Zdirekt! 02-2021
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TITELTHEMA 17<br />
Christian Lindner<br />
Wer in den 2000er Jahren Politikwissenschaft in Bonn<br />
studiert hat, konnte im Hörsaal auf Christian Lindner<br />
treffen. Um den späteren FDP-Vorsitzenden zu verstehen,<br />
dürften neben Porsche und Start-Up andere<br />
Schlaglichter aus dieser Zeit bedeutender sein. In einem<br />
Sammelband über Föderalismustheorien schrieb er<br />
seinerzeit: „Frühere Phasen der Staatenbildung lassen<br />
„institutionelle Sedimente“ zurück, die eine von den<br />
Ausgangsbedingungen unabhängige, selbstreproduktive<br />
Stabilität gewinnen und eo ipso nur Strukturvariationen<br />
erlauben.“<br />
Die theoretisch fundierte Vogelperspektive entspricht<br />
seinem Grundwesen und begleitete seinen rasanten<br />
politischen Aufstieg (2004: Landesgeneralsekretär<br />
NRW, 2009: Bundesgeneralsekretär, 2012: Landesvorsitzender<br />
NRW, 2013: Bundesvorsitzender, 2017: Fraktionsvorsitzender<br />
im Bundestag). Der 42-Jährige kennt<br />
den Teich, in dem er schwimmt und spricht mitunter<br />
mehr über den Teich als über dessen kleine Fische. Deren<br />
Belange kümmern ihn, Faszination lösen sie jedoch<br />
erst über ihre Interaktion mit dem Teich aus. Stets in<br />
Führungspositionen waren die großen Linien seine Materie,<br />
weniger die Detailregelungen.<br />
Zufälle und ein taktisch kluger Rücktritt als Generalsekretär<br />
ließen ihn stets als Retter und nicht als<br />
Machtdrängler auftreten. 2012 führte der gebürtige<br />
Wermelskirchener seine Partei in NRW gegen einen<br />
Krisentrend mit starkem Ergebnis in den Landtag und<br />
2017 gelang ihm als Bundesvorsitzender der Wiedereinzug<br />
in den Bundestag. Die ersten „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen<br />
der Bundesgeschichte endeten sodann<br />
mit dem Satz: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch<br />
zu regieren.“<br />
Hier stehen Christian Lindner und die FDP (beide darum<br />
kämpfend, nicht als identisch wahrgenommen zu werden)<br />
nun: Die FDP wurde aus der Versenkung geholt,<br />
theoretisch wieder grundiert, aber von der Bundesregierung<br />
ferngehalten. Lindner wird gegebenenfalls<br />
zeigen müssen, wie er und seine FDP in Regierungsverantwortung<br />
agieren. Die Arbeitsmarktpolitik hat<br />
Lindner mitunter in seine großen liberalen Linien integriert:<br />
Marx´ großer Fehler sei es gewesen, Arbeit nur als<br />
Mittel zum Broterwerb zu betrachten, vielmehr könne<br />
der Mensch durch sie auch zur Persönlichkeit reifen.<br />
Freiraum, Bildungsmöglichkeiten und Respekt vor jeder<br />
Leistung verkündet er als Grundprinzipien. Zeitarbeit,<br />
äußerte er einmal, sei „vor allem ein wichtiges Instrument<br />
zur Arbeitsmarktintegration. […] Insbesondere<br />
für geringer qualifizierte Bewerber ist dies eine große<br />
Chance.“ Richtig, aber noch lange nicht alles – es könnte<br />
größer gedacht werden. BT<br />
Foto: www.christian-lindner.de