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BIBER 10_21 Ansicht

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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

www.dasbiber.at

MIT SCHARF

HERBST

2021

+

KURZ IST WEG,

KURZISMUS BLEIBT

+

MÜCKSTEIN IN ZAHLEN

+

PORNO-TÜRKE

+

UNGEIMPFT

WIESO IMMER MEHR JUNGE MENSCHEN

AUF DER INTENSIVSTATION LANDEN


ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

Eines ist sicher.

Impfen wirkt.

100.000

99.996

Von 100.000 vollständig geimpften Menschen müssen

bei Kontakt mit dem Corona-Virus 99.996 Personen nicht ins Krankenhaus.

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Datenstand 15.09.2021, Datenquelle AGES Impfdurchbrüche


3

minuten

mit

Berdo

Mit 18 Jahren vor RAF Camora in den

Charts landen und dabei sogar die eigene

Schuldirektorin begeistern? Rapper Berdo

macht sich auf, um 2620 Neunkirchen auf

die Musik-Landkarte zu hieven.

Von Şeyda Gün, Foto: Martin Morscher

Wer ist er?

Name: Berdan Mankuloğlu

Alter: 18

Geburtsort: Neunkirchen,

Niederösterreich

Besonderes: Sein erstes

Album „Xeyal“ erschien am

5. Oktober und erzielte die

ersten zwei Tage nach dem

Release Platz 1 in den iTunes

Charts.

BIBER: Heißt du wirklich Berdo? Woher

kommt dein Name?

BERDO: Mein Künstlername kommt

von meinem Vornamen Berdan. Bei

uns Kurden gibt es immer einen

Spitznamen, aus Berdan wurde Berdo.

Ich komme aus Neunkirchen, bin vor

kurzem 18 geworden und hatte immer

schon eine Bindung zu Musik. Ich habe

gerne getanzt, von dort kam ich zum

Hip-Hop. Mit 14 habe ich begonnen zu

rappen, zuerst auf Englisch, dann auf

Deutsch. 2019 habe ich mein erstes

Video auf YouTube mit dem Titel

„Hokus Pokus“ veröffentlicht.

Hören dich die Leute nur am „Land“

oder auch in der Stadt?

Ich habe auch Hörer in Wien, aber

nicht nur in Österreich, sondern auch in

Deutschland. In Bochum oder Frankfurt

kommt der Support von Verwandten

und Bekannten.

Du erwähnst in deinen Texten 2620, die

Postleitzahl von Neunkirchen. Warum?

Neunkirchen ist eine kleine Stadt, die

ich versuche auf die Landkarte zu bringen.

Wenn man Berdo hört, soll man an

Neunkirchen denken, oder umgekehrt.

Dein erstes Album „Xeyal“ ist erschienen.

Was bedeutet Xeyal?

Ich war geflasht, dass mein Album auf

iTunes die ersten zwei Tage auf Platz

1 war. Xeyal bedeutet auf Kurdisch

Vision, Traum. Die Songs im Album

sind verschieden. Einer ist aggressiv,

der andere traurig. Ich schreibe

meine Texte selber und das sehr gerne.

Jeder Song, jeder Text hat eine eigene

Bedeutung und Geschichte. „Rosen

im Beton“ zum Beispiel ist ein Herzschmerz-Song.

Du gehst noch in die Schule, sitzt du

vormittags in der Schule und nachts im

Studio?

Nein, leider nicht. Ich gehe in die

Schule, danach lerne ich, wenn es

etwas zu lernen gibt. Dann schlage ich

die Bücher zu und drehe die Beats auf

und rappe den ganzen Tag. Mein Ziel

ist die Matura, dann möchte ich etwas

in Richtung Musik studieren, wo ich

mich weiterentwickeln kann. Tontechnik

würde mich interessieren.

Wie reagiert dein Umfeld auf dich als

Künstler?

Man kennt und supportet mich hier in

Neunkirchen. Auch in der Schule. Meine

Direktorin hat mich sogar gefragt, ob

ich einen Text schreiben möchte, der

junge Menschen zum Impfen anregt.

Ich bin noch nicht sicher, ob ich das

mache. Ich selbst bin geimpft, aber

diese Entscheidung sollte jeder für sich

treffen, wie ich finde.

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT

BERDAN

Der 18-jährige Rapper erklärt, warum bald

jeder 2620 Neunkirchen kennen wird.

8 IVANAS WELT

Null Komma Josip. Kolumnistin Ivana Cucujkić

über Rakija als Alheilmittel am Balkan

POLITIKA

10 DIE IMPFVERWEIGERER

Auf den Intensivstationen Österreichs liegen

fast nur Ungeimpfte. Trotzdem gibt es noch

genug ImpfgegnerInnen. Was sind ihre Motive?

18 „KURZ IST KEIN

WUNDERKNABE“

Ein Kommentar von Ruşen Timur Aksak

20 „HERR MÜCKSTEIN,

WIE VIELE WHATSAPP-

NACHRICHTEN BEREUEN

SIE?“

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein im

Interview in Zahlen

22 „FÜR DIE TALIBAN SIND

FRAUEN SEXOBJEKTE.“

Die afghanische Botschafterin Manizha

Bakhtari im Interview über Frauenrechte, und

die Pressefreiheit in Afghanistan

18

DAS SYSTEM

SEBASTIAN KURZ

Was geschieht nun mit

dem politischen Erbe

des Sebastian Kurz?

Bleiben Moscheen unbehelligt

und die Balkan-

Routen unbewacht?

Ein Kommentar von

Ruşen Timur Aksak

IN

RAMBAZAMBA

26 FEIERN POST LOCKDOWN

Wie hat Corona unser Partyverhalten

verändert?

30 JUNGE MUTTER

Sandra Schmidhofer wurde mit 22 Jahren

Mama

34 VEGANER BÖREK

Orientalisch und vegan? Das geht easy und

schmeckt auch noch lecker, wie Buchautorin

Serayi zeigt.

10

STANDHAFT GEGEN DEN STICH

Auf Wiens Corona stationen liegen fast nur

Ungeimpfte. Trotzdem stemmen sich viele immer

noch gegen den Stich. Eine Reportage aus dem

Krankenhaus und aus Wiener Bezirken.


40 „NUR OPFER

BELÄSTIGEN FRAUEN“

Wir waren nach einer coronabedingten Pause

wieder an Wiener Schulen unterwegs und

haben mit Jugendlichen über Rollenbilder,

Stereotype und Gewalt gesprochen.

20

HERR MÜCKSTEIN, WIE VIELE

VORNAMEN VON ALEXANDER

SCHALLENBERG KENNEN SIE?

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein

im Interview in Zahlen

HALT HERBST

2021

KARRIERE&KOHLE

46 DU WILLST EINE

GEHALTSERHÖHUNG?

Anna Jandrisevits verabschiedet sich und gibt

in ihrer letzten Kolumne noch Karriere-Tipps.

TECHNIK

48 NACH DER KRISE IST

VOR DER KRISE

Adam Bezeczky gibt Survival-Tricks und liefert

Technik-News.

OUT OF AUT

50 BOSNIEN WANDERT AUS

Nationalismus, Korruption und fehlende

Jobperspektiven sind die Gründe für den

Massenexodus junger Menschen aus Bosnien.

26

ZUHAUSE IST ES AM

SCHÖNSTEN.

Die klassische Homeparty hat durch

die Corona-Lockdowns ein Revival

erlebt. Wird sich diese Einstellung

halten?

© Zoe Opratko, Philipp Tomsich, Cover: © Zoe Opratko

KULTURA

56 BIER UND KLO IN RUSSLAND

Nada El-Azar wurde als biertrinkende Frau in

Russland schief angeschaut – und hat sich

über Unisextoiletten gewundert.

58 PORNO FÜR ALLE

Wieso Migrant und schwul zu sein nicht immer

„Katastrophe“ bedeutet und wie viele Stunden

er mit dem Pornoschauen verbringt, erzählt

Pornofilmfestival-Veranstalter Yavuz Kurtulmus.

62 TRINKFEST FÜR

EINEN SYRER

Kolumnist Jad Turjman über das Saufen mit

Österreichern – und seinen ersten Rausch


Liebe LeserInnen,

Österreich ist eines der Schlusslichter der EU, was die Durchimpfungsrate

angeht. Ärzte, Krankenhauspersonal und Familienangehörige sind

verzweifelt – trotzdem lassen sich noch immer viele junge Menschen nicht

impfen. Die Motive sind divers, von Bequemlichkeit über den Glauben,

Corona könne ihnen nichts anhaben bis hin zur Sorge der Unfruchtbarkeit.

Und doch sind es vorwiegend Ungeimpfte, die auf der Intensivstation

landen. Die wachrüttelnde Reportage von Amar Rajković lest ihr auf S. 10

Selbst er kennt schon acht Menschen, die an COVID verstorben sind:

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Im Interview in Zahlen verrät er

außerdem, wie oft er seinen Töchtern peinlich ist und wie viele Vornamen

des neuen Bundeskanzlers und Diplomaten Alexander Georg Nicolas

Christoph Wolfgang Tassilo Schallenberg er aufzählen kann. S. 20

An ihnen verzweifeln Ärzte,

Krankenhauspersonal und

Familienmitglieder, doch sie

bleiben stur: Die Ungeimpften,

die sich auf Biegen und

Brechen gegen den Stich

stemmen. Ich lege euch die

Reportage „Ihr reißt andere

mit ins Grab“ auf S. 10 ans

Herz. Der Titel ist kein Clickbait,

sondern bittere Realität.

Aleksandra “ Tulej,

stv. Chefredakteurin

Eine Diplomatin, die nicht diplomatisch bleibt – zumindest in Sachen

Taliban, ist Manizha Bakhtari, die afghanische Botschafterin in Österreich.

Wir haben sie getroffen und mit ihr über Frauenbilder der Taliban, den

Alltag von JournalistInnen in Kabul und über die afghanische Community

in Wien gesprochen. Wenn sie ihren Posten nicht mehr ausüben kann, wird

sie aus Österreich wegziehen – wohin, das bleibt geheim. S. 22

Kein Geheimnis ist hingegen, dass immer mehr Menschen aus Bosnien-

Herzegowina auswandern. Nationalismus, Korruption und fehlende

Jobperspektiven treiben sie dazu, ihre Heimat zu verlassen. Die

Auslandsreportage von Anja Ozorović könnt ihr ab S. 50 lesen.

Man muss aber nicht erst nach Bosnien blicken, wir haben hier in

Österreich unsere eigene hausgemachte Korruption. Wie viel bleibt vom

Kurz‘schen Wirken für die Nachwelt? Dieser Frage ist Timur Rusen Aksak

auf S. 18 nachgegangen. Spoiler: 2011 hat sich Sebastian Kurz, damals

noch Staatssekretär, für biber in einer Dönerbude fotografieren lassen. Auf

S 19. könnt ihr diesen seltenen Schnappschuss bestaunen.

In diesem Sinne: Hände waschen, impfen lassen, biber lesen.

Bussi,

eure Biber-Redaktion

© Zoe Opratko

6 / MIT SCHARF /


DELIVERY MK1

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DELIVERY MK1

IMPRESSUM

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Museumsplatz 1, E-1.4,

1070 Wien

HERAUSGEBER

Simon Kravagna

CHEFREDAKTEURIN:

Delna Antia-Tatić (karenziert)

STV. CHEFREDAKTEURE:

Amar Rajković und Aleksandra Tulej

CHEFREPORTERIN:

Aleksandra Tulej

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman

LEKTORAT: Florian Haderer

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Şeyda Gün, Maryam

Al-Mufti,Anna Jandrisevits

VERLAGSLEITUNG

Aida Durić

REDAKTIONSHUND:

Casper

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at

marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at

WEBSITE: www.dasbiber.at

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ

2020:

Druckauflage 78.856 Stück

Verbreitete Auflage 73.741 Stück

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/

impressum abrufbar.

DRUCK: Mediaprint

Erklärung zu gendergerechter Sprache:

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden

die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die

Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.

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H

TICKETS

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In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

Ivan Minić

RAKIJA AKUT – TRINKEN UND GUT

In einem gesunden Körper wohnt ein beschwipster Geist. Fußball,

Tennis, Šljivovica. Der Jugo brilliert in vielen Disziplinen.

Sport ist am Balkan sehr populär. Jeder übt irgendeine

Sportart aus. Oder verfolgt diese auf

den nationalen TV-Kanälen. Oder rennt zumindest

den ganzen Tag im Trainingsanzug herum. Der

sportive Dreistreifen-Look als gesellschaftlicher

Einheitschic. Einigkeit, Brüderlichkeit, Adidas.

Ohne Übertreibung - alle Balkanväter können von

ihren Erlebnissen als ehemalige Sportler berichten,

wie sie beinahe Profifußballer geworden sind,

dann mussten sie aber heiraten. Mein Vater erzählt

auch gerne von solchen sportiven Heldengeschichten.

BALLERN FÜR TITO

In seiner Jugend spielte er Volleyball. In der Bundesliga.

Für Partizan Belgrad! Damit kann man

sich an einem geselligen Familientisch wichtig

machen. Im Wehrdienst schmetterte er die Bälle

für das Volleyball-Team der Jugoslawischen Armee.

Eines Tages musste Soldat Cucujkić mitten

in einem Match zu einem Schießübungsmanöver

ausrücken. Als Belohnung für den exzellent ausgeführten

Einsatz wurde ihm die Ehre zuteil, in der

Kommunistischen Partei Jugoslawiens aufgenommen

zu werden. Tja, da nickt man und sagt Danke.

Ob man will oder nicht. Das Parteibuch liegt immer

noch in einer Schublade im Dorf, gleich unter Titos

gerahmten Porträt.

BECHERN FÜR KNIGGE

Ob man will oder nicht, man bedankt sich ebenfalls,

wenn einem als Gast das zweite, dritte oder

fünfte Stamperl aufgedrängt wird. Jede andere

Reaktion wäre in den Augen des Gastgebers genauso

ein Verbrechen, wie die Parteimitgliedschaft

abzulehnen. Alternativ nach einem Glas Wasser zu

verlangen, ist Hochverrat. We don’t do this.

Aber bechern, das können wir. Trinken als sportliche

Disziplin. Ein Volkssport, der früh geübt wird.

In Österreich schnallen die verrückten Eltern im

Sinne der Tradition ihren dreijährigen Sprösslingen

Skier an die Beine und schubsen sie den Schneehang

hinunter. Am Balkan reiben unmündige Jugoeltern

auf Anraten weiser Großmütter ihren

Kleinkindern ordentlich Schnaps auf die Brust.

Was für fernöstliche Medizin? Was für Kräutersirup?

Der Osteuropäer setzt auf destilliertes Allheilmittel.

Das dampft und vertreibt Erkältung und

Fieber. Am nächsten Tag ist das Kind topfit. Und

höchstwahrscheinlich restfett.

NULL KOMMA JOSIP

Spätestens aber bei der nächsten größeren Festivität

im Familienkreis darf man seinen ersten

Kinder-Schwips feiern, wenn übermotivierte Onkel

einen zum Nippen an der Bierflasche nötigen. Früh

übt sich, wer ein Krankheitsbild entwickeln oder es

an den Nachwuchs vererben möchte. Als Schwangere

ein Achterl Roten, aber unbedingt, das hilft ja

bei Eisenmangel. Das Beste fürs Kind! Und bitte,

man trinkt ja für zwei… Im Schwangerschaftssaufen

bin ich in der Vorrunde disqualifiziert worden.

Meine Kinder werden wohl keine professionellen

Alkoholiker. Aber vielleicht Volleyballer, wie Opa.

Oder Fußballer wie Papa. Den Jogginganzug mit

den drei Streifen hat Mama schon geshoppt.

Rosen, Rakija & Kritik an: cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt

8 / MIT SCHARF /


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Was gilt seit 1. Oktober in Wien?

Regel PCR-Test Antigen-Test

FFP2-

Maskenpflicht

In öffentlichen Verkehrsmitteln

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2,5G

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(keine Testpflicht für unter 6-Jährige)

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01 71 719 (täglich von 0 bis 24 Uhr)

Kinder- und Jugendhilfe:

01 4000 8011 (täglich von 8 bis 18 Uhr)

Legende:

2G: geimpft oder

genesen

2,5G: geimpft,

genesen oder

PCR-getestet

3G: geimpft,

genesen oder

getestet (PCR

oder Antigen)

Alle Informationen unter:

wien.gv.at/coronavirus


10 / POLITIKA /

Foto nachgestellt


„Ihr reißt andere

mit ins Grab!“

Vermehrt landen Ungeimpfte auf den Covid-

Stationen des Landes, manche verlassen sie nur

tot. Ärzte und Krankenpersonal verzweifeln,

dabei liegt die Lösung auf der Hand.

Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko

Wir haben vor kurzer Zeit eine ungeimpfte

31-Jährige aufgenommen. Die Blutkreisanalyse

zeigte eine geringe Menge

an Sauerstoff im Blut. Innerhalb von

drei Stunden landete die Patientin auf

der Intensivstation, sie musste intubiert werden. Am nächsten

Tag war sie tot.“ Kurz herrscht Stille im Büro des Prof.

Arnulf Ferlitsch. Geschichten wie diese muss der Primar für

Innere Medizin im Wiener Ordenskrankenhaus Barmherzige

Brüder in letzter Zeit oft erzählen. Er spricht mit ungeimpften

Angehörigen von Covid-Verstorbenen, mit unbelehrbaren

Vätern, die Druck auf ihre Söhne ausüben, sich nicht impfen

zu lassen oder mit aufgebrachten Müttern, die im Spital eine

Szene machen, weil sie ungetestet ihre stationierte Tochter

nicht besuchen dürfen. Obwohl Ferlitsch keine Gelegenheit

auslässt, um PatientInnen und Angehörige von der Impfung

zu überzeugen, landen jeden Tag viele junge Menschen auf

der hauseigenen Covid-Abteilung. Tendenz steigend.

In Österreich sind (Stand 14. Oktober) laut dem Dashboard

des Gesundheitsministeriums 61,55 % der Gesamtbevölkerung

voll immunisiert. Damit liegt das Land rund 10

Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt und sogar 20

hinter Ländern wie Portugal, Spanien und Dänemark. Die

anfängliche Impfeuphorie ist verflogen, die Ärzte bleiben auf

Moderna, Pfizer und Co sitzen. Die Hauptstadt hat zwar in

den letzten Monaten bundesweit aufgeholt, trotzdem gibt

es Bezirke, die negativ auffallen: Favoriten zum Beispiel. Im

bevölkerungsreichsten Stadtteil Wiens leben 50,9 % Bürger

ausländischer Herkunft. (Quelle: MA 17 Integration und

Diversität) Die Quote der Vollimmunisierten beträgt dort nur

54 %, gefolgt von Simmering mit 56,03 %, wie es aus dem

Büro des Gesundheitsstadtrats Hacker heißt. Der Wien-

Durchschnitt beträgt 60,90 %, Spitzenreiter ist der grüne und

einkommensstarke Bezirk Neubau (68,27 %), gefolgt von

Wien Hietzing mit 67,57 %. Das hat einerseits mit der älteren

und bildungsnahen Bevölkerung in den führenden, aber auch

mit dem niedrigeren Bildungsniveau in den traditionellen

Arbeiterbezirken zu tun.

