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das Stadtgespraech Ausgabe Februar 2019

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53<br />

Schwerer Fall von Tsundoku<br />

Tsundoku und Torschlusspanik<br />

Ich leide an einem schweren Fall<br />

von Tsundoku. Fast fürchte ich,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht heilbar ist – jedenfalls<br />

nicht vor meinem Ruhestand<br />

und der liegt noch Jahre in<br />

der Zukunft. Wenn ich nämlich<br />

mein Bücherregal anschaue, dann<br />

schaue ich auf viele wohlvertraute<br />

Freunde, aber auch auf Buchrücken<br />

von Werken, deren Titel ich<br />

alle interessant fand und die ich<br />

mir deshalb besorgt habe. Aber<br />

gelesen habe ich sie nicht. Noch<br />

nicht! Bilde ich mir jedenfalls ein.<br />

Zwar habe ich die Ausrede, <strong>das</strong>s<br />

ich schließlich die Buchbesprechungen<br />

im Stadtgespräch mache<br />

und deshalb viele Bücher brauche,<br />

denn ich bespreche nur diejenigen,<br />

die mir tatsächlich gefallen. Aber<br />

ehrlich gesagt bin ich auch schon<br />

früher an keinem Buchladen vorbeigekommen,<br />

ohne hinein zu gehen<br />

und – und <strong>das</strong> ist der Punkt<br />

– ohne mindestens ein Buch zu<br />

kaufen. Für <strong>das</strong> mir dann die Zeit<br />

zum Lesen fehlt. Die Japaner haben<br />

für eben dieses Phänomen ein<br />

eigenes Wort, nämlich Tsundoku.<br />

Zufall als Entdecker<br />

Aber nicht nur die Japaner haben<br />

ganz eigene Worte für bestimmte<br />

Phänomene. Zum Beispiel dafür,<br />

<strong>das</strong>s man nach etwas sucht und<br />

zufällig dabei auf etwas anderes<br />

stößt. So wie Kolumbus, der eigentlich<br />

den westlichen Seeweg<br />

nach Indien finden wollte und dabei<br />

Amerika für die Europäer entdeckt<br />

hat. Oder Wilhelm Conrad<br />

Röntgen, der am achten November<br />

1895 seine größte wissenschaftliche<br />

Leistung zufällig im Laufe eines<br />

Experiments entdeckte, nämlich<br />

die von ihm so genannten X-Strahlen,<br />

die nach seinem Tod Röntgenstrahlen<br />

hießen und allein in anderen<br />

Sprachen, zum Beispiel dem<br />

Englischen, noch x-rays sind. Ein<br />

Beispiel aus neuerer Zeit sind die<br />

gelben Post-its. 1968 sollte Spencer<br />

Silver von der Minnesota Mining<br />

and Manufacturing Company eigentlich<br />

einen Superklebstoff entwickeln.<br />

Doch <strong>das</strong> klappte nicht,<br />

stattdessen brachte er nur eine<br />

klebrige Masse zustande, die nicht<br />

doll klebte und sich dann auch<br />

noch rückstandslos wieder von<br />

glatten Oberflächen lösen ließ. Im<br />

Englischen nennt man dieses Phänomen<br />

des zufälligen Entdeckens<br />

serendipity, ein Begriff, den Horace<br />

Walpole schon 1754 in einem Brief<br />

prägte. Sogar ein Saurier, dessen<br />

Verwandtschaft zu anderen Sauriern<br />

zufällig entdeckt wurde, heißt<br />

heute Serendipaceratops.<br />

Wenn dieses Tor sich schließt, ist Panik vielleicht angebracht.<br />

Dornröschenschlaf und<br />

Schadenfreude<br />

Doch auch im Deutschen haben<br />

wir mehr als einen Ausdruck, den<br />

andere Sprachen nicht kennen.<br />

So zum Beispiel Torschlusspanik.<br />

Das lässt sich in andere Sprachen<br />

nur schwer übersetzen. Im Englischen<br />

gibt es immerhin ein anschauliches<br />

sprachliches Bild, <strong>das</strong><br />

übersetzt heißt »Angst haben, <strong>das</strong><br />

Boot zu verpassen«. Im Französischen<br />

und Spanischen lautet die<br />

Übersetzung: »Angst haben, etwas<br />

Wichtiges im Leben zu verpassen«<br />

– wie langweilig. Oftmals wird<br />

Torschlusspanik im Deutschen<br />

im Zusammenhang mit Frauen<br />

gebraucht, die befürchten in <strong>das</strong><br />

Alter zu kommen, in dem sie keine<br />

Kinder mehr bekommen können.<br />

Die Wortherkunft von Torschlusspanik<br />

hat wohl damit zu tun, <strong>das</strong>s<br />

die Tore der Stadt oder des Klosters<br />

über Nacht geschlossen wurden –<br />

und dann war man schutzlos wilden<br />

Tieren und räuberischem Gesindel<br />

ausgeliefert. Mit Verpassen<br />

hat auch der schlecht übersetzbare<br />

Ausdruck Dornröschenschlaf<br />

zu tun. Wer den Anschluss an die<br />

Moderne verpasst hat, ruhte wohl<br />

wie Dornröschen im Schönheitsschlaf<br />

– wie die deutsche Autoindustrie<br />

bei den Elektroautos.<br />

Ein weiteres Wort, <strong>das</strong> ich schon<br />

mehrmals in englischen Texten<br />

gelesen habe, ist Schadenfreude.<br />

T.C. Boyle benutzt in seinem Roman<br />

»Terranauten« <strong>das</strong> deutsche<br />

Wort, da offenbar kein englisches<br />

die Freude des einen über <strong>das</strong> Missgeschick<br />

des anderen so treffend<br />

ausdrückt. Doch es gibt auch Beispiele,<br />

die nicht auf fiesen Volkscharakter<br />

schließen lassen. Im<br />

gleichen Roman kommt »gemütlich«<br />

als deutsches Wort vor. Auch<br />

da war cosy oder snug wohl nicht<br />

nah genug an dem, was der vielbelesene<br />

Autor meinte. Vielleicht<br />

hängt gemütlich auch mit kaltem<br />

Wetter zusammen – Boyle lebt im<br />

sonnigen Kalifornien. Gemütlichkeit<br />

kann ja eher bei Minustemperaturen<br />

gesteigert werden. Daher<br />

kennen die Dänen <strong>das</strong> Wort auch,<br />

nämlich als hyggeligt. Mir fallen<br />

noch weitere Beispiele, ein, doch<br />

davon demnächst mehr.<br />

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