ST:A:R_26
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Nr. <strong>26</strong>/2010 Buch VIII - Literatur<br />
67<br />
Brunnenmarkt Fotografiert von<br />
E v i t a<br />
Brunnenmarkt<br />
Elvira Faltermeier<br />
5. REINIGUNGS-<br />
RITUAL<br />
Über die Buchmesse selbst gibt es nichts,<br />
aber auch gar nichts zu sagen. Aber der<br />
Teufelsbekehrer hatte ein Rätsel zu lösen:<br />
wie können so viele Leute so viel Langeweile<br />
verursachen? War die Langeweile ein<br />
Sekret, von dem jeder einzelne Flachgeist<br />
ein bestimmtes Quantum absonderte, so<br />
dass sich bei Häufung von Flachgeistern<br />
die Quantität dieses farb und geruchlosen<br />
Stoffes erhöhte? So muss es sein. Ihm war<br />
in seinem Leben nur einmal so langweilig<br />
gewesen, als er an einem Kunstprojekt teilgenommen<br />
hatte. Millionen von Bücher,<br />
dazwischen Hunderttausende<br />
Leute, wie im vorkam, alle so<br />
schrecklich BMWhaft gekleidet,<br />
lackiert, gestylt, wichtig,<br />
teuer, gehetzt, uninteressant.<br />
Man wurde sich dort selbst<br />
als der neue Goethe fad, Man<br />
hing sich zum Hals heraus<br />
und wollte sofort Strichjunge<br />
werden, Junkie, Straßenkehrer,<br />
aber bitte, um Himmels<br />
willen, kein ‚Dichter‘. Wieso<br />
eigentlich? Weiß nicht, muss<br />
nachdenken. Jetzt brauchte er<br />
dringend den Rausch seines<br />
Lebens: also hurtig den Rapdepp<br />
anrufen und ihn notfalls<br />
einladen. DER VERLEGER<br />
hatte Familientag. Neun<br />
Kinder und zwei Frauen.<br />
Bei der befreundeten Konkurrenz<br />
sahs auch nicht viel besser aus. „Nie<br />
wieder“ war hier die einfache Rätsellosung.<br />
Ein bild popeln. Popelismus. Naseninhalt<br />
auf die Leinwand geschleimt. Popelismus<br />
pur. Popel um Popel, alles aus eigenen<br />
Beständen freilich, kein Fremder soll da die<br />
Nase reinstecken. Er saß auf der bequemen<br />
Couch, als das Telefon leutete, der Puddingteufel<br />
war am Parat. Also gut, gehen<br />
wir wieder mal ins ASYL. Schon länger her.<br />
Jetzt wo wir so viel Geld zu zweit haben, wie<br />
diese Müllmänner da unten alle miteinander.<br />
Der Popoet hatte einen Gedichtband mit<br />
gerapten Bibelzitaten veröffentlicht, woraufhin<br />
der Skandal losgegangen war. „Eines<br />
von diesen katholischen Scheißgesichtern<br />
in Wien mal an einen Baum nageln, damit<br />
ihnen die Tauben in die Schnauze brunzn“<br />
war sein Kommentar, abgedruckt in einem<br />
Lifestyle-<br />
Magazin.<br />
Morddrohungen.<br />
Auftritt in<br />
der ZIB 3.<br />
Er entblösst<br />
seinen<br />
Oberkörper<br />
und schreit,<br />
man solle<br />
ihn ans<br />
K r e u z<br />
binden,<br />
damit er<br />
ihnen mal<br />
ordentlich<br />
auf den<br />
Kopf scheißen<br />
könne,<br />
diesen katholischen Schlappschwänzen, so<br />
von oben, wie ihre alberne kleine Scheißfigur,<br />
dieser Heilige, den sie zu einem<br />
Dumpfbackensabbergreis haben gemacht,<br />
diese Kinderschändenden Wichser und<br />
holt seinen Schwanz raus und brunzt vor<br />
laufender Kamera den Geistlichen Hochwürden<br />
an. Noch mehr Skandal, zweite<br />
Auflage, dritte und sogar eine Vierte ist<br />
sich noch ausgegangen. Seither war er<br />
überall bekannt. Im Gefängnis interviewte<br />
ich, der hiesige Erzähler hier, ihn dann:<br />
Na ja, wurde auch schon Zeit, meinte er.<br />
Muss ja auch meine Miete zahlen, nicht?<br />
Während der andere, der Teufelsbekehrer,<br />
eine Erzählung gemacht hatte, die so<br />
ganz brav daherkam, aber eben vom Teufel<br />