„JEDER KÖRPER TICKT ANDERS.“

All diese Zahlen tangieren Nenad * nicht. Der Austro-Serbe,

dessen Eltern in den 70ern nach Wien zum Arbeiten kamen,

hat jüngst eine Corona-Infektion durchgemacht. Er ist „kein

Impfgegner“, wie er betont, und auch kein „Kurz-mussweg“-Wüterich

von den Samstagsdemos, der Bill Gates,

Soros oder dem israelischen Geheimdienst die Schuld an

der „Plandemie“ gebe. Er kenne seinen Körper, gehe fast

jeden Tag radeln und achte ganz genau auf die Ernährung.

Impfung kommt für den 40-jährigen Versicherungsvertreter

aber nicht in Frage. Erst recht nicht, nachdem er im Som-

/ POLITIKA / 11


Gemeinden

mer beim Besuch der Verwandten in

Serbien an Corona erkrankt sei. Da er

die Erkrankung relativ unproblematisch

überstanden hat, fühlt er sich in seiner

Ablehnung gegenüber der Impfung

bestätigt. Auf die Horrorgeschichten des

Arztes aus dem Spital angesprochen,

bleibt Nenad bei seiner Impfskepsis:

„Jeder Körper tickt anders. Es wird

immer Ausnahmen geben, aber die

werden mich in meiner Meinung nicht

beeinflussen. Ich hatte erst gestern

einen Kunden, dessen Sohn nach der

ersten Impfung Herzrhythmusstörungen

bekommen hat. Was willst du dem Vater zur Impfung

erzählen?“, fragt er mit ratlosem Blick. Nenad argumentiert

wie viele Impfskeptiker. Die Risiken von Nebenwirkungen

seien im Verhältnis zu harmlosen Verläufen zu groß, heißt

es oft. Eine Argumentationslinie,

die Dr. Ferlitsch zum Kopfschütteln

veranlasst: „Seit 2002 wird an SARS

geforscht, 50.000 Menschen haben

damals einen baustoffähnlichen

mRNA-Impfstoff bekommen und bis

heute kaum Nebenwirkungen gezeigt.

Und er enthält keine Chips von Bill

Gates, wie manche Menschen vermuten.“

Dem 47-jährigen Internisten

bleibt anscheinend nur der Zynismus,

um auf die teils skurrilen Gründe der

ImpfskeptikerInnen zu antworten.

Dazu gehört die Angst von jungen

Männern, nicht zeugungsfähig und die

von Frauen, unfruchtbar zu werden.

ImpfskeptikerInnen fürchten, dass

die Nebenwirkungen der Impfung

sich negativ auf die Familienplanung

auswirken würden. Das sei jedoch

durch nichts belegt, „ein Blödsinn!“,

betont Ferlitsch und fügt hinzu, dass

noch nie in der modernen Geschichte

so viel Geld, Energie und Hirnschmalz

in die Entwicklung eines Impfstoffes

Erstgeimpfte

Erstgeimpfte

%

Vollimmunisierte

Vollimmunisierte

%

Wien-Neubau 22.568 71,23% 21.631 68,27%

Wien-Hietzing 38.084 70,65% 36.422 67,57%

Wien-Alsergrund 29.364 70,19% 28.121 67,26%

↕ ↕ ↕ ↕ ↕

Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus 45.502 58,76% 42.594 55,94%

Wien-Brigittenau 50.893 59,69% 47.509 55,72%

Wien-Favoriten 122.516 58,18% 113.705 54,00%

Die drei am meisten und die drei am wenigsten geimpften Bezirke Wiens

Der Glaube an die

eigene Vitalität unter

jungen Menschen ist

wahrscheinlich ein

stärkeres Motiv als die

herumkursierenden

Verschwörungstheorien.

Kenan Güngör, Soziologe

Nenad wird sich nicht impfen lassen. Trotz

oder gerade wegen einer durchgemachten

Covid-Erkrankung Foto: Lisa Leutner

geflossen sei. Die Notfallzulassung, die

bei Corona-Impfstoffen gegriffen hat, ist

heute strenger denn je: „Aspirin würde

durch den heutigen Zulassungsprozess

niemals durchkommen“, gibt er zu

bedenken. Trotzdem herrscht so viel

Unwissenheit rund um das Virus.

RISS IN DER

LIESINGER IDYLLE

Marijas * Eltern sind in den 90ern vor

dem Krieg aus Bosnien nach Österreich

geflüchtet. Die Friseurin stammt aus

einer konservativ katholischen Familie.

Marija ist gewiss nicht die Impfgegnerin, die man in der

Esoterik-Ecke vermutet. Ihr gepflegtes Aussehen und die

zuvorkommende Art schätzen viele ihrer Stammkundinnen

im Friseursalon im 23. Bezirk. Doch das Streitthema

„Impfung“ lässt in der Vorstadt-

Wohlfühloase die Wogen hochgehen.

Einige KundInnen würden sich nicht

mehr von ihr die Haare verschönern

lassen, so Marija, die heute mit einer

neuen Pony-Frisur die neidischen

Blicke der Kundschaft auf sich zieht.

Der Grund: Marija ist nicht geimpft

und macht auch kein Geheimnis

daraus. „Ich kenne viele Bekannte aus

Bosnien, die starke Impfnebenwirkungen

hatten“, verrät sie. Ihr Chef und

Salon-Besitzer Dragan Aleksić * muss

das zähneknirschend hinnehmen. Es

sind ja bis jetzt „nur drei KundInnen“,

die darauf bestanden haben, nicht mit

Marija in Kontakt zu kommen. Aleksić

steckt in einem Dilemma, weil er seine

MitarbeiterInnen, von denen übrigens

nur Marija nicht geimpft ist, nicht dazu

zwingen kann. Andererseits wundert

er sich, dass man in der Community

lieber unseriösen Quellen oder konservativen

Eltern als der Wissenschaft

Glauben schenkt. „Diese Menschen

12 / POLITIKA /


/ POLITIKA / 13


Der Schein trügt: Die Covid-Stationen in

Österreich füllen sich wieder.

Die Verordnungen

der Politik seien für

Mehmet „überhaupt

nicht logisch“. Und

er möchte aufgrund

gesundheitlicher

Bedenken nicht das

Risiko einer Impfung in

Kauf nehmen.

(Anm. d. Red.: MigrantInnen in zweiter

und dritter Generation) sehen

sich als Opfer. Ihre Eltern verrichten

zumeist schlecht bezahlte und

körperlich anstrengende Arbeit, sie

werden in der Straßenbahn komisch

angeschaut, wenn sie in ihrer Sprache

kommunizieren und jetzt haben

sie keine Lust, sich noch einmal

für andere zu opfern“, so Aleksić,

der aber die Hoffnung bei Marija

nicht aufgegeben hat. Sie habe

ihm erzählt, dass sie sich impfen

lasse. Allerdings nur, wenn sie dazu

gezwungen werde, so der genervte

Friseurmeister.

Mario Dujaković, Mediensprecher

des Gesundheitsstadtrats

Peter Hacker in Wien, gibt der

inkonsequenten Linie der Bundesregierung

eine Teilschuld an dem

Impfstillstand: „Die niedrige Quote in den vorwiegend jungen

Bezirken liegt daran, dass die österreichische Impfkampagne

erst seit nicht so langer Zeit auch auf Junge fokussiert. Die

jüngsten Bezirke wie Favoriten und Simmering sind tendenziell

erst später von der Impfkampagne erfasst worden.“

Tatsächlich scheint sich laut den neuesten Zahlen etwas zu

tun: Wienweit sind die Bezirke mit dem größten prozentuellen

Zuwachs von 30.6 – 30.9 Favoriten (15,5 %), Simmering

(15,2 %) und Brigittenau (15,2 %), allesamt Wiener Bezirke

mit hohem MigrantInnenanteil und von der Altersstruktur

besonders junge Stadtteile.

Stationsleiter der Covid-Station bei den Barmherzigen

Brüdern in Wien, Georg Urban, ortet vielschichtige Gründe

in der Bevölkerung, sich nicht impfen zu lassen. Einerseits

liege die Entscheidung über die Impfung oft beim Familienoberhaupt,

das nicht davor zurückschrecke,

die eigenen Kinder unter Druck zu

setzen, wie sich Urban erinnert: „Uns

erzählte mal ein Patient, dass er sich

nicht geimpft habe, weil das sein Vater

verboten hatte.“ Andererseits gebe es

genug Leute, bei denen wegen Verständnisproblemen

die deutschsprachigen

Impfkampagnen nicht ankommen.

Und selbst wenn man der Sprache

mächtig ist, bleiben bei der diffusen

Kommunikation der Politik einige Fragen

offen: Wo muss ich jetzt welche Maske

tragen? Wieso muss ich mich wieder

einschränken, der Ex-Kanzler

hatte die Pandemie doch schon für

besiegt erklärt? Alles Gründe für die

vergleichsweise niedrige Impfquote

in Österreich.

AUS FAULHEIT UND

BEQUEMLICHKEIT?

Ein unterschätztes Motiv ist die

Impffaulheit unter den jungen

Menschen, wie der Soziologe Kenan

Güngör vermutet: „Der Glaube an

die eigene Vitalität unter jungen

Menschen ist wahrscheinlich ein

stärkeres Motiv als die herumkursierenden

Verschwörungstheorien.

Viele machen sich die Mühe nicht,

weil sie der Meinung sind, dass der

Ertrag gegenüber dem Aufwand

viel zu klein ist.“ Dazu könne man

die junge Zielgruppe kaum mit

klassischen Werbekampagnen erreichen, so Güngör. Der

Soziologe spricht von Menschen wie Mehmet * . Der Austro-

Türke ist geschiedener Vater auf Jobsuche. Im September

2021 bekam er einen unbezahlten Job: Als unfreiwilliger

Aushilfslehrer musste er seinen gerade eingeschulten Sohn

zuhause in der Quarantäne unterstützen. In dessen Klasse

gab es einen Corona-Fall, der Rest wurde in Quarantäne

geschickt. „Die Lehrer haben mir einen Packen Zettel mitgegeben

und gesagt, ich soll die Zahlen von 1–5 mit dem Kind

durchgehen“, seufzt der ungeimpfte Vater zweier Kinder. Die

Verordnungen der Politik seien für Mehmet „überhaupt nicht

logisch“. Und er möchte aufgrund gesundheitlicher Bedenken

nicht das Risiko einer Impfung in Kauf nehmen: „Schau,

ich möchte meinem Körper keine Schmerzen mehr hinzufügen.

Ich hatte eine Hüft-OP, die nicht zufriedenstellend

verlaufen ist. Ich musste wochenlang

Schmerzmittel nehmen und das Problem

ist noch immer nicht geklärt“, so Mehmet

bedröppelt.

Dr. Ferlitschs Geduld mit den

ImpfgegnerInnen ist mittlerweile fast

erschöpft. Zu schwer wiegen die 1,5

Jahre Pandemie in den Gliedern der

ÄrztInnen und des Gesundheitspersonals.

Sie sind überarbeitet, teils selbst

von Long-Covid betroffen, müssen fast

täglich mitansehen, wie Menschen an

der Krankheit sterben und gleichzeitig

feststellen, dass außerhalb des Spitals

14 / POLITIKA /


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in dem Du Dich aufhältst, und helfen, solltest Du Unterstützung brauchen.

– Dein Außenministerium

24/7

/ MIT SCHARF / 15


Vor dem Betreten jedes Patientenzimmers muss das Krankenpersonal eine Reihe an Hygienemaßnahmen treffen.

kaum wer über Corona spricht. Das Klatschen von den

Balkonen ist längst verhallt. Primar Ferlitsch wird weiterhin

nicht müde, ImpfskeptikerInnen zum Umdenken anzuregen.

Die Geschichte handelt von einer 23-jährigen Patientin,

bei der eine Lebertransplantation unternommen wurde.

„Die Patientin erhielt eine immunsuppressive Therapie, das

heißt, ihr Immunsystem war eingedämmt“, erinnert sich

Ferlitsch und fährt fort: „Ich habe der ungeimpften Mutter

der Patientin mehrmals versucht zu erklären, dass sie sich

ihrer Tochter zuliebe impfen lassen sollte, da ihre Tochter

doch zur vulnerablen Gruppe gehörte.“ Zur Verwunderung

Ferlitschs lief die Mutter beleidigt davon. „Das ging so

weit, dass sie die Tochter nicht besuchen durfte, weil sie

auch den obligatorischen PCR-Test verweigerte“, so der

perplexe Arzt. Was mit der Tochter nach dem Spitalaufenthalt

passiert, will sich der Internist gar nicht ausmalen.

Tatsache ist, dass die Mutter das Leben des eigenen

Kindes mutwillig aufs Spiel setzt. Und klar ist, dass Corona

längst nicht nur betagte PensionistInnen gefährdet. Davon

berichten der Internist und Stationsleiter des Spitals im

zweiten Bezirk. Ihr Appell: „Lasst euch impfen!“, und

wenn nicht im eigenen Interesse, dann zumindest für die

Mitmenschen, wie die immunschwache 23-jährige oder

das am Rande des Burnouts arbeitende Krankenpersonal,

denn: „Ihr reißt andere mit ins Grab!“ ●

*

Namen sind der Redaktion bekannt und wurden auf ausdrücklichen

Wunsch der Betroffenen geändert.

Seit 2002 wird an SARS geforscht,

50.000 Menschen haben damals einen

baustoffähnlichen mRNA-Impfstoff

bekommen und bis heute kaum

Nebenwirkungen gezeigt. Und er enthält

keine Chips von Bill Gates, wie manche

Menschen vermuten.

Prof. Arnulf Ferlitsch,

Primar im Ordenskrankenhaus

Barmherzige Brüder in Wien.

16 / POLITIKA /


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Stand: 04/2021


Herr Mückstein,

wie oft waren Sie

Ihren Töchtern

peinlich?

Wie viele

Paar Sneakers

haben Sie

in Ihrem

Schuhschrank

stehen?

Wie oft waren

Sie Ihren

Töchtern

peinlich?

Wie viele

Zigaretten

rauchen Sie am

Tag?

Interview in Zahlen: In der Politik

wird genug geredet. Biber fragt

in Worten, Gesundheitsminister

Wolfgang Mückstein antwortet

mit einer Zahl.

7

30

15

Von Şeyda Gün und Amar Rajković

Fotos: Zoe Opratko

Mückstein kennt kennt zwei Ärzte, die Covid verharmlosen.

1 Mal in der Woche muss der grüne Gesundheitsminister den

Kopf über den türkisen Koalitionspartner schütteln.

Wie viele

Après-Ski-

Lieder können

Sie laut

mitgrölen?

Welche

Schulnote

geben Sie der

Bundesregierung

für die

Bewältigung

der Pandemie?

Welche

Schulnote

geben Sie

der Stadt

Wien für die

Bewältigung

der Pandemie?

Wie oft in der

Woche hat

der Koalitionspartner

ÖVP

Kopfschütteln

bei Ihnen

ausgelöst?

Wie hoch ist die

Wahrscheinlichkeit

(in %),

dass die türkisgrüne

Koalition

vor 2023 in die

Brüche geht?

6

2

2

1

10

(1=sehr gut;

5=nicht genügend)

(1=sehr gut;

5=nicht genügend)

18 / POLITIKA /


Wie viele User

sind bei Ihnen

auf Twitter

blockiert?

Um wie viel

Uhr stehen

Sie unter der

Woche auf?

Wie viele

Menschen

kennen Sie,

die an Covid

verstorben

sind?

Wie viele Covid

verharmlosende

Ärzte

kennen Sie?

Wie viele

Quadratmeter

hat Ihre

Wohnung?

101

5

8

2

89

7 Paar Sneakers stehen im Schrank des Gesundheitsministers. 0 Whatsapp-Nachrichten hat Mückstein in seinem

Leben bereut.

Wie viele

der sechs

Vornamen

des neuen

Bundeskanzlers

können Sie

aufzählen?

Wie viele

WhatsApp-

Nachrichten

hätten Sie

lieber nie

geschrieben?

Wie oft haben

Sie Ihren Vorgänger

Rudolf

Anschober seit

seinem Rücktritt

persönlich

getroffen?

Wann waren Sie

das letzte Mal bei

0e24 im Studio?

Wie viel Euro

hat das Gesundheitsministerium

bis jetzt

für Information

zur Impfung

ausgegeben?

1

0

5

11.8.2021

440.000

Auflösung: Alexander Georg

Nicolas Christoph Wolfgang

Tassilo Schallenberg

/ POLITIKA / 19


„Die Taliban wollen ihr

Image aufpolieren“

Langsam verstummt das Medienecho um die Lage in Afghanistan –

darf es aber nicht. Wir haben die afghanische Botschafterin Manizha

Bakhtari getroffen und mit ihr über Frauenbilder der Taliban, die Realität

in Kabul und die afghanische Community in Wien gesprochen.

Von Delna Antia-Tatić und Aleksandra Tulej, Fotos: Mafalda Rakoš

BIBER: Frau Bakhtari, Mitte August

haben die Taliban Kabul eingenommen.

Wie geht es Ihnen?

MANIZHA BAKHTARI: Nicht gut. Ich

bin enttäuscht und wütend. Vor allem

deshalb, weil ich persönlich an Gleichberechtigung

und an Demokratie glaube.

Es fühlt sich an, als wäre alles, auf das

Afghanistan in den letzten Jahren hingearbeitet

hat, vernichtet worden. Es tut

mir am meisten weh, zu sehen, wie starke

und gebildete Frauen in Afghanistan

zu nutzlosen Mitgliedern der Gesellschaft

hinabgestuft worden sind.

Wie können Sie eigentlich immer noch

afghanische Botschafterin sein, wenn die

alte Regierung nicht mehr existiert? Wer

zahlt zum Beispiel ihr Gehalt?

Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich

keine vollständige Antwort habe. Ich

habe diesen Posten unter einer anerkannten

Regierung angenommen, die

jetzige, also die Taliban-Regierung ist

ja nicht anerkannt. Ich habe Kontakt zu

dem ehemaligen Außenminister Hanif

Atmar und ehemaligen stellvertretenden

Außenminister Meerawais Nab sowie

zur afghanischen Botschaftergruppe.

Ich weiß nicht, wie lange ich den Posten

noch ausüben kann, so wie meine Mitarbeiter

und Angestellten – einen Tag, eine

Woche, einen Monat, oder länger. Ich

hoffe, bald eine konkrete Antwort darauf

zu haben. Wir haben finanzielle Schwierigkeiten,

aber ich hoffe, einen Ausweg

zu finden.

Was machen Sie, wenn Sie den Posten

nicht mehr ausüben können, weil, sagen

wir, die Taliban-Regierung anerkannt

wird? Müssten Sie um Asyl in Österreich

ansuchen? Oder würden Sie für die neue

Regierung arbeiten?

Ich werde nicht für die Taliban arbeiten.

Wenn das passiert, werde ich resignieren.

Nein, ich muss nicht um Asyl ansuchen.

Ich habe einen Plan, den ich aus

Sicherheitsgründen nicht verraten darf.

Über welche Kanäle beziehen Sie Ihre

Nachrichten aus Afghanistan?

Ich habe mit einigen Quellen in Afghanistan

Kontakt – welche das sind, kann

ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen.

Ansonsten hauptsächlich aus den Social

Media, da diese nicht von den Taliban

kontrolliert werden. Noch haben sie das

Internet im Land nicht gekappt und ich

denke, dass das auch so bleiben wird

– hoffentlich. Sie kontrollieren zwar die

Medien, aber bei Social Media gestaltet

sich das schwieriger. Aber man muss

natürlich aufpassen, ob die Quellen

glaubhaft sind. Zudem sind die Menschen

in Afghanistan auch gezwungen,

auf Sozialen Medien Selbstzensur zu

betreiben, damit sie sich nicht in Gefahr

bringen. Auch private Konversationen

bringen mir Informationen. Ansonsten

schaue ich CNN und BBC.

