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Buch III – Haus der Bilder Nr. <strong>26</strong>/2010<br />
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Für die freundliche<br />
Förderung sei gedankt:<br />
Kunstprojektraum? Galerie?<br />
Nein, wir sind selbst Künstler.<br />
Also Produzentengalerie!<br />
Aha naja, aber wollen wir produzieren? Ein Stück nach dem<br />
anderen rausspucken in den Markt, für den Markt, für den Namen,<br />
den man hat oder nicht hat, der einem gegeben wird? Produzieren<br />
liegt uns fern. Wir laden Künstler und Wissenschaftler sowie kreative<br />
Kräfte zu Projekten, für thematische geistige Auseinandersetzung,<br />
ein. Das ist die Idee.<br />
Wollen sie sich produzieren?<br />
Ja, wie man's nimmt. Jedenfalls macht es viel Arbeit, die Projekte<br />
auf die Beine zu stellen und kostet sehr viel Geld. Etwas Subvention<br />
bekommen wir, doch dies reicht nicht aus, die ganzen Kosten zu<br />
decken und schon gar nicht ist unsere Arbeit bezahlt. Aber Künstler<br />
sind ja Selbstausbeutung gewohnt, was nicht sein sollte, aber<br />
besser Selbstproduktion als Selbstbetrug.<br />
Ihre Ausstellungen wirken fast minimuseal.<br />
Denke, weil sie umfassender angelegt sind, weil sie Bildungsanspruch<br />
haben, das haben eben Museen oder das ist ihr<br />
ursprünglicher Auftrag. Bei einem Projektraum ist das eher unüblich<br />
und neu. Dies ist nur eine unserer Intentionen, aber wir glauben,<br />
Kunstgenuss oder die Fähigkeit Kunst zu entschlüsseln, dabei Freude<br />
empfinden zu können, ist auch ein klassisches Klassenproblem,<br />
welches auch von Bildungsmöglichkeit abhängt. Diese Möglichkeit<br />
zur Bildung wollen wir gerne geben. Ich denke, man kann einen<br />
komplizierten Sprachduktus wählen mit vielen Fremd und Fachwörtern<br />
und dabei nicht viel aussagen, das wird sogar gern<br />
praktiziert und fällt nicht auf. Oder man kann tiefgehende Inhalte<br />
sprachlich verstehbar formulieren, so unser Focus. Wir bieten<br />
geführte Rundgänge durch das Projekt an. Im Moment wird das<br />
allgemeine Niveau immer tiefer geschraubt, und wenn die Quoten,<br />
das Verkäufliche und leicht Konsumierbare nun das ”Maßgebende<br />
für die Qualität" sind, also auch nachfolgend letztendlich<br />
bestimmen, was überhaupt gezeigt wird, werden wir kulturell<br />
verkümmern. Andererseits wird im Bildungssektor unheimlich viel in<br />
kurzer Zeit von z.B. Studenten verlangt, sodass die meisten nur am<br />
Punktesammeln sind und die Lust und das Interesse an der Sache<br />
selbst verlieren. Den KünstlerInnen geht's da nicht anders, die sind<br />
auch in ein Marktpunkteschema - wieviele Ausstellungen, wo,<br />
Einzelausstellung = mehr Punkte - verhaftet, dabei wird der Fokus<br />
ziemlich eng.<br />
Wo bleibt da die Kunst und die Freiheit in der Kunst?<br />
Ja, das ist zu hinterfragen, zwar gilt es ab der Ablösung von Kirche,<br />
König und Adel bis zum Bürgertum, das nun als indirekter<br />
Auftraggeber eintritt, als eine Erungenschaft von mehr Freiheit,<br />
aber das ist doch zu kurz gedacht. Nun ist die Marktgerechtheit und<br />
deren Gesetze die Vorgabe. Gehupft wie gesprungen. Besser<br />
gesungen: Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur sollten einfach<br />
