Ja, in den letzten drei Monaten habe ich<br />
drei Kulturfeste organisiert, mit Sponsoren<br />
finanziert, moderiert. Für 100, 200<br />
und zuletzt 300 Gäste. Ganz nach Albert<br />
Einsteins Motto: „Kreativität ist die<br />
Intelligenz, die Spaß hat.“<br />
FREIHEIT, IDEEN IN DIE WELT ZU<br />
SETZEN<br />
Aus Barrieren, Einschränkungen, aus<br />
einem NEIN eine Möglichkeit zu schaf-<br />
Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com<br />
17 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
e<br />
r<br />
aber<br />
lig.<br />
istiker<br />
information & pädagogik<br />
Lernen & Motivation:<br />
(k)ein Widerspruch in sich?<br />
GANZ EHRLICH – WÜRDEN SIE SICH TÄGLICH AUF´S NEUE IN BRENNNESSEL<br />
SETZEN?<br />
sche<br />
war<br />
kt, aber<br />
alig.<br />
horistiker<br />
Susanne ZeiLer<br />
Lerne.Lieber.Leichter!<br />
Legasthenietherapie &<br />
Dyskalkulietraining<br />
Lerncoaching<br />
Workshops<br />
Familienberatung<br />
Der Herbst ist da und auch wenn<br />
der Frühling <strong>2020</strong> alles bisher<br />
Vertraute auf den Kopf gestellt<br />
hat – eines bleibt gleich: Schülerinnen<br />
und Schüler sowie Eltern starten<br />
in ein neues Schuljahr mit vielen guten<br />
Vorsätzen. Heuer werde ich wirklich jeden<br />
Tag meine Hausübungen erledigen,<br />
von Anfang an mitlernen. Eltern sind<br />
wild entschlossen, die Bemühungen der<br />
Kinder zu unterstützen.<br />
WAS KÖNNEN ELTERN TUN, DA<strong>MIT</strong><br />
ES HEUER WIRKLICH ANDERS WIRD?<br />
Denken wir zunächst nach, was die Lernmotivation<br />
fördert bzw. hemmt. Zweifelsfrei<br />
steigt diese, wenn das grundlegende<br />
Bedürfnis nach Anerkennung<br />
und Selbstwert befriedigt wird. Und die<br />
Motivation sinkt, wenn Lernen mit Frustration<br />
und Abwertung gekoppelt ist.<br />
In der Praxis erlebe ich häufig Resignation<br />
bei Kindern und Jugendlichen verbunden<br />
mit Überzeugungen wie zB. „Lernen<br />
ist fad“ oder „Mathe kapier ich nie“<br />
usw. Es ist zu beobachten, dass Kinder<br />
drei Stadien durchlaufen,<br />
bevor sich solche<br />
Gedanken festigen.<br />
Am Beginn der Schulzeit<br />
ist Lernen spannend,<br />
es herrscht Interesse<br />
und Neugier. Nach einigen Erfahrungen,<br />
die den Selbstwert bedrohen, zeigt sich<br />
Angst. „Lachen morgen wieder alle,<br />
wenn ich so langsam lese?“ In dieser<br />
Phase verstärkt das Kind seine Bemühungen<br />
um sich vor weiteren Frustrationen<br />
zu retten. Nehmen diese aber<br />
Wer mit Anerkennung<br />
knausert, spart am falschen<br />
Ort.<br />
Dale Carnegie<br />
weiter zu, wird das Bedürfnis nach Selbstwertschutz<br />
stärker und das Kind reagiert<br />
mit Ärger, Ablehnungen und Rückzug. Die<br />
Spirale dreht sich nach unten.<br />
Nun die gute Nachricht: Studien haben<br />
gezeigt, dass das Kompetenzgefühl<br />
und Selbstvertrauen der Kinder steigt,<br />
wenn ihnen eine hohe, aber realistische<br />
Erwartungshaltung entgegen gebracht<br />
wird. Dies wirkt sich unmittelbar auf die<br />
Leistungsbereitschaft aus. Dabei ist der<br />
Einfluss der Eltern größer als der der Lehrkraft.<br />
Was bedeutet das für Sie als Mutter<br />
oder Vater?<br />
UNTERSTÜTZEN SIE IHR KIND POSITIV,<br />
INDEM SIE<br />
• die Erwartungen an die Fähigkeiten<br />
des Kindes anpassen<br />
• die Aufmerksamkeit auf die Stärken<br />
lenken<br />
• dem Kind mit Wertschätzung und<br />
Anerkennung begegnen<br />
Das ist, zugegeben, nicht<br />
leicht. Die Aufmerksamkeit<br />
der Eltern ist gefordert, um<br />
dem Kind für die nächsten<br />
Schritte die Hand zu reichen.<br />
Dabei darf durchaus<br />
vermittelt werden, dass<br />
von ihm Kooperation erwartet wird. Die<br />
Bemühungen des Kindes zu sehen und<br />
anerkennend zum Ausdruck zu bringen,<br />
stärkt das Selbstvertrauen und somit seine<br />
zukünftige Selbstbestimmung.<br />
Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com<br />
18 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & & pädagogik forschung<br />
Leopoldstädter LenZ:<br />
Familien- und Lernzentrum<br />
Das Interview führte Jakob Schott, MA BA | CONCORDIA Sozialprojekte<br />
Gemeinnützige Privatstiftung mit Burhan Makiya<br />
CONCORDIA Sozialprojekte ist<br />
durch die Vielzahl an sozialen<br />
Dienstleistungen in Osteuropa<br />
bekannt, wo die Organisation<br />
mittlerweile schon dreißig Jahre aktiv<br />
ist. Weniger bekannt sind hingegen die<br />
Angebote der Organisation in Österreich<br />
für Kinder, Jugendliche und Familien mit<br />
Migrations- und Fluchthintergrund. Seit<br />
2016 bietet die Organisation in Wien<br />
unter anderem außerschulische Lernbetreuung<br />
an. Die Kinder und Jugendlichen<br />
mit Migrations- und Fluchthintergrund<br />
werden nachmittags von ausgebildeten<br />
SozialarbeiterInnen und PädagogInnen<br />
individuell betreut. Wir arbeiten auch<br />
mit den Schulen aus dem direkten Einzugsbereich<br />
zusammen.<br />
Burhan Makiya ist für diese Kooperationen<br />
zuständig.<br />
<strong>MIT</strong> WELCHEN SCHULEN STEHST DU<br />
IN KONTAKT?<br />
Mit den Volksschulen und Mittelschulen<br />
in unserer Umgebung im 2. Bezirk aber<br />
auch aus dem Brigittenau.<br />
WIE SIEHT DIE ZUSAMMENARBEIT<br />
<strong>MIT</strong> DEN LEHRERINNEN AUS?<br />
Wir haben engen Kontakt zu den Direktorinnen<br />
und sind bei Vernetzungen im<br />
Bezirk dabei. Wir kontaktieren LehrerInnen<br />
nur in besonderen Fällen. Einmal<br />
hegten wir bei einer Schülerin den Verdacht,<br />
dass eine gravierende Lernschwäche<br />
vorliegen könnte. Wir stellten dann<br />
aber fest, dass das Problem nicht an den<br />
Deutschkenntnissen lag und haben mit<br />
ihrer Lehrerin gesprochen. So können wir<br />
anhand der individuellen Betreuung feststellen,<br />
wo Schwächen bei den Kindern<br />
liegen und die Schule ist dankbar, dass sie<br />
so kein Kind unbeabsichtigt zurücklässt.<br />
WIE PROFITIEREN DIE KINDER UND<br />
JUGENDLICHEN IN DER LERNBETREU-<br />
UNG VON DEN ANGEBOTEN?<br />
Durch die kleinen Betreuungsgruppen und<br />
durch die Unterstützung unserer Freiwilligen<br />
haben die Kinder und Jugendlichen<br />
mehr Zeit, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen.<br />
Wir können auch individuell<br />
auf die Kinder eingehen. Unsere Arbeit<br />
mit den Eltern stellt sicher, dass wir auch<br />
Einfluss auf die Familien haben und bei<br />
Bedarf intervenieren können. Außerdem<br />