Gibt es jetzt noch weibliche Journalistinnen

in Afghanistan, die arbeiten dürfen?

In den öffentlichen Medien nicht, in

privaten Sendern vereinzelt, aber das

wird auch nicht mehr lange halten. Die

Frauen sind jetzt eher im Hintergrund

und vor allem müssen sie sich vollständig

bedecken. Wissen sie, diese schwarze

Abaya, die wir jetzt überall sehen, ist

20 / POLITIKA /


Ich werde nicht für die Taliban

arbeiten. Wenn das passiert,

werde ich resignieren.

Manizha Bakhtari, afghanische

Botschafterin in Österreich

/ POLITIKA / 21


© Screenshot/Youtube.com/AFP

Dieser Clip ging um die Welt: Ein sichtlich eingeschüchterter, von Taliban umzingelter

afghanischer Nachrichtensprecher des Senders „Peace Studio“ Ende August.

nicht mal Teil der afghanischen Kultur.

Menschen in Afghanistan kleiden sich

allgemein eher bescheiden – das ist

schon Teil der Kultur. Aber früher durften

die Frauen sich aussuchen, was sie

tragen – und dafür stehe ich auch ein, ob

nun vollständiges Bedecken oder nicht,

das sollte eine freie Entscheidung sein.

Das geht jetzt nicht mehr. Ausländische

Reporterinnen haben es leichter, sie

dürfen sich im Land frei bewegen und

berichten. Sie werden von den Taliban

anders behandelt als unsere Frauen. Das

ist eine feige Doppelmoral.

Warum werden ausländische Journalistinnen

anders behandelt als afghanische?

Weil die Taliban international ihr Image

aufpolieren wollen, wenn man das so

sagen kann. Sie haben ihre Strategie

geändert. Sie sind jetzt, im Gegensatz

zu früher, offen für Hilfe von außen und

für Verhandlungen. In den Neunzigern

waren die Taliban sogar gegen das

Fernsehen oder das Fotografieren von

Menschen. Heute wollen sie sich als

quasi neue Generation präsentieren. Sie

wollen sich international als gemäßigter

zeigen, aber in Afghanistan selbst sieht

man wenig davon.

Wir haben ja alle das Foto von dem

TV-Reporter gesehen, der im Studio von

bewaffneten Taliban-Kämpfern umgeben

ist und sichtlich vor Angst zittert.

Ja, das ist das, was gerade mit der

Pressefreiheit in Afghanistan passiert.

Wir hatten viele Probleme in den letzten

Jahren, aber zumindest hatten wir die

Pressefreiheit.

Wie ist das Frauenbild der Taliban heute?

Genauso verzerrt. Sie sagen: Wir respektieren

Frauen, aber Frauen sollen zu

Hause bleiben. Es gibt keinen Platz für

Frauen in der Politik und im öffentlichen

Leben. Ihrer Meinung nach sind Frauen

dazu da, den Männern zu dienen. Sie

interpretieren da in die Kultur und Religion

etwas hinein, was nicht da ist. Weil

sie Frauen nicht als Teil der Gesellschaft

ansehen, sondern offen und ehrlich

gesagt als Sexobjekte. Und das hat

meiner Meinung nach weder mit Religion

oder Kultur zu tun, sondern mit fragiler

Männlichkeit.

Die Taliban haben Versprechen gemacht,

dass Frauen sich weiterhin bilden dürfen.

Wird dieses Versprechen eingehalten

werden?

Das wird sich in der Praxis schwierig

gestalten. Sie wollen Klassenräume, die

nach Geschlechtern getrennt sind. Dafür

hat Afghanistan einfach keine Kapazitäten,

weil wir nicht genug weibliche

Lehrerinnen und Professorinnen haben.

Afghanistan ist ein sehr patriarchales

Land. Selbst wenn sie das so ankündigen,

wird es einfach an der Durchsetzbarkeit

scheitern.

Was sagen Sie zu Frauen, die mit den

Taliban sympathisieren? Wir denken da

an die Frauen, die in Kabul auf Pro-Taliban-Demos

Schilder hochhalten.

Ich respektiere sie, so wie ich jeden

Menschen respektiere. Ich finde es nur

paradox, dass man für ein System auf

die Straße geht, das sich gegen die

Demokratie richtet, denn genau diese

Meinungsfreiheit macht eine Demokratie

ja aus und dazu gehört eben auch

die Möglichkeit, zu demonstrieren. Ich

denke ehrlich gesagt, dass viele dieser

Frauen sich über die Situation nicht im

Klaren sind und einfach das mitmachen,

was sie von ihren Vätern, Onkeln und

Brüdern hören. Ich vermute, dass sie

nicht genau wissen, was auf diesen

Schildern steht. Das ist ja das nächste

Problem: In Afghanistan gibt es in der

Praxis keine Schulpflicht, das heißt, niemand

kontrolliert, ob Eltern ihr Kind zur

Schule schicken oder nicht. Und dadurch

entstehen enorme Bildungslücken und

Analphabetismus. Und so dreht sich das

Rad immer weiter.

Sind Sie in Kontakt mit der afghanischen

Community in Wien? Und kann man

überhaupt von Community sprechen?

Die Diaspora hier ist sehr divers, genau

wie in Afghanistan. Es gibt die Liberalen,

die Konservativen, es gibt die, die aktiv

am politischen und gesellschaftlichen

Leben teilnehmen, und solche, vor allem

Frauen, die oftmals kaum ihr Haus verlassen.

Die Spannbreite reicht von sehr

gebildeten Menschen bis hin zu AnalphabetInnen.

Was sagen sie zu den wiederholten

Straftaten, die von afghanischen Männern

an Frauen in Österreich verübt

werden?

Es tut mir weh, so etwas zu hören. Wir

versuchen hier, mit solchen Menschen in

Kontakt zu treten und sie zu sensibilisieren

und aufzuklären, was die Kultur, den

Culture-Clash und die Sitten hier angeht.

Frauen sind keine Sexobjekte. Ich denke

aber nicht, dass solche Männer, von

denen wir hier sprechen, unbedingt mit

den Taliban sympathisieren. Das ist kein

politisches Denken, sondern ein sehr

veraltetes und konservatives Weltbild.

Aber das ist nur ein Bruchteil, die meisten

afghanischen Männer respektieren

ihre Frauen, Mütter und Töchter und

verurteilen so ein Verhalten.

22 / POLITIKA /


Wir haben Manizha Bakhtari Mitte September in der afghanischen Botschaft in

Wien getroffen.

Können Sie es nachvollziehen, wenn in

Österreich lebende Afghanen mit den

Taliban sympathisieren?

Ich denke, dass diese Menschen das

sehr naiv sehen und etwas romantisieren,

was nicht echt ist. Sie sind jung,

unreif, haben oftmals nicht unter den

Taliban gelebt und kennen die Realität

nicht. Und die Realität ist hart und alles

andere als schön. Aber das ist kein

neues Phänomen. Denken Sie mal an all

die jungen Frauen, die aus Europa, aus

Österreich nach Syrien gegangen sind,

um Ehefrauen von Jihadisten zu werden.

Das war genau diese unrealistische Vorstellung,

die sehr böse geendet hat.

Was denken Sie über die „Hilfe vor Ort“,

zum Beispiel in Turkmenistan oder Usbekistan,

die Österreich als Hilfe zugesagt

hat? Gezielt Flüchtlinge oder besonders

schutzbedürftige Frauen will die Regierung

ja nicht aufnehmen.

Wir sind dankbar für jegliche Hilfe von

außen und schätzen das sehr.

Sie haben die Taliban als Terroristen

bezeichnet. Was denken Sie darüber,

wenn andere Regierungen mit ihnen verhandeln

wollen, um beispielsweise einer

Hungersnot entgegenzusteuern?

Das ist ein allgemein bekannter Fakt,

dass Taliban Terroristen sind. Das kommt

nicht von mir. Einige ihrer Regierungsmitglieder

sind gesuchte Terroristen. Sie

sind keine anerkannte Regierung. Aber

man muss irgendwie mit ihnen kommunizieren,

was die humanitären Probleme

angeht. Wir brauchen Hilfe, Geld,

Nahrung und Medikamente. Dazu kommt

noch, dass Afghanistan einen schweren

Sommer hinter sich hat, die Ernte dieses

Jahr war mager. Es droht eine humanitäre

Krise. Wir sollten das nicht verwechseln:

Das politische Interesse und die

Hilfe für die Menschen vor Ort müssen

wir getrennt betrachten.

Wie sehen Sie die Zukunft Afghanistans

– sollten westliche Truppen wieder

intervenieren?

Ich denke nicht, dass das die Lösung

ist. Aber was ich sagen kann: Wir haben

eine neue Generation in Afghanistan und

diese Generation wird nicht still sein,

sondern Widerstand leisten. Ich finde,

dass man auf die Taliban Druck ausüben

sollte und sie zur Verantwortung ziehen

muss.

Sie hoffen also, dass sich die Taliban

verändern werden?

Das wäre natürlich wünschenswert.

Zum Schluss noch eine Frage zu Ihrem

Werdegang: Wie kommt es, dass sie

Journalismus studiert haben und jetzt

Diplomatin sind?

Ich war immer ein Bücherwurm. Ich hatte

Glück, dass in meiner Familie Bildung

immer sehr wichtig war, unabhängig

davon, ob es um die Töchter oder Söhne

ging. Meine Schwestern und ich durften

uns unseren Job aussuchen und

hatten viele Freiheiten. Natürlich nicht

solche Freiheiten, wie einen Freund zu

haben oder männliche Klassenkollegen

zu uns nach Hause einzuladen – es gab

Grenzen, vor allem, weil meine Mutter

sehr religiös war. Aber im Vergleich zu

vielen andern Familien hatte ich viele

Möglichkeiten. Nach der Übernahme der

Taliban in den 90er Jahren durfte ich

nicht arbeiten und bin für einige Jahre

nach Pakistan gegangen. 2001 sind

wir dann wieder zurückgekehrt und ich

habe mich weiter bei NGOs eingesetzt.

Ich habe an der Journalismus-Fakultät

studiert. Gleichzeitig habe ich begonnen,

mich mit Gleichberechtigung, Demokratie

und Frauenrechten auseinanderzusetzen.

2006 wurde mir ein Job im Außenministerium

angeboten, und so begann meine

diplomatische Karriere. Heute schließe

ich nicht aus, dass ich später einmal meine

akademische Karriere weiterverfolgen

werde.

Ihren Posten als Botschafterin haben Sie

mitten im Corona-Lockdown, im Jänner

2021, angetreten. Was haben Sie als

Erstes gemacht, als alles wieder geöffnet

hat?

Ich bin sofort in alle möglichen Museen

gerannt und bin einfach herumspaziert

und habe die Schönheit dieser Stadt

bewundert.

Was ist Ihr Lieblingsgericht der österreichischen

Küche?

Schnitzel und Kaiserschmarrn. Und

dieses gekochte Fleisch in einer Suppe,

weil mich das an die afghanische Küche

erinnert. Ich weiß aber nicht genau, wie

das heißt?

Tafelspitz?

Tafelspitz!

/ POLITIKA / 23


KURZ GEHT,

KURZISMUS BLEIBT

Was geschieht nun mit dem politischen Erbe des Sebastian Kurz? Bleiben

Moscheen unbehelligt, Integrationsbotschafter verwaist und die Balkan-Routen

unbewacht? Diese Fragen stellt sich der ehemalige IGGÖ-Pressesprecher und

Medienberater Ruşen Timur Aksak. Ein Gastkommentar.

Der einst schillernde Stern am Firmament

der Konservativen Europas hängt in den

Seilen. Wie ein schwer angeschlagener

Boxer braucht es nur noch einen Treffer, um ihn

endgültig ins Land der Träume zu schicken. Jetzt

werden natürlich die Boxfreunde unter uns einwenden,

dass auch ein in den Seilen hängender Boxer

sich zurückkämpfen kann. Natürlich. Aber sollte

das Kurz gelingen, dann wäre es wohl das größte

Comeback, seit Lazarus von den Toten auferstanden

ist.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber die

Zeichen stehen auf Untergang. Die Häme und Kritik der politischen

Gegner des Ex-Kanzlers sind nicht sein größtes Problem,

sondern mehr die schwerwiegenden Anschuldigungen und

die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn – und ganz

besonders die Absetzbewegungen der mächtigen ÖVP-LandesfürstInnen.

Das schmerzt, denn nichts steht in der ÖVP symbolträchtiger

für den Machtverlust eines Parteiobmanns, als wenn

die grauen Eminenzen aus den Landeshauptstädten am Stuhl

des ÖVP-Parteiobmanns sägen (lassen). Kurz kennt das, denn

er selbst hat seinen Vorgänger Mitterlehner mit stiller Zustimmung

der schwarzen Landesfürsten abgesägt.

Nehmen wir also mal an, wir haben den Anfang vom Ende

schon erlebt. Was bedeutet das für die Integrations- und Islam-

Themen, die Erfolg und Aufstieg des türkisen (nicht türkischen,

bitte, obwohl auch Erdoğans Stern sinkt und sinkt) Populisten

überhaupt ermöglicht haben? Denn darüber wird kaum gesprochen,

auch nicht in jenen etablierten Redaktionen, die dieser

Tage ganz erpicht auf Analysen und Vorhersagen zur politischen

Zukunft des Landes sind.

OBSESSION MIT ASYL UND ISLAM

Was geschieht nun mit dem politischen Erbe des Sebastian

Kurz? Bleiben Moscheen unbehelligt, Integrationsbotschafter

verwaist und die Balkan-Routen unbewacht? Wir kennen die

Antwort. Auch wenn Kurz´ Niedergang endgültig sein wird,

so wird sein politisches Erbe überleben. Denn eines ist klar:

Sebastian Kurz war nie ein Wunderknabe, sondern vor allem

Der Autor Ruşen

Timur Aksak

ein ehrgeiziger Machtpolitiker, der noch als Staatssekretär

für Integration relativ früh erkannt hatte,

wie viele Probleme gegeben sind, und wie einfach

er reüssieren könnte, wenn er diese rechtspopulistisch

aufgeladen in sein politisches Portfolio

aufnehmen würde. Man erinnere sich an das

Thema „Islam-Kindergärten“. Für jeden Kenner der

Lage war es ein vielschichtiges Problem mit vielen

Verantwortlichen, aber es waren die Türkisen, die

daraus ein bundespolitisches und sogar ein Wahlkampfthema

gemacht haben. Ein hochrangiger

Funktionär eines großen Islamverbandes hat mir einmal unter

vier Augen gesagt: „Kurz und seine Leute haben uns studiert,

sie waren nett zu uns und dann haben sie alles gegen uns

verwendet.“ Die gepflegte Obsession für die Themen Asyl, Migration

und Islam sind fester Bestandteil des kurz’schen Erfolgs.

In keinen anderen Bereichen war der effektive Widerstand der

anderen Parteien und auch der Medien so gering wie in diesen.

Weil sich die Parteien und viele Medien bis heute regelrecht

weigern, in diesen Bereichen – gerade beim Thema Islam/

ismus – notwendige Kapazitäten aufzubauen und Ressourcen

aufzustellen, war es für Kurz ja so leicht. Wer nicht weiß, unter

welchen strengen Bedingungen (Moschee-)Vereine überhaupt

aufgelöst werden können, ist für den türkisen Schmäh natürlich

ein leichteres Opfer gewesen. Und nur so konnte die jüngste

Verschärfung des Islamgesetzes am Ende von allen Parlamentsparteien

(bis auf die FPÖ) derart kleinlaut durchgewunken

werden.

Was ich als ehemaliger Journalist, Ex-IGGÖ-Pressesprecher

und Medienberater rückblickend sagen kann: Auch wenn Kurz

gegangen sein wird, so wird der Kurzismus bleiben. Kurzismus,

das ist ein Modell, das jedem populistischen Semi-Charismatiker

noch die Chance auf die Kanzlerschaft gibt, wenn er nur

die richtigen Themen mit 2–3 knackigen Slogans bespielt. Ob

das nun ein Kurz-Klon in der ÖVP oder eine wiedererstarkte

FPÖ sein wird, ist mittlerweile ja schon unerheblich. Es ist den

linken und liberalen Parteien und auch den Medien im Freudentaumel

nicht zu verzeihen, dass sie es waren, die Kurz’ Weg

begünstigt und den Kurzismus zugelassen haben. ●

© privat

24 / POLITIKA /


© Philipp Tomsich

Ein Fund aus dem Archiv: 2011 hat Biber den damaligen Staatssekretär und nun

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer Dönerbude abgelichtet.

/ POLITIKA / 25


ZUHAUSE

IST ES DOCH

AM SCHÖNSTEN

Die klassische Hausparty hat im Corona-Lockdown

ein wahres Revival erlebt. Gestandene Partygäste

über ihren Umgang mit Feierlaune in der Pandemie

und die Vorzüge der eigenen vier Wände.

Von Nada El-Azar, Fotos: Zoe Opratko

26 / RAMBAZAMBA /


Ich war mal auf dieser krassen Rooftop-Party. Da waren

lauter reiche 30-Jährige, die mit Krypto und Aktien

und sowas Kohle gemacht haben. Irgendeiner von

denen hat mir etwas über Penny Stocks erzählt, aber

ich war schon total betrunken und hab nichts verstanden“,

erinnert sich Amira. Die 22-Jährige ist in Wien-Meidling

aufgewachsen und hat im vergangenen Jahr regelmäßig

Hauspartys besucht – auch während des Lockdowns. „Mich

nahm immer eine Freundin mit, die ich vom Fortgehen kannte

und die wiederum auch viele Kontakte vom Fortgehen hatte“,

so die Verkäuferin. Auch in der Zeit bevor die Impfung verfügbar

wurde, hatte sie nur wenig Angst vor einer Covid-Erkrankung.

„Manchmal wurde in den WhatsApp-Gruppen gesagt,

dass sich alle testen gehen sollten. Aber ehrlich gesagt habe

ich das selber nicht immer rechtzeitig geschafft und kontrolliert

hat es niemand“, gibt sie zu. „Es haben eh immer welche

dort geschmust und keinen Abstand gehalten. Wenn man

trinkt, denkt man nicht an Hygiene. Es war so wie früher halt.“

„ZUHAUSE RUMZUSITZEN SCHADET DEN

MENSCHEN DOCH MEHR ALS CORONA.“

Auch Mert, 23 Jahre, berichtet: „In meinem Freundeskreis

hat jeder irgendwo eine Party gemacht, ich war echt viel

unterwegs im Lockdown. Noch mehr als früher eigentlich.“

Seiner Meinung nach sind die Partybesuche kein Zeichen von

mangelnder Verantwortung gewesen, sondern geschahen

aus Notwendigkeit. „Man braucht als junger Mensch einfach

Gesellschaft. Wir wollten normal weiterleben – zuhause her-

/ RAMBAZAMBA / 27


B.Y.O.B. - Bring your own beer! Zuhause zu feiern schont

nicht nur die Nerven, sondern auch den Geldbeutel.

umzusitzen schadet den Menschen doch mehr als Corona“,

winkt er ab. „Die Menschen übertreiben einfach, das ist wie

eine Grippe. Und ich werde sonst auch niemals krank“, fügt

er hinzu. Besonders attraktiv an den Hauspartys fand der

türkischstämmige Wiener eine gewisse Exklusivität und die

entspannte Atmosphäre. Dass in der Nachtgastronomie nun

die 2G-Regel gilt, treibe umso mehr Impfunwillige zu Partyalternativen

im Privaten.

