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ST:A:R_26

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Buch III – Haus der Bilder Nr. <strong>26</strong>/2010<br />

Tempelherrenstraße 22<br />

D-10961 Berlin / Kreuzbergg<br />

fon. 030 221 609 312<br />

mob. 0160 995 78 158<br />

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Für die freundliche<br />

Förderung sei gedankt:<br />

Kunstprojektraum? Galerie?<br />

Nein, wir sind selbst Künstler.<br />

Also Produzentengalerie!<br />

Aha naja, aber wollen wir produzieren? Ein Stück nach dem<br />

anderen rausspucken in den Markt, für den Markt, für den Namen,<br />

den man hat oder nicht hat, der einem gegeben wird? Produzieren<br />

liegt uns fern. Wir laden Künstler und Wissenschaftler sowie kreative<br />

Kräfte zu Projekten, für thematische geistige Auseinandersetzung,<br />

ein. Das ist die Idee.<br />

Wollen sie sich produzieren?<br />

Ja, wie man's nimmt. Jedenfalls macht es viel Arbeit, die Projekte<br />

auf die Beine zu stellen und kostet sehr viel Geld. Etwas Subvention<br />

bekommen wir, doch dies reicht nicht aus, die ganzen Kosten zu<br />

decken und schon gar nicht ist unsere Arbeit bezahlt. Aber Künstler<br />

sind ja Selbstausbeutung gewohnt, was nicht sein sollte, aber<br />

besser Selbstproduktion als Selbstbetrug.<br />

Ihre Ausstellungen wirken fast minimuseal.<br />

Denke, weil sie umfassender angelegt sind, weil sie Bildungsanspruch<br />

haben, das haben eben Museen oder das ist ihr<br />

ursprünglicher Auftrag. Bei einem Projektraum ist das eher unüblich<br />

und neu. Dies ist nur eine unserer Intentionen, aber wir glauben,<br />

Kunstgenuss oder die Fähigkeit Kunst zu entschlüsseln, dabei Freude<br />

empfinden zu können, ist auch ein klassisches Klassenproblem,<br />

welches auch von Bildungsmöglichkeit abhängt. Diese Möglichkeit<br />

zur Bildung wollen wir gerne geben. Ich denke, man kann einen<br />

komplizierten Sprachduktus wählen mit vielen Fremd und Fachwörtern<br />

und dabei nicht viel aussagen, das wird sogar gern<br />

praktiziert und fällt nicht auf. Oder man kann tiefgehende Inhalte<br />

sprachlich verstehbar formulieren, so unser Focus. Wir bieten<br />

geführte Rundgänge durch das Projekt an. Im Moment wird das<br />

allgemeine Niveau immer tiefer geschraubt, und wenn die Quoten,<br />

das Verkäufliche und leicht Konsumierbare nun das ”Maßgebende<br />

für die Qualität" sind, also auch nachfolgend letztendlich<br />

bestimmen, was überhaupt gezeigt wird, werden wir kulturell<br />

verkümmern. Andererseits wird im Bildungssektor unheimlich viel in<br />

kurzer Zeit von z.B. Studenten verlangt, sodass die meisten nur am<br />

Punktesammeln sind und die Lust und das Interesse an der Sache<br />

selbst verlieren. Den KünstlerInnen geht's da nicht anders, die sind<br />

auch in ein Marktpunkteschema - wieviele Ausstellungen, wo,<br />

Einzelausstellung = mehr Punkte - verhaftet, dabei wird der Fokus<br />

ziemlich eng.<br />

Wo bleibt da die Kunst und die Freiheit in der Kunst?<br />

Ja, das ist zu hinterfragen, zwar gilt es ab der Ablösung von Kirche,<br />

König und Adel bis zum Bürgertum, das nun als indirekter<br />

Auftraggeber eintritt, als eine Erungenschaft von mehr Freiheit,<br />

aber das ist doch zu kurz gedacht. Nun ist die Marktgerechtheit und<br />

deren Gesetze die Vorgabe. Gehupft wie gesprungen. Besser<br />

gesungen: Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur sollten einfach<br />

