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syndicom magazin Nr. 26

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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10 Dossier<br />

Der neue Service public:<br />

Was jetzt zu tun ist<br />

Die wichtigste Lehre aus der Krise: Der<br />

Service public macht die Zukunft der Schweiz.<br />

Unsere Aufgabe heute ist es, ihn zu stärken<br />

und in Teilen neu zu erfinden.<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Bild: Giroscope<br />

Gärtnerinnen und Bauern wissen: Säst du aus, tut sich vorerst<br />

nichts. Gibst du genügend Wasser, schwillt das Samenkorn<br />

an, aber es bleibt ein Samenkorn. Wochenlang.<br />

Doch irgendwann, unvermittelt, schiesst daraus eine<br />

Pflanze hervor. Eine neue Qualität ist entstanden.<br />

So geht das auch mit Gesellschaften. Grosse Veränderungen<br />

bleiben manchmal lange unsichtbar. Sie geschehen<br />

untergründig. Kaum beachtet. Vielleicht werden<br />

sie sogar als unmöglich abgetan oder als gefährlich verunglimpft.<br />

Doch plötzlich brechen sie mächtig durch.<br />

Unwiderstehlich.<br />

Wir stehen mitten in einem solchen Umbruch. 40 Jahre<br />

haben die Neoliberalen über die Politik, die Medien, die<br />

Wissenschaft kommandiert – und über unsere Köpfe. Auf<br />

ihrem Programm standen von Beginn an nicht nur die<br />

Entfesselung der Finanz- und Kapitalmärkte, die Senkung<br />

der Steuern für die Konzerne, die Schaffung neuer Tieflohn-Weltfabriken<br />

und die Unterwerfung der organisierten<br />

Arbeitenden (also der Gewerkschaften). Sondern auch<br />

der Abriss des sozial ausgleichenden Staates, des Service<br />

public und der Sozialversicherungen.<br />

Das ist logisch: Öffentliche Dienste sind in gewisser<br />

Weise das Gegenprogramm zur neoliberalen Form des<br />

Kapitalismus. Denn der Service public orientiert sich an<br />

den Bedürfnissen der Menschen, am öffentlichen Interesse.<br />

Doch für die Aktionäre, Banken und Konzerne sollen<br />

nicht die Bedürfnisse die Gesellschaft lenken, sondern<br />

allein die Profitinteressen: Das Kapital will alle Früchte<br />

der Arbeit für sich allein.<br />

Vierzig Jahre neoliberale Politik haben den Service public<br />

klein- und schlechtgeredet, dereguliert, in Teilen abgebaut<br />

und privatisiert. New Public Management hat die<br />

Öffentlichen Dienste betriebswirtschaftlichen Regeln unterworfen.<br />

Angriffsziel ist der Service public nicht nur,<br />

weil dort Profite locken. Denn mit dem unentgeltlichen<br />

Zugang zu essenziellen Diensten schützt er die Bevölkerung<br />

vor den Zumutungen des Kapitals. Hebel für diese<br />

Dauerattacke sind die Sparbefehle und die Schuldenbremse<br />

in den öffentlichen Haushalten.<br />

Die Bedürfnisse sind das Mass<br />

Bis vor kurzem war das Religion. Doch plötzlich kann niemand<br />

mehr ignorieren, dass dieses neoliberale Modell<br />

die Welt gerade an die Wand fährt – ökonomisch, sozial,<br />

ökologisch und sogar politisch. Krisen haben den kollateralen<br />

Nutzen, die Realität grell auszuleuchten.<br />

Was untergründig längst vielen klar war, die Kritik, die<br />

da immer stärker anschwoll, bekommt nun eine neue<br />

Qualität: Weitermachen wie bisher ist keine Option. Sogar<br />

das einflussreiche Davoser Weltwirtschaftsforum (WEF)<br />

konstatierte im Januar beim globalen Stehtrinken der<br />

Mächtigen und Reichen: «Da ist etwas gründlich schiefgelaufen.»<br />

Mit Pomp verkündeten die Weltenlenker ein<br />

«Great Reset – «Alles auf null!»: «Wir brauchen einen besseren,<br />

einschliessenden Kapitalismus.» In einem «Allesauf-null-Dialog»<br />

diskutierten «Leader», wie «der Gesellschaftsvertrag»<br />

nach Covid-19 neu zu formulieren sei.<br />

Also jener – ungeschriebene – Gesellschaftsvertrag zwischen<br />

Kapital und Arbeit, der vorsah, dass auch die Arbeitenden<br />

etwas vom Mehrwert ihres Chrampfens abbekommen<br />

sollten. Und den das Kapital seit den 1970er-Jahren<br />

immer wieder gebrochen hat.<br />

Die Beschwörung eines besseren Kapitalismus muss<br />

man nicht für bare Münze nehmen. Aber es ist mehr als<br />

Propaganda, wie auch neueste Veröffentlichungen der kapitalistischen<br />

Leitorganisationen wie der OECD, des IWF,<br />

der Weltbank zeigen. Sie befürchten, die wachsenden Ungleichheiten<br />

könnten zu sozialen Aufständen führen. Vor<br />

allem wissen sie: Das Kapital wird keines der grossen,<br />

dringenden Probleme lösen. Denn was es treibt, ist ihre<br />

Ursache. Beispiel: Spätestens seit 1975 wissen die Konzerne,<br />

dass fossile Brennstoffe das Klima aufheizen. Nun, angesichts<br />

der Katastrophe, machen sie weiter, investieren<br />

riesige Summen in Öl und sogar Kohle. Und ihre Lobbyisten<br />

erzwingen von der Politik, die fossilen Energien weiter<br />

mit ungezählten Steuermilliarden zu subventionieren.<br />

Hauptsache Profit. Nach uns die Sintflut. Längst ist das<br />

Kapital in Sezession zu seinen Gesellschaften gegangen.<br />

Öffentliche Hand, übernehmen Sie!<br />

Nun soll es also die verfemte Öffentliche Hand richten,<br />

der Staat, den die Neoliberalen seit Jahrzehnten mit Lügen<br />

und übler Nachrede überziehen. Davon zeugen die gigantischen<br />

Krisenprogramme, welche die USA, die EU, Japan<br />

und China aufgelegt haben. Nur bis nach Bern ist die Kunde<br />

von der neuen Welt noch nicht durchgedrungen. Im<br />

Bundeshaus arbeiten die Rechten gerade am nächsten<br />

Sparplan und an noch mehr Steuersenkungen für das Kapital.<br />

Motto: Wir stehen am Abgrund, machen wir einen<br />

grossen Schritt vorwärts!<br />

Bizarr, denn nie hat sich die Bedeutung der Öffentlichen<br />

Hand und ihrer Dienste so deutlich gezeigt wie in der<br />

jüngsten Wirtschafts- und Coronakrise. Während der<br />

Pandemie hat der Service public die Einzelnen geschützt<br />

und die Wirtschaft am Laufen gehalten. Ohne die bindende<br />

Kraft des Service public wäre die Gesellschaft auseinandergebrochen.<br />

Darum muss er gesichert und gestärkt<br />

werden.<br />

Öffentliche<br />

Dienste für das<br />

21. Jahrhundert:<br />

Wann, wenn<br />

nicht jetzt!

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