„Wenn du in den Club gehst, ist es viel teurer und es

gibt dort immer Idioten, die Ärger machen oder komisch

sind. Bei Hauspartys nimmt jeder einfach noch Leute mit

und man kann sogar viel besser Mädels kennenlernen als im

Club.“ Mert arbeitete über eine Zeitarbeitsfirma als Aushilfe

in diversen Hotels. Wegen des Lockdowns und dem

damit verbundenen Einbruch im Tourismus konnte er jedoch

phasenweise nicht arbeiten, da es keinen Bedarf an Aushilfen

gab. „Was hätte ich denn alleine zuhause

tun sollen, wenn selbst arbeiten keine Option

war?“

Ob ich mich auf einer

Party oder in der

U-Bahn angesteckt

habe, konnte ich

nicht nachvollziehen.

28 / RAMBAZAMBA /

AIRBNB-PARTYS

UND DROGEN

Sowohl Amira als auch Mert gaben an, dass

einige der Hauspartys in Wohnungen oder

Häusern stattfanden, die über die Plattform

Airbnb gebucht worden waren. Nähere Angaben

zu den Gastgebern und Orten wollten sie

jedoch nicht preisgeben. Oftmals hätte es sich

jedoch um Locations in den Außenbezirken

gehandelt. „In Favoriten ruft keiner die Polizei,

wenn es zu laut ist“, lacht Amira. „Bei meiner

ersten Airbnb-Party hat jemand ein ganzes

Haus gemietet, im 19. Bezirk. Ich kannte den

Gastgeber überhaupt nicht, ich wurde von

einem Freund mitgenommen. Es war eine richtig

fette Party mit DJ, Lichtern und allem, ich

konnte nicht mal alleine aufs Klo gehen, weil

überall Menschen waren. Irgendjemand schlief

in der Badewanne, und jeder rauchte überall,

wo es ihm passte.“ Solche Feiern blieben allerdings

oft nicht unbemerkt. „Wenn die Polizei da

war, haben wir die Musik für 15 Minuten ausgemacht

und waren alle kurz still. Die Beamten

dürfen die Wohnung in so einem Fall ja gar

nicht betreten.“

Fehlende Kontrolle gab es aber nicht nur in

Bezug auf die Hygienemaßnahmen, sondern

auch beim Drogenkonsum unter den Partygästen.

„Es war besser als in jedem Club. Überall

wurde Koks gezogen und ein Typ hatte einen

riesigen Haufen Gras mit.“ Wegen des großen

Anstiegs an Buchungen für Privatfeiern hat

Airbnb seit dem 20. August 2020 ein weltweites

Partyverbot verhängt. Zusammenkünfte

von mehr als 16 Personen sind seitdem auch

mit Zustimmung der Vermieter nicht erlaubt.

Wer sich nicht an diese Regelung hält, wird

gesperrt oder angezeigt. Auch die gängigen Suchfilter

„event-friendly“ und „parties and events allowed“ wurden

gestrichen, um unerlaubten Partybuchungen vorzubeugen.

Nachbarn können sich im Verdachtsfall zudem direkt bei

Airbnb über eine Hotline melden und Lärmbelästigung durch

Partys melden.

FEIERN OHNE KONSUMZWANG

Auch in Maries Freundeskreis kam es immer wieder zu solchen

Airbnb-Partybesuchen. Sie selbst veranstaltete jedoch

auch in ihrer Wohnung Partys, als von der Öffnung der Clubs

noch lange nicht die Rede war. „Ja, ich gebe zu, ich habe

2020 im Lockdown Partys veranstaltet. Ich wollte mit meinen

Freunden in Kontakt bleiben und habe auch gezielt gesagt,

dass jeder noch Leute mitnehmen kann, wie er möchte. Für

die Getränke haben alle gemeinsam gesorgt – das sparte im

Endeffekt uns allen viel Geld“, so die Studentin.

Im Frühjahr wurde sie positiv auf das

Coronavirus getestet. „Ob ich mich auf einer

Party angesteckt habe oder in der U-Bahn,

konnte ich aber nicht nachvollziehen. Zwei

Wochen lang ging es mir richtig dreckig, aber

ich war irgendwo auch erleichtert, die Erkrankung

hinter mich gebracht zu haben. Als

Genesene habe ich ja heute keinen Nachteil“,

erzählt die Wienerin.


Nicht nicht nur der soziale Aspekt der Hauspartys ist

ausschlaggebend. Auch das Bedürfnis nach mehr Orten, an

denen man zusammenkommen könne, ohne einen großen

finanziellen Aufwand dafür betreiben zu müssen, ist seit

dem Lockdown deutlich gestiegen. Man erinnert sich noch

gut an die Szenen am Wiener Donaukanal vom Frühling, wo

tausende Menschen nach der Corona-Sperrstunde ab 22 Uhr

zum Feiern zusammenkamen. „Die Tankstelle am Schwedenplatz

hat uns alle gerettet“, so Amira, die es zu dieser Zeit

auch gerne an den Kanal zog. Medial wurde einerseits auf

die unverantwortliche „Partyjugend“ geschimpft und von der

Stadt wurden kurzerhand Platz- und Alkoholverbote verhängt.

Auf der anderen Seite wurde jedoch die berechtigte

Frage aufgeworfen, wie man öffentliche Plätze sicher und

ohne Konsumzwang gestalten kann, sozusagen als Verlängerung

des eigenen Wohnzimmers. „Ich war vor zwei Wochen

zum ersten Mal seit Corona im Club und war wirklich überfordert“,

erzählt die 29-jährige Ana. Im ersten Lockdown

habe sie sich noch sehr penibel an die Hygienemaßnahmen

und ‚Social Distancing‘ gehalten. Bei Lockdown Nummer drei

ging sie schon gerne auf Partys im kleinen Kreis. „Ich habe

mich im Lockdown total entwöhnt vom Fortgehen. Es war

zwar supernett, aber ich bevorzuge am Ende doch eher eine

gute Homeparty.“

Zuhause ist es doch am schönsten - das trifft auch in

Sachen Party zu. Ob in Zukunft neue, offene Feierkonzepte à

la Wohnzimmerfeeling auf uns zukommen werden? Es wäre

sicherlich eine Überlegung wert. ●

„Ich konnte nicht mal alleine auf’s

Klo gehen, weil überall Menschen

waren.“ Homeparty geht im großen

Stil, und im kleinen Kreis.

J U K . A T

,

GOT WHAT S HOT


36 / RAMBAZAMBA /

INSIDE: FRAU MIT VIERZIG

„BEKOMMT DIE

KINDER JETZT, BEVOR

ES ZU SPÄT IST!“

© Zoe Opratko

„Bekommt eure Kinder

jetzt – bevor es zu spät

ist!“ Mit dieser Message

an junge Frauen verabschiedete

sich biber-

Chefredakteurin Delna

Antia-Tatić vergangene

Ausgabe (September

2021) in die Babykarenz.

Der Text stieß auf unglaubliche Resonanz und

löste hitzige Diskussionen in den Kommentarspalten

unser Social Media Kanäle aus – auch

innerhalb der Redaktion wurde diskutiert und

überlegt. Ob Kinder kriegen Anfang Zwanzig so

viel „gescheiter“ ist als Ende Dreißig? Eine hat

es jedenfalls getan.

EINE REPLIK:

„Wer Kinder

bekommt,

wird bestraft“

Uni und Kind unter einen Hut zu bringen

ist kein Kinderspiel: Autorin Sandra

Schmidhofer (27) und ihre Tochter

30 / RAMBAZAMBA /


Mit jungen 22 Jahren wurde Autorin Sandra Schmidhofer Mama.

In ihrem damaligen Freundeskreis war sie die Erste mit Kind.

Heute, fünf Jahre später, ist sie immer noch die Einzige.

Von Sandra Schmidhofer, Foto: Zoe Opratko

Kopfschütteln, Gelächter, Irritation

– das waren die Reaktionen

meiner Freund:innen,

wenn ich gefragt habe, ob

sie nicht auch bald Nachwuchs wollen.

„Noch lange nicht“, war die Standardantwort.

Und so blieb ich auf Spielplätzen

und in Baby-Cafés oft die Einzige, die

nicht Mitte 30 war und sich Gedanken

über Hauskauf, Hochzeiten oder Scheidungen

machte. Nach einiger Zeit habe

ich sie dann doch gefunden: Die jungen

Mütter und Väter, die auf unterschiedlichste

Weise ihr Familienglück leben – es

gibt uns, doch wir sind in der Minderheit.

VON NORMAL ZU

ABNORMAL

„Du bist die Babysitterin, oder?“ – eine

Frage, die ich vor allem in den ersten

zwei Lebensjahren meiner Tochter

unzählige Male gestellt bekommen habe.

Die Reaktionen auf meine Antwort waren

oft daneben. „Du bist die Mutter? Nein,

das glaube ich nicht!“ oder „Du bist doch

noch viel zu jung!“ waren hier unangenehme

Klassiker. Dass manche junge

Erwachsene es wagen, Kinder zu bekommen,

scheint für viele fast ein Skandal

zu sein. Dabei ist es noch nicht so lange

her, da war es ganz normal, Anfang 20

Kinder zu bekommen. Laut dem österreichischen

Institut für Familienforschung

der Universität Wien lag das Durchschnittsalter

einer Mutter bei ihrer ersten

Geburt 1980 bei 23,3 Jahren. Seither ist

dieses Alter stetig angestiegen und lag

2019 bei 29,9 Jahren.

Dass sich junge Menschen mit der

Familienplanung heute mehr Zeit lassen,

kann ich durchaus verstehen. Denn

jungen Eltern wird es nicht gerade leicht

gemacht. Ausbildung und Elternsein

zu vereinbaren, ist herausfordernd. Als

junge Frau, die gerade ins Berufsleben

einsteigt, begegne ich einer Unmenge an

Anforderungen – allen voran jene nach

uneingeschränkter zeitlicher Flexibilität,

die ich als Mutter schlicht und ergreifend

nicht erbringen kann. Das Kind kann ich

schließlich nicht nach Betriebsschluss

aus dem Kindergarten abholen und

Babysitter lassen sich nicht spontan

aus dem Ärmel zaubern. Auf Rücksicht

von Seiten der Arbeitgeber kann ich nur

hoffen, in der Regel gibt es sie nur dort,

wo Frauen in Führungspositionen sitzen.

Dazu kommt, dass es in vielen Branchen

großen Konkurrenzkampf gibt. Als Mama

fällt es schwer, da mitzuhalten. Plötzlich

ist man wieder abhängig von der Familie

oder von Institutionen wie Kindergärten

und Horten – und das in einer Lebensphase,

in der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung

einen großen Stellenwert

haben.

ARBEIT, STUDIUM, KIND?

Von uneingeschränkter Freiheit können

meine kinderlosen Freund:innen trotzdem

nicht berichten. Für manche ist es

auch ohne Kind schwierig, eine Work-

Life-Balance zu finden. Neben Arbeit,

Studium und Freizeitaktivitäten noch

ein Kind großzuziehen, scheint für viele

unvorstellbar. Und es stimmt: Es verlangt

einem ein hohes Maß an Management-

Qualitäten ab, Job, Kinderspielplatzbesuche,

Buch vorlesen, Küche putzen und

die „tägliche“ Yogaroutine unter einen

Hut zu bringen. Hinzu kommt, dass Partnerschaften

in jungen Jahren oft instabil

oder gar inexistent sind. Es macht also

Sinn, das Elternwerden auf später zu

verschieben, wenn man einen sicheren

Job hat, eine feste Partnerschaft, und

eine große Wohnung. Wenn man das

Jungsein genossen hat, erstmal nur für

sich selbst leben konnte. Oder?

DER DENKFEHLER

So sehr ich den Gedankengang verstehen

kann, so sehr glaube ich, dass ihm

ein grundsätzlicher Denkfehler unterliegt.

Es wird nicht leichter, wenn man

älter wird. Einige Probleme, die einem

mit Anfang 20 begegnen, begleiten

einen weit ins Erwachsenenalter hinein.

Schwierigkeiten, Job und Familie zu

vereinbaren, gibt es auch mit Mitte 30.

Partnerschaften können auch in diesem

Alter in die Brüche gehen. Viele Schwierigkeiten

haben weniger mit dem Alter

als mit den Strukturen zu tun, in denen

wir leben. Oft habe ich das Gefühl, dass

Frauen fürs Kinderbekommen regelrecht

bestraft werden. Mit schlechteren Chancen

auf einen Job, geringerem Gehalt,

niedrigerer Pension und wenig Anerkennung

für die Leistung, die sie erbringen.

Ungerechte Aufteilung der Familienarbeit

hat nach wie vor traurige Tradition.

Was Familien jeden Alters brauchen, ist

gesellschaftliche und politische Anerkennung.

Und zwar nicht in Form von

Lobgesang und netten Worten, sondern

in familienfreundlichen Arbeitsbedingungen

und Ausbildungsmöglichkeiten

sowie einer grundsätzlichen Toleranz für

unterschiedliche Lebensumstände.

Statt also seine kostbare fruchtbare

Zeit damit zu verschwenden, auf den

perfekten Moment für das erste Kind zu

warten, macht es mehr Sinn, sich für

die notwendigen Umstände einzusetzen

und sie einzufordern – bei unseren

Arbeitgeber:innen, Bildungseinrichtungen,

Politiker:innen und Partner:innen. ●

/ RAMBAZAMBA / 31


LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Von Aleksandra Tulej

NOSTALGIE-SPALTE

Haut-Tipp

RETTER FÜR

DEN HERBST

MEINUNG

Eilt: O.C., California:

Positionswechsel

Als Teenagerin war die Serie „O.C., California“

eine Art Religion für mich. Ich habe

damals bei jedem Drama und jedem Cliffhanger

mitgefiebert, als würde mein Leben

davon abhängen. Wie es sich zum guten

Ton einer jeden rebellischen 14-Jährigen

gehört, habe ich natürlich Marissa Cooper

als mein absolutes Vorbild betrachtet. Vor

allem, als sie mit Bad Boy Volchok zusammen

war und ihre schwarz lackierten Fingernägel

und Metal-Band-Shirts eindeutig

ausdrückten, dass sie auf die schiefe Bahn

geraten war. Sie hat sogar einmal Bong

geraucht. Ur geil, ich wollte auch so sein.

Nur leider musste ihre nervige, geldgierige

Gold Digger-Mutter immer alles zerstören.

Julie Cooper war mir immer ein Dorn

im Auge. Sie hat zu den manipulativsten

und psychopathischsten Mitteln gegriffen,

um an Geld zu kommen: Mit alten

reichen Männern angebandelt, gelogen,

bestochen und erpresst. Es hat weitere 14

Jahre gebraucht, bis ich realisiert habe:

Julie Cooper ist die Beste. Sie hat all das

gemacht, um ihrer verzogenen Tochter

eine Zukunft zu bieten, und hat es – wenn

auch mit unkonventionellen Mitteln – aus

jeder Misere hinausgeschafft. Symbolisch:

Den Trailer Park mit Louis-Vuitton-Koffern

verlassen. Hiermit teile ich meinen Positionswechsel

in dieser Causa mit und mach

mich dran, die Serie von Neu zu streamen.

California, here we comeeee!

tulej@dasbiber.at

Ich sehe ohnehin eh nie erholt aus,

aber jetzt geht es wieder los mit

Heizungsluft und fahler Herbst-Haut.

Die Lösung: Das Bye Bye Dullness 15

% Vitamin C Serum von IT-Cosmetics

pusht die Haut mit Vitaminen

und Feuchtigkeit.

Ist laut

Hersteller

für

alle Hauttypen

geeignet. IT

Cosmetics,

25 €

Halbe Sachen:

BABA WIMPERN

Ich schaue ungeschminkt aus wie

Rufus, der Nacktmull aus Kim Possible.

Aber wie besagt das alte Sprichwort:

Wo die Natur nicht gnädig ist, schaffen

Fake-Wimpern schnell Abhilfe. Die

„herkömmlichen“ Modelle sind mir

aber viel zu arg. Nicht, dass Huda Sanchez

nicht mein heimlicher TikTok-Girl-

Crush wäre, aber man

muss ja den Schein wahren,

zumindest so halb.

Deshalb, Empfehlung des

Hauses: Die Half Lashes

„lashes to impress“ von

Essence um 2,45 €. Vertraut

mir einfach.

BILDUNGS-

FERNSEHEN

MTV

Es gab eine Zeit, als MTV und

VIVA noch nicht aus Jamba-

Nacktscannern, singenden

Küken und nervigen Klingeltönen

bestand. Die guten alten frühen

2000er. Am Programm standen

Room Raiders, Pimp My Ride,

Flavour of Love, Dismissed, My

Super Sweet Sixteen, MTV Cribs

und und und. Ich frage mich, ob

diese Shows heute noch so funktionieren

würden. Wahrscheinlich

nicht, aber es war dennoch eine

Welt, die ich nicht missen will.

Ich kann die Titelmelodien sicher

noch auswendig mitträllern und

warte vergeblich darauf, bis

Xzibit an meine Tür klopft, um

mein Fahrrad mit einem Jacuzzi

auszustatten.

© Zoe Opratko, Essence, IT Cosmetics, MTV

32 / LIFESTYLE /


Bezahlte Anzeige

Manche nennen es Job,

ich nenne es Zukunft.

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Die Elementarpädagog*innen und Pädagog*innen für den inklusiven Bereich der Stadt Wien

begleiten die Kinder aufmerksam bei der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Sie gehen

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jobs.wien.gv.at


Kochbuchautorin Serayi dreht

den Köftespieß um und zeigt, dass

orientalische Küche nicht nur

fleischlastig - sondern auch komplett

ohne tierische Produkte geht. Die

26-Jährige Deutsche mit türkischkurdisch-persischen

Wurzeln erzählt,

warum sie lieber im türkischen

Supermarkt einkauft und verrät, welche

Zutat in jede Küche gehört.

Von Aleksandra Tulej

„Am liebsten

esse ich veganen

Baklava-

Cheesecake“

34 / LIFESTYLE /


BIBER: Serayi, dein erstes Kochbuch

„Orient trifft vegan“ ist ein Spiegel-Bestseller

geworden. Ende des Jahres kommt

dein zweites Buch „Orient trifft fit“ heraus.

Was erwartet uns im zweiten Teil?

SERAYI: Im ersten Buch finden sich

vorwiegend traditionelle Rezepte, die es

so schon gibt – nur habe ich eben die

veganen Optionen nachgekocht. Für das

zweite Buch habe ich selbst neue orientalische,

gesunde Rezepte kreiert, die

es so noch gar nicht gibt. Mit Kräutern,

Gewürzen, Rosenblättern – also allem,

was traditionell dazugehört, aber eben

vegan und meiner Meinung nach gesünder.

Es geht mir aber nicht um Kalorienzählen,

sondern einfach um das Mindset,

dass bewusste, gesunde Ernährung sich

positiv auf Seele und Körper auswirkt.

Was hat dich dazu bewegt, vegan zu

leben?

Das war ein Prozess. Ich bin vor ungefähr

sechs Jahren auf Dokus über Milchund

Fleischproduktion gestoßen und das

hat mich zum Nachdenken bewegt. Ich

habe dann für mich beschlossen, dass

ich nicht mehr Teil von so einem System

sein kann, und habe aufgehört, Fleisch

zu essen – zuerst wurde ich vegetarisch,

dann vegan.