handelt, der beim Einmarsch Hitlers dabei<br />
ist und sich nach einigen Versuchen, mit<br />
denen Nazis ins Gespräch zu kommen,<br />
wieder reuig dem Himmel zuwendet, weil<br />
er denkt, dass solche Idioten es nie zum<br />
wirklich Bösen bringen werden, und wenn<br />
nicht sie, wer sonst, so eine Mühe, wie er<br />
sich mit ihnen gegeben hat, weil sie innerlich,<br />
so bei sich, im stillen Kämmerlein, an<br />
das auch noch glauben, was sie tun und<br />
es mit all diesem Triefsinn begründen<br />
müssen, diese Flachwichser. Das schlug<br />
Wellen. Die einen erkannten<br />
darin eine Verharmlosung<br />
der Hitlerzeit, die andern<br />
eine tiefe Geschichte über<br />
die Bedingung der Möglichkeit<br />
des wirklich Bösen, das<br />
sich mit biederfeiger Unaufrichtigkeit<br />
so wenig verträgt,<br />
wie die Heiligkeit. Sagten<br />
die einen: was, und Hitler<br />
war nicht wirklich böse?<br />
Die Nazis waren nicht böse?<br />
Antworten sie Herr Teufelsbekehrer!<br />
Und er ließ ihnen<br />
über eine Literaturzeitschrift<br />
sagen, dass Hitler so wenig<br />
böse war, wie sie gut seien.<br />
Damit hatte man den Knochen<br />
um den man sich<br />
hündisch knurrend stritt.<br />
Aber alles redete von der<br />
neuen, wütenden Dichtergeneration,<br />
die wieder frischen Wind in die<br />
angestaubten Gemäuer der Altstadt bringt.<br />
Andere winkten nur ab: kennen wir schon<br />
alles, war alles schon da, nichts Neues auf<br />
diesem Planeten. Und so spazierte er eines<br />
Tages bei einem der Kritiker in die Redaktion<br />
und forderte ihn zu einem Schreiduell<br />
heraus. Bis dieser die Polizei rief. Und so<br />
kam alles in die immerfeuchten Klatschspalten.<br />
Der Verleger legte sich auf die Knie vor<br />
den Beiden und cashte ab, soviel er konnte.<br />
Und ließ ihnen auch ein paar Krümel<br />
übrig. Genug, um die Miete zu bezahlen.<br />
Aber sie alle wussten noch nichts von all<br />
dem, was noch auf sie zukam. Weil, hätten<br />
sies gewusst, hätten sie sich zu Hause auf<br />
die Betten gelegt und hätten lieber geschlafen,<br />
bis alles<br />
gar nicht<br />
stattgefunden<br />
hätte. Ja, ja,<br />
die Katastrophen<br />
kommen<br />
immer klammheimlich<br />
im<br />
Gefolge unserer<br />
größten<br />
Triumphe.<br />
Und je größer<br />
der Triumph,<br />
desto größer<br />
die Katastrophe.<br />
Das<br />
meine Herren<br />
und Damen<br />
können wir<br />
hier lernen.<br />
6. ENDLICH IM ASYL<br />
UND DAS LETZTE<br />
BESÄUFNIS<br />
Der Dichter war zuerst vor Ort. Das Asyl<br />
war ein Keller in dem laute Musik gespielt<br />
und Bier getrunken wurde. Doch roch es<br />
nach Moder und Haschisch. Das Gefühl<br />
eines Alkoholikers, wenn er knapp vor der<br />
Erlösung steht, ist ein<br />
kribbelndes Ziehen vom<br />
Bauch in die Kehle herauf<br />
beim Mund heraus und<br />
in Richtung Tränke. Ein<br />
Wärmestrom, in dem<br />
Lichtfunken tanzen,<br />
beginnt im Magen langsam<br />
zu kreisen. Er ist<br />
innerlich so leer wie<br />
ein Zenmönch vor dem<br />
Satori. Der Dichter geht<br />
mit verhaltenem Schritt<br />
zur Theke, obwohl er am<br />
liebsten hinüberspringen<br />
möchte, damit es<br />
schneller geht. Ein wunderschöner<br />
Jüngling,<br />
ganz schwarz gekleidet,<br />
steht mit wissenden<br />
Augen am Zapfhahn.<br />
Das erste Dunkle, das<br />
Fohrenburger, für das man weiß der Teufel<br />
wem zu danken hat, steht jetzt vor ihm und<br />
er macht den ersten, tiefen Schluck. Seine<br />
Freude war auch noch auf anderes gerichtet:<br />