profitieren die Kinder und Jugendlichen<br />
auch von der Vielfältigkeit der Freiwilligen.<br />
Sie müssen sich immer wieder auf<br />
neue Bezugspersonen einstellen, was sie<br />
sehr freut und ihnen bei der Orientierung<br />
in Österreich weiterhilft.<br />
BIST DU WÄHREND DES LOCKDOWNS<br />
AUCH <strong>MIT</strong> DEN SCHULEN IN KONTAKT<br />
GESTANDEN?<br />
Wir haben Mitte Mai unser Angebot<br />
wieder gestartet und haben auch wieder<br />
Kontakt mit den Schulen gehabt. Während<br />
des Lockdowns stand bei uns eher<br />
die Organisation des homeschooling im<br />
Vordergrund. Wir organisierten Laptops<br />
und Schulmaterialien. Wir kümmerten<br />
uns darum, dass die VolksschülerInnen zu<br />
ihren Unterlagen kamen und SchülerInnen<br />
aus der Sekundarstufe einen Mailaccount<br />
anlegen konnten, um ihre Aufgaben zu<br />
erledigen. Auch haben wir jedes unserer<br />
Kinder und Jugendlichen individuell bei<br />
den Hausaufgaben und dem Verständnis<br />
des Lernstoffes unterstützt. Es war viel<br />
Arbeit, aber viele Freiwillige haben uns<br />
geholfen.<br />
Foto: © Concordia<br />
19 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & wissenschaft<br />
Simulation versus Realität:<br />
Leben wir alle in derselben Welt?<br />
UNSER GEHIRN KONSTRUIERT FÜR JEDEN SEINE ODER IHRE GANZ INDIVIDUELLE<br />
WELT<br />
Thomas Kolbe<br />
Fachwissenschaftler<br />
für Versuchstierkunde,<br />
Ao. Prof. für die<br />
Service-Plattform<br />
Biomodels Austria<br />
Veterinärmedizinische<br />
Universität Wien<br />
Schon in der Antike rätselten Philosophen<br />
wie Platon darüber, wie<br />
real die von uns erlebte Welt wirklich<br />
ist (siehe Höhlengleichnis).<br />
Neurophysiologen sind heute mit modernsten<br />
Methoden der Lösung auf der<br />
Spur, haben aber noch keine endgültige<br />
Erklärung. Wenn wir einen Gegenstand<br />
wahrnehmen und die Farbe als ›rot‹ bezeichnen,<br />
dann wird eine andere Person<br />
das vermutlich bestätigen können. Aber<br />
nur aufgrund der Konvention, dass wir<br />
beide damit aufgewachsen sind, dass<br />
alle genau diese Farbe als ›rot‹ bezeichnet<br />
haben. Ich weiß überhaupt nicht, wie<br />
mein Gegenüber diese Farbe wirklich<br />
wahrnimmt. Wir haben uns nur beide<br />
darauf geeinigt, diese Farbe mit ›rot‹ zu<br />
bezeichnen.<br />
Tatsächlich fängt mein Auge elektromagnetische<br />
Wellen einer bestimmten<br />
Wellenlänge auf und mein Gehirn stellt<br />
diese Wahrnehmung mit einer Farbe dar.<br />
Dabei kann mein Auge – im Unterschied<br />
zu manchen Tieren - nur einen sehr<br />
kleinen Bereich des elektromagnetischen<br />
Spektrums wahrnehmen. Alles andere<br />
meiner Umwelt bleibt mir verschlossen.<br />
Im hinteren Teil meines Großhirns<br />
bastelt mein Bewusstsein aus allem<br />
sensorischen Input nun ein Abbild<br />
meiner Welt zusammen. Mit optischen<br />
Täuschungen können wir es dabei<br />
leicht überlisten. Wenn wir jedem Auge<br />
ein unterschiedliches Bild anbieten<br />
(verschiedene Personen oder Gegenstände),<br />
bekommt unser Bewusstsein<br />
verschiedenen Input, kann sich nicht für<br />
eine Variante entscheiden und wechselt<br />
ständig zwischen den beiden Bildern hin<br />
und her. Aufgrund dieser ›binokularen<br />
Rivalität‹ sehen wir abwechselnd mal<br />
das eine Bild, dann das andere.<br />
Unser Gehirn kann auch andere Szenerien<br />
für uns entwerfen. Wenn wir<br />
schlafen ist das Bewusstsein ausgeschaltet,<br />
aber das Gehirn ist hochgradig<br />
aktiv. Wir nennen das ›Träumen‹. Dabei<br />
simuliert das Gehirn ausgehend von<br />
früheren Erfahrungen und Erlebnissen<br />
ganz eigene Szenen und Begebenheiten,<br />
teilweise ausgesprochen realistisch, teilweise<br />
ausgesprochen phantastisch. Die<br />
Psychologen erklären das damit, dass<br />
das Gehirn frisch erlebte Dinge zuordnen<br />
und verarbeiten muss.<br />
Es gibt sogar noch einen dritten Zustand,<br />
in dem das Gehirn Umwelt darstellt. Bei<br />
Halluzinationen, bedingt durch Drogen,<br />
Medikamente oder Beschädigungen des<br />
Gehirns, stellt uns das Gehirn eine Welt<br />
dar, wie es sie in der Realität so nicht<br />
gibt. So wird aus einem Autobus z.B.<br />
plötzlich ein rosa Elefant. Für das Gehirn,<br />
für diese Person ist diese Wahrnehmung<br />
in dem Augenblick real. Für alle anderen<br />
Personen bleibt das Objekt dagegen ein<br />
Autobus.<br />
Natürlich sind diese Bewusstseinszustände<br />
kein entweder - oder, sondern es gibt<br />
fließende Übergänge von leicht unterschiedlicher<br />
selektiver Wahrnehmung<br />
(„so habe ich das nicht ausgedrückt“)<br />
bis zu als eindeutig abweichend wahrge-<br />
Foto: © galaxy-610663 | pixabay.com<br />
20 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & wissenschaft<br />
nommenen Beobachtungen („das habe<br />
ich nie und nimmer gesagt“).<br />
Der Philosoph Nick Bostrom geht<br />
angesichts der Unzuverlässigkeit der<br />
Projektion der Welt in unserem Gehirn<br />
sogar so weit zu vermuten, alle unsere<br />
Wahrnehmungen wären nur Teil einer<br />
gigantischen Simulation wie in dem<br />
Kinofilm Matrix.<br />
LINKS:<br />
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/dressgateim-februar-2015-weiss-und-goldoder-blau-und-schwarz-welchefarbe-hat-das-kleid/11435330.<br />
html#<br />
https://www.spiegel.de/<br />
wissenschaft/mensch/<br />
dressgate-ist-das-kleid-blauschwarz-oder-weiss-goldenschlafvorlieben-entscheiden-a-1142502.html<br />
https://youtu.be/GA7V8Z533FI<br />
Wenn wir nicht so extremen Theorien<br />
folgen wollen, welchen Nutzen können<br />
wir aus dem Stand der Bewusstseinsforschung<br />
ziehen?<br />
Zum einen mehr Verständnis aufbringen<br />
für Menschen, die unsere Welt nicht<br />
genauso wie wir erleben.<br />
Zum anderen begreifen, dass echtes<br />
Verständnis nur durch gemeinsames Erleben<br />
zustande kommt. Eine nicht selber<br />
erlebte Situation kann man versuchen<br />
rational nachzuvollziehen. Emotional<br />
wird man sie aber nie genauso erleben.<br />
Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com<br />
21 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & bewusstsein<br />
Professor Abakus:<br />
Eine Hand wäscht die andere<br />
Hände waschen zählt definitiv nicht zu meiner Lieblingsbeschäftigung.<br />
Aber da das eine der Voraussetzungen ist, dass ich meine Freunde in der<br />
Schule wieder sehen und mit ihnen rumblödeln kann, schrubbe und desinfiziere<br />
