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Buch IX - BETTLERVERBOT Nr. <strong>26</strong>/2010<br />
WAS HEIS<strong>ST</strong> EIGENTLICH „GANZHEITLICH“? Teil 1 v. Manfred Stangl<br />
(von der aktuellen Hassprojektion aufs Fremde übers Stöckelschuhverbot bis zu möglichen friedlichen Lösungen durchs ganzheitliche Einstellungen)<br />
Bei vielen Bürgern unseres Kulturkreises wirkt sich die<br />
abendländische Spaltung von Denken und Fühlen als Aspekt<br />
des kulturellen Narzissmus dahingehend aus, dass sie meist<br />
ihre Gefühle gar nicht kennen, stattdessen Vorstellungen,<br />
Bilder bzw. Images davon im Kopf haben, wer sie sind und<br />
was sie fühlen müssten.<br />
Die schwer narzisstisch gestörte Persönlichkeit ist zwischen<br />
dem gesellschaftlich geforderten und zunehmend allgemein<br />
verbreiteten Narzissmus immer schwieriger zu erfassen. Die<br />
gesamte Kultur baut auf Selbstdarstellung, aufs Aussenden von<br />
Signalen der Großartigkeit und des Einzigartigen auf, sodass<br />
der am schwersten Gestörte vielleicht als der Begehrteste<br />
gilt. Als derjenige, dem die meiste Aufmerksamkeit und die<br />
EDEL<br />
dicksten Konten zukommen. Wobei dieser Vertreter des<br />
seiner Umwelt und an sich selber. Bezeichnend dafür gelten<br />
die Bank-Manager, die in ihrem Glauben an die eigene<br />
Großartigkeit sich anmaßen, Millionen zu verdienen, auch<br />
wenn sie die Wirtschaft an die Wand gefahren haben. Andere<br />
Exemplare des<br />
SEI<br />
schwer gestörten und dennoch nicht aus unserer<br />
Kultur wegzudenkenden Personenkreises tummeln sich in der<br />
Kunstszene, wo die Selbstinszenierung ja mittlerweile zum<br />
unverzichtbaren Markenzeichen des genialen, erfolgreichen,<br />
einzigartigen Künstlers geworden ist.<br />
Schlimm für den Einzelnen ist die innere Leere, die hinter<br />
solchem Verhalten steht. Sind die Ohnmachtsgefühle und die<br />
Identitätslosigkeit in unserer Hemisphäre, die jeder glaubt<br />
mittels viel Lärms um die eigene Person, bzw. durch viel<br />
Erhaschen von Aufmerksamkeit kompensieren zu können.<br />
skurrilen Abendlandes den größten Schaden anrichtet an<br />
Die Auswirkungen sind bekannt, werden aber kaum mit<br />
den Ursachen verknüpft. Psychische Störungen nehmen<br />
zu. Burn-Outm bzw. Depression erlangte den Stellenwert<br />
einer Volkskrankheit. Der Hauptgrund zum Antritt der<br />
Invaliditätspension ist in Österreich nicht mehr in körperlichen,<br />
sondern in seelischen Gebrechen zu finden.<br />
Das Ich, das an Gottes Stelle trat, ist ein unerbittlicher<br />
Herrscher. Als Ich des Reichen, des Besitzenden, fordert es<br />
Leistung von seinen Untergebenen, verbreitet die Ideologie der<br />
Dynamischen, Flexiblen, Großartigen, Besonderen, Starken:<br />
wer nicht mithalten kann wird auf den zweiten Arbeitsmarkt<br />
zurückgestuft, wo er schmachvoll soziale Zuwendungen<br />
empfängt und, ging’s nach bestimmten politischen Parteien,<br />
selber soziale Dienste zu leisten hätte, wohlmöglich als Gratis-<br />
Gärtner in den Parks der Villenviertel derer, die ihn zuvor aus<br />
DER<br />
„Optimierungsgründen“ entlassen haben.<br />
Das Ich des wenig Begüterten mag gegen solch System<br />
aufbegehren, wird dann allerdings von der staatlichen<br />
Mindestsicherung ausgeschlossen, oder aber es passt<br />
sich an, auch aus persönlich, narzisstischen Gründen,<br />
denn das innere Ohnmachtsgefühl drängt gewaltig, die<br />
Angstzustände des narzisstischen Gekränkten diktieren nach<br />