alle lieben Freunde waren da, mit denen<br />
er schon so viele schöne, tiefe Dinge erlebt<br />
hatte. Aber da huscht ein Schatten über<br />
seine Seele. Sie tun alle so, als hätten sie ihn<br />
nicht gesehen. Niemand lässt ein Lächeln in<br />
seine Richtung schwappen. Nichts anmerken<br />
lassen. Er war schon lange nicht hier.<br />
Ob der Rapdepp wohl kommen wird? Er<br />
weiß natürlich, dass der hier jetzt einen größeren<br />
Stein im Brett hat, als er. Diese Bibelstrophen<br />
waren so flott und gewagt, wie die<br />
Leute gerne sein möchten. Also mochten sie<br />
lieber den Popoet,<br />
als ihn. Seine<br />
eigene Schreibe<br />
war sauber, klinisch<br />
fast. Auf die<br />
genaue Beschreibung<br />
des Objekts<br />
gezielt. Auch ein<br />
wenig kompliziert<br />
im Satzbau. Man<br />
musste langsam<br />
sein, Geduld haben.<br />
Erkenntnis suchen.<br />
Dann fand man sie<br />
bei ihm natürlich<br />
auch. Seine Sprache<br />
war der großen<br />
Tradition entlehnt<br />
und etwas umgebaut,<br />
an die heutigen<br />
Verhältnisse<br />
etwas angepasst. Aber natürlich nicht an<br />
IHRE Bedürfnisse. Sie wollten ständig das<br />
gleiche Gemauschel lesen, das sie den Tag<br />
über selbst von sich gaben, nur etwas einfallsreicher<br />
sollte es schon sein. Sie wollten<br />
sich selbst, aber etwas besser, in den Texten<br />
wiedererkennen, spiegeln. Sie wollten sensibel,<br />
aber flott sein, dynamisch, aber mit<br />
Tiefgang, unlogisch,<br />
aber tierlieb.<br />
Sie wollten<br />
verrucht sein,<br />
die schlimmsten<br />
Dinger<br />
gedreht, aber<br />
keine Vorstrafen<br />
haben. Sie<br />
fanden die<br />
Schwere, die<br />
Dunkelheit,<br />
das Komplizierte,<br />
das Philosophische,<br />
das Großmäulige,<br />
Ehrgeizige,<br />
das<br />
Großtuerische<br />
Große einfach<br />
widerlich. Sie<br />
wollten sich<br />
gut unterhalten,<br />
aber das Gefühl haben, dass sie dabei<br />
der Welt einen Gefallen machen. Warum<br />
begrüßte ihn keiner? Sie wollten gegen den<br />
Krieg ihre eigene Zunge rausstrecken: ätsch,<br />
ich mach nicht mit! Ich mag keine Sätze,<br />
die einen Anfang und ein Ende haben.<br />
Die sich logisch wie der Katechismus entwickeln,<br />
nachvollziehbar, bis ins kleinste<br />
Detail. Bitte nichts Verständliches, lieber<br />
was Persönliches, von Dir, so wie du bist<br />
Mann, und du bist so wie alle: ein kleiner<br />
Schas, hilflos am Meeresgrund. Nein, bin<br />
ich nicht. Ich bin Nietzsche, Heidegger und<br />
Sartre mit Foucault und Derrida und Franz<br />
von Assisi zusammen. Jeden Morgen erwache<br />
ich als Heiliger. Ich hätte nicht sollen<br />
hierher kommen. Na, Killiman, wie geht’s<br />
dir alte Schlachtenmutter. Aah, der schon<br />
wieder. An diesem Punkt angelangt, kam der<br />
Popoet. Nach außen hin kühl, ungerührt.<br />
Zwei Meter groß. Ein in diesem Augenblick<br />
des gesellschaftlich induzierten Selbstzweifels<br />
besonders ungünstiger Umstand. Er<br />
stellte sich neben den Dichter, der sofort zur<br />
Kirchenmaus schrumpfte, und dabei innerlich<br />
rot wurde. Sag musst du so lang sein?<br />
Was soll die blöde Frage, glaubst du, ich<br />
kann mich wegen dir runtermachen? Naa,<br />
das besorg<br />
schon ich.<br />
Ein großes<br />
Bier bitte,<br />
und einen<br />
neuen<br />
Gast. Ha,<br />
Schwester<br />
Silvia, was<br />
treibt dich<br />
in diese<br />
Einöde?<br />
Einöde<br />
sagst du<br />
dazu? Ich<br />
bin für<br />
Zweiöde,<br />
ha, ha, ha.<br />
Also hier<br />
hatten sie<br />
sich gefunden<br />
und der kleine Dichter stand im toten<br />
