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Mode<br />
Ein paar Zentimeter über<br />
ihrem linken Handgelenk<br />
hat Marina Hoermanseder<br />
eine kleine Tätowierung.<br />
Es ist nicht die einzige, da<br />
ist auch noch ein Kreuzchen<br />
knapp unterhalb des Ellbogens,<br />
ein gefräßiger Pac-Man und ein zartes<br />
Porträt einer Löwin auf dem rechten<br />
Unterarm.<br />
Aber nur diese drei blassen Großbuchstaben<br />
über dem rosa Uhrband, das sich<br />
zweimal um ihr Handgelenk schlingt,<br />
irritieren den Betrachter – auch auf den<br />
zweiten Blick.<br />
Da steht: GUT.<br />
Erster Gedanke: Was, bitte, ist GUT?<br />
Zweiter Gedanke? Meint Marina Hoermanseder<br />
damit sich selbst?<br />
Ganz so einfach ist es – wie so oft –<br />
nicht. Tatsächlich werden sich diese drei<br />
Buchstaben als Statement entpuppen –<br />
allerdings ganz anders als gedacht. Aber<br />
davon später.<br />
Marina Hoermanseder, gerade 35<br />
geworden, hat in den vergangenen acht<br />
Jahren eine beneidenswerte Karriere<br />
hingelegt – von null auf hundert in Nullkommanichts<br />
könnte man sagen. Zuerst<br />
schafft sie das Kunststück, dass Lady<br />
Gaga einen ihrer Entwürfe trägt. Drei<br />
Jahre später feiert sie die Modebibel<br />
„Vogue“ als „neue Modestimme“ Berlins,<br />
wo sich inzwischen ihr Hauptquartier<br />
befindet. Und heute gilt sie außerdem als<br />
Königin der Kooperationen, eine Frau von<br />
„entschieden ungewöhnlicher Substanz“,<br />
wie es in einem Statement der Schweizer<br />
Uhrenmarke Rado heißt, die sich von<br />
Hoermanseder eben eine Uhr hat entwerfen<br />
lassen.<br />
„Ich sehe mich als fleißige, kreative<br />
Unternehmerin, das beschreibt mich<br />
am besten“, sagt Marina Hoermanseder,<br />
„mein Leben ist auf Werte gebaut, die mir<br />
stets gegenwärtig sind.“<br />
the red bulletin: Und die wären?<br />
marina hoermanseder: Fleiß,<br />
Anstand, Dankbarkeit und Loyalität –<br />
auf mich kann man sich verlassen.<br />
Du hast ja geradezu rasant Karriere<br />
gemacht.<br />
Das habe ich damals gar nicht so erlebt,<br />
nicht so wahrgenommen. Ich habe die<br />
Firma gegründet, weil Lady Gaga meine<br />
erste Kollektion bestellt hat. Man kann<br />
sagen: Ich habe einfach auf den Zuspruch<br />
reagiert, den ich bekommen habe.<br />
Marina Hoermanseder in Berlin<br />
bei der Arbeit, erste Skizzen vor sich<br />
„Ich habe meine<br />
Lookbooks in die<br />
Briefkästen der zehn<br />
Top-Stylisten in L. A.<br />
werfen lassen.“<br />
Lady Gaga in der Buckle-Jeans<br />
von Marina Hoermanseder, getragen<br />
2015 bei New Yorks Pride Parade<br />
US-Sängerin Janelle Monáe in Hoermanseder<br />
auf dem „Variety“-Cover<br />
Wie bist du damit umgegangen?<br />
Es war wie ein Wirbelwind, bei dem<br />
ich in der Mitte war. Aber im Zentrum<br />
eines Sturms ist es immer am ruhigsten.<br />
Ich habe einfach in Ruhe gemacht und<br />
gemacht und gemacht.<br />
Erzähl doch bitte, wie Lady Gaga<br />
auf dich gekommen ist.<br />
Ich gehe mit offenen <strong>Aug</strong>en durchs<br />
Leben, ich interessiere mich für Erfolgsgeschichten.<br />
Und überlege mir, was ich<br />
daraus lernen kann. Ich hatte gelesen,<br />
dass Ed Hardy (US-Tattookünstler, Anfang<br />
des neuen Jahrtausends für kurze<br />
Zeit als Designer extrem populär; Anm.)<br />
seine T-Shirts und Kappen vor Hotelzimmern<br />
deponierte, in denen Stars<br />
übernachteten. Und seine Sachen hat<br />
dann immerhin Madonna getragen. Also<br />
habe ich 2013 eine Liste mit den zehn<br />
wichtigsten Stylisten in L. A. gemacht<br />
und eine Freundin gebeten, meine Lookbooks<br />
in deren Briefkästen zu werfen.<br />
Und das hat tatsächlich funktioniert.<br />
Der Mann, der sich für Hoermanseders<br />
Entwürfe interessiert, heißt Nicola Formichetti.<br />
Er ist zu dieser Zeit auch für die<br />
Outfits von Popstar Lady Gaga verantwortlich<br />
– er ist es etwa, der der Sängerin<br />
das berühmt gewordene „Fleisch-Kleid“<br />
verpasst. Und er erkennt das Potenzial<br />
von Marina Hoermanseder.<br />
Lady Gaga schlüpft schließlich 2015 bei<br />
der Pride Parade in New York in die Buckle-<br />
Jeans der Österreicherin – Jeans, die an der<br />
Vorderseite mit Schnallen in Regenbogenfarben<br />
geschmückt sind. Stars wie Kylie<br />
Jenner, Kourtney Kardashian und Jennifer<br />
Lopez kopieren den Trend. Und Marina ist<br />
praktisch über Nacht berühmt. Ein Kinderspiel,<br />
könnte man glauben. Tatsächlich<br />
hat sie all das akribisch vorbereitet.<br />
Marina Hoermanseder absolviert<br />
ein Wirtschaftsstudium, das Vater Wilhelm,<br />
langjähriger Vorstandschef des<br />
österreichischen Industrieunternehmens<br />
Mayr-Melnhof Karton, ihr abgerungen<br />
hat. 2010 liefert sie ihre Diplomarbeit ab,<br />
belegt parallel Kurse am Central Saint<br />
Martins College of Art and Design in London<br />
und wechselt schließlich nach Berlin<br />
an die Mode-Uni ESMOD. 2012 macht sie<br />
ein Praktikum im Unternehmen des 2010<br />
verstorbenen britischen Star-Designers<br />
Alexander McQueen, das heute von<br />
Kreativ direktorin Sarah Burton geführt<br />
wird. Als sie für ihre Abschlusskollektion<br />
recherchiert, entdeckt sie orthopädische<br />
DDP IMAGES<br />
62 THE RED BULLETIN