ich meine Hände und halte Abstand. Der hat vor allem zu Hause<br />
den Vorteil, dass ich nicht immer die Zurufe höre, wenn ich zum Beispiel den Tisch<br />
decken soll. Ehrlich, ich bin so programmiert, dass ich das wirklich nicht höre. Dass<br />
das in meiner Familie trotzdem nicht akzeptiert wird habe ich dem Haushaltsmanagement<br />
zu verdanken, das die Aufgaben der Koordination, Delegation und Kontrolle sehr<br />
ernst nimmt.<br />
Foto: © Mykola Velychko - Fotolia.com<br />
Meiner Schätzung nach müsste ich jetzt ungefähr 1440 Jahre alt sein, so oft, wie ich beim<br />
Einschäumen meiner Hände Happy Birthday angestimmt habe, um die empfohlenen 30 Sekunden<br />
Waschdauer zu überbrücken. Glauben Sie nicht, dass ich vor Corona meine Hände nicht auch gewaschen<br />
hätte. Vielleicht nicht so bewusst, eher automatisch und immer konnte ich mich auch nicht daran erinnern.<br />
War ja auch nicht so ein Thema, außer vor dem Essen und klar, wenn ich woher auch immer nach Hause<br />
gekommen bin.<br />
Eine Hand wäscht die andere, steht aber nicht nur für Wasser und Seife, sondern für eine Redewendung.<br />
Sozusagen für ein Geben und Nehmen, denn das soziale Miteinander beruht immer auf Gegenseitigkeit.<br />
Tja, und genau da hapert es manchmal beim Nachwuchs, aber auch bei so manchem Erwachsenen. Für die<br />
Kindererziehung gibt es ausreichend Bücher zum Nachlesen, Tipps und Analysen, wie die Sprösslinge zu<br />
behandeln sind, wie man Grenzen aufzeigt, Werte und Verantwortung vermittelt und so weiter.<br />
Erziehungsratgeber für Erwachsene geben,<br />
lernen, die dann respektiert und eingehal-<br />
pädagogische Einflussnahme<br />
werde sicher nicht gefragt, wie<br />
Wenn ich zu entscheiden hätte, würde es auch<br />
denn auch Erwachsene können Regeln<br />
ten werden müssen. Gewissermaßen eine<br />
auf das Verhalten Erwachsener. Aber ich<br />
immer.<br />
Ghostwriter: Birgit Menke<br />
Foto: © Виктория Бородинова| pixabay.com<br />
22 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
Symbolfoto © Daniel Gollner, Caritas Kärnten<br />
Freude am Lernen<br />
mit einer gesunden<br />
Jause!<br />
Schenken Sie eine gesunde Jause<br />
Die Lerncafés der Caritas sind ein kostenloses Angebot für SchülerInnen. Österreichweit<br />
gibt es 54 Lerncafés in denen vergangenes Jahr rund 2.100 Kinder auf<br />
dem Weg zu einem positiven Schulabschluss unterstützt wurden. Mit Ihrer Spende<br />
finanzieren Sie diesen Kindern eine gesunde Jause. Durch die Jause wird den<br />
Kindern auch das Thema gesunde Ernährung mit auf den Weg gegeben.<br />
schenkenmitsinn.at<br />
Die Welt für<br />
20 €<br />
besser machen
information & bewusstsein<br />
Nicht zu vergleichen:<br />
Kindheit früher und heute<br />
DIE EINDRÜCKE DER KINDHEIT WURZELN AM TIEFSTEN<br />
(Karl Emil Franzos)<br />
Babette Reineke<br />
Hannover, Deutschland<br />
1946 aus der russischen in die amerikanische<br />
Besatzungszone geflohen. In einem Samtkleid<br />
und Schuhen aus einem Care-Paket aus<br />
Amerika.<br />
Ich bin 1932 in Mühlhausen/Thüringen<br />
geboren. Vater war Böttcher in<br />
der alteingesessenen Brauerei unseres<br />
Städtchens. Mutter war Hausfrau.<br />
Politik spielte bei uns kaum eine<br />
Rolle, hier spielte eher die Blasmusik.<br />
Nämlich im “Bayernverein“, den mein<br />
Vater, aus Bayern stammend, zusammen<br />
mit Landsleuten gegründet<br />
hatte. Dort wurde das bayrische<br />
Brauchtum incl. Trachtentänze<br />
und zünftigem Bauerntheater,<br />
gepflegt. Auch eine Kindertanzgruppe<br />
gab es, und ich war mit<br />
meinen fünf Jahren, die Jüngste.<br />
Unsere Veranstaltungen, die im<br />
Sommer auch im Freien stattfanden,<br />
waren in der thüringischen<br />
Provinz echt exotisch und immer<br />
ausverkauft. Irgendwie war es<br />
eine wunderbare Welt für sich<br />
und die glücklichste Zeit meiner<br />
Kindheit.<br />
Als der zweite Weltkrieg begann,<br />
war ich sieben Jahre alt<br />
und gerade ein Jahr lang “ABC<br />
Schütze“. Da wehte ein anderer<br />
Wind! Dennoch ging ich gern zur<br />
Schule, nur die Rechenstunde<br />
war mir höchst zuwider! Kam<br />
das daher, weil Vater mit mir,<br />
schon als Kleinkind, das kleine<br />
Einmaleins übte? Schließlich<br />
sollte mal was werden aus mir!<br />
Kapierte ich, bekam ich einen<br />
Groschen für ne Zuckerstange, wenn nicht,<br />
gab es Schmisse. Damals nichts Besonderes,<br />
auch in der Schule ging der Rohrstock<br />
um. Wir Kinder, gingen damit, wie auch mit<br />
anderen unangenehmen Gegebenheiten,<br />
gelassen um und glaubten das müsse so<br />
sein! Ebenso glaubten wir, was man uns<br />
lehrte: Dass wir die Guten und die ganze<br />
Welt schlecht sei! Wir glaubten an den<br />
Weihnachtsmann, den Osterhasen und den<br />
Klapperstorch. Dem musste man nur ein<br />
Stückchen Zucker aufs Fensterbrett legen,<br />
damit er ein Brüderchen oder Schwesterchen<br />
brachte. Das Wie und Wo, tat nichts zur<br />
Sache, das war tabu! Und die Sache mit der<br />
Liebe? Trotz der hässlichen Kritzelein an den<br />
Wänden unserer Plumpsklos, stellten wir<br />
sie uns einfach himmlisch vor und träumten<br />
davon, hinein zu tanzen, grad wie Marika<br />
Rökk: In den “Siebenten Himmel der Liebe“!<br />
Dabei waren wir noch viel zu jung und der<br />
Hölle so viel näher! Die Angst ging um,<br />
doch das Leben ging weiter und wir hatten<br />
unseren Spaß, unsere Freude, an Kreis- und<br />
Geländespielen in Wald und Flur, wo man<br />
so herrlich Laubhütten bauen und “Indianer“<br />
spielen konnte. Wir spielten “Kreiselpeitschen“<br />
auf dem Fußweg und Bälle<br />
fangen an der Hauswand. Nicht zu vergessen<br />
“ Vater, Mutter, Kind“, oder “Kaspertheater“.<br />
Wir hatten niemals Langeweile!<br />
Später hatten wir die Aufgabe Heilkräuter zu<br />
sammeln, sogar Lumpen Knochen Eisen und<br />
Papier. Das fing mit dem zehnten Lebensjahr<br />
an, wo man ganz automatisch “Jungmädel“<br />
war! Nun ging es im Marschschritt, mit<br />
fröhlichem Gesang durch die Straßen, und<br />
wir hatten sogar Spaß daran! Heute erinnert<br />
mich das stark an den “Rattenfänger<br />
von Hameln“! Wir strickten Socken und<br />
Fotos: © Babette Reineke<br />
24 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & bewusstsein<br />
Ohrenschützer für die “Landser“ und wünschten<br />
uns eine modische Zipfelmüt-ze mit “Karnickelfellbesatz“,<br />