Philosophenmeinung die Grundstimmung der westlichen<br />
Welt, bzw. der nördlichen Hemisphäre, und die jüngsten<br />
Entwicklungen geben ihnen Recht. Wohin mit der Angst,<br />
deren eigentliche Ursache fehlendes Urvertrauen in einer<br />
zweiteilenden Welt ist? Sie wird als Angst auf alles Fremde, auf<br />
Roma, auf „die aus dem Osten“, auf Türken projiziert. Wobei<br />
W. Reich wohl richtig damit liegt, dass in unserem Kulturkreis<br />
eine Angst vor dem „Osten“ herrscht, vor den erdigeren<br />
Menschen, vor den durch Muttergottheiten beseelten, die<br />
MENSCH<br />
möglicherweise auch fruchtbarer und sexueller sind als wir –<br />
was dann in der Wut auf die Türkenfamilien und deren vielen<br />
Kinder gipfelt, die im Hof lärmen und die uns angeblich die<br />
besten Gemeindebauwohnungen vor der Nase wegschnappen<br />
(denen allerdings paradoxerweise ihr angebliches Anhaften am<br />
Patriarchat vorgehalten wird).<br />
HILFREICH<br />
über die zivilisiert, gepflegten Trottoirs marschieren muss,<br />
Stöckelschuh- und Krawattenverbot<br />
statt Selbstkritikverzicht<br />
Abstrus mutet an, wenn ehemalig linke Feministinnen plötzlich<br />
rechte Phrasen dreschen, vom Kopftuchzwang reden, statt ein<br />
Stöckelschuhverbot in öffentlichen Räumen zu fordern: die<br />
Frau, die gerne sich in unserer patriarchalen Kultur die Füße<br />
verkrüppeln lassen will, sollte Stöckelschuhe zuhause tragen<br />
dürfen, nicht aber als politisches Statement für die Ungleichheit<br />
der Frau, die nicht richtig auftreten darf, die im Paradeschritt<br />
der die Abgehobenheit unserer halben, aufs Denken und auf<br />
männliche Werte ausgerichteten Kultur körperlich verinnerlicht<br />
werden muss, auf ihren nach Möglichkeit himmelhohen<br />
Absätzen – nur so haben die patriarchalen Herrscher Gewähr,<br />
dass die prinzipiell eher körperbewusste Frau im Gleichschritt<br />
der Zerstörung der inneren und äußeren Natur hinterher<br />
trippelt.<br />
Warum fordern unsere Paradefeministinnen nicht ein<br />
Stöckelschuhverbot, warum nicht ein Krawattenverbot in<br />
öffentlichen Gebäuden? Der Krawatte als Ausdruck westlicher<br />
Moderne ist unumstritten, obwohl sie Ausdruck der Trennung<br />
von Kopf und Leib ist, von Natur und Geist und somit Symbol<br />
der Herrschaft über die Natur und die Frauen. Männer, die<br />
Frauen zwingen, Stöckelschuhe zu tragen, sollten eingesperrt<br />
UND<br />
werden, jedenfalls die diversen Macher von Modelshows und<br />
all die Popsternchenfabrikanten, die höllischen Spaß an der<br />
gestylten Unterdrückung und Verkrüppelung der Frauen<br />
haben, bis zu jenem Punkt gar, wo Mädchen an Bulimie<br />
elendiglich verrecken.<br />
Warum nehmen viele Feministinnen Teil an der Parade zur<br />
Selbstdarstellung unserer halben Kultur, statt die Entfremdung,<br />
die Isolation, die Zerstörung, die Pornographisierung und<br />
Verdinglichung in ihr zu thematisieren? (Marlene Streeruwitz<br />
bezieht hier eine differenzierte Position, wenn sie hintergründig<br />
warnt, dass einem Kopftuch- oder Burkaverbot bald ein<br />
Bikinizwang folgen könnte…).<br />
Was überhaupt bedeutet das unhinterfragte Schlagwort von<br />
der Integration in die demokratische Wertegemeinschaft?<br />
Etwa die Anpassung an die zunehmende Selbstzerstörung,<br />
die Integration ins Burn-Out, die Übernahme von Computer-,<br />
GUT<br />
Spiel- und Tablettensucht? Die Angleichung bezüglich<br />