Resonanz gestoßen: So viele Menschen

wollten die Rezepte für mein veganes

Börek oder die veganen Sarma. Dann

habe ich wegen dieser Nachfrage mit

meinem Blog begonnen, und – was soll

ich sagen - darauf bin ich dann hängengeblieben

und aus der Leidenschaft ist

dann mein Beruf geworden.

Wie hat deine türkische Familie in

Deutschland darauf reagiert, als du

vegan geworden bist?

Meine Mama hat früher jeden Tag Fleisch

gekocht. Ich bin mit diesem Mindset

aufgewachsen, dass eine Mahlzeit ohne

Fleisch kein richtiges Essen ist. (lacht)

Heute isst meine Mama einmal im Jahr,

zu Bayram, Fleisch. Meine Schwägerin

ist Vegetarierin geworden. Bei meinem

Bruder merke ich auch, dass er immer

mehr Mandelmilch und Tofu in seiner

Küche hat. Nicht, dass die jetzt alle

vegan geworden sind, aber ich sehe

schon einen enormen Umschwung und

ein Umdenken. Am Anfang habe ich aber

ständig dieses typische „Hä, was kannst

du dann noch essen?“ zu hören bekommen.

Aber als ich denen nach und nach

aufgezählt habe, wie viele Gerichte bei

uns sowieso schon vegan sind, wie zum

Beispiel Rote Linsensuppe, war das für

viele ein Aha-Erlebnis und bei einigen hat

ein Umdenkprozess begonnen.

Und was sagt deine Familie in der Türkei?

Sie sind sehr stolz, wenn sie hören, dass

ich mit meinen Rezepten so vielen Menschen

aus Deutschland ihre Heimatküche

nähergebracht habe.

Wo kaufst du deine Produkte ein?

Ich kaufe 90 Prozent meiner Zutaten im

orientalischen Supermarkt. Ich mag es

einfach, dass das dort, wenn ich Petersilie

kaufen will, nicht nur 10 Gramm sind,

sondern wirklich ganze Bündel. Es gibt

auch eine größere Auswahl an Hülsenfrüchten,

Bohnen und Gewürzen. Ich

koche sehr, sehr viel mit Petersilie, Minze

und anderen Kräutern, weil es auch

einfach schon in unserer Küche drin ist.

© Orient trifft Vegan

Orientalische Küche, die man eigentlich

als fleischlastig kennt, und Veganismus?

Wie passt das zusammen? Wie kamst

du auf die Idee, dein erstes Kochbuch zu

kreieren?

Als ich anfangs probiert habe, vegan zu

kochen, war ich sehr schnell enttäuscht.

Ich habe Tofu-Rezepte nachgekocht

und mir dann gedacht: „Mein Gott, das

schmeckt ja einfach nur nach Pappe!“

(lacht) Ich weiß noch, wie ich in der

Küche stand und verzweifelt festgestellt

habe, dass ich doch nicht mein ganzes

Leben Spargel mit Tofu auf Bambussprossen

essen kann.

Ich habe einfach die Küche meiner

Heimat vermisst. Das Essen, mit dem

ich aufgewachsen bin. Die Gerichte, die

ich als Kind geliebt habe. All das, was

mir immer so gut geschmeckt hat. Und

daraus ist die Leidenschaft geworden,

Speisen, die ich aus meinem Kulturkreis

kenne, zu veganisieren. Die Bilder habe

ich dann in veganen Facebook-Gruppen

geteilt und bin schnell auf eine riesige

Eines von Serayis Gerichten: Ghelgheli-Zauberbällchen aus

veganem Frischkäse und Kräutern

/ LIFESTYLE / 35


Aber natürlich gehe ich auch ab

und zu in normale Supermärkte.

Welche Basic-Zutat darf in keiner

Küche fehlen?

Salça. Das ist Tomaten- und

Paprikamark, das man verwendet,

bevor man Zwiebel und

Knoblauch anbrät zum Beispiel.

Aber das kann man nicht mit

normalem Tomatenmark aus

dem Supermarkt vergleichen. Die

Tomaten für die Salça werden

unter der Sonne getrocknet und

das schmeckt man richtig heraus.

Ansonsten schwöre ich auf meine

Gewürze: Sumak oder Kuzu Et

baharati, das ist ein Grillgewürz.

Ach ja, und Granatapfelkonzentrat

gebe ich auch in gefühlt jede

Speise rein!

Kann jeder deine Rezepte nachkochen,

oder braucht es dafür

mehr als Hobbykoch-Skills?

Es gibt verschiedene Schwierigkeitsstufen,

aber schwer ist

es nicht! Ich kann immer wieder

nur betonen, dass die Gewürze

vieles ausmachen, der Rest sind

eigentlich einfache Handgriffe.

Ich würde sagen, dass das zweite

Buch sogar noch einfacher ist,

weil es eben weniger traditionell

ist und ich eher darauf geachtet

habe, dass es auch mal schnell

gehen muss.

Was ist dein persönliches Lieblingsrezept?

Baklava-Cheesecake im Glas,

zuckerfrei. Ich habe auch schon

mal vier Gläser davon auf einmal

verdrückt, es ist einfach so so

lecker.

„Vegan trifft

Fit“ – Serayis

zweites Kochbuch

erscheint

Ende des

Jahres – ihr

könnt es unter

www.serayi.

com schon

vorbestellen

Serayis Rezept zum Nachkochen:

TEPSI KEBABI – SAFTIGE KÖFTE MIT GESCHMORTEM

GEMÜSE VOM BLECH – VEGAN

Zutaten für 2–3 Portionen

Zutaten Gemüse:

2 Melanzani, in Scheiben

geschnitten

2 grüne Pfefferoni, mild und

grün

3 Tomaten ( groß), in Scheiben

geschnitten

4 Kartoffeln, in Scheiben

geschnitten

Zutaten für Köfte:

275g Veganes Faschiertes

1 EL Tomatenmark

½ EL Paprikamark

2 Zwiebeln ( eine rote, eine

weiße), fein gerieben

Hand voll Petersilie, klein

gehackt

½ TL Kreuzkümmel

½ TL Chiliflocken

2 TL Kuzu Et baharti (

Lamm- Grill Gewürz)

Salz und Pfeffer

1 TL Stärke

2–3 EL Paniermehl

Für die Soße:

300 ml Wasser

1 EL Tomatenmark

½ EL Paprikamark

50 g geschmolzene Margarine

oder Olivenöl

Salz und Pfeffer

Deko:

Petersilie

Gesamtdauer

Vorbereitungszeit 15 Min.

Kochzeit 35–45 Min.

Mehr Rezepte findet ihr

unter: www.serayi.com

1. Alle Zutaten für die Köfte in einer Schüssel vermengen und zu

einer homogenen Masse verkneten. Ca. 10 Minuten abgedeckt

zur Seite stellen und ziehen lassen. Durch das kurze ruhen

verhindert man das auseinanderfallen der Köfte!

2. In der Zwischenzeit das Gemüse vorbereiten. Kartoffeln,

Melanzani und Tomaten in Scheiben schneiden.

Orient Tipp: Die Haut der Melanzani längs mit einem Sparschäler

im Zebramuster schälen. Das macht sie später butterweich

ohne daß sie zerfallen. Die in Scheiben geschnittenen Auberginen

in eine Schüssel mit kaltem Wasser und 1 TL Salz hinzufügen.

Das Salz entzieht die Bitterstoffe!

3. Die Auflaufform mit etwas Olivenöl einpinseln. Eine Köfte formen,

eine Kartoffel auf die eine Seite kleben, die Aubergine auf

die andere. Immer wieder eine Tomatenscheibe dazwischen.

Nebeneinander das Gemüse und die Köfte eng zu einem Kreis

schichten. Oben die Pfefferoni verteilen.

4. Für die Soße in einem kleinen Topf Wasser aufkochen. Tomaten

und Paprikamark, Öl oder Margarine und Gewürze hinzufügen

und alles miteinander verquirlen.

5. Ofen auf 180 Grad Ober-Unter Hitze vorheizen. Die mit Gemüse

und Köfte befüllte Auflaufform überall gleichmäßig mit der Soße

übergießen! So wird das Essen später besonders saftig!

6. 35–45 Minuten im Ofen schmoren lassen.

Die Auflaufform in der Mitte des Tisches servieren und mit fein

gehackter Petersilie dekorieren. Mit Reis oder Brot servieren.

Mahlzeit!

36 / LIFESTYLE /


Mit ohne

Fleisch!*

®

McPlant ab jetzt

fix am Start!

* Bitte sei ihm nicht böse:

Das pflanzliche Patty könnte am Grill

in Kontakt mit Fleisch gekommen sein.

Beyond Meat® and the Beyond Meat logo are registered trademarks of Beyond Meat, Inc.

In allen teilnehmenden Restaurants in Österreich. Solange der Vorrat reicht. Produkt mit Schmelzkäsezubereitung.

Der McPlant ist gekommen, um zu

bleiben. Gut für dich – denn das heißt,

du kannst unseren köstlichen Burger

mit pflanzlichem Patty von Beyond

Meat noch ganz oft genießen.


biber-Stipendiatin Maryam Al-Mufti wird durch einen

Kinofilm an ihre Flucht aus dem Irak vor 18 Jahren erinnert.

Sind Süßigkeiten als Geschenk von Soldaten eine menschliche

Geste oder bewusste Strategie?

DER SOLDAT, DER MIR

M&M’S SCHENKTE

Ich sitze am Beifahrersitz, meine Mutter

neben mir am Steuer. Die Straße ist

staubig, rund um uns nur Wüste. Wir

schreiben das Jahr 2003. Wir fahren gerade

aus Bagdad raus, als plötzlich ein USamerikanischer

Militärpanzer vor uns auffährt.

Ich bin vier Jahre alt, von Krieg verstehe ich

nichts und schon gar nicht weiß ich, was es bedeutet,

wenn ein Panzer auf einen zugerollt kommt. Aber

die Körpersprache meiner Mutter spricht Bände. Eben

war sie noch gelassen, jetzt hat sich ihr Blick komplett

verändert. Sie zittert am ganzen Leib und ihr Gesicht ist

kreidebleich. Meine anfängliche Verwirrung wächst zu

einer Mischung aus Angst und Stress. Schließlich muss

es ja einen Grund haben, weshalb meine Mutter plötzlich

so angespannt und ängstlich neben mir sitzt.

Auf dem Panzer stehen drei Soldaten. Mit ihren

Tarnuniformen, den grün-grauen Helmen und der kriegerischen

Gesichtsbemalung stellen sie sich auf, ihre

Blicke und die Panzerkanone streng auf uns gerichtet.

ANGST UND ANSPANNUNG

Einer der Soldaten bewegt sich. Er steigt von seinem

Panzer runter und kommt schwer bewaffnet auf unser

Auto zu. Je näher er kommt,

desto angespannter wird die

Stimmung.

Er steht vor der Autotür und

klopft mit seinen Knöcheln gegen

die Scheibe. Zitternd kurbelt meine

Mutter das Fenster herunter

und der fremde Mann sieht zu mir

hinein.

Er greift in seine Tasche, wühlt

herum, und nach einigen Sekunden

– für mich fühlt es sich an wie

eine halbe Ewigkeit – findet er,

wonach er gesucht hat. Mit seiner

Faust langt er in das Auto bis hin

zu mir auf den Beifahrersitz und

öffnet sie zu einer flachen Hand.

Die Autorin als Vierjährige im Irak

Endlich sehe ich, was er in seiner Hand hält

und atme auf. Er streckt mir eine kleine

gelbe Packung M&M’s entgegen.

Zögerlich nehme ich sie und bedanke

mich bei ihm. Er nickt nur, dreht sich weg

und steigt zurück zu seinen Kollegen in den

Panzer. Als sie weg sind, können auch wir endlich

wieder weiterfahren. Der Schock verfolgt uns noch den

ganzen Tag.

18 Jahre später sitze ich im Kino. Meinen Geburtsort

habe ich seitdem nicht mehr gesehen, und trotzdem

erinnere ich mich ständig an meine Kindheit in Bagdad.

Gerüche, Geschmäcker, Geräusche, bringen mich

zurück in die Zeit als der Irak noch mein zuhause war.

SÜSSIGKEITEN ALS STRATEGIE

Auf der Leinwand läuft der Film „Quo Vadis, Aida?“. Es

geht um den serbischen Genozid an Bosniak*innen in

Srebrenica. Eine bestimmte Szene lässt mich nicht los:

serbische Soldaten verteilen Toblerone an hungernde,

vertriebene Bosniak*innen. Kurz darauf werden sie von

denselben Soldaten ermordet, die sie vorher noch so

großzügig mit Schokolade beschenkt haben.

Die Szene ruft Erinnerungen in mir vor. Sie fühlt sich

komisch vertraut an. 18 Jahre

lang war ich von der Einzigartigkeit

meiner Geschichte überzeugt.

Jetzt sitze ich hier, im unbequemen

Kinosessel, und frage mich

zum ersten Mal: ist es gar kein

Einzelfall? Was, wenn das Verteilen

von Süßigkeiten eine bewusste

Strategie ist, die Soldaten in

ihrer Ausbildung eingetrichtert

bekommen?

Kinder sind beeinflussbar

und naiv. Jemand, der ihnen

Schokolade oder Gummibärchen

schenkt, kann doch unmöglich

Böses im Sinn haben, unmöglich

der „Feind“ sein, oder? Oder? ●

© privat

38 / MIT SCHARF /


Nachhaltig handeln bedeutet, mit Ressourcen so verantwortungsvoll umzugehen, dass wir auch morgen noch

gut leben können. Und das müssen wir heute anpacken. Die neue OMV forscht schon jetzt an mechanischen und

chemischen Recycling-Lösungen für morgen und investiert in innovative Projekte wie ReOil ® . Damit verwandeln

wir Plastikmüll zurück in einen hochwertigen Rohstoff und fördern eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft.

Und das ist nur eines unserer Recycling-Projekte. Denn wir wollen dazu beitragen, den Großteil der Kunststoffabfälle

in Österreich zurück in wertvolle Rohstoffe zu verwandeln und so CO 2 einzusparen.

Mehr dazu: omv.com/neue-omv


Gewaltprävention an Wiener Mittelschulen

„Nur Opfer belä

40 / RAMBAZAMBA /


Nach einer coronabedingten Pause ist biber gemeinsam mit ausgebildeten Trainerinnen

wieder an Wiener Schulen unterwegs, um mit Jugendlichen über Gewalt,

Rollenbilder, Stereotype und Selbstbewusstsein zu reden. Es war ernst, es war

lustig, es war erfrischend ehrlich. Von Aleksandra Tulej Fotos: Soza Jann

stigen Frauen!“

/ RAMBAZAMBA / 41


Man kann keinen Jungs vertrauen,

glauben Sie mir,

Frau Renate!“, sagt die

12-Jährige Milica* ernst.

Ihre Mitschülerinnen stimmen ihr nickend

zu. Wir befinden uns im lichtdurchfluteten

Turnsaal einer Wiener NMS im zehnten

Bezirk. Nach einer coronabedingten

Pause ist die biber-Redaktion jetzt wieder

gemeinsam mit den Vereinen „Drehungen“

und „poika“ an Wiener Neuen

Mittelschulen sowie AHS unterwegs – im

Rahmen des Projekts „Ich bin kein Opfer

– und auch kein Täter.“ Gemeinsam

versuchen wir, Themen wie veraltete

Geschlechterrollen, Gewaltprävention,

Stereotype und Selbstbewusstsein an die

SchülerInnen zu bringen. Genau in ihrem

Alter sind diese Bereiche prägend und

enorm wichtig. Philipp Leeb vom Verein

„poika“ und Renate Wenda vom Verein

„Drehungen“ sprechen mit Jugendlichen

in dreistündigen Workshops über

Belästigung, Flirten, Rollenbilder, Genderkonstrukte,

Körpersprache, Grenzen, und

bringen auch einige Selbstverteidigungstechniken

bei. Die Klasse wird geteilt,

Mädchen und Buben sind getrennt.

So fällt es leichter, sich auszutauschen

und Probleme anzusprechen, die

in dem Alter vorherrschend sind.

FUSSBALL IST

MÄNNERSACHE.

„Schauen Sie. Wenn wir mit den Jungs

Fußball spielen, dann spielen sie nur

miteinander und passen uns den Ball

nicht zu, weil sie sagen, dass Fußball

eh nix für Mädchen ist“, erklärt Milicas

Klassenkameradin Hülya*. „Dabei sollten

Sie mal sehen, wie gut die Lena ist, die

spielt besser Fußball als alle anderen –

auch als die Jungs. Beste einfach!“, wirft

sie erbost ein. Kollektive Zustimmung.

„Wenn die uns provozieren, dann würden

„Schwaches Geschlecht? Wer sagt heute noch sowas?“

wir sie am liebsten schlagen“, dröhnt es

aus einer Ecke. Trainerin Renate diskutiert

mit den Mädchen darüber, wie sie

mit solchen Provokationen seitens der

Burschen umgehen können. „Was habt

ihr dann davon?“ „Naja, eine Anzeige

wegen Körperverletzung wahrscheinlich“,

überlegt eine andere Schülerin laut.

„Sich zu verteidigen ist wichtig – aber

nicht mit Wut, sondern mit Köpfchen!“,

erklärt Renate und gibt psychologischen

Rat. Jungs zu erklären, dass sie eine

Meinung von Vorgestern haben, und es

keinen Grund dafür gibt, heute noch so

zu denken, sitzt viel tiefer. „Wisst ihr, das

war ganz früher so, dass Fußballspielen

für Frauen sogar gesetzlich verboten

war – aber wie lange ist das schon her!“,

sagt sie. Und als rückschrittlich und

altmodisch will wohl niemand bezeichnet

werden – vor allem keine pubertierenden

Jungs.

KEINE PUSSY SEIN.

Die wollen vor allem eines sein: Stark,

tough und – männlich. Aber was bedeutet

das überhaupt? Genau dieser Frage

geht Trainer Philipp Leeb mit den Jungs

der Klasse nach. „Was bedeutet das,

ein Mann zu sein?“, schreibt Philipp an

die Tafel. „Yarak haben!“, „Geld nachhause

bringen!“, „Eine Frau haben!“,

„Keine Pussy sein!“, „Sich für die Familie

anstrengen!“, „Der Mann im Haus sein!“

wird wild durcheinandergerufen. Auf die

Frage, was denn „Der Mann im Haus“

bedeutet, haben auch wieder alle eine

Antwort. „Männer verdienen das Geld,

sind Polizisten, Handwerker, Architekten

und so. Frauen machen halt leichte

42 / RAMBAZAMBA /


Schauen Sie. Wenn wir

mit den Jungs Fußball

spielen, dann spielen sie

nur miteinander und passen

uns den Ball nicht zu,

weil sie sagen, dass Fußball

eh nix für Mädchen

ist.

Arbeit“, zuckt Ali * mit den Schultern.

Die Diskussion vertieft sich, und es

wird immer mehr klar, dass mit „leichter

Arbeit“ Hausarbeit gemeint ist. Die

Jungs sollen aufzählen, was alles dazu

gehört, und die Liste wird immer länger:

Kochen, Putzen, sich um die Kinder und

die Wohnung zu kümmern und und und.

