23.12.2012 Aufrufe

Fachzeitschrift "Gewerbemiete und Teileigentum" (GuT)

Fachzeitschrift "Gewerbemiete und Teileigentum" (GuT)

Fachzeitschrift "Gewerbemiete und Teileigentum" (GuT)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Magazin<br />

Politik <strong>und</strong> Recht<br />

BVerfG-Pressemitteilung Nr. 79/2004 vom 12. 8. 2004<br />

Werbung eines Rechtsanwalts mit der Bezeichnung<br />

„Spezialist für Verkehrsrecht“ im Briefkopf<br />

Ein Rechtsanwalt, der auf seinem Briefkopf die Bezeichnung<br />

als „Spezialist für Verkehrsrecht“ führte (Beschwerdeführer;<br />

Bf), hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen<br />

das berufsrechtliche Verbot dieser Selbstbezeichnung vor<br />

dem B<strong>und</strong>esverfassungsgericht Erfolg (Beschluss vom 28. Juli<br />

2004 – 1 BvR 159/04 –). Die 2. Kammer des Ersten Senats<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts hat den angegriffenen Beschluss<br />

des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs aufgehoben.<br />

Dieser Beschluss <strong>und</strong> der Bescheid der Rechtsanwaltskammer<br />

verletzen den Bf in seinem Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 12<br />

Abs. 1 des Gr<strong>und</strong>gesetzes. Die Sache wurde an den Anwaltsgerichtshof<br />

zurückverwiesen.<br />

1. Zum Sachverhalt: Der Bf ist seit über 40 Jahren als<br />

Rechtsanwalt zugelassen <strong>und</strong> Mitglied einer Anwaltssozietät.<br />

Er beschäftigt sich jahrzehntelang in zahlreichen Funktionen<br />

rechtstheoretischer wie -praktischer Art mit dem Gebiet des<br />

Verkehrsrechts. Der Bf wollte diese Spezialisierung im Verkehrsrecht<br />

Rechtsuchenden deutlich machen. Er teilte der für<br />

ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer mit, dass er sich künftig<br />

als „Spezialist für Verkehrsrecht“ bezeichnen werde, da es<br />

eine Fachanwaltschaft für Verkehrsrecht bislang nicht gebe.<br />

Die Angabe von Interessen- <strong>und</strong> Tätigkeitsschwerpunkten sei<br />

nicht ausreichend, seine tatsächlich vorhandene Spezialisierung<br />

nach außen k<strong>und</strong> zu tun. Der Bf wurde durch die Rechtsanwaltskammer<br />

zur Unterlassung der Selbstbezeichnung als<br />

Spezialist auf dem Briefkopf aufgefordert. Rechtsmittel blieben<br />

ohne Erfolg. Der Begriff Spezialist sei missverständlich<br />

<strong>und</strong> weiche von den gesetzlich vorgegebenen Begrifflichkeiten<br />

ab. Mit seiner Vb rügt der Bf im Wesentlichen eine Verletzung<br />

von Art. 12 Abs. 1 GG.<br />

2. Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

ist den Angehörigen der freien Berufe nicht jede, sondern lediglich<br />

die berufswidrige Werbung verboten. Berufswidrig ist<br />

Werbung, die nicht interessengerecht <strong>und</strong> sachangemessen informiert.<br />

Einschränkende staatliche Maßnahmen bedürfen einer<br />

gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage, die ihrerseits den Anforderungen<br />

der Verfassung an gr<strong>und</strong>rechtsbeschränkende Gesetze<br />

genügen muss.<br />

Nach den werberechtlichen Vorschriften der Berufsordnung<br />

für Rechtsanwälte sind dem Anwalt alle Informationen über<br />

seine Dienstleistungen <strong>und</strong> seine Person erlaubt, soweit die<br />

Angaben sachlich unterrichten <strong>und</strong> berufsbezogen sind. Jedoch<br />

darf er nur in Praxisbroschüren, R<strong>und</strong>schreiben <strong>und</strong> anderen<br />

vergleichbaren Informationsmitteln zur Bewerbung von<br />

Teilbereichen der Berufstätigkeit auch über anderes als über<br />

Interessen- <strong>und</strong> Tätigkeitsschwerpunkte sowie Fachanwaltsbezeichnungen<br />

informieren. Diese die Informationsmöglichkeiten<br />

einschränkenden Regelungen sind nach ihrem Wortlaut<br />

zu restriktiv gefasst. Weder sind sie zur Erreichung der hiermit<br />

verfolgten Gemeinwohlzwecke erforderlich, noch sind sie<br />

verhältnismäßig.<br />

Die werberechtlichen Vorschriften sollen die Unabhängigkeit<br />

des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sichern.<br />

Verboten werden können Werbemethoden, die Ausdruck eines<br />

rein geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orien-<br />

Magazin<br />

tierten Verhaltens sind, sowie insbesondere diejenige Werbung,<br />

die den Rechtsuchenden in die Irre führen kann. Sofern<br />

jedoch zutreffende Angaben über die spezielle Qualifikation<br />

des Anwalts in sachlicher Form erfolgen <strong>und</strong> die Angaben<br />

nicht irreführend sind, lässt sich ein Verbot der Selbstdarstellung<br />

nicht von Verfassungs wegen rechtfertigen. Auch ein zur<br />

Selbstdarstellung gewähltes Medium kann für sich betrachtet<br />

nicht die Unzulässigkeit der Werbung begründen. Die die Informationsmöglichkeiten<br />