der Sexualstörungen in unserer angeblich so freien und<br />
lebenslustigen Welt? Die Anpassung an den Umstand, dass<br />
Alkoholabhängigkeit in immer jüngeren Jahren auftritt?<br />
Warum werden die Inhalte und Folgen dieser unserer<br />
Hochkultur / Mittelmaß / Schund<br />
halben Kultur nicht überprüft? Nicht kritisiert von den<br />
Ikonen des Feminismus, den Boulevard-Philosophen und<br />
Glossenschreibern in liberalen Zeitungen? Schweigen sie<br />
etwa deshalb und zeigen auf die angebliche Gefahr durch das<br />
Kopftuch, weil die Herrschaft des Intellekts mittlerweile auf<br />
so tönernen Beinen steht, dass Front gemacht werden muss<br />
gegen alles, was nur halbwegs dazu taugt, uns die eigene Leere,<br />
die Unsicherheit, die Untauglichkeit zu reflektieren? Ists nicht<br />
gar etwa so, dass, je mehr nun endlich von den Gefahren<br />
des Burn-Out schon in Familiensendungen referiert wird,<br />
gegen Randgruppen und fremde Ethnien noch deutlicher<br />
Stimmung gemacht werden muss, um von den eigenen<br />
Mängeln abzulenken? Wird selbst bei noch so bemühten<br />
Integrationsversuchen nicht eine unüberbrückbare Kluft<br />
bleiben, diese gar verbreitert, weil unsere scheiternde ichzentrierte<br />
Kultur Sündenböcke braucht? Dies zu erwägen sollte<br />
jeder verantwortungsvollen Regierungskoalition am Herzen<br />
liegen.<br />
Klärung des Begriffs „ganzheitlich“<br />
Den zahlreichen hervorragenden Publikationen zur<br />
Klärung des Begriffes bzw. zu konkreten Themen der<br />
Ganzheitlichkeit möchte ich nur aus einem einzigen Grund<br />
eine Ergänzung hinzufügen: im Bereich der Kunst dünnt<br />
die Veröffentlichungsdichte zu ganzheitlichen Themen stark<br />
aus. Somit lautet mein primäres Anliegen vom Standort des<br />
Kunstschaffenden aus Ganzheitlichkeit beleuchten zu wollen,<br />
und damit einen Blick auf unsere Kultur und Gesellschaft<br />
zu werfen, der den etablierten Gesellschaftskritikern,<br />
Intellektuellenautoren und Verstandesdichtern sicherlich<br />
sauer aufstoßen wird.<br />
Ken Wilbers umfassende Betrachtung der Gegenwartskunst gilt<br />
sicherlich als ein Paradewerk für die Diskussion ganzheitlicher<br />
Kunst und Ästhetik. In „Das Wahre, das Gute und das Schöne“<br />
erläutert er ausführlich, wie postmoderne Relativierung bei aller<br />
bedeutender Hierarchiekritik letztlich zu nichtiger Beliebigkeit<br />
führt, und wie die gängigen dualistischen Sprachmodelle an<br />
der Wirklichkeit harsch vorbeischrammen. Rudolf Kaiser<br />
wiederum prägt in „Gott schläft im Stein“ den Begriff des<br />
„kosmischen Imperialismus“, mit dem er die Allmachtsetzung<br />
des Menschen in der Nachfolge Francis Bacons („Wissen<br />
ist Macht“) und René Descartes („Ich denke, also bin ich“)<br />
bloßstellt.<br />
Der Verweis auf die kognitive Dominanz in der Modernen-<br />
Kultur umreißt den geräumigsten<br />
Bereich, den ganzheitliches Wahrnehmen aufschließen und<br />
ausbreiten möchte. Ganzheitlichkeit meint in allen Fällen<br />
– einerlei ob unter physikalischen, psychologischen oder<br />
philosophischen Aspekten – stets die Integration der in der<br />
Moderne-Kultur ausgeschlossenen und verdrängten Gebiete. In<br />
erster Linie klammerte die Moderne seit ihrem Entstehen den<br />
Bereich des Überbewussten aus, indem sie – wissenschaftlich<br />
und aufgeklärt argumentierend – den Himmel als entleert und<br />
die Seele zur Chimäre erklärt. Dabei stützt sich die Moderne<br />
auf Siegmund Freud und seine Projektionstheorie, in welcher<br />
