42 Buch VI - AUTO-<strong>ST</strong>AR Nr. <strong>26</strong>/2010 Alfa Romeo Classic Day in Balocco LEKTIONEN IN DEMUT UND ZWISCHENGAS Alfa Romeo lüftete seine Garagen und bat zum Pedale. TEXT UND FOTOS: DAVID <strong>ST</strong>ARETZ Rawazzz, rawazz, fazz, fazz, woarrrhggggrh, das fetzt wie Sägezähne durch die morgendlichen Ruhe der Backsteingaragenställe von Balocco, wo Fiat seine ausgedehnten Teststrecken unterhält. Es ist die Nervosität eines hochgezüchteten Rennmotors, die tiefe Furchen durch die Stille fräst, woarrrggggrh, woarrrggggrh, böse, dringlich, körperhaft geht das durch sämtliche Synapsen, stirbt plötzlich kalt ab, so unvermittelt, dass das Vakum der Stille Membranschmerzen bereitet. Die älteren Herren Mechaniker in ihren aufreizend hellblauen Overalls hantieren im Halbschatten der hochgestellten Motorhaube. Mit gegerbten Händen manipulieren sie die sensiblen Vergaserschräubchen. „Wenn man diesen organischen Krach hört und fühlt, muss man sich große Sorgen um die Zukunft der Elektroautos machen“, notiere ich. Hundert Jahre Alfa Romeo und kein Ende. Doch von allen rasanten, pompösen, originellen und Traditionen beschwörenden Veranstaltungen zu diesem Jubiläum mag dies vielleicht die innigste, wahrhaftigste und stimmigste sein: Alfa Romeo lüftet seine Garagen und bittet einige vertrauenswürdige Journalisten zum Pedale. Es sind keine zwanzig Kollegen eingeladen, entsprechend entspannt ist der Zudrang zu den knapp zwanzig Fahrzeugen (nämlich absoluten Raritäten), die hier zwanglos geparkt sind unter den Arkaden, von Baujahren zwischen 1910 und 1969. Darunter so gefeierte Schönheiten wie der TZ 2 (Turbolare Zagato) mit Rennmotor und Fiberglaskarosserie über dem Stahlrohrrahmen, der unwirkliche Bertone Carabo (Showcar 1968) oder der 1900 C52 Disco Volante, mit dem Tobias Moretti und Susanne Hofbauer die heurige Ennstal Classic bestritten (nachzulesen im Autorevue-Premiumheft) oder der unschlagbar selbstbewußt dastehende Gran Premio Tipo B Grand-Prix-Wagen von 1932. Ich suche mir für ein erstes Kennenlernen den 6C 2300 tipo „Mille Miglia“, der, wie alle massigen Ahnen-Racer, erst matronenhaft schwer und unzugänglich wirkt, mit zunehmender Vertrautheit aber ins Swingen und Singen gerät, als gälte es, mit dem überdimensionalen Steuerrad knapp vor der Brust die Straßen der Welt zum Tanz zu bitten. Erst noch ist es aber dieser unvergleichliche Duft alter Autos, der die Wahrnehmung bestimmt, diese grundvertraute Mischung aus Leder, Öl, Benzin und Gummi, aus angeschimmelten Dichtungen und sonnengegerbten Hölzern, aus miefigen Stoffen und leckenden Leitungen. Denn: so sehr diese Maschinen auch gewartet und gepflegt werden, so sind sie doch erfrischend lebensnah, bockig, spröde, ledersteif, sie müssen immer wieder neu zugerichtet und ins Leben gerufen werden, deshalb ist das Fahren ihr Element und das Plötzen, Knirschen, Krachen sind kernige Ausdrucksformen ihrer elementaren Daseinskraft. Da steckt unbequemes Leben drinnen, Abnützung und Verschleiß, auch das Risiko von Schäden, aber das gehört dazu, denn nur der Stillstand, das Museumspodest wäre ein wahrer Totpunkt. Mein Beifahrer im hellblauen Overall entspannt sich zusehends – schließlich hatte ich Zwischengasgeben noch in der Fahrschule auf dem alten 380 Steyr selig, und das war noch der letzte kunstvolle Eingriff des Menschen in das technische Wesen eines Automobils – sich die Zähne zwischen Haupt- und Vorgelegewelle herzurichten auf gleiche Drehzahl, damit sich die Zahnradpakete per Klaue über die Nuten verschieben ließen, da lässt sich jeder Zahn spüren am langen vibrierenden Hebel, und beim Hochschalten ließ man das Kupplungspedal im Leergang herauffedern, um die schnellere Zahnrad- Abteilung abzubremsen auf das erforderliche Maß. Respektvoll bemerke ich, dass Gas- und Bremspedal hier im Mille-Miglia-Haudegen so findig zusammengepaart sind, dass sich „Mit-Bremsen-kombiniertes-Zwischengasgeben“ mit Ferse und Ballen des rechten Fußes bewerkstelligen lässt, was unumgänglich war, wenn man hart bremsend auf eine Kurve zuschoss und schon den niedrigeren Gang benötigte. Ein nach außen hin verborgener Tanz zwischen Kraft und Feingefühl spielte sich da in den Renngeräten ab, hier musste brachial und zärtlich vorgegangen werden, wenn man sein Auto beherrschen wollte. Was wir heute tun, wenn wir in einem Lexus TFA auf eine Kurve zurasen, entspricht der simplen Bedienung einer modernen Digital-Automatikkamera. Das Mittagessen fällt heute aus, ich muss mich noch durch die restlichen Geräte durchkosten, dort steht schon der 1900 Sport Spider bereit mit vorgewärmtem Motor, und deshalb muss hier bitte auch der Schlusssatz fallen. Der Alfa Romeo 6C 2300 tipo Mille Miglia ist Baujahr 1938 hat 95 PS und wiegt 1340 kg. Ist also leichter, als er aussieht.
Nr. <strong>26</strong>/2010 Buch VI - AUTO-<strong>ST</strong>AR 43 Ja, früher fuhr man die Rennen rechtsgelenkt Auspuff und Aerodynamik am Alfetta- Monoposto, dem GP-Wagen von 1951 Der GTA 1300 Junior rotzt und plotzt beim Aufwärmen Sicherungskästen im Kompetenzbereich des Beifahrers Einer dieser vollmundigen, konkurrenzlos italienischen Ausdrücke Der 1750 Gran Sport, Ikone des GP- Sports der 30er Jahre Zentralverschlussfelgen, Wuchtgewichte Reduktion auf Notwendigkeit der Funktion Man beachte den Kniepolster rechts Klassischer geht’s nicht Der Disco Volante wirkt ausladend, hat aber ein enges Cockpit Im 6C 3000 CM raste Fangio zum Sieg im Gran Premio Supercorte Maggiore in Meran, 1953. Zuvor war er damit bei der Mille Miglia Zweiter geworden, Chassisprobleme hatten ihn aufgehalten.