eine Puppenstube oder einen Wipproller<br />
zu Weihnachten. Mehr und mehr aber wurde unser<br />
Wünschen und Hoffen von der rauen Wirklichkeit<br />
bestimmt: Hauptsache, es gab keinen Fliegeralarm<br />
und unser Bauer entlohnte das Mithelfen bei der<br />
Ernte, mit genug Milch, Mehl und dicken Speckschwarten.<br />
Daraus zauberte Mutter die köstlichsten<br />
Gerichte, grad so wie sie aus alten Tisch- oder<br />
Bettdecken- Kleider, Hosen, Puppen, sogar Stoffbälle<br />
machte! Aus Nichts etwas machen, das lernten<br />
auch wir Kinder schnell und ebenso, achtsam mit<br />
Allem umzugeh’n. Ganz einfach, weil es keinen<br />
Nachschub gab!<br />
Dafür immer öfter Schulausfall und Fliegeralarm und<br />
wir hofften, angstschlotternd im leeren Kohlenkeller<br />
hockend, dass sie über uns hinwegzogen und wir<br />
beim “Kohlenklau“ am Güterbahnhof, nicht erwischt<br />
wurden! Vor Allem aber hofften wir, dass der<br />
Krieg endlich aus ist und Vater heil zurückkommt!<br />
Gott sei Dank, der erste Wunsch ging in Erfüllung.<br />
Der Zweite für so Viele, auch für mich, leider nicht!<br />
Heute ist das längst vergangen, doch niemals sollte<br />
es vergessen sein, damit niemals mehr ein Kind um<br />
seinen Vater weinen muss!<br />
Es tut so gut, noch zu erleben, dass wir andere<br />
Zeiten haben. Klar, sie haben auch ihre Gefahren,<br />
doch wir leben im Wohlstand, vor Allem aber in<br />
Frieden und Freiheit! Doch manchmal fürchte<br />
ich, alles könnte überschwappen. Maßlosigkeit<br />
und Egoismus machen sich breit, auf Kosten der<br />
Menschlichkeit; der Schöpfung im Ganzen, von der<br />
wir nur ein winziges Teilchen sind! Die Kinder von<br />
heute erleben eine Welt, die Allen offensteht und<br />
nichts scheint unmöglich! Tabus gibt es nicht mehr,<br />
sie dürfen selbst bestimmen und Dinge erlernen,<br />
von denen wir nur träumen konnten! Jedoch ist es<br />
nicht zu viel, was auf sie einstürzt? Es ist so schwer,<br />
“Schein“ und “Sein“ zu unterscheiden und Kinderseelen<br />
sind so leicht verführbar! Doch sie sind<br />
lernfähig und die Hoffnung bleibt, dass sie bei all<br />
den Möglichkeiten nie das rechte Maß verlieren!<br />
Mein Schuljahr 1938<br />
Infos zur Person Babette Reineke<br />
Die 1932 in Görmar/Mühlhausen in Thüringen geborene<br />
Babette Reineke schreibt schon von Kindesbeinen an.<br />
Sie verfaßt Märchen, Gedichte und Kurzgeschichten. Dabei<br />
gelingt es ihr, die Begebenheiten des Alltags auf den Punkt<br />
zu bringen ohne dass ihre Texte der Tiefe, manchmal auch der<br />
Doppelbödigkeit entbehren.<br />
Babette Reineke erlernte den Beruf einer Erzieherin und war<br />
nach ihrer Verwitwung bis ins Rentenalter als Altenpflegerin<br />
tätig
information & integration<br />
Im Bürgerkriegsland:<br />
AgentInnen der Veränderung<br />
DIE VISION DES LEHRERINNENAUSBILDUNGSZENTRUMS IM SÜDSUDAN<br />
Laura Oberhuber ˇ<br />
Junior Program Officer<br />
South Sudan<br />
Caritas Austria<br />
26 | SEPTEMBER <strong>2020</strong><br />
Bildung ist der Schlüssel im<br />
Kampf gegen Armut. Diesen Satz<br />
würden viele von uns vermutlich<br />
unterschreiben. Doch was tun,<br />
wenn es in einem Land zwar zahlreiche<br />
Kinder im Schulalter gibt, jedoch viel zu<br />
wenig LehrerInnen?<br />
Genau das ist im Südsudan, dem jüngsten<br />
Staat der Welt, der Fall. Hier mangelt<br />
es an mindestens 24.000 VolksschullehrerInnen.<br />
Ein großer Teil der Bevölkerung<br />
kann weder schreiben noch lesen,<br />
besonders betroffen sind Frauen.<br />
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs<br />
im Südsudan 2013<br />
musste ein Drittel der Bevölkerung<br />
fliehen. Der Konflikt<br />
hat zahlreiche Menschenleben<br />
gefordert und Lebensgrundlagen<br />
zunichtegemacht.<br />
Zahlreiche Schulen mussten<br />
geschlossen werden oder<br />
wurden sogar zerstört. Die<br />
Ausbildung von LehrerInnen<br />
ist durch die anhaltenden<br />
Kriegswirren sowie Nahrungsmangel<br />
fast gänzlich<br />
zum Erliegen gekommen.<br />
Das LehrerInnenausbildungszentrum<br />
der Organisation `Solidarity with South<br />
Sudan` hat es sich zum Ziel gesetzt,<br />
dies zu ändern und dem Problem aktiv<br />
entgegen zu steuern. Hier in Yambio,<br />
im Südwesten des Landes, werden mit<br />
Unterstützung der Caritas pro Jahr ca.<br />
50 LehrerInnen im Solidarity Teacher<br />
Training Center (STTC) ausgebildet.<br />
Begabte junge Menschen aus dem<br />
ganzen Land werden in einer 2-jährigen<br />
Ausbildung zu GrundschullehrerInnen ausgebildet.<br />
Viele der Studierenden haben bereits<br />
Erfahrung als Lehrende, jedoch haben sie nie<br />
eine professionelle Ausbildung erhalten. Im<br />
LehrerInnenausbildungszentrum erlernen sie<br />
daher u.a. pädagogische Unterrichtsmethoden<br />
und Lerntechniken. Die Abschlüsse des Ausbildungszentrums<br />
werden von den staatlichen<br />
Behörden anerkannt und geschätzt.<br />
Matthew* studiert am STTC und steht nun<br />
kurz vor seinem Abschluss. Er kann es kaum<br />
erwarten sein Wissen weiterzugeben: „Unser<br />
Land braucht LehrerInnen, die eine Veränderung<br />
herbeiführen.“ Matthew hat am STTC<br />
Mitstudierende aus allen Ecken des Landes und<br />
verschiedenster ethnischer Gruppen kennengelernt.<br />
Viele davon sind gute FreundInnen<br />
geworden. Ihm ist nun klar: „Wir sind alle SüdsudanesInnen,<br />
egal welcher ethnischen Gruppe<br />
wir angehören. Nur gemeinsam können wir<br />
eine gemeinsame, friedvolle Nation aufbauen.“<br />
Das weiß auch Schwester Margret, die Leiterin<br />
des LehrerInnenausbildungszentrums. Gleichbehandlung<br />
ist ihr ein großes Anliegen. Nicht<br />
nur von unterschiedlichen ethnischen Gruppen,<br />
sondern vor allem auch von Frauen und<br />
Männern. „Über 90% der AnalphabetInnen<br />
im Land sind Frauen. Frauen machen nur ca.<br />
12% des gesamten Lehrpersonals aus“, erklärt<br />
Schwester Margaret. Ein Großteil der Mädchen<br />
bricht die Schule aufgrund von früher Schwangerschaft<br />
oder Heirat vorzeitig ab. Ein besonderer<br />
Schwerpunkt des STTC liegt daher auf<br />
der Unterstützung und Förderung von jungen<br />
Frauen.<br />
Eine dieser jungen Frauen ist Nafisa*. Die angehende<br />
Lehrerin kennt die Herausforderungen<br />
der Frauen im Südsudan: „Meine Mutter hatte<br />
nie die Möglichkeit eine Ausbildung zu machen
information & integration<br />
und konnte nie einen Beruf erlernen.<br />
Nach dem Tod meines Vaters musste<br />