der sich nach überirdischer Geborgenheit Sehnende in<br />
Wirklichkeit seine Eltern und allenfalls weltliche Institutionen<br />
meint. Feuerbachs Religionskritik folgend verwaist der Himmel<br />
auch in den Augen von Karl Marx, da er Gott als Drohgespenst<br />
der herrschenden Klassen gegenüber den Unterdrückten zu<br />
entlarven vermeint.<br />
Bleibt der eigene Fokus aber nicht zu eng, bzw. erweitert er<br />
sich neugierig, erkennt der ganzheitlich Wahrnehmende wohl,<br />
dass der Anfang der Religions- und Seelenfeindlichkeit in der<br />
Aufklärung zwischen 17oo und 18oo zu suchen ist, in der das<br />
Denken des Menschen, die Vernunft und die Wissenschaften<br />
über Intuition, Gefühle und spirituelle Erfahrung gestellt<br />
wurden. Zumal Charles Darwins Thesen sich dahingehend<br />
deuten ließen, die Arten könnten von sich aus durch Mutation<br />
entstanden sein, was einen heftigen Kahlschlag in den<br />
himmlischen Gefilden nach sich zog.<br />
Nun mag kein wirklich logischer Mensch erklären können,<br />
wie Lungen, Federn, Flügel, Milchdrüsen durch Mutationen<br />
„spontan“ entstanden sein könnten: eine „blinde“ zufällige<br />
Natur hätte solch Werkzeuge nie hervorzubringen vermocht -<br />
nach dreimaligem Versuch Richtung Flugfähigkeit etwa hätte<br />
eine zufällige Natur die fluguntüchtige Extremität wieder<br />
eingestampft - aber das war den Denkern der Aufklärung egal.<br />
Sie glaubten, wie Immanuel Kant in seinem Aufsatz über die<br />
Beantwortung der Frage, was Aufklärung sei, zusammenfasst,<br />
an die Wissenschaften und die Kunst, welche zukünftig der<br />
Menschheit zum Wohle gereichen sollten.<br />
Das oberste Prinzip hieß bei Kant nunmehr Vernunft, der<br />
sich auch die Priester unterzuordnen hätten, womit der<br />
Wahrheitsanspruch der Religion an die Wissenschaften<br />
abzutreten wäre.<br />
Ebenfalls übernähmen nun Künstler die Verantwortung für die<br />
Geschicke der Welt: Wohin beides führte sehen wir mittlerweile<br />
so deutlich in unserer Selbstdarstellungskultur gespiegelt, die<br />
skrupellos Natur und Mitmensch ausbeutet, dass die Idee der<br />
Aufklärung und damit die Moderne-Kultur uns bei einiger<br />
Objektivität absolut obsolet erscheinen müsste.<br />
Die Wissenschaften führten unsre Welt an den Rand des<br />
Abgrundes, die Künstler in ihrer forschen Art mögen gern<br />
einen Schritt Richtung Fortschritt wagen, da sie ja „das Neue“<br />
zum Hauptkriterium ihres Schaffens erkoren haben, der<br />
ganzheitlich fühlende und denkende Mensch aber hält inne,<br />
sucht den Ausweg aus der kopfzentrierten, gefühlskalten,<br />
narzisstischen Modernen-Welt, und wird ihn in der Integration<br />
unbewusster, abgeschnittener, abgewürgter Seelenanteile<br />
finden (die nicht nur ein individuell – familiengeschichtlich –<br />
Verdrängtes darstellen, auch nicht ein straff psychoanalytisches,<br />
sondern ein kulturell<br />
Verdrängtes, ein kulturgeschichtlich Separiertes, Isoliertes,<br />
das uns zu halben Menschen in einer Welt ohne Himmel und<br />
ohne Erde macht).<br />
Die patriarchale abendländische Kultur schnitt schon mit<br />
dem griechischen Logos die Wurzeln zu Mutter Erde ab, die<br />
lateinische Kultur setzte Imperialismus und Zivilisation als<br />
hehre Ziele, die christlich, gnostischen Einflüsse trennten<br />
Körper und Geist strikter: das Ergebnis ist unsere aktuelle<br />
Lebensfeindlichkeit, die sich hinter gestylten Bildern, Images<br />