mehr gefördert werden.<br />
Aha, also gegenläufig zur heutigen Sparstrategie. Warum sind ihre<br />
letzten 3 Projekte e-Motion, Chaos und das DING immer mit Wissenschaftsbeiträgen<br />
durchmischt, woher kommt das Interesse? Haben<br />
Sie auch Wissenschaftliches studiert?<br />
Nein. Aber Kunst und Wissenschaft sind ursprünglich Schwestern,<br />
die nun entfernt von einander hausen. Die Idee ist ein Thema<br />
komplexer, ganzheitlicher zu beleuchten, unsere Projekte sind im<br />
Moment thematisch angelegt. Wir versuchen Korrespondenzlinien<br />
zwischen Kunst und Wissenschaft aufzuzeigen. Den Zeitgeist kann<br />
man im Nachhinein oft leichter nachverfolgen. Zum Beispiel das<br />
Zerlegen von Licht in Partikel - in der Physik die Untersuchung vom<br />
Verhalten der Lichtteilchen (Photonen) und die Beschäftigung mit<br />
Farbwahrnehmung -, in der Malerei 'punktuell zu sehen' im<br />
Pointillismus vor etwas über 100 Jahren oder die Abstraktion in der<br />
Malerei so wie in der Mathematik passierte fast zeitgleich,… da gibt<br />
es einige Beispiele. Unsere Projekte sind auch ein Experiment, diese<br />
Korrelationen zwischen Kunst und Wissenschaft an aktuellen<br />
Arbeiten anzudenken und zu merken. Hierzu ein passendes Zitat<br />
von Bettina Heinz, die mit ihrem Buch ”Die Innenwelt der<br />
Mathematik. Zur Kultur und Praxis einer beweisenden Disziplin” in<br />
unserem aktuellen Projekt das DING - Subjekt oder Individuum<br />
beiträgt.<br />
"Hilberts formalistische Auffassung der Mathematik stieß allerdings<br />
nicht bei allen Mathematikern auf Gegenliebe. ’Die neue, Hilbert<br />
eigentümliche Wendung ist die, dass er an den Sätzen der<br />
Mathematik ihre inhaltliche Bedeutung fahren lässt und sie zu<br />
einem reinen Formelspiel entleert’, monierte etwa Hermann Weyl<br />
(Weyl 1924: 449). Weyl war mit seiner Kritik nicht allein. ’Der<br />
Mathematiker, der die ’äußere Welt vergäße’, sei einem ’Maler’<br />
vergleichbar, der die Farben und Formen harmonisch zusammenzustellen<br />
verstünde, dem aber die Vorbilder fehlten. Seine<br />
schöpferische Kraft wäre bald versiegt’, schrieb Henri Poincaré<br />
1905, nur wenige Jahre, bevor dies in der Malerei tatsächlich<br />
geschah (Poincaré 1905: 112). Der Verweis auf die Kunst kommt<br />
nicht von ungefähr. Denn die Parallelen sind tatsächlich<br />
erstaunlich. Praktisch zur gleichen Zeit, als sich in der Kunst das Bild<br />
vom Abbild löst, macht sich auch die moderne Mathematik von<br />
jeglichem Gegenstandsbezug frei. Das Moderne an der modernen<br />
Mathematik ist ihr radikaler Verzicht auf Repräsentation. In der<br />
formalistischen Auffassung der Mathematik sind die Begriffe<br />
gewissermaßen ’autark’ geworden. Sie verweisen auf nichts mehr<br />
außerhalb des mathematischen Systems, innerhalb dessen sie<br />
definiert wurden.“ Aus Bettina Heintz: Die Innenwelt der Mathematik. Zur Kultur<br />
und Praxis einer beweisenden Disziplin. Wien: Springer 2000. S 50 – 51<br />
Das DING. Was hat Sie an dem Thema gereizt, worum geht es?<br />
Das Ding ist etwas ganz Essentielles, wir teilen mit unserer Wahrnehmung<br />
die Welt in Dinge ein, seien es Geistige, Materielle oder<br />
