Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
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von „wir müssen so viel wie möglich verhindern“ und immer mit
dem Ziel, das Datenschutzniveau weiter zu erhöhen. Wir haben
uns dagegen gefragt: Kann man, wenn man es richtig gestaltet, die
Nutzung von Arbeitsdaten auch positiv wenden? Können vielleicht
alle Beteiligten hiervon profitieren und diese Nutzung über einen
gemeinsamen Aushandlungsprozess regeln?
Alexander Pretschner: Wir haben auch in Richtung USA geschaut
und versucht zu verstehen, wie Datenschutz dort funktioniert. Die
Lage ist natürlich nicht einheitlich, aber tendenziell wird in Europa
Datenschutz präventiv gedacht, während wir in den USA klare
Bestandteile auch einer detektiven Kultur sehen. Das bedeutet
im Prinzip, dass die Datennutzung aufgezeichnet und im Nachhinein
analysiert wird, ob etwas Verbotenes stattgefunden hat,
statt alles im Vorfeld zu regulieren. Die Erhebung und Verwendung
von Daten transparent machen: Für uns war das ein interessanter
Ansatz, der sich als Grundprinzip ja auch in Inverser Transparenz
wiederfindet.
» Wir haben eine Toolchain
entwickelt, um Inverse Transparenz
praktisch umsetzen zu
können. «
Prof. Alexander Pretschner
Herr Prof. Hess, welche Fragen haben Sie mit
Blick auf Inverse Transparenz interessiert?
Thomas Hess: Aus unserer wirtschaftsinformatorischen Sicht
gab es zwei Bezugspunkte zu diesem Konzept. Zum einen die lange
Historie der Führungskonzepte. Die Frage, wie man optimal personell
führt, beschäftigt Praxis und Wissenschaft schon lange. Und
es liegt natürlich sehr nahe zu sagen, dass Daten zu neuen Formen
des Mikromanagements führen. Zum anderen sind alle Unternehmen
derzeit auf der Suche nach sinnhaften Verwertungskonzepten
für Daten. Wir haben diese beiden Stränge – neue Führungskonzepte
und Datenverwendung – zusammengebracht mit dem
Ziel, Daten offensiv im Sinne der Beschäftigten zu nutzen, nicht
aber für mehr für Kontrolle und Überwachung.
Herr Prof. Boes, wo liegt die Anschlussstelle zu
Ihrer Forschung?
Andreas Boes: Wir suchen in meinem Wissenschaftsteam nach
Wegen, wie man die digitale Transformation im Sinne der Menschen
nutzen kann. Immer mehr Daten werden heute nicht mehr
mit Absicht erzeugt, sondern sind das Nebenprodukt einer neuen
Form des sozialen Miteinanders und Arbeitens im Informationsraum.
Bezogen auf die Wirtschaft treibt uns vor allem die Frage
um, wie es gelingen kann, dass Menschen selbstbestimmt mit
Daten umgehen und aus Daten Innovationen machen können.
Der Charme Inverser Transparenz ist aus unserer Sicht, dass man
auf der Basis eines fälschungssicheren Tools eine neue Vertrauenskultur
aufbauen kann – eine Kultur, die Chancen für mehr Datensouveränität
bietet, wenn Beschäftigte im Umgang mit Daten
konsequent empowert werden.
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Was bedeutet das aus technischer Sicht?
Alexander Pretschner: Wir setzen uns in meinem Team schon lange
mit Ansätzen verteilter Datennutzungskontrolle auseinander,
mit der die Verwendung von Daten nach ihrer Herausgabe kon trolliert
werden kann. Konkret haben wir eine Toolchain entwickelt,
um Inverse Transparenz praktisch umsetzen zu können. Mit ihr
können wir die Zugriffe auf sensible Daten fälschungssicher protokollieren,
aggregieren und anzeigen. Aber natürlich kann man ein
solch innovatives Datennutzungskonzept wie Inverse Transparenz
nicht nur technisch betrachten. Man braucht Anschlussstellen,
um auch die wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu beantworten,
die damit einhergehen.
Was macht den Umgang mit diesen Daten so
herausfordernd?
Andreas Boes: Arbeit im Informationsraum erzeugt immer ein Abbild
auf Datenebene – egal ob dieser Datenschatten genutzt wird
oder nicht. Und alles wird gespeichert. EU-Fachleute gehen davon
aus, dass 80 Prozent der Daten, die in der Industrie verfügbar sind,
derzeit ungenutzt im Keller liegen. Diese Daten sind unterschiedlich
toxisch. Es gibt neutralere, die sich nicht missbrauchen lassen,
und es gibt personenbezogene oder vermittelt personenbezogene.
Werden sie für mehr Mikromanagement und Kontrolle genutzt,
kann das personalrechtliche Folgen haben – zum Beispiel, dass
man die Kündigung bekommt, weil man zu viel im Internet surft
oder eine bestimmte Zahl an Tastaturanschlägen nicht schafft.
Und weil in der Arbeitswelt nach wie vor das Direktionsrecht
herrscht und Macht asymmetrisch verteilt ist, können Beschäftigte
sich dem kaum entziehen.
I – EINFÜHRUNG