mehr gefördert werden.<br />

Aha, also gegenläufig zur heutigen Sparstrategie. Warum sind ihre<br />

letzten 3 Projekte e-Motion, Chaos und das DING immer mit Wissenschaftsbeiträgen<br />

durchmischt, woher kommt das Interesse? Haben<br />

Sie auch Wissenschaftliches studiert?<br />

Nein. Aber Kunst und Wissenschaft sind ursprünglich Schwestern,<br />

die nun entfernt von einander hausen. Die Idee ist ein Thema<br />

komplexer, ganzheitlicher zu beleuchten, unsere Projekte sind im<br />

Moment thematisch angelegt. Wir versuchen Korrespondenzlinien<br />

zwischen Kunst und Wissenschaft aufzuzeigen. Den Zeitgeist kann<br />

man im Nachhinein oft leichter nachverfolgen. Zum Beispiel das<br />

Zerlegen von Licht in Partikel - in der Physik die Untersuchung vom<br />

Verhalten der Lichtteilchen (Photonen) und die Beschäftigung mit<br />

Farbwahrnehmung -, in der Malerei 'punktuell zu sehen' im<br />

Pointillismus vor etwas über 100 Jahren oder die Abstraktion in der<br />

Malerei so wie in der Mathematik passierte fast zeitgleich,… da gibt<br />

es einige Beispiele. Unsere Projekte sind auch ein Experiment, diese<br />

Korrelationen zwischen Kunst und Wissenschaft an aktuellen<br />

Arbeiten anzudenken und zu merken. Hierzu ein passendes Zitat<br />

von Bettina Heinz, die mit ihrem Buch ”Die Innenwelt der<br />

Mathematik. Zur Kultur und Praxis einer beweisenden Disziplin” in<br />

unserem aktuellen Projekt das DING - Subjekt oder Individuum<br />

beiträgt.<br />

"Hilberts formalistische Auffassung der Mathematik stieß allerdings<br />

nicht bei allen Mathematikern auf Gegenliebe. ’Die neue, Hilbert<br />

eigentümliche Wendung ist die, dass er an den Sätzen der<br />

Mathematik ihre inhaltliche Bedeutung fahren lässt und sie zu<br />

einem reinen Formelspiel entleert’, monierte etwa Hermann Weyl<br />

(Weyl 1924: 449). Weyl war mit seiner Kritik nicht allein. ’Der<br />

Mathematiker, der die ’äußere Welt vergäße’, sei einem ’Maler’<br />

vergleichbar, der die Farben und Formen harmonisch zusammenzustellen<br />

verstünde, dem aber die Vorbilder fehlten. Seine<br />

schöpferische Kraft wäre bald versiegt’, schrieb Henri Poincaré<br />

1905, nur wenige Jahre, bevor dies in der Malerei tatsächlich<br />

geschah (Poincaré 1905: 112). Der Verweis auf die Kunst kommt<br />

nicht von ungefähr. Denn die Parallelen sind tatsächlich<br />

erstaunlich. Praktisch zur gleichen Zeit, als sich in der Kunst das Bild<br />

vom Abbild löst, macht sich auch die moderne Mathematik von<br />

jeglichem Gegenstandsbezug frei. Das Moderne an der modernen<br />

Mathematik ist ihr radikaler Verzicht auf Repräsentation. In der<br />

formalistischen Auffassung der Mathematik sind die Begriffe<br />

gewissermaßen ’autark’ geworden. Sie verweisen auf nichts mehr<br />

außerhalb des mathematischen Systems, innerhalb dessen sie<br />

definiert wurden.“ Aus Bettina Heintz: Die Innenwelt der Mathematik. Zur Kultur<br />