einschränkenden Vorschriften der<br />

Berufsordnung der Rechtsanwälte sind nur bei entsprechender<br />

Auslegung verfassungskonform. Auch bei der Wahl anderer<br />

als der in den Vorschriften der Berufsordnung genannten<br />

Medien wie etwa Praxisbroschüren <strong>und</strong> R<strong>und</strong>schreiben ist<br />

lediglich eine berufswidrige Werbung unzulässig. Im Rahmen<br />

der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung ist das Informationsinteresse<br />

der rechtsuchenden Bevölkerung mit den Belangen<br />

der Rechtspflege in Ausgleich zu bringen. Vorliegend<br />

ist zweifelhaft, ob die in der Berufsordnung zur Verfügung gestellten<br />

Merkmale <strong>und</strong> Begriffe diesem Informationsinteresse<br />

auf Seiten der Nachfrager <strong>und</strong> der Leistungserbringer gerecht<br />

werden. Denn die abgestufte Information über Interessenschwerpunkt,<br />

Tätigkeitsschwerpunkt <strong>und</strong> Fachanwalt ist<br />

überhaupt nur dort aussagekräftig, wo es eine Fachanwaltschaft<br />

gibt. Fachanwälte sind aber nicht notwendig Spezialisten.<br />

Angesichts der Weite der Tätigkeitsfelder, für die Fachanwaltschaften<br />

eingerichtet sind, <strong>und</strong> der Fülle der Schwerpunkte,<br />

die nebeneinander geführt werden dürfen, wird insoweit<br />

keine Spezialisierung vorausgesetzt. Mit der Außendarstellung<br />

als Spezialist wehrt ein Anwalt zugleich die Inanspruchnahme<br />

in sonstigen Materien weitgehend ab. Die damit<br />

verb<strong>und</strong>ene dauerhafte Einengung der Berufstätigkeit<br />

kann mit den Begriffen des Schwerpunkts oder der Fachanwaltsbezeichnung<br />

nicht ausgedrückt werden.<br />

Diesen Gr<strong>und</strong>sätzen werden die angegriffenen Entscheidungen<br />

nicht gerecht. Die Grenze zwischen verbotenen <strong>und</strong><br />

erlaubten Handlungsformen haben im Einzelfall die Fachgerichte<br />

unter Abwägung des Gr<strong>und</strong>rechts auf Berufsausübungsfreiheit<br />

mit den Zwecken des Werbeverbots zu ziehen.<br />

Hier ist nicht ersichtlich, dass Rechtsuchende dadurch in die<br />

Irre geführt werden könnten, dass der Bf sich auch auf seinem<br />

Briefkopf <strong>und</strong> nicht nur in Faltblättern, im Internet oder<br />

in Kanzleibroschüren als Verkehrsrechtsspezialisten bezeichnet.<br />

Eine Verwechslung mit einer Fachanwaltsbezeichnung ist<br />

nicht möglich, da es einen Fachanwalt für Verkehrsrecht nicht<br />

gibt. Eine Irreführungsgefahr bestünde, wenn der Bf tatsächlich<br />

im allgemeinen Wortsinn kein Spezialist wäre. Dies wird<br />

hier jedoch nicht geltend gemacht. Dem k<strong>und</strong>igen Rechtsuchenden<br />

ist auch zuzutrauen, dass er die im Gesetz gewählten<br />

Begriffe – Schwerpunkt oder Fachanwalt – nicht mit anderen,<br />

wie etwa dem Spezialistenbegriff, gleichsetzt. Das ist<br />

hier aber nicht entscheidend. Bestünde tatsächlich Verwechslungsgefahr,<br />

käme es nicht mehr auf das Medium an, in dem<br />

der irreführende Ausdruck verwandt wird.<br />

Dem Bf wurde zwar zugestanden, den Begriff des Spezialisten<br />

in Praxisbroschüren, R<strong>und</strong>schreiben <strong>und</strong> anderen vergleichbaren<br />

Informationsmitteln wie etwa dem Internet zu nutzen.<br />

Das Gewicht der verbleibenden Werbebeschränkung<br />

bleibt dennoch gemessen am Gr<strong>und</strong>recht der Berufsausübungsfreiheit<br />

ungerechtfertigt. Vorliegend fehlt es schon an<br />

konkret benennbaren Gemeinwohlbelangen, die die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

bestehende Informationsfreiheit von Anbieter <strong>und</strong><br />

Nachfrager zulässigerweise einzuschränken vermögen.<br />

248 <strong>Gewerbemiete</strong> <strong>und</strong> Teileigentum · 6/04 · November/Dezember 2004

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!