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Schwerer Fall von Tsundoku<br />
Tsundoku und Torschlusspanik<br />
Ich leide an einem schweren Fall<br />
von Tsundoku. Fast fürchte ich,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht heilbar ist – jedenfalls<br />
nicht vor meinem Ruhestand<br />
und der liegt noch Jahre in<br />
der Zukunft. Wenn ich nämlich<br />
mein Bücherregal anschaue, dann<br />
schaue ich auf viele wohlvertraute<br />
Freunde, aber auch auf Buchrücken<br />
von Werken, deren Titel ich<br />
alle interessant fand und die ich<br />
mir deshalb besorgt habe. Aber<br />
gelesen habe ich sie nicht. Noch<br />
nicht! Bilde ich mir jedenfalls ein.<br />
Zwar habe ich die Ausrede, <strong>das</strong>s<br />
ich schließlich die Buchbesprechungen<br />
im Stadtgespräch mache<br />
und deshalb viele Bücher brauche,<br />
denn ich bespreche nur diejenigen,<br />
die mir tatsächlich gefallen. Aber<br />
ehrlich gesagt bin ich auch schon<br />
früher an keinem Buchladen vorbeigekommen,<br />
ohne hinein zu gehen<br />
und – und <strong>das</strong> ist der Punkt<br />
– ohne mindestens ein Buch zu<br />
kaufen. Für <strong>das</strong> mir dann die Zeit<br />
zum Lesen fehlt. Die Japaner haben<br />
für eben dieses Phänomen ein<br />
eigenes Wort, nämlich Tsundoku.<br />
Zufall als Entdecker<br />
Aber nicht nur die Japaner haben<br />
ganz eigene Worte für bestimmte<br />
Phänomene. Zum Beispiel dafür,<br />
<strong>das</strong>s man nach etwas sucht und<br />
zufällig dabei auf etwas anderes<br />
stößt. So wie Kolumbus, der eigentlich<br />
den westlichen Seeweg<br />
nach Indien finden wollte und dabei<br />
Amerika für die Europäer entdeckt<br />
hat. Oder Wilhelm Conrad<br />
Röntgen, der am achten November<br />
1895 seine größte wissenschaftliche<br />
Leistung zufällig im Laufe eines<br />
Experiments entdeckte, nämlich<br />
die von ihm so genannten X-Strahlen,<br />
die nach seinem Tod Röntgenstrahlen<br />
hießen und allein in anderen<br />
Sprachen, zum Beispiel dem<br />
Englischen, noch x-rays sind. Ein<br />
Beispiel aus neuerer Zeit sind die<br />
gelben Post-its. 1968 sollte Spencer<br />
Silver von der Minnesota Mining<br />
and Manufacturing Company eigentlich<br />
einen Superklebstoff entwickeln.<br />
Doch <strong>das</strong> klappte nicht,<br />
stattdessen brachte er nur eine<br />
klebrige Masse zustande, die nicht<br />
doll klebte und sich dann auch<br />
noch rückstandslos wieder von<br />
glatten Oberflächen lösen ließ. Im<br />
Englischen nennt man dieses Phänomen<br />
des zufälligen Entdeckens<br />
serendipity, ein Begriff, den Horace<br />
Walpole schon 1754 in einem Brief<br />
prägte. Sogar ein Saurier, dessen<br />
Verwandtschaft zu anderen Sauriern<br />
zufällig entdeckt wurde, heißt<br />
heute Serendipaceratops.<br />
Wenn dieses Tor sich schließt, ist Panik vielleicht angebracht.<br />
Dornröschenschlaf und<br />
Schadenfreude<br />
Doch auch im Deutschen haben<br />
wir mehr als einen Ausdruck, den<br />
andere Sprachen nicht kennen.<br />
So zum Beispiel Torschlusspanik.<br />
Das lässt sich in andere Sprachen<br />
nur schwer übersetzen. Im Englischen<br />
gibt es immerhin ein anschauliches<br />
sprachliches Bild, <strong>das</strong><br />
übersetzt heißt »Angst haben, <strong>das</strong><br />
Boot zu verpassen«. Im Französischen<br />
und Spanischen lautet die<br />
Übersetzung: »Angst haben, etwas<br />
Wichtiges im Leben zu verpassen«<br />
– wie langweilig. Oftmals wird<br />
Torschlusspanik im Deutschen<br />
im Zusammenhang mit Frauen<br />
gebraucht, die befürchten in <strong>das</strong><br />
Alter zu kommen, in dem sie keine<br />
Kinder mehr bekommen können.<br />
Die Wortherkunft von Torschlusspanik<br />
hat wohl damit zu tun, <strong>das</strong>s<br />
die Tore der Stadt oder des Klosters<br />
über Nacht geschlossen wurden –<br />
und dann war man schutzlos wilden<br />
Tieren und räuberischem Gesindel<br />
ausgeliefert. Mit Verpassen<br />
hat auch der schlecht übersetzbare<br />
Ausdruck Dornröschenschlaf<br />
zu tun. Wer den Anschluss an die<br />
Moderne verpasst hat, ruhte wohl<br />
wie Dornröschen im Schönheitsschlaf<br />
– wie die deutsche Autoindustrie<br />
bei den Elektroautos.<br />
Ein weiteres Wort, <strong>das</strong> ich schon<br />
mehrmals in englischen Texten<br />
gelesen habe, ist Schadenfreude.<br />
T.C. Boyle benutzt in seinem Roman<br />
»Terranauten« <strong>das</strong> deutsche<br />
Wort, da offenbar kein englisches<br />
die Freude des einen über <strong>das</strong> Missgeschick<br />
des anderen so treffend<br />
ausdrückt. Doch es gibt auch Beispiele,<br />
die nicht auf fiesen Volkscharakter<br />
schließen lassen. Im<br />
gleichen Roman kommt »gemütlich«<br />
als deutsches Wort vor. Auch<br />
da war cosy oder snug wohl nicht<br />
nah genug an dem, was der vielbelesene<br />
Autor meinte. Vielleicht<br />
hängt gemütlich auch mit kaltem<br />
Wetter zusammen – Boyle lebt im<br />
sonnigen Kalifornien. Gemütlichkeit<br />
kann ja eher bei Minustemperaturen<br />
gesteigert werden. Daher<br />
kennen die Dänen <strong>das</strong> Wort auch,<br />
nämlich als hyggeligt. Mir fallen<br />
noch weitere Beispiele, ein, doch<br />
davon demnächst mehr.<br />
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