Winkel. Aber es gab da was bei ihm, das<br />
manche Leute Aufdringlichkeit nennen.<br />
Denn er brauchte dringend intelligente<br />
Betätigung und Freundlichkeit, also knallte<br />
er sich bewußt schwungvoll an einen der<br />
vollgesetzten Tische und begann mit allen<br />
Leuten zu reden. Bier floss in Strömen,<br />
Joints wurden Kiloweise geraucht und<br />
schließlich wars allen wurscht, wer wen<br />
mochte und wer wen nicht. Nur der nach<br />
außen hin coole Popoet hatte in seinem<br />
grauen Mantel das Verschwinden bewahrt.<br />
Und weg war er, mit, natürlich, Caroline.<br />
Der Dichter hatte ein Stadium erreicht,<br />
das die meisten Leute bei ihm kannten.<br />
Er beschimpfte jeden, der ihm in die Zick-<br />
Zack-Kurve lief. Na ja, halt noch einer, der<br />
glaubte, dass Dichter sowas machen, dachten<br />
sich die einen. Andere fühlten ein gewisses<br />
Mitleid. Aber einer fühlte sich langsam<br />
aber sicher böse werden. Und er hatte ein<br />
Messer in der Hand. Der Dichter stand<br />
genau vor seiner Nase und sagte gerade:<br />
hast du auch so eine Drüse im Nacken, die<br />
dauernd Gestank absondert, du Müllmann?<br />
Und rein in den Bauch mit dem Feitl und<br />
schneller Abgang. Mich kennt hier sowieso<br />
keiner. Der Dichter war am Boden, bevor<br />
er noch wußte, was geschehen war. Er war<br />
in einer Höhle, ganz allein und der Widerhall<br />
von Stimmen war zu hören und alles<br />
bewegte sich sehr langsam, schwebend. Ein<br />
bekanntes Gesicht in dem sich der Mund<br />
bewegte wackelte vor ihm auf und ab, aber<br />
er konnte nichts hören. Er spürte jetzt aber<br />
schon die Wunde und zugleich damit kriegte<br />
er sich wieder ein und stand auf. Noch ein<br />
Bier bitte und die Rettung. So war das. Man<br />
sagte später: hätte er sich nicht so blöd aufgeführt,<br />
recht geschieht ihm, einmal musste<br />
das ja passieren. Im Krankenhaus beutelte<br />
ihn die Wut. Er würde sich den Kerl holen.<br />
So viel stand fest. Und er stellte sich alles<br />
in den kleinsten Einzelheiten vor. Es muss<br />
nicht erwähnt werden, dass er mit einem<br />
befriedigten Lächeln entschlummerte und<br />
dass er sich den Kerl nicht holte.<br />
7. BEI DER BEFREUNDE-<br />
TEN KONKURRENZ<br />
Erste Szene: du legst dich auf den Bauch<br />
und ich fick dich in den Anus.<br />
Zweite Szene: ich lieg am Bauch und du<br />
zertrümmerst eine Bierflasche auf meinem<br />
Kopf.<br />
Dritte Szene: wir gehen zusammen zu Mc<br />
Donalds und essen Wienerschnitzel.<br />
Das ganze lassen wir mit ein paar Geräuschen<br />
immer wiederholen.<br />
Vierte Szene: wir legen uns gemeinsam<br />
in die Gehirnwaschmaschine und heraus<br />
kommt ein kleiner Spatz. Schließlich bezahlen<br />
wir die Ärzte und verschwinden in der<br />
Kanalisation, was hältst du davon?<br />
Zuerst will ich aber einen Kaffee. Ohne<br />
Kaffee geht um die Zeit gar nichts.<br />
8. DER VERLEGER<br />
SO. Das hätten wir. Und jetzt rein in den<br />
Flieger, kommt ihr Kinderlein kommet,<br />
Marlies hast du den schwarzen Geldkoffer<br />
dabei, ja, sehr gut. Und all diese Literaturaffen<br />
können durch die Finger gaffen.<br />
Wiedersehen, oder vielmehr Nimmerwiedersehen,<br />
ihr Tiefflieger.<br />
9. DAS GROSSE FINALE<br />
Der Dichter schrieb an der nächsten Erzählung<br />
mit dem Titel: „Die Rückkehr des<br />
Satans“.<br />
Der POPOet wurde in Amerika ein großer<br />
Star und machte dort in Biofeedback.<br />
Der Verleger zeugte ein zehntes Kind mit<br />
einer dritten Frau. Die Sau.