Wirtschaft in Sachsen Sommer 2020
Das Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung.
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WIRTSCHAFT IN SACHSEN | LEBEN &STIL<br />
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34<br />
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Die Frau mit der Heimaterde<br />
Seit fast 180 Jahren wird <strong>in</strong>Altenberg Kräuterlikör hergestellt. Die Seele des Getränks<br />
wohnt tief unten, im Reifekeller.<br />
Von Jörg Stock<br />
AnVerkaufstagen konnte es passieren,<br />
dass gegen 5 Uhr morgens<br />
die Nacht schon vorbei war<br />
für Familie Baeseler. Jedenfalls im<strong>Sommer</strong>,<br />
wenn das Schlafzimmerfenster offen<br />
stand und darunter die Warteschlange<br />
vor der Ladentüre munter plaudernd<br />
anwuchs,manchmalbis auf zweihundert<br />
Meter Länge. Für DDR-Bürger war der Altenberger<br />
Bitter e<strong>in</strong>e Art Zweitwährung,<br />
sagt Christ<strong>in</strong>e Baeseler. Man kaufte ihn<br />
nicht nur zum selber Tr<strong>in</strong>ken, sondern<br />
auchzum Tauschen. „Innerhalbvon zwei<br />
Stunden war die Wochenproduktion alle.“<br />
Lange her s<strong>in</strong>d diese Zeiten, als man<br />
für e<strong>in</strong>en Karton Altenberger Bitter Fliesen<br />
fürs Bad bekam oder Ersatzteile für<br />
den Trabi. Was man nach wie vor bekommt,<br />
ist die Seele der Kräuter, konserviert<br />
<strong>in</strong>Flaschen. „Heimaterde“ sagen die<br />
E<strong>in</strong>geborenen dazu. Gesammelt werden<br />
die Ingredienzienzwarnicht mehr <strong>in</strong> der<br />
osterzgebirgischen Natur. Viele Wiesen,<br />
wo das bis Ende der DDR noch geschah,<br />
stehen jetztunter Naturschutz.Die Seele,<br />
das s<strong>in</strong>d die alten Rezepte und der Reifekeller,<br />
wo die Mixturen<strong>in</strong>Lausitzer Ste<strong>in</strong>zeugbottichen<br />
ruhen. E<strong>in</strong> Jahr vergeht<br />
m<strong>in</strong>destens, bis sie die perfekte Harmonieerreicht<br />
haben.<br />
Tribut an den Kräutermann<br />
Die Kräuterlikörfabrik Altenberg gibt es<br />
seitfast 180 Jahren.IhreGewölbes<strong>in</strong>d geschwängert<br />
von süßwürzigem Duft. In<br />
der Whiskybrennerei würde man vom<br />
„Angel’s Share“ sprechen, vom Pflichtteil<br />
der Engel. Und hier? Vielleicht vom Tribut<br />
anden Kräutermann. Den rauschebärtigen<br />
Alten mit der Pfeife im Mund<br />
gab es wirklich. Er hieß Max Holtegel<br />
und sammelte <strong>in</strong> den Sümpfen der Gegend<br />
die anätherischen Ölen reiche Kalmuswurzel,<br />
umsie an die Fabrik zuliefern.<br />
Als die Baeselers das Geschäft übernahmen,<br />
machten sie den Kräutermann<br />
zum Markenzeichen. Der Kalmus-Bitter<br />
istbis heute im Programm.<br />
Mit Christ<strong>in</strong>e Baeseler steht nun e<strong>in</strong>e<br />
Kräuterfrauander Spitzeder Likörfabrik,<br />
e<strong>in</strong>e gelernte Archivar<strong>in</strong>. Statt Papier archiviert<br />
sie jetzt Aromen. Durch ihren<br />
Mann Jürgen, e<strong>in</strong>en ausgebildeten Destillateur,<br />
kam sie <strong>in</strong>sMetier. Jürgen Baeseler<br />
Christ<strong>in</strong>e Baeseler, 67, führt die Geschäfte der Kräuterlikörfabrik Altenberg. Hier stemmt sie zwei Großgefäße mit Vogelbeerlikör (r.)und dem Klassiker Altenberger Gebirgsbitter.<br />
Kle<strong>in</strong>e Bilder: Der Bitter galt zu DDR-Zeiten als Zweitwährung, für die man sich lange anstellte (oben). Unten: Christ<strong>in</strong>e Baeselers Lebenspartner<strong>in</strong> Petra<br />