sie allein für die gesamte Familie<br />
sorgen. Ich habe als erste Frau in der<br />
Familie die Möglichkeit, eine Ausbildung<br />
zu machen und Lehrerin zu<br />
werden.“<br />
INFO<br />
https://shop.caritas.<br />
at/lehrerinnen-ausbildung-fuer-eine-nachhaltige-perspektive<br />
Vor ihrer ersten praktischen Einheit<br />
an einer Volksschule war Nafisa sehr<br />
nervös. Sie sollte in<br />
einer Volksschulklasse<br />
mit bis zu<br />
100 Kindern im Alter<br />
von 5 bis 10 Jahren<br />
unterrichten - keine<br />
leichte Aufgabe.<br />
Schon gar nicht für<br />
eine frisch gebackene<br />
Lehrerin. Doch<br />
Nafisa nahm die<br />
Herausforderung an<br />
und schaffte es dank<br />
der guten Vorbereitung<br />
und des erworbenen Selbstbewusstseins<br />
einen guten Unterricht<br />
abzuhalten.<br />
In einigen Monaten werden die<br />
Studierenden Nafisa und Matthew<br />
ihren Abschluss feiern. Nafisa wird in<br />
ihr Heimatdorf zurückkehren, um dort<br />
an der Volksschule zu unterrichten.<br />
Besonders die Mädchen möchte sie<br />
unterstützten und als Vorbild wirken.<br />
Matthew ist es ein großes Anliegen,<br />
den Kindern, der nächsten Generation<br />
des Landes, zu lehren, dass Gewalt<br />
und Konflikt keine Lösung sind. Beide<br />
wünschen sich Stabilität und Sicherheit<br />
für den Südsudan und möchten<br />
als gut ausgebildete LehrerInnen<br />
dem jungen Land auf dem Weg zum<br />
Frieden ein kleines bisschen unter die<br />
Arme greifen.<br />
* Der Südsudan ist ein Bürgerkriegsland.<br />
Namen wurden geändert.<br />
Fotos zeigen Gruppen von<br />
Studierenden und keine individualisierten<br />
Porträts.<br />
Fotos: © Caritas Austria<br />
27 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & nachhaltigkeit<br />
Trotz Corona-Krise:<br />
Kinder brauchen den Kindergarten<br />
DER BILDUNGSASPEKT VON KINDERGÄRTEN DARF NICHT IN DEN<br />
HINTERGRUND RÜCKEN<br />
Mag.a Alexandra Fischer<br />
Pädagogische Leitung<br />
der Wiener Kinderfreunde<br />
Foto: © WKF | C. Edinger<br />
Foto: © WKF | Lisi Specht<br />
Der Kindergarten versteht sich als<br />
familienergänzende Bildungseinrichtung.<br />
Die großen Lernschritte,<br />
die ein Kind in seinen ersten<br />
sechs Lebensjahren macht, werden in<br />
qualitativen Kindergärten kompetent und<br />
liebevoll begleitet.<br />
Tatsächlich werden hier viele Lebenskompetenzen<br />
erworben und die Basis für das<br />
spätere Lernen in der Schule gelegt, wie<br />
Lernmotivation, Konzentration, Begeisterungsfähigkeit<br />
usw.<br />
Im bundesländerübergreifenden Elementaren<br />
Bildungsplan des Unterrichtsministeriums<br />
und den ergänzenden<br />
Landesbildungsplänen werden die<br />
Bildungsbereiche beschrieben, in denen<br />
die Kinder im Kindergarten altersentsprechend<br />
Fähigkeiten erwerben sollen.<br />
Qualitative Kindergärten bieten den<br />
Kindern optimale Bedingungen für die<br />
Entwicklung dieser Fähigkeiten und ein<br />
pädagogisches Konzept dazu. Die Kinderfreunde<br />
haben darüber hinaus noch<br />
eigene Bildungsniveaus festgeschrieben.<br />
Die pädagogische Arbeit im Kindergarten<br />
soll die Kinder dabei unterstützen - je<br />
nach Entwicklungsstand - bestimmte<br />
Lernziele zu erreichen, z.B. seinen Platz<br />
in der Gruppe zu finden, seine Gefühle<br />
auszudrücken, anderen zuzuhören, Wissen<br />
zu erweitern, mit Sprachen, Schrift<br />
und Zahlen zu spielen, etc. Jedem Kind<br />
wird das in seinem individuellen Tempo<br />
ermöglicht. Ganz wichtig ist auch die<br />
Förderung der sprachlichen Entwicklung,<br />
für die das sogenannte „Sprachbad“ im<br />
Kindergarten und die vielen sprachlichen<br />
Lernimpulse durch die pädagogische<br />
Arbeit unabdingbar sind.<br />
DER LOCKDOWN UND SEINE<br />
FOLGEN<br />
Während des Lockdowns im Frühjahr<br />
waren unsere Kindergärten für alle<br />
Eltern offen, die in systemrelevanten<br />
Berufen arbeiten. Seit Mai sind sie<br />
ohne Pause im neuen „Normalbetrieb“.<br />
Damit waren – und sind! - auch unsere<br />
KollegInnen systemrelevante HeldInnen<br />
ohne Möglichkeit, sich vor Ansteckung<br />
zu schützen, denn zu Kleinkindern kann<br />
man weder Abstand halten noch ihnen<br />
Masken aufsetzen.<br />
Und sie sind qualifizierte ElementarpädagogInnen,<br />
die Kinder liebevoll und<br />
kompetent in den wichtigsten Entwicklungsjahren<br />
begleiten und fördern.<br />
Vertrauen und Beziehungsarbeit sind<br />
hierbei wichtige Aspekte – ebenso wie<br />
bei der Bildungspartnerschaft mit den<br />
Eltern.<br />
Für die Entwicklung eines Kindes im<br />
Kindergartenalter sind drei Monate<br />
eine enorme Zeit, in der – etwa im Vorschulalter<br />
– große Entwicklungsschritte<br />
gemacht werden.<br />
KINDER BRAUCHEN DIE BEGLEI-<br />
TUNG UND FÖRDERUNG<br />
All das zeigt, wie bedeutend es ist,<br />
dass in der medialen Diskussion um die<br />
Corona-Krise die Elementaren Bildungseinrichtungen<br />
und deren Bildungsarbeit<br />
stärker berücksichtigt werden.<br />
Denn Kinder brauchen die Begleitung<br />
und Förderung, die sie hier erfahren<br />
28 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & nachhaltigkeit<br />
wirklich dringend. Darüber hinaus sind der vertraute<br />
Rahmen, die Rituale, die gemeinschaftlich erlebt<br />
werden wichtig für die Kinder, um das Leben mit<br />
der Pandemie zu bewältigen.<br />
Die Leiterin des Kinderfreunde-Betriebskindergartens<br />
der Generali-Versicherung, Sabrina Klippl<br />
beschreibt das in einem Interview sehr eindringlich:<br />
„Durch die Corona Krise hat sich auch im Kindergartenalltag<br />
einiges geändert. Veränderungen sind für<br />
jeden, sei es für groß oder klein, eine große Herausforderung.<br />
Ganz besonders dann, wenn die Veränderungen<br />
von heut auf morgen an die Türe klopfen.<br />
Die Kinder unseres Kindergartens haben sich schon<br />
sehr darauf gefreut, wieder zu uns in den Kindergarten<br />
zu kommen und haben sich nicht von den<br />
Veränderungen abschrecken lassen. Um die Kinder<br />
emotional in ihrer Aufarbeitungsphase dieser<br />
erlebten Krise zu unterstützen, erarbeiten wir in den<br />
kommenden Monaten verschiedene Themen wie<br />
Was ist der Corona Virus, Was ist der Unterschied<br />
zwischen Bakterien und Viren, Ich und meine Gefühle,<br />
Der Alltag Zuhause mit Mama und Papa und<br />
Die Welt hat sich verändert spielerisch.<br />
