AB Archiv des Badewesens April 2022
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<strong>AB</strong> 04/<strong>2022</strong> Ertrinkenden-Erkennungssysteme | BÄDERBETRIEB | 249<br />
a brand of Hugo Lahme GmbH<br />
Perspektivwechsel von der<br />
Unterwassersicht zur Draufsicht<br />
Was sich in den Angeboten der tra-<br />
ditionellen Hersteller schon andeutet,<br />
ist mit dem Auftritt der jungen<br />
israelischen Firma Lynxight recht<br />
umfassend vollzogen worden. Es<br />
geht künftig nicht mehr primär<br />
darum, einen Menschen zu entdecken,<br />
der bereits untergegangen<br />
ist, sondern darum, den Beginn <strong>des</strong><br />
Ertrinkungsvorgangs schon an der<br />
Wasserfläche zu erkennen – oder<br />
besser noch, ihn vorherzusagen. Mit<br />
diesem Ansatz wird der Streit um<br />
Alarmierungszeiten obsolet.<br />
Wenn eine Person am Beckenboden<br />
liegt, dann hat sie bereits eine Reise<br />
von der Wasseroberfläche zum<br />
Boden hinter sich. Da wird die Luft<br />
schon knapp, und es mag tatsächlich<br />
einen Unterschied ausmachen,<br />
ob sie nach 15 oder 30 Sekunden<br />
entdeckt wird. Wenn aber ein „verdächtiges“<br />
Verhalten an der Wasseroberfläche<br />
zunächst einmal nur<br />
gemeldet wird, und wenn die Aufmerksamkeit<br />
<strong>des</strong> Personals nicht mit<br />
einem schrillen Alarm, sondern mit<br />
einer Information auf eine kritische<br />
Situation gelenkt wird, gewinnt man<br />
viel Zeit. Zu diesem Zeitpunkt ist<br />
die gefährdete Person noch nicht<br />
in einer Erstickungssituation, damit<br />
braucht es auch keine Diskussionen<br />
um Alarmierungszeiten mehr. Mit<br />
den Handlungsmöglichkeiten an der<br />
Wasseroberfläche hat man viel Zeit<br />
gewonnen. Auch die Zahl der Fehlalarme<br />
spielt keine Rolle mehr, denn<br />
wo kein Alarm ausgelöst wird, kann<br />
es auch keine Fehlalarme geben.<br />
Ein gutes System „spricht“ mit dem<br />
Personal für die Wasseraufsicht und<br />
schreckt es nicht auf. Es wird in den<br />
Lernprozess einbezogen, indem es<br />
dem System mitteilt, ob es wirklich<br />
eine gefährliche Situation war oder<br />
nicht. Damit wird die Abstumpfung,<br />
die man gegenüber Fehlalarmen entwickelt,<br />
vermieden.<br />
Neue Testverfahren werden<br />
erforderlich<br />
Der beschriebene Perspektivwechsel<br />
wird auch neue Testverfahren<br />
erforderlich machen. Es wird künftig<br />
nicht mehr nur um die Ertrinkenden-Erkennung<br />
(drowning detection)<br />
gehen, sondern um ein unfreiwilliges<br />
Untertauchen (involuntarily immersion).<br />
Weder die ISO 20380 noch die<br />
DGfdB R 94.15 haben dies im Augenblick<br />
auf dem Schirm. Die Anforderungen<br />
an Testverfahren werden ungleich<br />
höher sein müssen als bei der<br />
„herkömmlichen“ Erkennung bereits<br />
abgesunkener Personen. Geht es dabei<br />
nur um die, zugegeben auch sehr<br />
komplexe, Erkennung von Formen<br />
und Strukturen menschlicher Körper,<br />
setzt der neue Ansatz die Analyse<br />
komplexer Verhaltensmuster voraus.<br />
Die „instinctive drowning response“<br />
z. B., die instinktive Reaktion auf<br />
das drohende Untertauchen, ist ein<br />
so komplexer Vorgang und für ein<br />
System nur beherrschbar, wenn es<br />
tausende von Videos „gesehen und<br />
ausgewertet“ hat und mit jedem<br />
erkannten Fall weiter dazulernt.<br />
Die bisherigen Regelwerke decken<br />
dies nicht ab, auch im Scope, dem<br />
Geltungsbereich, der ISO/TC 083/<br />
WG 04 „Public swimming pools –<br />
Computer vision items” ist ein solcher<br />
Ansatz nicht zu erkennen und erscheint<br />
auch nicht integrierbar.