Kall-Moses prüft die Güte des Likörgrundstoffs imReifekeller.<br />
Fotos/Repro:Frank Baldauf<br />
hattedie AltenbergerFabrik 1984von se<strong>in</strong>em<br />
Vater übernommen. Nach der Wende<br />
erweiterte erdie Produktion, erfand<br />
das würzige Pyramidenöl, das hochprozentige<br />
Knappenfeuer, den Knoblauchschnaps<br />
und, vor allem, den Vogelbeerlikör.<br />
Dessen fruchtige Herbheit mag<br />
Christ<strong>in</strong>eBaeseler besonders. Vielesolche<br />
Liköre hat sie ausprobiert imVogelbeerenland<br />
Erzgebirge. „Aber unserer<br />
schmeckt mirambesten.“<br />
Den Chefposten hat sich Christ<strong>in</strong>e<br />
Baeseler nicht ausgesucht. Als ihr Mann<br />
2003 von e<strong>in</strong>er Krankheit aus dem Leben<br />
gerissen wurde, blieb ihr nichts weiter<br />
übrig, als selbst die Leitung zuübernehmen.<br />
Zwar kannte sie alle Abläufe imBetrieb,<br />
alle Entscheidungenwarengeme<strong>in</strong>sam<br />
getroffen worden. Doch nun nahm<br />
das Arbeitspensum deutlich zu. „Ich wurde<br />
da e<strong>in</strong>fach re<strong>in</strong>geworfen“,sagtsie.<br />
Christ<strong>in</strong>e Baeseler ist nicht untergegangen,<br />
hat sich freigeschwommen. Das<br />
bezeugt,stumm, doch gutgefüllt, dasKübelspalier<br />
im Reifekeller. Die Chef<strong>in</strong><br />
montierte<strong>in</strong>en der Deckelabund fächelt<br />
sich mit der Hand den Dunst unter die<br />
Nase. Wassie riecht, macht sie zufrieden.<br />
Das ist der Grundstoff des Altenbergers,<br />
<strong>in</strong> diesem Fall des Gebirgsbitters. DreiunddreißigKräuterund<br />
Wurzeln,e<strong>in</strong>zeln<br />
über Wochen <strong>in</strong> Alkohol ausgezogen und<br />
dann hier dr<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>t,gemäß Rezept des<br />
Fabrikgründers Adolf FürchtegottBüttner<br />
von 1842. Aus zehn Litern dieses Konzentrats<br />
werden e<strong>in</strong>mal 500 Liter tr<strong>in</strong>kfertiger<br />
Likör gemacht. Der Gebirgsbitter ist<br />
zu allen Zeiten dasLeitproduktder Altenberger<br />
Fabrik gewesen. Nur e<strong>in</strong>mal wurde<br />
er umbenannt, <strong>in</strong>„Liesl Bitter“, durch<br />
Elisabeth Köllner, die e<strong>in</strong>zige Frau, die<br />
vor Christ<strong>in</strong>e Baeseler auf dem Chefstuhl<br />
saß. Sie leitete die Fabrik von 1923 bis<br />
1948, führte zahlreiche neue Marken e<strong>in</strong>,<br />
und machte sich selbst zu e<strong>in</strong>er. Sie<br />
rauchte Zigarren, spielte gern Skat und<br />
war Altenbergs erste Autofahrer<strong>in</strong>. „E<strong>in</strong>e<br />
taffe Frau“, sagt Christ<strong>in</strong>e Baeseler. Sie<br />
hätte ihre Vorgänger<strong>in</strong> gern e<strong>in</strong>mal kennengelernt.<br />
Den ledernen Fahrermantel<br />
und die Kappe der Köllner Liesl hütet sie<br />
im Firmenfundus.<br />
Obwohl es die Rohstoffe nicht mehr<br />
auf Zuteilung gibt wie <strong>in</strong> der DDR:<br />
Leichter geworden s<strong>in</strong>d die Zeiten für<br />
die Likörmacher kaum. Der Alkoholkonsum<br />
<strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>kt seit<br />
Jahren. Und der bürokratische Aufwand<br />
steigt. Für Kle<strong>in</strong>betriebe wie ihren, sagt<br />
Christ<strong>in</strong>e Baeseler, s<strong>in</strong>d die Auflagen<br />
der Behörden kaum noch zu erfüllen.<br />
2007 wagte sie e<strong>in</strong>en Befreiungsschlag<br />
und verkaufte die Abfüllanlage. Seither<br />