Unser Alltag ist nun von neuen Richtlinien, Maßnahmen<br />
und Besonderheiten gekennzeichnet. Trotzdem<br />
ermöglichen wir unseren Kindern in gewohnter,<br />
liebevoller und kindorientierter Atmosphäre, neue<br />
Rituale gut zu verinnerlichen und wieder ein Miteinander<br />
erleben zu können.“<br />
Fotos: Grinzinger Allee © WKF | Votova<br />
29 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & vision<br />
Traum oder Wirklichkeit?<br />
Wie könnte die Schule auch aussehen?<br />
NICHTS TRÄGT IM GLEICHEN MASS WIE EIN TRAUM DAZU BEI, DIE <strong>ZUKUNFT</strong> ZU<br />
GESTALTEN. HEUTE UTOPIA MORGEN FLEISCH UND BLUT (Victor Hugo)<br />
Mag. Reinhard Winter<br />
Lisa stürmt die Treppe zu ihrer Schule<br />
hinauf. Vor der großen Glastür<br />
warten schon ihre Freunde. Die<br />
gesamte Projektgruppe ist bereits<br />
versammelt. Theresa ist die Älteste von<br />
ihnen. Sie wird bereits in einem Jahr,<br />
nach Abschluss ihrer letzten Projekte<br />
und Seminare, die Schule verlassen.<br />
Thomas, zwei Jahre jünger als Lisa, ist<br />
relativ neu dabei und benötigt hin und<br />
wieder noch etwas Hilfe von seinen<br />
Kolleginnen und Kollegen. Maria, gleich<br />
alt wie Lisa, ist quasi die Schriftführerin<br />
bei diesem Projekt. Sie erstellt eine<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse und<br />
stellt sie allen online zur Verfügung.<br />
Matthias ist der Zweitälteste. Er hat<br />
dieses Mal federführend die Recherchearbeit<br />
übernommen. Auch er macht<br />
seine Ergebnisse allen Teammitgliedern<br />
über die schuleigene Online-Plattform<br />
zugänglich. Heute tritt das Projekt in<br />
eine entscheidende Phase.<br />
Es geht um Unabhängigkeit, speziell<br />
um die Unabhängigkeit der ehemaligen<br />
Kolonien in Amerika und ihre Bedeutung<br />
für die betroffenen Menschen. Es geht<br />
aber auch um die Auswirkungen der<br />
Unabhängigkeit sowohl in sozialer und<br />
wirtschaftlicher Sicht und die von diesem<br />
Ereignis ausgehenden Entwicklungen. In<br />
einer auf Englisch geführten Diskussion<br />
wollen sie diese Themen ansprechen.<br />
Lisa hat die Aufgabe der Diskussionsleitung<br />
übernommen. Sie ist stolz darauf,<br />
dass sie als Jüngere im Team mit dieser<br />
Aufgabe betraut wurde, zumal die<br />
Diskussion, zumindest die interessantesten<br />
Beiträge, als Video auf der schuleigenen<br />
Plattform veröffentlich werden. So hat sie<br />
sich, so wie alle anderen Mitglieder des<br />
Teams, gut auf den heutigen Tag vorbereitet.<br />
Unterstützt wurden sie dabei vom Team ihrer<br />
Professoren für Geschichte, Wirtschaftskunde,<br />
Philosophie und Englisch.<br />
Es würde ein anstrengender, aber sehr<br />
interessanter Vormittag werden, davon ist<br />
Lisa überzeugt. Als Ausgleich dafür steht<br />
am Nachmittag Sport auf dem Programm.<br />
Die schuleigenen Sportanlagen ermöglichen<br />
es allen Schülerinnen und Schülern zwischen<br />
den unterschiedlichsten Sportarten<br />
zu wählen. Trainer helfen dabei, das jeweils<br />
Richtige auszuwählen. Lisa ist eine gute<br />
Langstreckenläuferin und hat in dieser Disziplin<br />
schon mehrere Schulpreise gewonnen.<br />
Das Mittagessen im Schulbuffet würde<br />
gleichzeitig auch für die Manöverkritik zur<br />
Diskussion am Vormittag genutzt werden<br />
und etwas länger dauern. Dabei fürchtet<br />
Lisa weniger das Urteil ihrer Professoren und<br />
ihrer Teamkolleginnen und Teamkollegen.<br />
Vor allem sie selbst ist oftmals viel kritischer,<br />
was ihre Leistung betrifft.<br />
Bevor Lisa am späteren Nachmittag die<br />
Schule verlässt, wird sie noch an einer<br />
Literaturstunde in der schuleigenen Bibliothek<br />
teilnehmen. Trotz der in der Schule<br />
allgegenwärtigen EDV kommen auch Bücher<br />
nicht zu kurz. Und so ist die Schule mit einer<br />
umfassenden Bibliothek zu den unterschiedlichsten<br />
Themen ausgestattet. Lisa liebt<br />
30 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
Bücher und die Stunde dient ihr auch als<br />
Vorbereitung für ihre nächste Projektarbeit.<br />
Gemeinsam mit ihren gleichaltrigen<br />
Freunden Klara und Klaus arbeiten sie<br />
an einer umfassenden Präsentation<br />
zum Thema „Der Roman im Wandel der<br />
Zeit.“<br />
Der Wecker klingelt. Unsanft reißt er Lisa<br />
aus dem Schlaf. Sie greift nach ihrem<br />
Handy auf dem Nachttisch und ruft den<br />
Stundenplan für heute auf. Erste Stunde<br />
Latein, zweite Geschichte, dritte Englisch,<br />
…<br />
Schon kurz darauf ist Lisas Traum fast<br />
vollständig verblasst. Für immer?<br />
Foto: © Engin Akyurt | pixabay.com<br />
31 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & zukunft<br />
Perspektivenwechsel:<br />
Home-learning an der Uni<br />
EIN SEMESTER <strong>MIT</strong> VIDEOKONFERENZEN UND DIGITALEN KAFFEEPAUSEN<br />
Tina Čakara<br />
Studentin<br />
Junge Autorin<br />
Foto:<br />
Fotostudio primephoto<br />
Es kann nur schiefgehen!, dachte<br />
ich und startete Skype. Ich<br />
studiere Transkulturelle Kommunikation<br />
an der Universität Wien<br />
und hatte letztes Semester erstmals eine<br />
Übung zum Thema Dolmetschen. Wie<br />
sollte das bitte online funktionieren?<br />
Ohne Dolmetschkabine und körperlicher<br />
Anwesenheit? Doch nicht nur die<br />
Studierenden mussten in diesem außergewöhnlichen<br />
Semester anders und neu<br />
denken. Auch die Lehrenden zeigten<br />
überraschend viel Kreativität in der Umsetzung<br />
ihrer Kurse.<br />
DER VIRTUELLE KONFERENZRAUM<br />
Ich sitze mit Kopfhörern vor dem Bildschirm und<br />
höre meiner Studienkollegin genau zu, wie sie eine<br />
kurze Präsentation auf Englisch hält. Ich soll ihre<br />
Rede nach zwei Minuten ohne Notizen zu machen<br />
ins Deutsche übersetzen. Konzentriert versuche<br />
ich mir jedes der Worte zu merken, die durch das<br />
Mikrofon in ihren Laptop dringen, um dann kilometerweit<br />
bis zu meinem zu reisen und durch die<br />
Kopfhörer wieder zu einer Stimme zu werden. Als<br />
die Präsentation meiner Kollegin zu<br />
Ende ist und mir ihr lächelndes<br />
Gesicht vom Bildschirm aus<br />
entgegenblickt, fange ich<br />
auch schon an: anfangs unsicher, dann<br />
aber mit überraschend viel Freude<br />
dolmetsche ich die eben gehörte Rede<br />
souverän ins Deutsche.<br />
DAS VIRTUELLE FEEDBACK<br />
Jede Woche üben meine Kollegin und<br />
ich einen anderen Aspekt des Dolmetschens.<br />
Einmal wiederholen wir die<br />