und Praxis einer beweisenden Disziplin. Wien: Springer 2000. S 50 – 51<br />

Das DING. Was hat Sie an dem Thema gereizt, worum geht es?<br />

Das Ding ist etwas ganz Essentielles, wir teilen mit unserer Wahrnehmung<br />

die Welt in Dinge ein, seien es Geistige, Materielle oder<br />

Sprachliche. Wir konnten 65 Blickwinkel aus Wissenschaft, Kunst und<br />

Literatur schlussendlich ins das Projekt aufnehmen. Eine breite<br />

Fächerung war uns wichtig, doch ergeben sich automatisch in der<br />

Vielfalt Schwerpunkte. Mehrere Arbeiten kreisen um die<br />

Begrifflichkeit, was ein Ding ist und was der Begriff bedeutet. Dazu<br />

gehören die Definition, die Benennung und die Abgrenzung von<br />

anderen Begriffen. Dies wird wiederum oft durch das Aussehen, die<br />

Eigenschaften und die Funktion bestimmt, die wir einem Ding<br />

zuschreiben (z.B. Sessel, Wurst, Netzwerk, Stern, Meteorit, usw.). Nur<br />

was einen Namen hat, ist auch allgemein existent, dies zeigt die<br />

Geschichte von der ”Entdeckung” der Meteoriten von Herbert<br />

Pietschmann sehr schön. Da musste das Phänomen erst von einem<br />

Pariser Wissenschaftler mit eigenen Augen gesehen werden, um<br />

nicht als eine hysterische Wunderglauberei weiter abgeurteilt zu<br />

werden.<br />

Um das Thema der Einordnung und Nichteinordenbarkeit oszillieren<br />

viele künstlerische Werke in der Ausstellung. Verfremdung, Irritation<br />

und Transformation durch Eingriffe in Form, Funktion und<br />

Neukombination machen die Komplexität des Themas bewusst. Die<br />

Wahrnehmung von Dingen und menschliche Wahrnehmungsmuster<br />

greifen künstlerische wie wissenschaftliche Arbeiten auf und<br />

zeigen verschiedene Gesichtspunkte. Ein weiterer Schwerpunkt<br />

sind Arbeiten im Spannungsfeld und im Zusammenhang zwischen<br />

Objekt und Individuum, objektiv und individuell betrachtet. Diese<br />

Unterscheidung wirft Fragen in Bezug auf unser Angewiesensein auf<br />

Dinge auf, thematisiert die Prägung durch Dinge ebenso wie die<br />

Frage, wie und wodurch etwas erst jeweils für uns zum Ding wird.<br />

Dem Menschen zum Beispiel schreiben wir selbstverständlich im<br />

Allgemeinen Subjektcharakter zu, doch kann er/sie auch zum<br />

Objekt der Begierde, der Projektion, der Reflexion oder zum<br />

Untersuchungsobjekt werden. Und auch wenn das Individuum<br />

stirbt, wird dann sein Körper zu einem Objekt? Verschmelzungen<br />

von Künstlichem und Natürlichem, Totem und Lebendigem,<br />

Organischem und Anorganischem - ein Haushaltsgerät zum Beispiel<br />

als Person oder eine Sporthose als Fisch gesehen, zeigen Verwischungen<br />

an den Grenzen.<br />

Das Objekt aus quantenmechanischer oder mathematischer Sicht<br />

beleuchten wissenschaftliche Arbeiten. Auch manche künstlerische<br />

Arbeiten sind an dieser Schnittstelle angesiedelt. Um die<br />

Aufladung von Dingen mit Emotionen und geistigen Werten wie<br />

beispielsweise das Konsumgut als Fetisch oder das Kopftuch als<br />

Konfliktträger, dingliche Symbole der Weiblichkeit und Männlichkeit,<br />

um nur manches zu nennen, werden von mehreren Werken des<br />

Ding- Projekts reflektiert.<br />

Wie lang läuft das Projekt noch?<br />

Bis Anfang Februar 2011.<br />

Und ist schon was Neues in Planung?<br />

Ja, keine Zeit!<br />

Wie?<br />

Genau das wird das Thema sein. Keine Zeit. Mit dem Untertitel<br />

Zeitphänomene - Phänomene der Zeit.<br />

Überaus aktuell. Auch für Sie?<br />

Ach ich kann mich da auch nicht ausnehmen, wie Sie.<br />

Danke für das Gespräch.<br />

Selbst.

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