„Okay, na gut, so leicht ist das dann auch

wieder nicht“, lautet die Conclusio. Die

Message kommt an. Als Trainer Phillip

erklärt, dass auch Männer in Karenz

gehen können und Kinderbetreuung

keinesfalls nur Frauensache ist, ist die

Verwunderung am Anfang groß – im Laufe

der Diskussion kristallisiert sich aber

heraus, dass „das eh irgendwie cool ist.“

Die Jungs stellen viele private Fragen an

uns und die Trainer, sie beginnen, sich

dafür zu interessieren, was wir ihnen

näherbringen möchten. „Aber schauen

Sie. Frauen haben es halt einfacher.

Eine Frau kann einen Mann ansprechen,

ohne dass man ihr gleich Belästigung

vorwirft!“, sagt Ömer * und die anderen

stimmen ihm zu. Wie er denn Mädchen

anspricht, wollen wir wissen. „Naja. Man

muss schon so zwei Minuten plaudern,

bevor man nach ihrem insta fragt. Aber

alle wollen mein insta, ich bin ja ein sexy

Typ“, sagt der neunmalkluge 12-Jährige.

ELEKTROSCHOCKER FÜR

DEN HEIMWEG

Trainer Philipp erklärt, in welchen

Settings es in Ordnung ist, Frauen

anzusprechen, und dass man auch mit

Ablehnungen umgehen lernen muss – es

ist ein Prozess, der zum Erwachsenwerden

dazugehört. Wir sprechen auch

darüber, was Flirten und was Belästigung

ist.

Die Mädchen lernten Selbstverteidigungstechniken, die sie im

Fall des Falles anwenden können

Trainerin

Renate Wenda

vom Verein

Drehungen

/ RAMBAZAMBA / 43


Wenn eine Frau

vor mir geht und

es Dunkel ist, dann

wechsel ich lieber

die Straßenseite,

damit sie sich nicht

erschreckt.

Angesichts der unglaublich hohen

Zahl an Femiziden in Österreich allein

dieses Jahr ist dieses Thema unumgänglich.

Wir erzählen den Jungs von

unseren eigenen, teils sehr persönlichen

Erfahrungen mit sexueller Belästigung,

Grapschern und Verfolgungen am

Heimweg. Wir sprechen darüber, dass

das so gut wie jeder Frau schon einmal

wiederfahren ist. Plötzlich wird es still.

„Oha, ich wusste nicht, dass das so

oft vorkommt. Welche Opfer machen

sowas?“, murmelt ein Schüler. „Aber

dann kaufen Sie sich am besten einen

Elektroschocker oder einen Taser, dann

sind Sie sicher!“, wirft ein anderer einen

gut gemeinten Ratschlag ein. Dass das

nicht so einfach ist und Gewalt an Frauen

ein strukturelles Problem ist, wird zu

unserem nächsten Thema an diesem

Vormittag. Wir sprechen darüber, dass

sexuelle Belästigung viel früher anfängt

als bei Vergewaltigungen. Mädchengruppen

nachzupfeifen, das finden sie

alle blöd. „Das machen nur Opfer“, wird

kollektiv abgewunken. „Wenn eine Frau

vor mir geht und es Dunkel ist, dann

wechsel ich lieber die Straßenseite,

damit sie sich nicht erschreckt“, gibt sich

Klassen-Babo Ömer* plötzlich verständnisvoll.

„Gute Idee, das werd ich auch so

machen ab jetzt“, stimmen die anderen

ein. Während die Mädchen-Gruppe von

Renate Selbstverteidigungstechniken

beigebracht bekommt, über Grenzen

und Zustimmung spricht, dringt bei den

Jungs die Message durch, warum das

alles kein Spaß ist.

„DU SCHAUST PORNOS?

GEH MAL BETEN, ALTER.“

Bei all den ernsten Gesprächen wird aber

auch viel gescherzt – natürlich ist das

„Was bedeutet es, der Mann im Haus zu sein?“

Diese Frage sorgte für angeregte Diskussionen

Trainer Philipp

von Poika

beantwortete

geduldig alle

Fragen

44 / RAMBAZAMBA /


Thema Sexualität eines, das in diesem

Alter omnipräsent ist und die Gemüter

erhitzt. „Wie? Pornos sind gespielt? Wie

jetzt?“, fragt ein Schüler mit ehrlicher

Unwissenheit. „Du schaust Pornos? Geh

mal beten, Alter!“, rügt ihn sein Klassenkamerad.

Wir sprechen darüber, dass

Pornographie nicht das echte Sexleben

abbildet, darüber, was Zustimmung ist,

über Anatomie und Gefühle. Sie alle

haben viel zu sagen, aber durch die Diskussionen

entstehen immer mehr Fragen

– Trainer Philipp beantwortet alles geduldig

und verständnisvoll. Und hinterlässt

somit einen bleibenden Eindruck.

„Schade, dass es schon vorbei ist

heute, war echt cool“, sagt Yasin* am

Ende des Workshops. Was ihm so gut

gefallen hat, wollen wir wissen.

„Man konnte endlich frei sprechen,

über alles, was wir wollten. Das war so

toll. Außerdem habe ich gelernt, dass

man Frauen respektieren muss. Aber sie

uns auch.“ resümiert er. ●

Es wurde viel gelacht und gescherzt – aber auch ganz ernst diskutiert.

* Die Namen der SchülerInnen wurden von der

Redaktion geändert

ÜBER DIE VEREINE:

VEREIN DREHUNGEN

Kurse für Mädchen und Frauen,

um Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen

und Selbstverteidigung zu

fördern. Prävention gegen verbale,

physische und psychische Gewalt

an Frauen und Mädchen.

www.verein-drehungen.at

POIKA

Verein für gendersensible Bubenarbeit

in Ergänzung und Zusammenarbeit

mit Mädchenarbeit.

Poika orientiert sich an emanzipatorischen

Modellen, die es

den Buben ermöglichen sollen, in

reflektierter Umgebung sich mit

diversen Themen wie Geschlechtskonstruktionen

von Weiblichkeit

und Männlichkeit, Berufsorientierung,

Gewalt, Sexualität, uvm.

auseinanderzusetzen

www.poika.at

ÜBER DAS PROJEKT

„Ich bin kein Opfer!“ und „Ich bin kein Täter!“ – dieses Gefühl und Selbstverständnis

stärkt biber gemeinsam mit dem Österreichischen Integrationsfonds

mit einem gezielten „Selbstverteidigungs- und Sensibilisierungs“- Projekt zur

Gewaltprävention schon bei Schülerinnen und Schülern. Unter der Leitung

von erfahrenen Trainern erlernen die jungen Mädchen neben körperlichen

Verteidigungstechniken auch psychologisch taktisches Vorgehen. Gleichzeitig

setzt das Projekt auf der Seite der Burschen an – ohne mit dem Finger

auf sie zu zeigen. Mit Rollenspielen zum Thema Mobbing, sexueller Orientierung

und sexuelle Belästigung soll auf Tabu-Themen eingegangen und das

Thema der „Prävention sexualisierter Gewalt“ erlebbar gemacht werden. So

wird sensibel ein Bewusstsein dafür geschaffen, was sexuelle Übergriffe und

Gewalt sind und wo Grenzen überschritten werden. Im Rahmen dieser Kurse

werden den Schülern Verhaltens- und Handlungsstrategien aufgezeigt und

Gespräche auf Augenhöhe über eigene Erfahrungen geführt. Biber schafft

mediale Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema, indem wir breitenwirksam

auf den biber-Kanälen darüber berichten: Ob in Videos, Insta-Stories auf

Social Media oder in den biber-Ausgaben.

DIESES PROJEKT WIRD DURCH DEN ÖSTERREICHISCHEN

INTEGRATIONSFONDS FINANZIERT

DIE REDAKTIONELLE VERANTWORTUNG LIEGT BEI BIBER.

/ RAMBAZAMBA / 45


KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Anna Jandrisevits

FOMO („FEAR OF MISSING OUT“) WAR GESTERN!

Die Tage werden wieder kürzer, die Temperaturen sinken und die

Couch wirkt zu dieser Jahreszeit so viel gemütlicher als die Trainingsmatte.

Dabei tut Bewegung doch so gut! Durch Corona & Homeoffice

spüren viele von uns eine Belastung und diese schlägt nicht nur auf

unsere mentale, sondern auch auf unsere körperliche Gesundheit.

Dabei reichen pro Tag bereits 10 Min Bewegung, damit sich im Körper

zahlreiche positive Dinge abspielen. Die VHS bietet wohltuende Kurse

zur Entspannung & Körperwahrnehmung, wie zB: Atemtraining, Meditation

oder Yoga, die gut für Geist & Körper sind. Alle Infos gibt’s auf

www.vhs.at

MEINUNG

Alles ist normal

Fast zwei Jahre lang durfte ich diese Kolumne

schreiben und die „Karriere & Kohle“-Seite mit

Ratschlägen, Meinungen und vielen Worten

füllen. Das wird nun das letzte Mal sein. Als

neue Chefin vom Dienst bei „die_Chefredaktion“

werde ich zukünftig beruflich auf

Instagram unterwegs sein. Bevor ich endgültig

Abschied nehme, möchte ich die letzten

Zeilen noch sinnvoll nutzen und allen biber-

Leser*innen einige Ratschläge mit auf den

Weg geben, die ich in den letzten Jahren von

anderen bekommen habe und die mir im Studien-

und Berufsalltag sehr geholfen haben:

1. Wenn ihr das Imposter-Syndrom habt,

versetzt euch in schlechten Momenten in

eure Freund*innen. Sie würden euer Können

und Talent nie infrage stellen, weil sie an euch

glauben. Je öfter ihr aus ihrer Perspektive auf

euch schaut, desto seltener findet ihr hoffentlich

Gründe, an euch zu zweifeln. 2. Nehmt

ein Jobangebot nicht an, nur weil ihr glaubt,

ihr müsst. „Diese Chance kriegst du nie

wieder“ ist eine Behauptung, die einfach nicht

stimmt. Der Job kann noch so angesehen

sein – wenn er euch nicht zusagt, lehnt ab.

Diese Chance kriegt ihr wieder, meist sogar

eine bessere. 3. Hört auf zu glauben, dass

alle anderen ihr Leben im Griff haben - haben

sie nicht, zumindest nicht immer. Die meisten

haben sogar oft dieselben Probleme, Sorgen

und Zweifel wie ihr – unabhängig von ihrer

Position oder Leistung. Was hilft, ist offen

miteinander darüber zu reden. 4. Am Ende

ist alles halb so schlimm. Wirklich. In diesem

Sinne: vielen Dank und alles Liebe, Anna.

jandrisevits@dasbiber.at

DU WILLST EINE

GEHALTSERHÖHUNG?

DAS MUSST DU BEACHTEN

ARGUMENTE:

Zu sagen, dass du viel arbeitest, wird

deine Vorgesetzten nicht überzeugen,

weil sie sich darunter oft nichts vorstellen

können. Nenne spezifische Gründe,

zum Beispiel deine Erfolge für die Firma

oder welche Verantwortung du mit deiner

Tätigkeit trägst.

SELBSTVERTRAUEN:

Führe dir die Gründe aus dem ersten

Punkt auch selbst vor Augen und werde

dir deiner Kompetenzen bewusst. Wenn

du nicht selbst glaubst, dass du mehr

Geld verdienen solltest, glauben es

andere eher auch nicht.

ALTERNATIVEN:

Wenn deine Vorgesetzten eine Gehaltserhöhung

ablehnen, überlege dir, Alternativen

vorzuschlagen. Zum Beispiel

eine Anpassung deiner Aufgabenbereiche

an das Gehalt oder die Möglichkeit

auf eine finanzierte Fortbildung.

Podcast-Tipp:

WISSEN

WEEKLY

Es gibt Fragen, auf die

anscheinend niemand so

wirklich eindeutige Antworten

hat. Genau diese Antworten

will der Spotify-Podcast

„Wissen Weekly“ liefern, in

dem Lisa-Sophie Scheurell

über eine Bandbreite von

Themen aufklärt – auch im

Bereich Karriere und Kohle.

Von der Börse über Mietpreise

bis hin zur Chancengleichheit

werden Sachverhalte

anhand von Fakten, Studien

und Gesprächen mit

Expert*innen erklärt. Die

Folgen dauern nie länger als

35 Minuten und sind perfekt

für eine kleine Portion Allgemeinwissen

zwischendurch.

© Zoe Opratko, Spotify, pixabay.com/WikimediaImages

46 / KARRIERE /


ISST DU DAS NOCH?

Zu gut zum Wegwerfen: Wie gut schmecken

Lebensmittel, die man gerade noch vor der

Bio-Tonne gerettet hat? Ein Selbsttest.

Aleks Jobicić

BEZAHLTE ANZEIGE

Von Maryam Al-Mufti

Job?

Fix!

DIE BERUFSLEBENSKOLUMNE

DES AMS WIEN

© Maryam Al-Mufti

Redakteurin Maryam hat all das um 4,99 € ergattert.

Wir verschwenden zu viel

Essen: Österreichische

Haushalte werfen bis zu

157.000 Tonnen an noch genießbaren

Lebensmitteln weg. Das heißt:

Durchschnittlich werfen WienerInnen

jährlich rund 40 Kilogramm an

Lebensmitteln weg, die eigentlich

noch essbar waren.

Was können wir tun, um dem

entgegenzusteuern? Ich habe mich

auf die Suche gemacht und bin

fündig geworden: Bei der App „Too

Good To Go“. Über die App kann

man Lebensmittel und Mahlzeiten

aus Restaurants, Hotels, Bäckereien,

und Supermärkten „retten“, die sonst

weggeschmissen werden würden. Zu

einem billigeren Preis. Seit kurzem

nimmt Spar österreichweit bei Too

Good To Go teil. Das heißt: Kurz vor

Ladenschluss können ab nun auch

hier Lebensmittel für einen günstigen

Preis gekauft werden, die für

den gewöhnlichen Ladenpreis nicht

mehr verkauft werden können. Essen

retten und auch noch Geld sparen?

Geht das wirklich so easy?

Ich wollte es testen. Die App ist

übersichtlich und die Bedienung sehr

einfach. Was auch praktisch ist: Man

bezahlt direkt in der App, also muss

man nicht lange in der Schlange an

der Kassa stehen.

ÜBERRASCHUNGS-

SACKERL

Was den Inhalt des Sackerls angeht:

Spar bietet Überraschungssackerl an.

Das bedeutet, die Mitarbeiter*innen

der einzelnen Filialen stellen individuelle

Sackerl zusammen. Leider

hat man aber keinen Einfluss darauf,

welche Produkte hineinkommen.

Achtung: Es gibt jeden Tag nur ein

sehr begrenztes Angebot an Sackerln

- bei der Reservierung sollte man

also schnell sein, bevor sie ausverkauft

sind.

Ich habe 4,99 Euro bezahlt und

dafür eine Topfengolatsche, zwei

Donuts, vier Weckerl, einen Obstsalat,

zwei Äpfel, Besteck, und ein Müsli

bekommen. Alles war knusprig und

frisch – vor allem für den Preis. Mein

Fazit also: Wer der Umwelt und seiner

Geldbörse Gutes tun will, ist hier

richtig. Vorausgesetzt man ist schnell.

Und: Was man dann im Sackerl vorfindet,

ist eben Glückssache. Einen

Versuch ist es jedenfalls wert – Wegschmeißen

lohnt sich eben nicht. ●

„Aleks?“, höre ich neben mir schüchtern

fragen, als ich mir zwischen zwei Terminen

gerade im Supermarkt ein spätes Frühstück

aus dem Kühlregal nehme. Ich dreh mich

herum: eine Frau um die dreißig. Nie gesehen.

Wie ich das hasse.

„Yasmin“, sagt sie leise. „Volksschule.“ Flashback:

Mein dritter Schultag, große Pause, ich

stehe mit nassen Augen am Gang und fühle

mich verloren wie der letzte Mensch. Auf einmal

ist Yasmin da, vier Jahre älter und ziemlich

cool, und legt den Arm um mich. Sie hat auf

mich aufgepasst, ein Schuljahr lang. 20 Jahre

ist das her.

„Yasmin!“ Ich freue mich ehrlich und sprudle

los. „Wie geht’s dir? Arbeitest du in der Nähe?

Was machst du?“ Ich rufe im Büro an und

verschaffe mir Zeit für eine halbe Stunde mit

ihr, mir war das plötzlich wichtig.

Zwei Kaffee später ist mein Enthusiasmus weg.

Yasmin hatte rasch eine Familie gewollt. Mit 17

hat sie geheiratet. Heute hat sie drei Kinder,

nur die Pflichtschule und keinen Tag Berufserfahrung.

„Ich würde gern alles nachholen“,

sagt sie traurig. „Auf eigenen Beinen stehen,

mit eigenem Geld.“ Aber? „Aber ich bin 30

und muss bei Null anfangen.“

Yasmin wird das schaffen, das AMS hilft ihr

beim Lehrabschluss. „Trotzdem blöd!“, sagt

sie plötzlich verärgert und richtet sich auf. „Ich

hätt‘s mir echt leichter machen können.“

Tipp: Eine Familie zu gründen kann schön

sein. Von ihr abhängig zu sein, ist aber

nicht fein. Mach erst mal eine Ausbildung

und ein paar Schritte im Job – darauf

kannst du aufbauen, wenn deine Babypause

vorbei ist. ams.at/biz


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

MEINUNG

Nach der Krise ist

vor der Krise

Nach der Pandemie, die eigentlich noch

nicht wirklich vorbei ist, sprechen die

ExpertInnen von der nächsten Gefahr:

dem großen Stromausfall vulgo Blackout.

Dabei rechnet man mit einem mehrtägigen

Stromengpass für die Bevölkerung.

Wie sehr unser Alltag von der Stromversorgung

abhängt, weiss jeder selbst

- aber es bleibt genug Zeit, sich darauf

sinnvoll vorzubereiten. Einfach, solange

der Strom fließt, sich die Website des

Zivilschutzes anschauen, und sich ruhig

und besonnen vorbereiten. Wenn jeder

nur sich selbst versorgen kann, können

sich Einsatzkräfte im Fall der Fälle auf

ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren.

Lieber jetzt sinnvoll einkaufen, als sich

später um Klopapier prügeln.

bezeczky@dasbiber.at

Künstliche

Mangroven

liefern

Trinkwasser

Drei Studenten der technischen Uni in

Malaysia haben das “WaterPod” genannte

Gerät entwickelt, dass aus salzigem

Meerwasser Trinkwasser herstellt. Dazu

haben sie sich an der Mangrovenpflanze

orientiert: Meerwasser wird über künstliche

Wurzeln aufgesaugt, gesammelt,

durch Sonneneinstrahlung verdampft

und das kondensierte Süßwasser bleibt

übrig. So könnten Gemeinschaften,die

bisher keinen Zugang zu sauberem

Wasser hatten, ohne kostspielige Geräte

versorgt werden.

Reifen-Origami

Reifenhersteller Hankook

hat nicht die nächste Saison

der Sommerreifen im Blick,

sondern außerirdische Ziele.

Mit dem neu entwickelten

Origami-Reifen kann die Form

der Wälzer verändert werden,

je nach Untergrund. Frage ist,

wann die Alupatschen für den

Mondjeep kommen…

Musk’s Superfabrik ist fertig

Die europäische Giga-Factory von Tesla in der Nähe von Berlin ist

fertig. Bis Ende 2022 sollen wöchtenlich 5.000-10.000 Fahrzeuge

vom Band rollen - das ist zumindest der Plan. Noch steht die

Umweltprüfung aus, danach kann die Produktion von europäischen

Teslas losgehen.