und Brands versteckt, die aber mörderisch hervorpeitscht, wo<br />
Schüler amoklaufen und Kinder ihre Eltern umbringen, wenn<br />
diese sich den narzisstischen Bedürfnissen der Konsumwelt<br />
entgegenstellen.<br />
Die Leibfeindlichkeit des christlichen Mittelalters wurde<br />
sodann von der natur- und lebensfeindlichen Haltung der<br />
Moderne verdrängt; diese schaffte ferner alle traditionellen<br />
Kulturtechniken ab, die ein eingebundenes Verhältnis zu<br />
Natur und deren Geist manifestierten. Heute gaukelt die<br />
Moderne uns vor, das Ich hätte alle Kompetenz: Freiheit,<br />
Grenzenlosigkeit und rasche Bedürfnisbefriedigung seinen<br />
die einzige Wahrheit des selbstbezüglichen Menschen. In<br />
Wirklichkeit ist unser Ich schwach, liegt es vor Konzernen,<br />
Werbepsychologen und Lifestyleformaten flach: schön soll Ich<br />
sein, diszipliniert, leistungsfähig, lustbetont (aber nicht faul,<br />
arbeitsscheu und selbstbestimmt, schon gar nicht glücklich).<br />
Konkurrenzbewusst und siegeswillig soll Ich gelten, sonst<br />
gelte ich gar nichts. Dieses Ich-Konzept der Postmoderne ist<br />
weder hedonistisch, noch gemütlich, noch reif, sondern der<br />
Output einer patriarchalen Kultur, die so sehr vom Denken<br />
begeistert ist, dass die Gedanken, die Images, die Phantasie,<br />
die Vorstellungen über das Leben das wirkliche Leben<br />
verdrängen, ja bereits weitestgehend ersetzt haben, sodass die<br />
meisten Menschen äußerst unglücklich sind, einige davon<br />
aber wenigstens reich und schön und berühmt.<br />
Der Verrat durch die Wissenschaften<br />
9o % der Wissenschaftler „forschen“ für die Großkonzerne.<br />
Somit ist Wissenschaft kaum objektiver, als dies das<br />
Klerikertum zu Zeiten dessen Infragestellung durch die<br />
Aufklärung war. Die Forschungsergebnisse sollen finanzielle<br />
Erfolge bewirken. Die Forschung ist somit keineswegs<br />
zweckfrei, neutral oder gar höheren Wahrheiten verpflichtet.<br />
Im Gegenteil werden die Bürger oft angelogen, damit sie<br />
diverse Nahrungsergänzungsmittel, Vitaminpräparate,<br />
Schlank- und Rankmacher etc. kaufen. Natürlich versucht<br />
Wissenschaft sich gegen Kritik abzuschirmen, indem etwa<br />
gesagt wird, es ginge ihr nicht ums Erkennen von Wahrheit<br />
sondern das methodische Ausschließen des Falschen durchs<br />
Prinzip der Falsifikation (weil’s eine absolute Wahrheit nicht<br />
gäbe, stattdessen stets neue entdeckt würden: dies hebelt<br />
aber seltsamerweise nicht die Wissenschaften aus, sondern<br />
macht sie in ihrem Absolutheitsanspruch universell). Alle<br />
Immunisierungsstrategien erwiesen sich jedoch als kurzfristige<br />
(Wahn-)Träume. Die Natur hat längst die Wissenschaften<br />
falsifiziert. Die Erde steht am Abgrund. Technik und<br />
Wissenschaft, die Idee des unbegrenzten Fortschritts tragen<br />
daran Schuld (die „freie“ Wissenschaft, die wild drauflosforscht<br />
und ihre Erkenntnisse gleich in klima- und weltzerstörende<br />
Techniken umsetzt, einerlei, ob ihre Erkenntnisse endgültig<br />
wahr sind – welch verantwortungslose Spielerei mit der Welt).<br />
Genlobbys, Atomkonzerne, Pharmaindustrie, Auto-, Chemieund<br />
Lebensmittelindustrie besitzen die Welt. Die EU-<br />
Kommissäre sind Apothekersöhne und Kleinbürgertöchter<br />
– die kapitalistischen Eliten beherrschen Medien und<br />
Verkaufsregale. Und die Wissenschaft wird von ihnen gelenkt.<br />
Größtenteils. Und gibt es einmal wirklich unabhängige<br />
Forschung, wie zum Thema Elektrosmog, Handystrahlung<br />