Sprachliche. Wir konnten 65 Blickwinkel aus Wissenschaft, Kunst und<br />
Literatur schlussendlich ins das Projekt aufnehmen. Eine breite<br />
Fächerung war uns wichtig, doch ergeben sich automatisch in der<br />
Vielfalt Schwerpunkte. Mehrere Arbeiten kreisen um die<br />
Begrifflichkeit, was ein Ding ist und was der Begriff bedeutet. Dazu<br />
gehören die Definition, die Benennung und die Abgrenzung von<br />
anderen Begriffen. Dies wird wiederum oft durch das Aussehen, die<br />
Eigenschaften und die Funktion bestimmt, die wir einem Ding<br />
zuschreiben (z.B. Sessel, Wurst, Netzwerk, Stern, Meteorit, usw.). Nur<br />
was einen Namen hat, ist auch allgemein existent, dies zeigt die<br />
Geschichte von der ”Entdeckung” der Meteoriten von Herbert<br />
Pietschmann sehr schön. Da musste das Phänomen erst von einem<br />
Pariser Wissenschaftler mit eigenen Augen gesehen werden, um<br />
nicht als eine hysterische Wunderglauberei weiter abgeurteilt zu<br />
werden.<br />
Um das Thema der Einordnung und Nichteinordenbarkeit oszillieren<br />
viele künstlerische Werke in der Ausstellung. Verfremdung, Irritation<br />
und Transformation durch Eingriffe in Form, Funktion und<br />
Neukombination machen die Komplexität des Themas bewusst. Die<br />
Wahrnehmung von Dingen und menschliche Wahrnehmungsmuster<br />
greifen künstlerische wie wissenschaftliche Arbeiten auf und<br />
zeigen verschiedene Gesichtspunkte. Ein weiterer Schwerpunkt<br />
sind Arbeiten im Spannungsfeld und im Zusammenhang zwischen<br />
Objekt und Individuum, objektiv und individuell betrachtet. Diese<br />
Unterscheidung wirft Fragen in Bezug auf unser Angewiesensein auf<br />
Dinge auf, thematisiert die Prägung durch Dinge ebenso wie die<br />
Frage, wie und wodurch etwas erst jeweils für uns zum Ding wird.<br />
Dem Menschen zum Beispiel schreiben wir selbstverständlich im<br />
Allgemeinen Subjektcharakter zu, doch kann er/sie auch zum<br />
Objekt der Begierde, der Projektion, der Reflexion oder zum<br />
Untersuchungsobjekt werden. Und auch wenn das Individuum<br />
stirbt, wird dann sein Körper zu einem Objekt? Verschmelzungen<br />
von Künstlichem und Natürlichem, Totem und Lebendigem,<br />
Organischem und Anorganischem - ein Haushaltsgerät zum Beispiel<br />
als Person oder eine Sporthose als Fisch gesehen, zeigen Verwischungen<br />
an den Grenzen.<br />
Das Objekt aus quantenmechanischer oder mathematischer Sicht<br />
beleuchten wissenschaftliche Arbeiten. Auch manche künstlerische<br />
Arbeiten sind an dieser Schnittstelle angesiedelt. Um die<br />
Aufladung von Dingen mit Emotionen und geistigen Werten wie<br />
beispielsweise das Konsumgut als Fetisch oder das Kopftuch als<br />
Konfliktträger, dingliche Symbole der Weiblichkeit und Männlichkeit,<br />
um nur manches zu nennen, werden von mehreren Werken des<br />
Ding- Projekts reflektiert.<br />
Wie lang läuft das Projekt noch?<br />
Bis Anfang Februar 2011.<br />
Und ist schon was Neues in Planung?<br />
Ja, keine Zeit!<br />
Wie?<br />
Genau das wird das Thema sein. Keine Zeit. Mit dem Untertitel<br />
Zeitphänomene - Phänomene der Zeit.<br />
Überaus aktuell. Auch für Sie?<br />
Ach ich kann mich da auch nicht ausnehmen, wie Sie.<br />
Danke für das Gespräch.<br />
Selbst.