© Marko Mestrovic, James Dyson Award, Tesla, Waterpod, © Hankook tire and technology co/Seoul National University/Harvard University

48 / TECHNIK /


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BOSNIEN UND

HERZEGOWINA

Nationalismus, Korruption und fehlende

Jobperspektiven sind die Gründe für

den Massenexodus junger Menschen aus

Bosnien. Besserung ist keine in Sicht.

Von: Anja Ozorović, Mitarbeit: Amar Rajković und Florian Haderer, Fotos: Armin Graca

50 / MIT OUT SCHARF OF AUT /


EIN LAND

WANDERT

AUS —→

/ MIT OUT SCHARF OF AUT / 51


Unsere Autorin Anja Orozović , 29, arbeitet als

wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophischen

Fakultät der Universität Sarajevo. Sie hegt

keine Pläne, aus ihrem Heimatland auszuwandern.

52 / OUT OF AUT /


Marija möchte bald ihrem Bruder nach Deutschland folgen.

Eine Stunde Fahrt von Sarajevo

entfernt liegt meine Heimatstadt

Vareš, eine Kleinstadt in Zentralbosnien.

An einem Nachmittag im

August warte ich an einer der Bushaltestellen

der Stadt auf den Bus nach

Sarajevo. Über den Straßen liegt Staub

und es ist sehr still, fast unheimlich. Eine

trübe und verschlafene Atmosphäre,

die in den meisten bosnisch-herzegowinischen

Kleinstädten herrscht, aus

denen in den letzten Jahren viele junge,

gebildete Menschen ausgewandert sind.

In den ersten Klassen der Grundschulen

sitzen jedes Jahr immer weniger Kinder,

weil sie von ihren Eltern nach Deutschland

oder Schweden mitgenommen

werden. Die Geschäfte schließen, Häuser

und Wohnungen werden ausgeräumt

und bleiben leer. Die zurückgebliebenen

Großeltern, Tanten und Onkeln warten

das ganze Jahr sehnsüchtig auf die Sommermonate

und die kurze Rückkehr der

Diaspora aus Stuttgart, Frankfurt, Wien,

München, Oslo.

ONE-WAY-TICKET

NACH EUROPA

Der Exodus der jungen, oft gut gebildeten

Schicht ist dabei in allen Teilen

Bosnien und Herzegowinas spürbar,

wobei die kleineren Städte am stärksten

darunter leiden. So wie Vareš, meine

Heimatstadt. Arbeitslosigkeit, Parteiproporz

und fehlende Perspektiven haben

schon viele meiner Nachbarn, ehemaligen

Schulkameraden oder Bekannten

vertrieben: „Ja, ich liebe meine Stadt,

aber ich kann es mir nicht vorstellen,

hier zu leben“, ist eine der häufigsten

Aussagen, die ich beim Klassentreffen

jedes Jahr höre, bevor ich wieder nach

Sarajevo zurückkehre.

Die Ergebnisse einer Untersuchung,

die das „Institut za razvoj mladih KULT“

(Institut für Jugendentwicklung KULT) in

diesem Jahr durchgeführt hat, sprechen

eine klare Sprache: Mehr als 50 %

der 3132 Befragten aus ganz Bosnien

und Herzegowina (im Alter zwischen

15 und 30 Jahren) möchten die Heimat

verlassen, 12,1 % haben sogar schon

mit den Vorbereitungen dafür begonnen.

Auch die Angaben der „Unije za

održivi povratak i integracije“ (Union für

nachhaltige Rückkehr und Reintegration)

sind alarmierend: Seit 2014 sind 370.000

Menschen ausgewandert. Das ist mehr

als ein Zehntel der derzeitigen Bevölkerung

von 3,28 Millionen (Stand 2020).

FLEISS STATT

PARTEIBUCH

„Unsere Kinder sollen in einer Gesellschaft

aufwachsen, in der Fleiß und

Leistung geschätzt werden und nicht

die Mitgliedschaft in einer politischen

Partei“, erzählen mir Haris (37) und

Vedrana (37) Kurspahić in ihrer leergeräumten

Wohnung. Ich habe Glück, dass

ich das junge Ehepaar noch antreffe,

in wenigen Wochen geht es für sie mit

ihren zwei Kindern nach Deutschland.

Haris wischt sich den Schweiß von der

Stirn, sein Hemd ist zerknittert und sein

Haar staubig. Schon seit zwei Wochen

räumt er mit Vedrana die alte Wohnung

aus. Dem Juristen ist die Anspannung

über den bevorstehenden Neustart

anzumerken. Seine Frau und er haben

alles selbst in die Wege geleitet: Arbeit

und Wohnung gefunden, sich um das

Arbeitsvisum gekümmert, Schulen für die

Kinder ausgesucht. Haris erzählt mir all

das mit einer gewissen Genugtuung. Die

Vorbereitungen für den Umzug hätten

über zwei Jahre gedauert. Ihr Heimatland,

in dem sie aufgewachsen sind und

ihre Kindheitserinnerungen zurücklassen,

werden sie nur mehr als Gäste im Sommer

besuchen.

„Das Lebensklima in Bosnien ist

schlecht. Die meisten Menschen haben

die nationalistische Rhetorik und Aufteilung

satt“, so lautet Marija Tadićs

vernichtende Kritik am politischen Establishment

in Bosnien und Herzegowina.

Die 23-jährige angehende Germanistin

kommt aus Žepče, einer mehrheitlich von

bosnischen Kroaten bewohnten Stadt. Da

fast alle Kroaten einen entsprechenden

Pass besitzen, braucht sie kein Arbeitsvisum

für einen längeren Aufenthalt in der

EU. Eine privilegierte Ausgangslage für

Marija und viele ihrer Freunde, die in den

/ OUT OF AUT / 53


Die Arbeitslosenquote

in Bosnien

und Herzegowina

beträgt 32,7 % .

„Die Umgebung gibt dir deutliche Signale, dass du nicht hierher gehörst.“

Marija Tadić, 23, aus Žepče

letzten Jahren massenhaft nach Irland

oder Deutschland weggezogen sind.

Marija plant, bald ihrem Bruder zu folgen,

der schon vier Jahre in Hamburg lebt

und als Kontrolleur am Hamburger Flughafen

arbeitet. Der Bruder ist zufrieden

und kann endlich sein Leben planen.

Marija will das auch.

Beim Blick auf die Arbeitslosenzahlen

versteht man die Genügsamkeit der

auswandernden Menschen. Der Hauptgrund

liegt dabei in der hohen Arbeitslosenquote

(32,7 % im Mai 2020 nach

der Statistik der Arbeitsagentur BiH).

Laut den Angaben des Ministeriums

für Zivile Angelegenheiten lebten 2020

in Bosnien und Herzegowina 777.000

Jugendliche im Alter zwischen 15 und

30 Jahren, von denen 60 % arbeitslos

waren. Da verwundert es nicht, dass die

jungen Menschen des Vielvölkerstaates

ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.

Auf die korrupte Politik ist nicht Verlass.

Die Warteschlangen vor den Botschaften

werden immer länger, die Sprachkurse

sind bis zum letzten Platz gefüllt.

Passend dazu werden die One-Way-

Tickets nach Slowenien, Österreich oder

Deutschland jedes Jahr billiger.

Durch ihren alternativen Stil fühlte

sich Marija schon immer als Ausnahme

in ihrer Heimatstadt. Rote Haare, Iron

Maiden-T-Shirt und Piercing ziehen hier

immer noch schiefe Blicke auf sich. „Die

Umgebung gibt dir deutliche Signale,

dass du nicht dazugehörst. Viele meiner

Freunde und Freundinnen haben auch

ähnliche Probleme.“ Die schlechte ökonomische

Situation sieht sie daher nicht

als einzigen Grund für den „Brain Drain“

der jungen bosnischen Bevölkerung.

Der dreigeteilte Staat mit seinem

trägen Verwaltungsapparat, der grassierenden

Korruption und politischer

Uneinigkeit liefert verlässlich Schlagzeilen,

die sich irgendwo zwischen Chronik,

© ELVIS BARUKCIC / AFP / picturedesk.com

Politik und Groteske ansiedeln. Beispiele

gefällig? Die Regierungsspitze steht

zusammen mit der Familie Izetbegović

im Fokus der sogenannten „Respirator-Affäre“,

die während der zweiten

Corona-Welle im Mai 2021 zahlreichen

Menschen das Leben gekostet hat. Die

Wirtschaft ist auf ständiger Talfahrt, das

Gesundheitswesen droht zu kollabieren.

Der kroatische Präsident Zoran Milanović

wandelt unterdessen auf Tudjmans

Spuren und tingelt im Sommer durch die

US-Sonderbeauftragte für den Balkan Matthew Palmer mit den Mitgliedern

des dreiköpfigen Bosnischen Präsidiums, Milorad Dodik, Zeljko Komšić und

Šefik Dzaferović. (v. l. n. r)

54 / OUT OF AUT /


Ein Scherbenhaufen

aus Korruption,

Vetternwirtschaft

und primitivem

Nationalismus.

Sonja möchte ihrer Heimat die Treue halten –

trotz der ungünstigen Vorzeichen.

vorwiegend kroatisch-dominierten Orte

des Landes und verbreitet nationalistisch

separatistische Parolen. Und als wäre

das alles nicht genug, gibt es da noch

einen gewissen Milorad Dodik, Srebrenica-Leugner

und Gudenus-Freund, der als

Präsident der „Republika Srpska“ deren

Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina

forciert.

FLUCHT VOR DER PRÜDEN

GESELLSCHAFT

In der Hauptstadt der Republika Srpska,

Banja Luka, erreiche ich telefonisch Ivana

Četić. „Es ist Ende August und die Straßen

in Prijedor sind menschenleer. Selbst

die für gewöhnlich gut gefüllten Kaffees

zählen kaum Gäste“, so Ivana, die gebürtig

aus Prijedor stammt und gerade von

einem Besuch zurückkommt. Sie arbeitet

als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der

Philologischen Fakultät in Banja Luka und

erzählt mir über Erfahrungen, die sie bei

der Arbeit mit Jugendlichen gesammelt

hat. „Viele, die gehen wollen, sind sich

dessen bewusst, dass sie auch anderswo

vielleicht nicht reich werden. Dafür

werden sie in einer Gesellschaft mit

weniger Vorurteilen und mehr Toleranz

leben“, erklärt sie mir. Den Abwanderungswilligen

ist ziemlich klar, was ihnen

in Deutschland oder Schweden „blüht“.

Neue Sprache, andere Mentalität, Fernweh

nach Hause und sozialer Abstieg.

Sie gehen trotzdem. Die Hoffnung auf

Besserung im eigenen Land ist fast 30

Jahre nach dem Kriegsende für viele

endgültig gestorben.

Es gibt aber auch Ausnahmen.

Die 29jährige Sonja Brković hat ihren

Masterabschluss in Architektur an der

Universität Sarajevo in Mindeststudienzeit

abgeschlossen. Seit 2017 lebt

sie in Mostar. Ich treffe sie in einem der

zahlreichen Cafés der herzegowinischen

Hauptstadt, die für ihre Alte Brücke und

sommers für die unausstehliche Hitze

bekannt ist. Es weht kaum ein Lüftchen,

Sonja greift durstig nach einem

kalten Glas Wasser. Während unseres

Gesprächs wird Sonja schwermütig.

Sie erzählt mir, dass sie während des

Studiums motiviert war und Hoffnungen

hatte, nach dem Abschluss einen Job

zu finden, der auch etwas mit ihrem

Architekturstudium zu tun hätte. Es

kam jedoch ganz anders. So arbeitet

sie derzeit für eine englische Firma, die

sich mit digitalen Tracking- Systemen

beschäftigt. Die Hoffnung, in Zukunft

ihren gelernten Beruf als Architektin

auszuüben, schwindet von Tag zu Tag.

Sie möchte aber nicht aufgeben und

will – im Gegensatz zu meinen anderen

Gesprächspartner*innen – ihrer Heimat

die Treue halten: „Die Situation ist zwar

nicht erfreulich, aber meine Familie und

Freunde sind hier. Momentan bin ich mit

meinem Job zufrieden, aber man weiß

auch nicht, was die Zukunft bringen

kann.“

KANN ES DER

GROSSWESIR AUS

BAYERN RICHTEN?

Das klingt nach viel Arbeit für den

neuen Hohen Repräsentanten Christian

Schmidt. Dieser soll den zivilen und

politischen Aufbau des Landes leiten. Er

folgte Anfang August dem zwölf Jahre

dienenden österreichischen Diplomaten

Valentin Inzko. Schmidt behauptet zwar

bei BR24, nicht der „Großwesir Bosniens“

zu sein, doch die Bevölkerung des

gebeutelten Vielvölkerstaates hat hohe

Erwartungen an den Bayer. Schmidt

findet einen Scherbenhaufen aus Korruption,

Vetternwirtschaft und primitiven

Nationalismus im Balkanstaat vor. Ein

Mix, der den Bosniern und Bosnierinnen

ihr Heimatland vergiftet.

Bei meiner Ankunft am Busbahnhof

in Sarajevo sehe ich, dass der Abendbus

nach Dortmund heute voll ist. Freunde

und Familie liegen sich in den Armen,

verdrücken noch eine letzte Träne. Nach

der Abfahrt wird auch hier, am Peron

13 in der Hauptstadt, die gleiche Stille

herrschen, die über den Straßen meiner

Heimatstadt Vareš liegt. Die Reisenden

kommen zwar wieder, aber nur für kurze

Zeit. Als Gäste im Heimatland. ●

/ OUT OF AUT / 55


KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar

Ausstellungstipps

SUSAN

MEISELAS:

MEDIATIONS

MEINUNG

Eine für alle,

alles in eine.

Wenn man in Österreich oder Tschechien

unterwegs ist, ist der Anblick einer

biertrinkenden Frau nun wirklich nichts

Besonderes. Klar, irgendwo hält sich das

Klischee vom Bier als „Männergetränk“

(und dem Wein als Pendant für Frauen),

aber schiefe Blicke erntet man hierzulande

nicht, wenn man sich im Lokal als Frau

ein Krügerl des prickelnden Hopfentrunks

gönnt. Dass das nicht überall so ist, fiel

mir erst bei meinem „Sommerurlaub“ in

Sankt Petersburg auf. Irgendwann rechnete

ich damit, mir bei jedem Restaurantbesuch

mindestens zwei Mal ein Bier

zu bestellen, bevor es nicht nur meinem

Begleiter, sondern auch mir serviert

wurde. Vielleicht lag es ja daran, dass ich

mich auf Russisch nicht klar ausgedrückt

hatte – dachte ich jedenfalls. In Wirklichkeit

entzog es sich der Vorstellung der

Kellner, dass ich tatsächlich ein Bier für

mich bestellen könnte. Ein Blick auf die

Tische der anderen genügte – ich war

immer die einzige Frau weit und breit, die

Bier trank. Stereotype halten sich eben

unterschiedlich. Doch was auch immer

die Kehle hinunterfließt, alles landet am

selben Ort: der in Russland stinknormalen

Unisex-Toilette.

el-azar@dasbiber.at

Erstmals werden in Österreich

Arbeiten der US-amerikanischen

Fotografin Susan Meiselas gezeigt.

Seit über 40 Jahren begleitet die

Künstlerin in ihren Reportagen

Menschen in verschiedenen Situationen

sozialer und politischer Umbrüche, wie etwa der Revolution in Nicaragua in

den 70er Jahren, Kurdistan Anfang der 90er, Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt

wurden, wie auch Sexarbeiterinnen und Mädchen aus der Nachbarschaft in „Little

Italy“ in New York. Die Schau zeigt ältere Arbeiten und neue Serien.

Bis 13. Februar im Kunst Haus Wien zu sehen!

INES DOUJAK:

GEISTER­

VÖLKER

Welche Rolle spielen Kolonialismus,

globaler Handel und ökonomische

Krisen für das Entstehen von Pandemien?

Dieser Frage widmet sich die

Einzelausstellung von Ines Doujak in

der Kunsthalle Wien. Collagen aus

mittelalterlichen Darstellungen von

Wucherungen und Krankheiten treffen hier auf Fast Fashion und andere spätkapitalistische

Auswüchse. Begleitet wird die Ausstellung von einer Podcastserie mit

John Barker.

Bis 16. Jänner in der Kunsthalle Wien Museumsquartier zu sehen!

Messe-Tipp:

Nach einer Corona-Pause im vergangenen Jahr

geht es wieder los mit der viertägigen internationalen

Buchmesse „Buch Wien“. Von 10. – 14.

November lockt ein reiches Veranstaltungsprogramm

für alle Bücherwürmer - auch für die ganz

kleinen unter ihnen. Erstmals in der Geschichte

des Festivals ist Russland Gastland bei der Messe.

Lesungen, Diskussionen und Vorträge stehen auf

dem Programm. Mehr Informationen unter:

www.buchwien.at

© Christoph Liebentritt, Susan Meiselas / Magnum Photos, Ines Doujak, takotoka.com/Tomsich

56 / KULTURA /


3 FRAGEN AN…

IVAN PETROVIĆ

Ivan Petrović stammt

ursprünglich aus Bosnien

und Herzegowina und hat

sich als Übersetzer auf

Comics und Graphic Novels

aus Ex-Jugoslawien

spezialisiert. Er ist Mitgründer

der Plattform Takotoka

Comics bzw. Graphic Novels werden zumeist mit dem US-amerikanischen

Raum assoziiert. Welche Bedeutung hatten sie für

Jugoslawien?

Jugoslawien war bis in die 1990er ein blockfreier Staat. Die

Fenster Jugoslawiens reichten nicht für die Welt, aber die

Tür war für Europa offen. US-Comics gab es deshalb kaum

und auch aus dem Osten gab es nichts. Dafür gab es sehr

viele aus Italien, Frankreich, Spanien und England. Im Chaos

der 1990er lebte der jugoslawische Underground richtig

auf. Es gibt seit ein paar Jahren sogar Superheldencomics

am Balkan und ein großes Angebot an Comicfestivals und

Workshops. Galerien und Museen stellen mittlerweile Originalzeichnungen

aus. In Zagreb soll es bald ein Haus der

Comics geben - so wie jenes in Brüssel. Und in Belgrad ist

die heißeste Party des Monats das Fijuk – ein Event, wo es

ein Amalgam aus Underground-Comics, Siebdruckwahnsinn,

Skateboarding, Punk, Techno und Sljivovica gibt. Die Comic-

Schickeria am Balkan ist ein flotter Haufen, heißer als jede/r

Beatnik jemals.

Wie ist Ihr Interesse an Comics entstanden und wie viele

Ausgaben befinden sich in Ihrem Bücherregal zu Hause?

Ich habe zu Hause nicht nur ein Regal, sondern ein ganzes

Zimmer voll mit Comics. (lacht) Als ich in Jugoslawien aufgewachsen

bin, waren die irgendwie überall. Ich bin mir nicht

mehr sicher, wer mir das Lesen beigebracht hat - mein Onkel

oder Alan Ford, ein Kultcomic, das dir die Welt erklärt – aber

nur, wenn man am Balkan oder in Italien leben lernt. In Wien

gab‘s nicht so viel Auswahl, aber Donald Duck und Asterix

haben mir sehr schnell Deutsch beigebracht.

Wie entstand das Projekt Takotoka und was bietet der Webshop

an?

Uns hat eine Plattform gefehlt, welche Comics, Zines, Zeitschriften,

Prints, etc. aus allen südosteuropäischen Ländern,

Österreich, Deutschland und Europa anbietet und vertreibt.

