Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
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Gerade in der Arbeitswelt wird deutlich: Die zunehmende Transparenz, die
durch Daten entsteht, ist ambivalent. Sie ermöglicht einerseits neue Formen
der Beherrschung und Kontrolle. Sie bietet andererseits aber auch Chancen
für neue Innovationskulturen und die Verbesserung von Arbeit. Es braucht also
neue Wege, die datenbasierte Innovation ermöglichen und mit dem Schutz
von Beschäftigtendaten vereinen. Mit „Inverser Transparenz“ entwickeln wir
einen innovativen und vielversprechenden Gestaltungsansatz.
1_ Gestaltungsdilemma: Zwischen Kontrollpanoptikum
und neuen Innovationskulturen
Mit dem Aufstieg des Internets scheint die Welt mehr und
mehr transparent zu werden. Der digitale „Informationsraum“
(Baukrowitz & Boes 1996 2 ) ist heute in der Gesellschaft allgegenwärtig
und durchdringt unser Leben in nahezu allen Bereichen.
Bei fast allem, was wir tun – ob wir arbeiten, einkaufen,
Sport treiben oder uns einfach von A nach B bewegen –, hinterlassen
wir einen Datenschatten. In modernen Cloud-Strukturen
können diese gigantischen Datenmengen miteinander
verknüpft, ausgewertet und zu einem detaillierten Abbild des
alltäglichen Geschehens in der Gesellschaft verdichtet werden.
Selbst das Sozialverhalten von Menschen kann so erfasst und
analysiert werden.
Der Umgang mit dieser neuen Transparenz ist eine
Schlüsselherausforderung in der digitalen Transformation. Auf
der einen Seite droht mit der zunehmenden Datafizierung der
Gesellschaft eine neue Qualität von Überwachung und Kontrolle
– auf die neben vielen anderen Expertinnen und Experten
insbesondere Shoshana Zuboff mit ihrem Begriff des „Surveillance
Capitalism“ (siehe Zuboff 27 ) hingewiesen hat. Auf der
anderen Seite öffnen die neue Allgegenwart von Daten und der
„Paradigmenwechsel zu einer Informationsökonomie“ (Boes et
al. 9 ) jedoch auch faszinierende Möglichkeiten und Potenziale
für die Gesellschaft, die von neuen Gebrauchswerten bis hin zu
einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft reichen. Die
Gleichzeitigkeit von Chancen und Risiken macht die besondere
Brisanz dieser Gestaltungsherausforderung aus. Es gilt einen
Spagat zu meistern: Wie kann es gelingen, eine neue Qualität
von Überwachung und Kontrolle zu verhindern und gleichzeitig
neue Innovationskulturen zu fördern, die die „Datafizierung“
der Welt zum Ausgangspunkt machen?
Gerade in der Arbeitswelt entsteht damit ein großer
Handlungs- und Gestaltungsbedarf. Gesucht sind neue Ansätze
für einen nachhaltigen Umgang mit Daten, die über
eine einfache Strategie der bloßen Datenvermeidung hinausgehen,
trotz der Geschwindigkeit der digitalen Durchdringung
der Welt wirkmächtig bleiben und die Privatheit von Beschäftigten
schützen. Im Zeitalter von KI und Cloud – und der permanenten
Weiterentwicklung von Algorithmen und dem automatischen
Update von Anwendungen – erweist es sich als
zunehmend schwierig, a priori zu bestimmen, welche Daten
erhoben, verwendet und verknüpft werden, beziehungsweise
hier Zugriffsrechte genau festzulegen. Präventive Ansätze
wie „Privacy-by-Design“ (Cavoukian 12,13 ), die darauf abzielen,
Datenschutzaspekte bereits beim Design von IT-Systemen
und Netzwerkarchitekturen zu berücksichtigen, geraten in
der Praxis zunehmend an Grenzen (siehe z.B. Pohle 22 ).
Vor diesem Hintergrund hat der Science-Fiction-Autor
David Brin (siehe Brin 4,5 ) bereits in der Mitte der 1990er Jahre
eine anregende Perspektive entwickelt, wie Privatheit im
digitalen Zeitalter gewahrt werden kann. Am Beispiel der
Durchdringung des öffentlichen Raumes mit digitalen Kameras
entwickelte er die provokante These, dass der traditionelle
Datenschutz mit seinem Fokus auf eine Beschränkung und
Reglementierung der Datennutzung in Zukunft an Wirkmächtigkeit
verliert. Zugespitzt argumentiert er, dass Privatheit
weniger durch ein Verbot von Kameras im öffentlichen Raum zu
schützen sei, sondern vielmehr dadurch, dass möglichst viele
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II – BERICHTE