November 2020 - coolibri
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SZENE<br />
Die Gesichter der Krise<br />
Im FZWließensichrund 50 Angehörige derVeranstaltungsbranche aufder Bühne<br />
ablichten. Dahintersteckte eine Internet-Initiative.Die Aktion zeigtauchbemerkenswertepersönliche<br />
Geschichten.<br />
Es herrschtAlarmstuferot.SobeschreibtKonzertveranstalterin<br />
Viktoria Rosenmüller dieaktuelle<br />
Situationder KulturlandschaftinDortmund.Bei<br />
vielen Angestellten derKultur- und<br />
Veranstaltungsbranche seiessogar schon zu<br />
spät.Umauf dieverheerende beruflicheSituation<br />
vonVeranstaltungstechnikern undMenscheninvergleichbarenBerufen<br />
aufmerksam<br />
zu machen,hatte sich bereitsvor einigenMonatendie<br />
deutschlandweite Initiative„ohne uns<br />
wird’sstill“ gegründet, dieauf Social-Media-Kanälenseither<br />
versucht,das verheerendeAusmaß<br />
aufzuzeigen,mit demdie Pandemie die<br />
Branche getroffenhat.<br />
22<br />
EvaSchmidtram(26)ist Plakaterin aus Dortmund.<br />
Gesichterder Betroffenen fehlten<br />
Bisher fehlte derInitiativeaberein Gesicht. Genaugenommenfehlten<br />
dievielenGesichter der<br />
Personen,die eine großeVeranstaltung erst<br />
möglich machen. Angestellteinder Veranstaltungsbranche,die<br />
teilweiseseitMonaten nicht<br />
mehr arbeitenkönnen. Um diesen Menschen<br />
„ein Gesichtzugeben“, hatten Viktoria Rosenmüller<br />
undihr Ehemann Stephandie Initiative<br />
um eine lokale Fotoaktionerweitert.„Kulturgesichter“<br />
nenntsichder Ablegervon „ohneuns<br />
wird’sstill“,den Rosenmüller um Dortmund ergänzthat,mit<br />
derVorwahl derStadt,alsofür<br />
Dortmund: „Kulturgesichter0231“. Im Stil von<br />
Mugshots,alsoPolizeiaufnahmen, wieman sie<br />
aus denUSA kennt, wurdenMenschenabgelichtet,<br />
dieselbstinder Veranstaltungsbranche arbeiteten,und<br />
an dieser ArbeitseiteinigenMonatengehindert<br />
werden.Als Fotolocation diente im<br />
Oktoberdie Bühnedes FZW.<br />
EvaSchmidtram(26) geht beruflich einerkreativenTätigkeitnach;<br />
siegestaltet Plakatefür<br />
Veranstaltungen. DieDortmunderin hatsichdabeivor<br />
allem aufPlakate fürFZW-Veranstaltungenspezialisiert.<br />
Aufmerksam wurdesie aufdie<br />
„Kulturgesichter“-Aktiondurch ihrenChef. Sie<br />
erfährtdie Corona-PandemiemomentanameigenenLeib.<br />
„Bis zumJanuarwar ichquasi ständigausgebucht,<br />
habepro Wochemindestens<br />
zwei Plakategestaltet undmit etlichenMenschenaus<br />
derKulturszene beruflichzutun gehabt“,soSchmidtram.<br />
Seit Beginn derPandemieimFebruar<br />
seienesgenau zwei Plakategewesen;<br />
nichtpro Woche, sonderninsgesamt.<br />
Stefan Mörken aus Dortmund legt seit 14 Jahreninder<br />
Stadtals DJ Plattenauf.Via Instagram<br />
war er aufdie Fotoaktionaufmerksam geworden.<br />
Er hofft, mitihr dertragischen Situation<br />
mehr Gehör zu verschaffen.ZuseinenStandard-Locations<br />
gehörten bisJanuaretwadas<br />
FZWoderder Club SilentSinners–beispielsweise<br />
fürdie Veranstaltungsreihe„TheBeat“.ImSilent<br />
Sinnerslegte er außerdem bisJanuarjeden<br />
Donnerstag auf. Seit Februargab es kaum mehr<br />
einenAuftritt,und dasnagtauch finanziell an<br />
ihm.„Natürlich fehlteinem dasAuflegennach<br />
14 JahrenRoutine,abervor allem auch finanziellplagt<br />
einendiese ganzemomentane Ungewissheit.“<br />
Dino Hulsberger (44) istRoadiefür DieFantastischenVier,<br />
dieBandBAB,und warauch schon<br />
für denFilmkomponistenHansZimmer mitauf<br />
Tour.Der gelernte Zahntechnikerist seinem Ausbildungsberufschon<br />
seit 18 Jahren nichtmehr<br />
nachgegangen.Stattdessen hatsichder Dortmunder<br />
in derKulturlandschaftlangsam nach<br />
oben gearbeitet, nämlich als „mitreisenderVeranstaltungstechniker<br />
beiKonzerten undTourneen<br />
durch Deutschlandund Europa“, wieer<br />
sagt.„Anfang desJahresgingesdann für mich<br />
von100 auf0“, so Hulsberger.Mit einemSchlag<br />
seiendem 44-Jährigen alleEngagements weggebrochen.<br />
Wasdann folgte,war Homeschoolingfür<br />
seinen Sohn.Und er hatseinenursprünglich<br />
gelerntenBeruf wieder aufgenommen,<br />
womiterniemals gerechnethabe.<br />
Jochen Meschke hatals Geschäftsführerder<br />
Dortmunder WestfalenhallensoeineZeitnoch<br />
nichterlebt. „Natürlichgab es schonschlimme<br />
Ereignisseinnerhalb derVeranstaltungsbranche.<br />
Manerinneresichetwaandie Katastrophe<br />
derLoveParadeimJahr 2010.Aberdaginges<br />
natürlichumMenschenleben undnicht um den<br />
Entzug vonKultur“,soMeschke.<br />
Wasaktuell geschehe,sei allerdingsmit vergangenenKatastrophenfür<br />
dieVeranstaltungsbranche<br />
nichtvergleichbar, dertotaleEntzug.<br />
Er fühle sich wieein Süchtiger,der seinen Stoff<br />
nichtmehrbekäme. DasSchlimmstesei fürihn,<br />
dieWestfalenhallezubetreten,und darin das<br />
zu vermissen, wasvorhernochnie zu vermissengewesensei:den<br />
Geruch vonMenschen,<br />
denGeruch,als hätte hier jemand dieSau rausgelassen.<br />
Aktuellsei davonnichtsmehrzuriechen,alles<br />
seiklinisch rein.„Ichbin optimistisch,dasseseinen<br />
TagXgebenwird, an dem<br />
alles wieder sein wirdwie vorher,inklusive<br />
Live-Entertainment“, so Meschke. Bisdahin<br />
wolleerSolidarität mitseinenKollegenaus der<br />
Veranstaltungsbranche zeigen,soauch mitseinerTeilnahme<br />
an derFotoaktion. DanielReiners<br />
Foto: Daniel Reiners