usw. erfolgen 1o andere hoch dotierte Studien, welche die<br />
Unbedenklichkeit der Gewinnmaximierung erweisen, und<br />
unsere Medien (in der Hand des Kultur-Eliten) teilen diese<br />
Ergebnisse quasidemokratisch mit, was heißt: jeweils zehn<br />
Studien für die Industrie gegen eine unabhängigere. So wird<br />
die Wahrheit einfach quasidemokratisch weggemogelt. Und<br />
wenn gar ein Wissenschafterteam zu gänzlich unerwünschten<br />
und folgenschweren Ergebnissen kommt, wie etwa bezüglich<br />
der Unbedenklichkeit von Transgenen, die von britischen<br />
Wissenschaftern nicht erwiesen werden konnte, sondern die<br />
gegenteilig zum Ergebnis gelangten, dass Genprodukte sehr<br />
wohl riskant für den Verbraucher seien (zu sehen in der Fernseh-<br />
Dokumentation „Monsanto“), werden diese Wissenschafter<br />
ganz einfach gefeuert, verlieren ihre Universitätsposten<br />
und schlimmer noch, wird ihre Seriosität durch bezahlte<br />
Auftragsdenunzianten umfassend diskreditiert.<br />
Paradox auch der Umgang der Politiker mit der Wissenschaft, die<br />
einerseits von der Wichtigkeit von Bildung und Forschung für<br />
die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum schwärmen,<br />
anderseits den Universitäten raten, ihre Forschungsstellen<br />
durch private Auftraggeber (haupt-mit-)finanzieren zu lassen.<br />
Doch nicht bloß der übliche Missbrauch der Wissenschaften<br />
lässt sie fragwürdig erscheinen: ihre prinzipielle Orientierung,<br />
die Natur zum Forschungs„objekt“ zu machen und damit<br />
ihren erforschten Gegenstand leichtfertig zu verdinglichen,<br />
stellt den Sinn der Wissenschaften zur Diskussion. Deutliche<br />
Auswirkungen hinterließ postmodernes Gedankenguts, das<br />
die sinnhafte Verbindung zwischen Welt/Natur und Sprache<br />
abstritt und damit dem Missbrauch der Versatzstücke Tür und<br />
Tor öffnete.<br />
Durchschnittliche Wissenschaftsfanatiker glauben nur an<br />
harte Fakten. Sie meinen, nur durch naturwissenschaftliche<br />
Forschung Marke CERN und mathematische Physik Belegtes<br />
hätte Gültigkeit. Alles andere wäre Geschwätz. Damit grenzen<br />
sie sogar die Geistes- und Sozialwissenschaften aus ihrem<br />
rigiden Weltbild aus. Und übersehen vor allem Eines: eine<br />
Naturwissenschaft, deren Analysemethoden unmittelbar von<br />
Wirtschaft und Technikindustrie zur Ausbeutung der Erde<br />
angewendet werden kommt nicht zu richtigen Ergebnissen: die<br />
Zerstörung der Umwelt, die Ausbeutung der Erde ist nicht richtig.<br />
Das Faktenwissen, einerlei, ob’s um die Zusammensetzung<br />
von Atomen, von Erkenntnissen Billionstel Sekunden nach<br />
dem Urknall oder ums Entschlüsseln von Gensträngen geht,<br />
ist falsch, denn es führt zur Vernichtung der Welt, in der wir<br />
leben. Da erweist sich der geschmähte Mythos noch als wahrer,<br />
denn er beinhaltet den Sinn, die Ganzheit, den Ursprung des<br />
Erzählten – er integriert ethisches Verhalten und gibt oftmals<br />
Anleitungen zum achtungsvollen Umgang mit der Natur. Die<br />
Wissenschaften also bringen in ihrer Fokussierung auf das<br />
von Leben und Wesen und Ethik abgespaltene Forschen keine<br />
richtigen Erkenntnisse zustande. Das Gift zu essen, das die<br />
Lebensmittelindustrie zur Konservierung und Verschönerung<br />
ins Essen hineinpackt, ist nicht richtig, auch wenn ein bestimmter<br />
Zusatzstoff rein technisch gesehen Nahrung haltbarer macht.<br />
FCKW’s in die Atmosphäre zu blasen, war nicht richtig, die<br />
