36 WIRTSCHAFT+MARKTWindenergie – hier der Windpark Druiberg in Sachsen-Anhalt – spielt im Energie-Mix eine wichtige Rolle, reicht aber allein für die Energiewende nicht aus.DIE ENERGIEWENDE HATNOCH EINEN WEITENWEG VOR SICHDie Energiewende ist in aller Munde. In der Praxis ist die Umstellung der gesamtenEnergieversorgung auf erneuerbare Energien in vielen Bereichen abernoch im Anfangsstadium. Die Herausforderungen sind nach wie vor immens.VON PROF. DR. KLAUS-DIETER BARBKNECHT,REKTOR DER TU BERGAKADEMIE FREIBERGFoto: Windpark DruibergW+M – FRÜHJAHR/SOMMER 2021
ZUKUNFT GESTALTENWIRTSCHAFT+MARKT 37Foto: Detlev Müller / TU Bergakademie FreibergDDer politisch geprägte Begriff der Energiewendesuggeriert, dass gegenwärtig einefundamentale Änderung der gesamten Energieversorgungund damit der Ressourcen fürden Primärenergieverbrauch vollzogen wird.Nüchtern betrachtet sind wir von einer solchenÄnderung in der Realität sowohl national alsauch international aber noch sehr weit entfernt.Fakt ist: Nur im Bereich der elektrischen Energiehat es bisher nennenswerte Entwicklungengegeben. Betrachtet man jedoch alle großenSektoren des Primärenergieverbrauchs –nämlich Transport, Industrie, Gebäude undnichtenergetischen Verbrauch –, stellt manschnell fest, dass die fossilen Energieträgernach wie vor die Hauptrolle spielen.So stellen etwa Öl, Kohle und Erdgas momentannoch rund 80 Prozent aller Primär energieträger,nur etwa 20 Prozent verteilen sich auferneuerbare Energieträger wie etwa Biomasse,Wasserkraft und Kernenergie. Bei einemsteigenden Weltwirtschaftswachstum istzudem davon auszugehen, dass der Primärenergieverbrauchmit wachsendem Wohlstandinsbesondere in großen und bevölkerungsreichenWeltregionen in einem höheren Maßeansteigen wird, als dies Einsparungen in Europaund Nordamerika kompensieren können.Gleichzeitig ist natürlich nicht wegzudiskutieren,dass die Erderwärmung und die damiteinhergehende Klimaveränderung deutlicheBedrohungen für die Welt und die Menschheitdarstellen und nach heutigem Kenntnisstandauch – und zwar in signifikanter Größenordnung– auf das „Verbrennen“ fossiler Rohstoffezurückzuführen ist. Mit diesem Wissenergeben sich zwangsläufig Herausforderungenhinsichtlich der Bereitstellung bezahlbarerEnergie für den Verbraucher, die für dieMenschen zugänglich ist und nicht zum reinenLuxusgut nur für industriell hochentwickelteWeltregionen wird.Energiebedarf wächst weltweit rasantWeltweit ist insbesondere in Eurasien, Indien,China, Afrika, Südamerika und Südostasienbis 2040 mit einem enorm ansteigendenEnergiehunger zu rechnen. Dem werden wirallein mit der Umstellung der Stromerzeugungauf erneuerbare Energieträger nicht gerechtwerden können. Die hierzu mir bekanntenverschiedenen Studien sind hinsichtlich derAnalyse der Ausgangsvoraussetzungen undder in Betracht gezogenen Szenarien zwar unterschiedlich,jedoch in der Grundaussage einig,dass die fossilen Energieträger auch 2050noch die Hauptrolle in der Primärenergieversorgungspielen werden und zwar sowohlhinsichtlich ihres Anteils an den Primärenergieversorgungsträgernals auch hinsichtlichihres Gesamtvolumens. Es stellt schon einebeachtliche Herausforderung dar, wenigstensden wachsenden Stromverbrauch weltweit miterneuerbaren Energien abzudecken, was optimistischeStudien durchaus für möglich halten.Das alles soll und darf uns zwar nicht davonabhalten, alles für die Abkehr von fossilenEnergieträgern zu tun, aber das Resümee aufdie Frage, wie es um die Energiewende steht,muss leider mit „ schlecht – sowohl global alsauch national“ beantwortet werden.Chancen und Risiken derEnergiewendeOptimistisch stimmt, dass der größte Teil derNationen seine Anstrengungen zur Lösungdes Problems in den letzten Jahren enormgesteigert hat. Wenn die Wirtschaft entdeckt,dass der Klimaschutz ein Geschäftsmodellzur Gewinnmaximierung sein kann, werdendie Anstrengungen diesbezüglich exponentiellwachsen. Wenn die Regierungen dieser Weltdazu noch klar definierte Ziele vorgeben, binich zuversichtlich, dass es zu konkreten Lösungenkommen wird.Doch es bestehen auch Risiken: Dazu gehörenselektive Vorgaben und Förderungen für ausgewählteMethoden oder Technologien seitensder Politik. Dieser Fehler wurde in der Vergangenheitbereits gemacht: Mit der einseitigenFörderung von Windkraft und Solaranlagenin den 1990er- und 2000er-Jahren wurdenandere Technologien und Energieträger wiez. B. Erdgas vernachlässigt. Ähnliches erlebenwir aktuell mit dem Hype um die Wasserstofftechnologien.Wasserstoff ist sicherlicheine Möglichkeit der Energiespeicherung undder Erzeugung sauberer Energie, aber nichtdie alleinige. Wir sollten offener herangehenund Überlegungen zu anderen Methoden undTechnologien gleichermaßen fördern.Zudem sind die mit der Erzeugung von erneuerbarenEnergien einhergehenden Risiken fürRessourcen, Umwelt, Kosten und Versorgungssicherheitnoch nicht hinreichend betrachtet.Hier verschließen wir ob der großen Herausforderungendes Klimawandels allzu schnelldie Augen und überlassen die Klärung darausgegebenenfalls erwachsender Probleme denzukünftigen Generationen. Als Beispiele seiendas Recycling von alten Solar- oder Windkraftanlagenoder die Entsorgung von atomaremAbfall in den Atomkraftanlagen genannt.Aufgaben für die ZukunftWir haben weiterhin einen enormen Forschungs-bedarf beispielsweise in den Fragen der Ersetzungvon Primärenergierohstoffen, in der Optimierungvon Prozessen, in der Energieeinsparungoder in der Speicherung von erneuerbarenEnergien. Doch nicht nur die Forschung stehtim Fokus. Wir können und müssen alle etwastun durch eine Umstellung unseres eigenenVerbrauchsverhaltens. Die derzeitige durchCovid-19 verursachte schwere gesellschaftliche,wirtschaftliche und vielerorts persönliche Krisehat zu neuen Prozessen und zum Verzicht aufliebgewordene Gewohnheiten geführt. Plötzlichist vieles möglich, was vorher nicht einmalgedacht wurde, wie z. B. die Digitalisierung vonTeam-Meetings und Wissensvermittlung. Dassollte auch für die Energiewende gelten undzwar möglichst, bevor wir durch eine noch spürbarereKrise dazu gezwungen werden.Prof. Dr. Klaus-Dieter BarbknechtLesen Sieden ausführlichenBeitrag onlineW+M – FRÜHJAHR/SOMMER 2021