So kamen wir auf die Idee, das selbst zu machen. Ich habe

einige Jahre zwischen Wien und Berlin verbracht, und war

dazwischen immer wieder in Zagreb, Belgrad und Sarajevo.

Dann kamen die Pandemie und der Lockdown, zum ersten

Mal konnte ich nicht am Balkan herumdüsen und schauen,

was es Neues gab. Und das Projekt Takotoka nahm Form an.

Tako bedeutet übrigens auf Japanisch Krake, und Tako To

bedeutet auf B/K/S: „So wird’s gemacht“. Neben unserem

Sortiment bieten wir mittlerweile auch Figuren an, die uns

gefallen. Langsam soll auch Musik hinzukommen.

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„Pornos in der Gruppe zu

schauen ist ein Genuss.“

Vom Versicherungskaufmann zum

Festivalleiter. Yavuz Kurtulmus weiß, dass

das österreichische Publikum anders tickt.

Unterschätzt darf es jedoch nicht werden.

58 / KULTURA /


Yavuz Kurtulmus hat vor elf Jahren

seinen Job als Versicherungskaufmann

hingeschmissen und leitet

heute unter anderem Österreichs

erstes Pornofilmfestival in vierter

Auflage. Wieso Migrant und schwul

zu sein nicht immer „Katastrophe“

bedeutet und wie viele Stunden er mit

dem Pornoschauen verbringt, erzählt

er in einem Porträt.

Von Nada El-Azar, Fotos: Zoe Opratko

Die Festivalzentrale beim 4. Porn Film

Festival Vienna war das Schikaneder.

Mir kamen die besten Ideen

eigentlich immer im Erotikkino.

Manchmal verbrachte ich

einen ganzen Tag dort. Ich nahm mir

immer etwas zu schreiben mit, beobachtete

die Menschen um mich herum

und schaute eben Pornos“, so Yavuz

Kurtulmus. Der 41-Jährige ist Kurator,

Leiter des Porn Film Festival Vienna und

Festivaldirektor des Transition Queer

Minorities Film Festival. Er empfängt

uns in der Auslage des Schikaneder, es

laufen gerade die letzten Vorbereitungen

für die Eröffnung der dritten Auflage

dieses einzigen Pornofilmfestivals

in Österreich. Vor ihm auf dem Tisch

verteilen sich Laptop, Handy Notizbuch,

ein voller Aschenbecher und ein Glas

weißen Spritzers. „Pornos lösten immer

etwas in meinem Kopf aus, sie öffneten

meinen Geist.“ Eines seiner liebsten

Kinos ist das Love Kino in Wien-Meidling.

„Es ist ein superaltes, superkitschiges

Kino. Der Saal ist winzig klein und nur

für etwa 20 bis 30 Leute gedacht und an

der Bar kann man nette Gespräche mit

verschiedenen Menschen führen.“ Wann

immer Yavuz Kurtulmus eine Auszeit

brauchte, zog es ihn in die Anonymität

eines Platzes im abgedunkelten Kinosaal.

„Ich bin eben ein Kind der 80er und 90er,

ich liebe meine DVDs. Ich habe Hunderte

davon zu Hause.“

POSITIVE NARRATIVE

VON MIGRANTEN

HERVORHEBEN

Trifft man ihn persönlich, erkennt man

schnell, dass er einen rastlosen Geist

hat. Stillsitzen war niemals sein Ding, das

gibt er auch offen zu. Nur im Kino scheint

er Ruhe zu finden. Viel Grund zum

Stillsitzen hat der gebürtige Türke mit

mazedonischen Wurzeln momentan aber

ohnehin kaum. Da das Porn Film Festival

durch den Lockdown von April auf Oktober

verschoben wurde, kommt es seinem

anderen Projekt, dem Transitions Queer

Minorities Filmfestival, das im November

stattfinden wird, zeitlich sehr nahe. Die

Idee für das Transitions Queer Minorities

Filmfestival, bei dem sich das Programm

um Geflüchtete, Religion, Transpersonen

und Migration dreht, kam Yavuz vor fast

zehn Jahren. „Ich war bei einem queeren

Filmfestival und habe mich in den Filmen

nicht wiedererkannt. Wann immer es

um Minderheiten und Migranten ging,

lief alles sehr schnell in Richtung Mord,

Zwangsehe, Gewalt, Krisen… die Welt

ist aber nicht schwarz und weiß.“ Noch

in derselben Nacht fertigte er zu Hause

gemeinsam mit seinem Partner das Konzept

für das Transition-Festival. „Ich wollte

Geschichten hervorheben, in denen

auch positive Narrative im Vordergrund

stehen und realitätsgetreu das Leben

von Migranten dargestellt wird, abseits

von diesen ewigen Abgründen.“ Das

war die Geburtsstunde des Transitions

Queer Minorities Filmfestival, das seit

2012 stattfindet und das einzige queere

Filmfestival in Europa mit dem Fokus auf

Minderheiten ist. „Wenn ich als österreichischer

Transmann in einem Tiroler

Kaff aufwachse, wird es auch nicht leicht

sein. Das Problem der Diskriminierung

liegt in der gesamten Gesellschaft.“

Jährlich werden Tausende Filme beim

Transitions Festival eingereicht, was

selbst mit einem großen Team kaum zu

bewältigen ist. „Mittlerweile wird sehr

viel queerer Film produziert.“ Bei der

Zusammenstellung des Programms achten

Yavuz Kurtulmus und sein Team aber

darauf, gezielt kleinere Produktionsfirmen

und weniger bekannte Künstler*innen zu

unterstützen.

Migrant und schwul sein – das ist

in den Ohren vieler eine schwierige

Mischung, die nur in einer Katastrophe

enden kann. „Ich habe schon immer

gewusst, dass ich auf Männer stehe,

/ KULTURA / 59


aber ich habe nie ein großes Tamtam

darum gemacht“, erinnert sich der

Festivalleiter. Geboren wurde er als eines

von insgesamt fünf Kindern 1980 in

Sakarya, in der Nähe von Istanbul. Seine

Urgroßeltern waren aus Mazedonien in

die Türkei emigriert. Sein Vater ging zum

Arbeiten nach Österreich, und Yavuz‘

Mutter pendelte mal nach Österreich,

und, wenn sie schwanger war, zurück

in die Türkei. Im Oktober 1987 kam der

damals 7-jährige Yavuz nachhause, seine

Mutter hatte bereits alle Koffer gepackt.

„Sie sagte mir: Komm, steig in den Bus,

wir fahren jetzt zu Baba.“ Zwei Tage

später kam die Familie am Wiener Südbahnhof

an. Der turbulente Umzug und

die erste Zeit in Wien hat er noch gut in

Erinnerung. „Ich wurde komplett ins kalte

Wasser geworfen. Meine Mutter hat mich

und meine Geschwister nicht wirklich

informiert, dass wir nach Österreich zu

meinem Vater kommen würden. Es ist

eine klassische Gastarbeitergeschichte“,

so der Kurator. Schon am Folgetag nach

seiner Ankunft kam er in seine Schule

Migrant + schwul

= Katastrophe?

Yavuz räumt

mit solchen

Vorurteilen auf.

in Wien-Meidling. „Plötzlich saß ich in

einer Klasse mit 30 blonden Kindern und

verstand kein Wort Deutsch. Aber ich

lernte die Sprache schnell, denn damals

gab es noch wenige Migranten an der

Schule.“ Diese Erfahrung des Fremdseins

hält Yavuz heute sehr hoch.

DER YAVUZ IST IMMER

NOCH DERSELBE

Mit 21 Jahren hatte Yavuz sein „Zwangs-

Coming-Out“, wie er es nennt. Sein Vater

kam überraschend früher nachhause,

während er mit einem Mann zusammen

war. „Er hat mich aber weder geschlagen,

noch zwangsverheiratet oder

ausgestoßen“, erinnert sich Yavuz. Kurz

nach diesem Zwischenfall versammelte

er seine ganze Familie und verkündete,

dass er schwul sei und ausziehen

würde, um niemanden damit zu belästigen

oder zu kränken. „Meine Mutter

wehrte sich aber dagegen und meinte,

dass der Auszug gar nicht nötig sei. Ich

sei immer noch ihr Sohn und sie würde

mich lieben. Aber sie fragte mich auch,

ob ich nun Aids hätte oder in Frauenkleidung

herumlaufen würde“, lacht er und

zündet sich eine Zigarette an. „Etwa ein

Jahr lang dauerte es, bis alle merkten:

Der Yavuz ist noch derselbe.“ Yavuz

Geschwister waren ebenfalls sehr offen.

„Nur mein ältester Bruder brauchte ein

wenig länger, aber heute stehen wirklich

alle hinter mir und unterstützen alles,

was ich mache. Meine Mutter weint mit

mir, wenn ich Liebeskummer habe, und

sie sah sich sogar in der Vergangenheit

immer wieder einmal nach netten Jungs

für mich um“, grinst er.

Als wir das Gespräch mit Yavuz für

die Fotos in den Kinosaal des Schikaneder

verlagern, zeigt sich schnell seine

Begeisterung für Filme und Kino. „Ich

habe wirklich schöne Erinnerungen an

diesen Saal“, sagt er, sieht sich um, er

scheint die Energie des Raumes in sich

aufzunehmen. Die erste Auflage des

Porn Film Festivals stieß noch auf großen

Widerstand, die FPÖ wollte sogar eine

parlamentarische Anfrage stellen, ob das

Festival Gelder von der Stadt bekommen

würde. Auch von Publikumsseite gab es

Gegenstimmen. Wegen einer geplanten

Demo gegen das Festival gab es im ersten

Jahr Polizeipräsenz um das Kino. „Es

ist aber nichts passiert. Viele dachten

sich wohl, hier kämen die Leute zusammen,

um die ganze Nacht eine Orgie zu

feiern“, so Yavuz. Berlin ist der Vorreiter

in Sachen Pornofilmfestivals, bereits

seit 2006 finden Festivalreihen samt

Preisverleihungen jährlich statt. „Wien ist

natürlich anders, viel prüder und konservativer.“

Das prägt vor allem die Arbeit

mit Sponsoren. „Viele Kinos in Wien

dürfen auch gar keine Pornos zeigen,

weil das in den Mietverträgen so verankert

ist. Es gibt also eine kleine Auswahl

an Orten, die für so ein Festival in Frage

kommen.“ Das erste Porn Film Festival

wurde durch Ersparnisse aus eigenen

Taschen und ein Crowdfunding möglich.

„Dass die Stadt solche Veranstaltungen

fördert, ist nicht selbstverständlich, aber

natürlich gern gesehen.

PORNOS – VIEL MEHR

ALS EINE MASTURBATI-

ONSVORLAGE

Wer Leiter eines Filmfestivals ist, muss

auch viele Filme sehen. „Ich verbringe

natürlich wahnsinnig viel Zeit damit, mir

60 / KULTURA /


Pornos anzuschauen“, lacht Yavuz. In der

Zeit zur Festivalvorbereitung veranstaltet

er deshalb gerne im Team Porno-

Schauabende. „Wir bekamen dieses Jahr

etwa 300 Einreichungen und wir suchen

uns zusätzlich noch selber Filme für das

Programm aus. Insgesamt kommen wir

also auf etwa 450 Filme auf unserer Liste.

40 Langfilme – das allein sind schon

etwa 40 Stunden Sehzeit.“ Obwohl es

gerade in Österreich eine große Tradition

von Sex- und Erotikkinos gibt, ist die

Vorstellung, sich gemeinsam mit anderen

Leuten Erotikfilme anzusehen für viele

ungewöhnlich. „Wir hatten schon im

Filmcasino eine Vorstellung mit 300

Zuseher*innen – ich kann es eigentlich

nur empfehlen, mit so vielen Menschen

Pornos zu sehen. Es ist ein Genuss und

ein völlig anderes Erlebnis. Wir hatten

65-jährige Damen, die ganz erheitert aus

dem Saal gingen, oder auch Paare, die

nachhause gegangen sind und etwas

Neues ausprobiert haben. Genau das ist

es, was wir erreichen wollen.“

Pornos sind viel mehr als Masturbationsvorlagen

– sie sind stets ein

Spiegel des Weltgeschehens. Narrative

aus Filmen und Serien, wie etwa Game

of Thrones, lassen sich in Pornographie

genauso wiederfinden wie Präsidentenaffären,

die Flüchtlingskrise oder nostalgische

Artefakte aus unserer Kindheit.

Auch die Corona-Pandemie hat ihre

Spuren im Kanon hinterlassen. „Quarantäne-Pornos“,

in denen die Darsteller

Mund-Nasen-Schutz tragen oder sich

verbotenerweise Orgien hingeben. „Die

Trends gingen seit 2020 auch in Richtung

Telefonsex, Cam-Sex und Selbstbefriedigung.“

Masturbationsvideos sind

deshalb beim diesjährigen Porn Film

Festival in den Fokus gerückt. „Das ist

gut, weil die Menschen in der Isolation

wohl endlich mal Zeit hatten, sich mit

sich selbst und dem eigenen Körper zu

beschäftigen“, erklärt Yavuz.

diese als erste überhaupt die Angebote

von Unfall-und Lebensversicherungen

für Homosexuelle. „Familie heißt ja bei

Versicherungen immer: Mann und Frau,

Kinder. Homosexuelle Paare wurden

lange nicht so gehandhabt. Man stelle

sich vor, dein Partner liegt im Krankenhaus

und man kann

nichts unternehmen,

keine Entscheidungen

treffen, nur weil man

homosexuell ist.“

Zehn Jahre lang trug

Yavuz einen Anzug

im Büro und verkaufte

Versicherungen,

führte Beratungen

auch auf Türkisch durch. Er war ein Topverkäufer

und hörte an der Spitze seiner

Karriere auf. Eines Tages im Jahr 2009

schmiss der gelernte Versicherungskaufmann

seinen Job hin. „Ich konnte

einfach nicht mehr. Nach einer Clubnacht

ging ich mehr oder weniger direkt zu

meinem Chef und kündigte.“ Danach

verbrachte er zwei Jahre auf einer

FESTIVAL TIPP:

Das Transitions Queer

Minorities Film Festival findet

von 17. – 21. November 2021

im Schikaneder statt. Alle

Informationen findet man unter:

transitionqueerfilmfestival.at

Selbstfindungsreise. „Vielleicht lag es an

meinem queeren Background, aber mich

faszinierte schon als Kind diese Filmwelt

mit Preisverleihungen, Glamour und Lichtern.

Mein Traum war es immer, auf dem

roten Teppich zu laufen“, lacht er. Sein

Händchen mit Finanzen, Talent für Organisation

und seine

Liebe für Filme vereint

er nun als Kurator von

Filmfestivals. Kritik an

seiner Arbeit kommt

aber nicht selten aus

seiner eigenen Community.

„Viele werfen

die Frage auf: Warum

sollte es ein schwullesbisches

Migranten-Filmfestival geben,

wenn es schon so viele andere gibt.

Nein, wir wollen unsere Geschichten

erzählen und nicht in einen anderen Topf

mit hineingeworfen werden. Mir ist die

Möglichkeit wichtig, einen Safe Space für

uns zu schaffen und unsere Geschichten

nicht von anderen erzählen zu lassen“,

so Yavuz. ●

„ALS KIND WOLLTE ICH

AUF DEM ROTEN TEPPICH

LAUFEN.“

In seinem früheren Leben war Yavuz

in der Versicherungs- und Finanzbranche

tätig. Bereits bei dieser Arbeit kam

er mit den brennenden Themen der

LGBTQI-Community in Kontakt. Nach

Beschwerden bei seiner Firma öffnete


KOLUMNE

MEIN ERSTER RAUSCH

Eine der ersten Freundschaften, die

ich in Österreich geschlossen habe,

war mit Fabian. Fabian ist gleich alt,

und obwohl wir aus zwei verschiedenen

Welten kommen, sind wir

einander sehr ähnlich. Wir haben

den gleichen Humor und die gleichen

Interessen, wir sind einfach auf einer

Wellenlänge. Er war angehender

Anwalt und sehr sportlich. Er brachte

mir viel über Österreich bei und half

mir später in vieler Hinsicht. Wobei

ich da einschränken muss, nicht alles,

was er mir beibrachte, war vorteilhaft.

FÜR SYRISCHE VERHÄLTNISSE

TRINKFEST

Mit Fabian ging ich das erste Mal in Österreich an

einem Samstag fort. Er wollte mir zeigen, wie man

in Salzburg ausgeht, und ich war sehr neugierig.

„Trinkst du Alkohol?“, fragte er mich, als er mich

vom Asylheim abholte. „Sicher!“, erwiderte ich stolz.

In Damaskus galt ich als Ungläubiger in der Familie,

weil ich als einziger Alkohol trank. „Aber du kannst

mit den Österreichern nicht mithalten“, meinte er

ironisch mit einem herausfordernden Unterton.

Und ja, er schaffte es, mich zu provozieren. Denn

in Syrien vertrug ich von allen Freunden am allermeisten.

„Ja sicher kann ich mithalten. Hast du eine

Ahnung!“, gab ich prompt zur Antwort. „Ok, dann

sehen wir heute, wer mehr trinkt“, sagte Fabian

erfolgssicher. Und ich ließ mich dämlicherweise darauf

ein. Damals wusste ich nichts vom Trinkverhalten

in Österreich. Ich dachte, es wäre wie in Syrien.

Da geht es meistens um den Genuss und das Beisammensein.

In Österreich hingegen trinkt man, um

zu sterben. Lasst mich euch die Geschichte zu Ende

erzählen.

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Comedian, Buch-Autor

und Flüchtling aus Syrien.

In seiner Kolumne schreibt

er über sein Leben in

Österreich.

SIE TRINKEN BIER, ALS

WÄRE ES WASSER

Auf dem Weg kauften wir viel Bier

und fuhren zu einem Freund von

Fabian, der in Salzburg lebt, wo

auch bereits andere Freund*innen

anwesend waren. Sehr nette

Stimmung, Leute und Musik. Wir

spielten Karten und die ersten Flaschen

wurden geöffnet. Ich merkte,

dass Fabian und seine Freunde das

Bier tranken, als wäre es Wasser.

Bei jedem Schluck nahmen sie ein

Viertel der Flasche zu sich. Ich

hingegen nahm kleine Schlucke zu

mir, um den Geschmack wahrzunehmen.

Aber anscheinend ging es hier nicht um den

Geschmack. Nach fünfzehn Minuten hatte Fabian

schon zwei Flaschen ausgetrunken und öffnete

die dritte, ich aber war noch bei der ersten. Ich

versuchte, verunsichert mitzuhalten. Und als

ich das zweite Bier ausgetrunken hatte, merkte

ich, dass ich allmählich mein Limit erreichte. Ich

begann sinnlos zu lachen und mein Mund sprach

ohne meine Erlaubnis. Ich hörte meine Stimme,

aber es war nicht ich, der sprechen wollte. Fabian

war dabei, die fünfte Flasche zu öffnen. Für mich

wurde in diesem Moment klar, ich hatte die Wette

verloren und wollte tun, was die meisten Verlierer

nach einer Niederlage tun: heimgehen. „Wo willst

du hin?“, fragte Fabian verwundert. „Ins Quartier.

Danke, dass du mich zum Fortgehen mitgenommen

hast. Es war nett!“ „Was Fortgehen? Wir

sind noch nicht fortgegangen. Es war nur Vorglühen“,

lachten Fabian und seine Freund*innen aus

vollem Hals.

Robert Herbe

62 / MIT SCHARF /


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