kommt der Altenberger <strong>in</strong> Lohnarbeit<br />
<strong>in</strong> die Flasche, beim Pfeffi-Macher<br />
Schilk<strong>in</strong> <strong>in</strong>Berl<strong>in</strong>. Am Inhalt ändert das<br />
gar nichts, sagt die Chef<strong>in</strong>, und schaut <strong>in</strong><br />
die ehrwürdige Runde der historischen<br />
Gefäße. „Die Seele des Altenbergers<br />
bleibt hier.“<br />
www.altenberger-kraeuterlikoer.de<br />
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Destillate<br />
aus dem<br />
eigenen<br />
Keller<br />
Kräuter<br />
kreuzen<br />
sich mit<br />
Bohnen<br />
Brennen,<br />
wo der<br />
Stahl<br />
kocht<br />
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Als Antje und Jörg<br />
Straßberger,e<strong>in</strong>e gelernte<br />
Damenmaßschneider<strong>in</strong> und<br />
e<strong>in</strong> Versicherungskaufmann, ihr<br />
Eigenheim <strong>in</strong>der Freitaler Hochlage Somsdorf erbauten,<br />
wurde imKeller e<strong>in</strong> Partyraum e<strong>in</strong>geplant.<br />
„Vielleicht haben wir zu wenige Partys gemacht“,<br />
scherzt Antje. Jedenfalls wurde die Bestimmung geändert:<br />
Im Frühl<strong>in</strong>g 2018 g<strong>in</strong>g diekle<strong>in</strong>e Schaubrennerei<br />
mit Verkostungslokal <strong>in</strong> Betrieb. Im Nebenerwerb<br />
verarbeitet das Paar nun Früchte aus der Heimatund<br />
von weiter herzuBränden, Geistenund Likören.<br />
Etwa zweie<strong>in</strong>halb Tausend Flaschen werden<br />
jährlich gefüllt. Größte Errungenschaft zuletzt: der<br />
DryG<strong>in</strong> mit Orangeund Zitrus-Note. Foto:K.-L. Oberthür<br />
p www.weisseritztaler-fe<strong>in</strong>brennerei.de<br />
Die Likörfabrik Gustav<br />
Müller ist e<strong>in</strong>e Institution<br />
<strong>in</strong> Dürrröhrsdorf. Hier haben<br />
die Klassiker Wesenitzbitter und<br />
Königste<strong>in</strong>er Berggeist ihr Zuhause. Als der Destillateur<br />
Mathias Müller, Urenkel von Gustav, nach langer<br />
Zeit e<strong>in</strong>en neuen Kräuterlikör kreieren wollte,<br />
kam ihm die Idee, Kräuterauszüge mit Arabica-Kaffee<br />
und e<strong>in</strong>em Hauch Vanille zukreuzen. Das Ergebnis:<br />
der Müller Drei. E<strong>in</strong> großer Wurf, der überregional<br />
die Geschmäcker trifft, wie der Chef meldet.<br />
„Fast schon wieder e<strong>in</strong> Klassiker.“ Mathias Müllerwillnachlegen,<br />
mit e<strong>in</strong>em neuen Kräuter, e<strong>in</strong>em<br />
neuen Kümmel, e<strong>in</strong>em neuen G<strong>in</strong> und, abHerbst,<br />
mit e<strong>in</strong>er Brennblasefür Geiste. Foto:Marko Förster<br />
p www.gustav-mueller.de<br />
In Pirna-Copitz gießt<br />
die Unternehmerfamilie<br />
Schmees Stahl, braut Bier,<br />
und jetzt brennt sie dort auch<br />
noch Schnaps. Die Destillerie „Geist von Rathen“,<br />
seit 2001 ebenda aktiv, ist an den Stammsitz, das<br />
Brauhaus„ZumGießer“, nach Copitz gezogen. In e<strong>in</strong>em<br />
hübsch gemachten e<strong>in</strong>stigen Verwaltungsgebäude<br />
des Stahlwerks kann man vom Kostetresen<br />
aus demDestillateur Michael Klixund se<strong>in</strong>er Brennblase<br />
bei der Arbeit zuschauen. Er schafft gern „Aha-<br />
Erlebnisse“, sagt der 39-Jährige. Dazu benutzt er<br />
zumBeispiel Quittenaus Freiberg, Birnen aus Struppen,<br />
Mirabellen aus Böhmen, aber gern auch mal<br />
Orangenvon e<strong>in</strong>er spanischen Hazienda. Foto:D.Schäfer<br />
p www.destillerie-pirna.de<br />
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