Atomkraft wird sich bald als nicht richtig erweisen (und nicht<br />
erst in 1ooo Jahren, wenn die nie gelöste Problematik der<br />
Endlagerung die ersten Katastrophen verursacht). Die gesamte<br />
Ausbeutung der Natur inklusive die Veränderung des Klimas<br />
ist nicht richtig, die Wissenschaften an sich sind nicht richtig,<br />
sofern sie nicht ehrlich ethisch motiviert sind. Die Natur zum<br />
leblosen Material zu erklären, an dem rücksichtslos geforscht<br />
werden darf, ist weniger vernünftig als zu behaupten: „Die<br />
Erde ist keine Kugel sondern eine Schildkröte, die wir ehren<br />
und schützen müssen, damit auch unsere Kinder noch gesund<br />
auf ihr leben können.“<br />
Die Wissenschaft ist also nur dann nicht abzulehnen,<br />
wenn sie lebensfreundliche Absichten aufwartet. Etwa in<br />
der Physik, wie im Buch Fritjof Capras „Tao der Physik“<br />
nachzulesen ist. Oder für die Biologie, wo Rupert Sheldrake<br />
das Bestehen morphogenetischer Felder untersucht.<br />
Sheldrakes Evolutionstheorie des Bewusstseins (Alternative<br />
zum Darwinismus) basiert auf diesen Feldern. Letztlich<br />
kommt er gar zum Schluss, auch Planeten hätten Bewusstsein<br />
– womit wir wieder bei der Weisheit der Urvölker, der Indianer<br />
angelangt wären: die Erde ist eine Schildkröte, respektive unsere<br />
Mutter. Die transpersonale Psychologie entwickelte sich aus<br />
der humanistischen heraus. Sie nimmt ein Überbewusstsein<br />
an, welches ja durch die Moderne „abgeschafft“ wurde. Heute<br />
gilt der transrationale Raum als wieder entdeckt. Wesentlich<br />
trug Ken Wilber zu dessen Neu-Erschließung bei. Aber auch<br />
Stanislav Grof ist zu nennen, dessen Theorie und Praxis des<br />
holotropen Atmens und die wissenschaftliche Auflistung und<br />
Erläuterung von dabei möglichen transpersonalen Erfahrungen<br />
einen Versuch darstellen, mystische Erlebnisse systematisch<br />
zu ordnen und somit nachvollziehbarer (zumindest in der<br />
Betrachtung) zu gestalten.<br />
Die Künste propagieren die Sache des Ich<br />
Die Kunst zählt neben den Wissenschaften zur zweiten Säule<br />
der Moderne-Kultur. Die Disharmonie-Ideologie, die sich<br />
mit der modernen Kunst durchgesetzt hat, legitimiert den<br />
ich-zentrierten Typus, der sich nicht eingebettet im Ganzen<br />
als über den Dingen, der Welt, der Natur, vermöge seines<br />
genialen Geistes stehend, definiert. Das rechtfertigt auch<br />
den Anspruch des reichen Ichs, über der Masse zu stehen.<br />
1 Promille der Österreicher hat soviel Vermögen wie die 5o%<br />
des Durchschnitts – dass dies zu keinem allzu empörten<br />
Aufschrei führt und zur kämpferischen Losung: „Lasst<br />
allein die Reichen zahlen für die Krise“, hängt auch damit<br />
zusammen, dass die Ich-Ideologie dem Ich alle erdenklichen<br />
Rechte zugesteht, und implizit mögliche Einschnitte bei den<br />
Reichen als Beschränkung des Ichs generell erlebt werden. Die<br />
Moderne als Projekt dieser Ich-Ideologie nimmt dabei in Kauf,<br />
dass das größere Ich die kleineren beherrscht und ausbeutet<br />
– was aktuell mit den Ichs in Afrika passiert und ebenfalls<br />
zunehmend in unseren Breiten, sodass letztlich sich wieder<br />
quasi-faschistoide Ideologien weltweit etablieren.<br />
Nicht das ganzheitliche Denken führt – wie Zyniker<br />
diffamieren – zum Faschismus, sondern die Ich-Ideologie der<br />
Moderne ebnet diesem den Weg. Die Kunst leistet einen nicht<br />