Inhalte in der gleichen Sprache, das<br />
nächste Mal dolmetschen wir vom Englischen<br />
ins Deutsche, dann umgekehrt,<br />
einmal mit und einmal ohne Notizen.<br />
Alles zu zweit. Alles per Videochat.<br />
Niemand außer ihr hört oder sieht<br />
mich. Dennoch spüre ich während des<br />
Dolmetschens Aufregung und Nervosität<br />
und am Ende Erleichterung. Genau<br />
die Gefühle, die wir in dieser Übung<br />
zu bewältigen lernen sollen. Feedback<br />
geben wir einander gegenseitig. Auch<br />
das sollen wir lernen. Also: mission<br />
accomplished!<br />
DIE VIRTUELLE KAFFEEPAUSE<br />
Nachdem wir alles erledigt haben,<br />
plaudern meine Kollegin und ich jedes<br />
Mal noch mindestens eine Stunde<br />
weiter. Was frustriert uns an der Uni?<br />
Was überfordert uns zu Hause? Was<br />
gibt uns Hoffnung, trotz der vielen<br />
Veränderungen? Mit welchem Gedanken<br />
stehen wir morgens auf? Jeden<br />
Montag um 17 Uhr haben wir eine<br />
Videokonferenz zu zweit. Meist klicken<br />
wir erst lange nach 19 Uhr auf den<br />
Auflege-Button. Denn home-learning<br />
bedeutet nicht nur virtuell Vorlesungen<br />
zu besuchen und Prüfungen abzulegen,<br />
sondern auch sich virtuell mit anderen<br />
Studierenden einen Kaffee beim Automaten<br />
holen gehen.<br />
Foto: © Christian Dorn | pixabay.com<br />
32 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & bewusstsein<br />
Hirnforschung und Sprache:<br />
Macht unserer Sprache<br />
SPRACHE HAT FAST IMMER EINE UNBEWUSSTE WIRKUNG<br />
Die Sprache beeinflusst unser<br />
Denken. Viele Metaphern,<br />
die wir ständig benutzen und<br />
welche unsere Alltagssprache<br />
prägen, beeinflussen unbewusst unser<br />
Denken. Neurolinguisten zeigen, dass<br />
bei einem Großteil unserer Metaphern<br />
die Areale im Gehirn aktiviert werden,<br />
die auf der rechten Gehirnhälfte für<br />
bildhafte Vorstellungen zuständig sind.<br />
Die Wirkung sprachlicher Bilder reicht oft<br />
zu einer körperlichen Reaktion.<br />
Hören Menschen, dass sich eine Person<br />
im sechsten Stock befindet, wandert ihr<br />
Blick automatisch nach oben. Lesen sie<br />
den Satz "Unser Kurs ist eine Treppe<br />
zum Erfolg" geht der Blick der Leser<br />
auch nach oben. Bei der Aussage „Die<br />
Anforderungen stürzen auf ihn ein“<br />
wird sich der Leser unbewusst ein wenig<br />
zusammenziehen. Wer das Bild eines<br />
Tigers zu sehen bekam, schätzte die Geschwindigkeit<br />
eines Läufers schneller ein<br />
als der, dem das Bild einer Schildkröte<br />
gezeigt wurde.<br />
Zugleich ist es auch, dass Metaphern<br />
besser im Gedächtnis gespeichert werden<br />
als abstrakte Formulierungen. Das<br />
sollte man bedenken, wenn Texte für<br />
den Schulunterricht formuliert werden.<br />
Eine bildhafte Formulierung erhöht die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzer sich<br />
an eine Anweisung hält. Beispiel für<br />
kleine Kinder: Bleib bei Rot stehen!<br />
Viele Wörter lösen bei uns sofort Gefühle<br />
aus.<br />
Besonders im Produktmarketing werden<br />
positive Worte gewählt.<br />
Würden Sie als Hersteller von Bitterschokolade<br />
ihr Produkt „Wiener Bitterschokolade“<br />
nennen? Keine gute Idee, denn das Wort<br />
Bitterschokolade ruft Gefühle wach, die<br />
mit dem Begriff „bitter“ verbunden sind:<br />
Bitterkeit, verbittert, bittere Enttäuschung,<br />
bittere Kälte, bitteres Unrecht, das ist bitter<br />
für mein Kind. Menschen sind evolutionsbedingt<br />
konditioniert, bittere Nahrung zu<br />
meiden, da sie oft giftig ist. In der Natur<br />
sind sehr oft giftige Pflanzen und Früchte<br />
geschmacklich bitter. Als Hersteller ist<br />
es besser Ihr Produkt „edelbitter“ oder<br />
„zartbitter“ zu nennen, um ihr den bitteren<br />
Beigeschmack zu nehmen. Noch besser<br />
ist es, Ihr Produkt als „dunkle Schokolade“<br />
oder mit<br />
„80 % Kakaoanteil“<br />
zu beschreiben.<br />
Dipl.-Ing. Alexander Ristic<br />
Journalist<br />
Neurowissenschaftler<br />
sind sich sicher,<br />
dass unsere Entscheidungen<br />
immer einen<br />
emotionalen Aspekt haben.<br />
Manager erliegen<br />
oft der Illusion, sie treffen ihre<br />
Entscheidungen immer rational.<br />
In Wirklichkeit erliegen sie vielfältigen unbewussten und emotionalen<br />
Einflüssen.<br />
Wörter, die eine hohe Erregung erzielen, werden besser im Gedächtnis<br />
behalten, schneller wiedererkannt und lenken in höherem Maß die Aufmerksamkeit<br />
auf sich.<br />
Worte als Auslöser unangenehmer Gefühle: Besserwisser, Gegner, Nörgler,<br />
Räuber, beschuldigen, bevormunden, vergessen, ängstlich, entsetzt, kalt,<br />
nervös, sprunghaft, traurig …..<br />
Worte als Auslöser angenehmer Gefühle: Bruder, Freund, Gastgeber, Professor,<br />
Kind, Schwester, erzählen, teilen, freundlich, kultiviert, verlässlich,<br />
verständnisvoll, weiblich, zufrieden …..<br />
Foto: © Ralf Designs | pixabay.com<br />
33 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
information & erinnerung<br />
Eva Goslar:<br />
Eulalia<br />
OKSBOEL, AN DER WESTKÜSTE JÜTLANDS, DÄNEMARK, 1945 – 1948<br />
Als wir Räuber und<br />
Gendarm spielten<br />
Erinnerungen von Kindern<br />
an ihre Spiele 1930-1968<br />
Band 29 | Reihe Zeitgut<br />
Geschichten und Berichte<br />
von Zeitzeugen<br />
256 Seiten<br />
mit vielen Abbildungen<br />
Ortsregister<br />
Zeitgut Verlag, Berlin<br />
www.zeitgut.de<br />
ISBN: 3-86614-226-8<br />
Fotos: © Zeitgut-Verlag<br />
34 | SEPTEMBER <strong>2020</strong><br />
Meine erste Puppe hieß Eulalia.<br />
Eulalia Semmelkloß. Ich kann<br />
mich nicht erinnern, wie sie zu<br />
diesem skurrilen Namen kam,<br />
vielleicht haben sich die Erwachsenen<br />
bei der Namenssuche einen Spaß mit mir<br />
gemacht. Auch könnte ihr Äußeres die<br />
Assoziation Semmelkloß bewirkt haben.<br />
Wie dem auch sei, ich liebte meine Puppe<br />
sehr und verteidigte sie gegen jede Preisgabe<br />
der Lächerlichkeit.<br />
Eulalias weicher Körper bestand aus<br />
einem weißen Baumwollstrumpf, Arme<br />
und Beine waren mit einem Faden abgebunden<br />
und so wie der Leib mit Wollresten<br />
gefüllt. Das machte Eulalia warm<br />
und kuschelig.<br />
Genau genommen war meine Puppe<br />
dänische Staatsbürgerin. Von Ostpreußen<br />
aus waren wir im März 1945 nach<br />
Dänemark geflüchtet. Mit einem Schiff<br />
über die Ostsee. Wir wurden einem Lager<br />
in der Nähe der Stadt Oksboel, unweit<br />
der dänischen Westküste, zugeteilt. Eine<br />