unwesentlichen Beitrag. Schon lange geht es ihr nicht mehr<br />
um subjektive Darstellung bzw. Interpretation der Wirklichkeit.<br />
Die subjektive Wahrheit in einer Ich-Kultur mutierte zum<br />
Drang zur Selbstdarstellung, zur Behauptung, dass das<br />
Subjekt, das Ich, dessen Befindlichkeiten und Maßlosigkeiten<br />
die einzige gültige Tatsache manifestierten. Die Folge sind<br />
Inszenierungsorgien des Ichs, sind Überbietungswettkämpfe<br />
mittels Originalitätssurrogaten, Innovationsgesten,<br />
Genialitätsbehauptungen etc. (die die Postmoderne satter<br />
durchtränken als schon die Moderne). Dadurch reduziert<br />
die Kunst letztlich sich auf Codes, die sie als Besonderes, als<br />
Einzigartiges und Originäres ausweisen – damit wiederum<br />
die Ich-Idee bedienend. Durch die Akzentsetzung auf einem<br />
expansiven Ich verlor Kunst letztlich den Anspruch als<br />
allgemein sinnvolle und sinnstiftende Instanz, allerdings<br />
hat sie die Ambition eine solche zu sein ja längst von sich<br />
aus aufgegeben. Sinnlosigkeit, Nihilismus und Ich-Wahn<br />
sind (aufgrund obiger Umstände) Inhalt und Form heutiger<br />
postmoderner Kunst.<br />
Alternativen bieten ganzheitliche Ansätze wie „Die Ästhetik<br />
der Ganzheit“, bzw. die Wiederaufnahme ethischer Normen<br />
in die Kunst, wie sie Wolf G. Thiel (Zeitschrift fair) fordert. Die<br />
Wiederentdeckung alter Kulturtechniken, die von der Neuzeit<br />
und der Moderne aus unserm Leben verbannt wurden:<br />
Ritual, traditionelle europäische Kräuterkunde, katharsische<br />
Methoden, umfängt auch Bereiche der Kunst. Nicht zuletzt<br />
sei die Farbenlehre W. Kandinskys in „Das Geistige in der<br />
Kunst“ zu nennen – eine Farbenlehre, die fast haargenau mit<br />
der süd-/ostasiatischen Chakrenlehre zusammenfällt, womit<br />
auf eine wesentlich Methode der Ganzheitlichkeit verwiesen<br />
werden soll: Kandinsky ordnet Farben diverse Stimmungen,<br />
Gefühle, seelische Räume zu, was jenseits der logischen<br />
Ordnungsprinzipien der abendländischen Kultur angesiedelt<br />
ist. Diese betreibt seit Aristoteles die systematische Einteilung<br />
der Welt, eine Zuordnung in Klassen und Kategorien,<br />
wie sie unsere Wissenschaften perfektionierten, wobei<br />
die Skeptiker zu unken belieben, dass vom Fortschritt der<br />
kopernikanischen Wende, nach der sich nicht der Verstand<br />
um die Dinge, sondern die Dinge sich um den Verstand<br />
drehen (I. Kant), hin zur lacan’schen Wende zu sprechen<br />
sei, in der sich der Verstand nun um sich selbst dreht, das<br />
heißt die Gedanken um sich selbst sich spinnen, was zu<br />
postmoderner Auflösung und Bedeutungsverlust führte.<br />
Jedenfalls entspricht der abendländisch modernen Einteilung<br />
in logische Klassen (meist Ober- und Unterordnungen) kein<br />
innerer Zusammenhang (außer am Rande ein hierarchischer),<br />
jedenfalls kein verbindlicher, gründender Halt. Das analoge<br />
System ganzheitlicher Ausrichtung hingegen kennt eine<br />
intuitive Verknüpfung, einen alogisch, analogen Bau der<br />
Welt, in dem beispielsweise die Farbe nachthimmelblau,<br />
Unendlichkeit, der Halbeselstein Lapislazuli, Wahrheitssuche,<br />
Gerechtigkeitssinn, Stirnchakra, Sternbild Schütze, Eule, Feuer,<br />
Stille zusammenhängen. Wie gesagt, schon bei Kandinsky<br />
finden sich ausgeprägte Aspekte solch Wissens, Ken Wilber<br />
formuliert gar gangbare Wege aus der Postmoderne heraus.<br />
Manfred Stangl: Ästhetik der Ganzheit<br />
www.sonneundmond.at