junge Lehrerin, die mit uns und vielen anderen<br />
Flüchtlingen in einer Baracke lebte,<br />
hatte Eulalia für mich genäht, zum Trost,<br />
als ich einmal sehr krank war. Damals<br />
war ich drei Jahre alt.<br />
Eulalia hatte wunderbare Augen, aus<br />
blauem Perlgarn gestickt, und einen<br />
knallroten lachenden Mund. Ihr fröhliches<br />
Gesicht sollte mich aufheitern.<br />
Aber die grobe Sticknadel hatte Löcher<br />
gestochen, daraus wurden Laufmaschen,<br />
die aussahen wie Tränen. Tränen liefen<br />
aus Eulalias wunderbaren blauen<br />
Perlaugen bis hinunter zu dem roten<br />
Mund. Also lächelte sie ständig unter Tränen<br />
und entsprach so meiner kindlichen Gemütsverfassung.<br />
Einerseits war ich glücklich,<br />
mit meiner Familie einer mir unerklärlichen<br />
Bedrohung, die den Namen Krieg hatte,<br />
entkommen zu sein. Andrerseits war das<br />
Leben in dem Lager für ein Kind mit neuen<br />
Ängsten verbunden. Mutter und Großmutter<br />
waren oft fort, mußten in der Wäscherei, der<br />
Krankenstation, der Küche helfen. Wir Kinder<br />
waren strengen Ordnungen unterworfen,<br />
standen gehorsam und diszipliniert Schlange<br />
beim morgendlichen Waschen, beim Essen<br />
holen, beim Entlausen oder der unausweichlichen<br />
Zuteilung des täglichen Löffel Lebertrans,<br />
der schrecklich ölig im Hals würgte und<br />
nach altem Fisch schmeckte. Nur das Zuhalten<br />
der Nase half ein wenig, diese Prozedur<br />
zu überstehen.<br />
Abends auf der Strohmatratze auf dem<br />
kalten Fußboden der muffigen Baracke hielt<br />
ich meine Eulalia fest an mich gedrückt und<br />
erzählte ihr, was mich beschäftigte. Von den<br />
Männern in den Uniformen, mit den schwarzen<br />
Stiefeln, vor denen ich mich schrecklich<br />
fürchtete. Von dem Stacheldraht, an dem die<br />
kleinen Ausflüge mit meinen Geschwistern<br />
endeten, und von meinen Träumen, einmal<br />
die Welt dahinter zu sehen. Aber niemand<br />
durfte hinaus aus diesem Lager. Meine Mutter<br />
sagte, die Leute auf der anderen Seite des<br />
Zaunes hätten Angst vor uns.<br />
Meine übergroße Liebe, meine zärtlich<br />
drückenden Hände, ließen Eulalias weißen<br />
Körper grau und grauer werden. Die nette<br />
Lehrerin versuchte, sie vorsichtig mit etwas<br />
Kernseife zu waschen. Aber das mochte<br />
Eulalia überhaupt nicht, was ich sehr gut<br />
verstand. Ihr flachsblondes Wollhaar verfilzte
information & erinnerung<br />
und mußte zu einem Bubikopf geschnitten<br />
werden. Ein neues Kleid aus einem<br />
gepunkteten Stoffrest machte diesen<br />
kleinen äußerlichen Mangel wieder wett.<br />
Die Sommer im Lager waren schön.<br />
Zwischen den Baracken liefen weiße<br />
Sandwege, auf denen wir Kinder bis hin<br />
zu den kleinen Hügeln mit Strandhafer<br />
und dunklen Kiefern barfuß laufen konnten.<br />
Dort sammelten wir Zapfen und<br />
Kleinholz zum Heizen des Barackenofens<br />
im Winter. Im <strong>September</strong> blühte die<br />
Heide. Bäuchlings lagen wir Kinder auf<br />
diesem dunkelroten duftenden Teppich<br />
und beobachteten Käfer und Hummeln.<br />
Eulalia war immer dabei.<br />
Doch die Heide verblühte viel zu schnell,<br />
und der Winter kam. Für uns Kinder<br />
war das eine dunkle, traurige Zeit. Über<br />
zwanzig Personen lebten eng nebeneinander<br />
in den Baracken. Oft kam es<br />
zwischen den Erwachsenen zu lauten<br />
Streitereien. Wir Kinder wurden immer<br />
wieder ermahnt, leise zu sein, aus<br />
Rücksicht auf die Alten und Kranken.<br />
Aber das schlimmste war die Kälte. Für<br />
jede Baracke gab es nur einen Eimer<br />
Torf täglich. Meist lagen wir, mit allem<br />
Verfügbaren zugedeckt, auf der Strohmatratze.<br />
Die nette Lehrerin hatte mir das Häkeln beigebracht, und so<br />
war Eulalia im Besitz eines langen, warmen Schals aus bunten<br />
Wollresten. Wir waren beide sehr stolz darauf. Der Schal wurde<br />
zu warm, als der Frühling kam, und wieder ein Sommer ... Die<br />
Zeit verging.<br />
Irgendwann kam Unruhe unter die Menschen, und dann sahen<br />
Eulalia und ich zu, wie die ersten Familien aus unserer Baracke<br />
ihre paar Habseligkeiten zusammenpackten.<br />
„Sie dürfen ausreisen“, sagte meine Mutter.<br />
„Wohin ?“<br />
„Nach Deutschland.“<br />
„Und wir?“<br />
Ich bekam keine Antwort. In dieser Nacht versprach ich Eulalia,<br />
niemals ohne sie auszureisen. „Wir bleiben immer zusammen“,<br />
flüsterte ich in ihr Wollhaar.<br />
Als es dann im Oktober 1947 für uns so weit war, hielt ich<br />
dieses Versprechen. Eulalia fest an mich gedrückt, fuhr ich mit<br />
einem Zug nach Deutschland, wo immer das auch sein mochte.<br />
Ich hatte davon keine Vorstellung. Die Lehrerin hatte meiner<br />
Puppe zum Abschied ein neues Kleidchen genäht. Hellblau,<br />
passend zu ihren Augen. Auch waren die schlimmsten Laufmaschen<br />
gestopft, und so sah Eulalia doch recht manierlich<br />
aus, als wir über die Grenze in eine neue Heimat fuhren. Der<br />
Weihnachtsmann hat Eulalia übrigens am Heiligen Abend im<br />
Jahr darauf mitgenommen. Er hat mir dafür Bärbel gebracht.<br />
Sie war eine echte Schildkröt-Puppe mit sehr schönen Kleidern.<br />
Trotzdem dauerte es seine Zeit, bis ich mich ihr gegenüber auf<br />
meine Puppenmutterpflichten besann. Meine Eulalia werde ich<br />
nie vergessen.<br />
Foto links:<br />
Kinderjahre hinter Stacheldraht.<br />
1995 habe ich das<br />
Lager Oksboel in Dänemark<br />
besucht, in dem wir<br />
zwei Jahre interniert waren.<br />
Es gab noch ein paar<br />
Baracken und ein sehr<br />
interessantes Informationszentrum<br />
über die Zeit<br />
der „Flüchtlinge“. Ein Foto<br />
aus der Ausstellung. Das<br />
Flüchtlingslager Oksboel<br />
beherbergte zwischen<br />
1945 und 1949 bis zu<br />
35.000 deutsche Flüchtlinge<br />
und Vertriebene aus<br />
dem Osten des Deutschen<br />
Reiches. Es lag auf dem<br />
Truppenübungsplatz bei<br />
Oksboel (Varde Kommune)<br />
und bestand bis 1949.<br />
Foto oben: Drei Puppenmuttis 1952. Links sitze ich mit meiner<br />
neuen Puppe Bärbel, einer echten Schildkrötpuppe.<br />
35 | SEPTEMBER <strong>2020</strong>
Erscheinungsort Wien<br />
<strong>LERNEN</strong> <strong>MIT</strong> <strong>ZUKUNFT</strong>, 1220 Wien, Mühlwasserpromenade 23/Haus 13, Austria<br />
UNSER WEB-KIOSK<br />
http://magazin.Lmzukunft.at<br />
Umfangreiches Archiv bis 2010 zur Nachlese.<br />
Empfehlen Sie uns weiter<br />
www.improve.or.at